Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Auftaktveranstaltung der SDG-Kampagne des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 14. November 2019 in Berlin

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Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Auftaktveranstaltung der SDG-Kampagne des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 14. November 2019 in Berlin

Donnerstag, 14. November 2019 in Berlin

Sehr geehrter, lieber Herr Bundesminister Müller,
sehr geehrte Staatssekretäre,
Kolleginnen und Kollegen aus dem Parlament,
Exzellenzen,
sehr geehrte Botschafter der Nachhaltigkeitsziele,
meine Damen und Herren,

ich möchte mich ganz herzlich bei Minister Müller für die Einladung bedanken. Ich glaube, der Rahmen ist mit dem Futurium richtig gesetzt, denn es geht ja um unsere gemeinsame Zukunft. Dies ist, wie ich finde, sowieso ein ganz wunderbares Gebäude, das ganz wunderbare Erkenntnismöglichkeiten bietet. Ich freue mich, dass Sie alle hier sind.

Wir brauchen – wie auch Gerd Müller eben gesagt hat – für eine lebenswerte und menschenwürdige Zukunft einen tiefgreifenden Wandel in der Gegenwart. Wir brauchen diesen Wandel in allen Bereichen – wie wir leben, wie wir arbeiten, wie wir wirtschaften. Das ist natürlich ein sehr hoher Anspruch. Aber ich glaube, die gute Nachricht ist, dass auch das Bewusstsein dafür in unserer Gesellschaft noch nie so hoch wie heute war. Es war allerdings auch noch nie so dringlich, dass wir uns verändern. Der frühere amerikanische Präsident Barack Obama hat dies 2014 auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels spürt. Und wir sind die letzte, die etwas dagegen tun kann.“

Den Klimawandel zu bremsen und seine Folgen einzudämmen – das ist eine Existenzfrage. Wir erleben es ja auch bei uns in Deutschland: Die Schadwetterereignisse, wie man so schön sagt, die Extremwetterereignisse, haben sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Doch die Frage des Klimaschutzes ist natürlich nicht die einzige. Denn gemessen am Maßstab der gesamten Nachhaltigkeit ist Klimaschutz nur ein Schritt, wenn auch ein ganz entscheidender.

Immer mehr Menschen denken darüber nach, wie sie nachhaltiger einkaufen, wohnen, bauen oder verreisen können. Und immer mehr Menschen belassen es auch nicht beim Nachdenken, sondern überlegen, wie sie Nachhaltigkeit kreativ mit Leben erfüllen können. Die letzte Europäische Nachhaltigkeitswoche hat in diesem Jahr gezeigt, dass das auch von immer mehr Menschen wahrgenommen wird. Es gab 6.700 Veranstaltungen in ganz Europa. Es haben etwa neun Millionen Menschen daran teilgenommen; und damit dreimal so viele wie im Jahr davor, im Jahr 2018.

Auch in der Wirtschaft – das weiß ich aus vielen Gesprächen – erlebt der Nachhaltigkeitsgedanke einen Aufschwung. Es gibt viele Unternehmen, die bei der Zulieferung, beim Materialverbrauch, bei der Produktion oder auch in den Kantinen neue Wege gehen. Ich habe gerade neulich die Preisträger des Nachhaltigkeitspreises empfangen. Es war sehr interessant, einmal zu hören, wie sich auch große Unternehmen, zum Beispiel Telekom oder Rewe, ganz gezielt engagieren und das inzwischen auch als einen Vorteil für ihre Kunden oder bei der Bewertung durch ihre Kunden ansehen. Das heißt, Nachhaltigkeit wird in den Unternehmen nicht mehr nur irgendwie punktuell berücksichtigt, sondern wird als Querschnittsthema in den Strategien verankert und ist ein Erfolgsfaktor, wie ich eben schon sagte.

Solche Fortschritte in Wirtschaft und Gesellschaft sind natürlich ermutigend, denn sie zeigen: Jeder und jede kann etwas zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Nachhaltigkeit ist ein Maßstab für unser Handeln, den wir immer wieder neu anlegen müssen.

Nun muss man aber doch sagen, dass das Thema Klimaschutz vielen greifbarer erscheint als wenn wir über Nachhaltigkeit, über Kreislaufwirtschaft oder über das Denken in Kreisläufen reden. Natürlich ist auch die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen etwas, das sich nicht sofort auf den Punkt bringen lässt. Aber immerhin sind die 17 Nachhaltigkeitsziele – ja auch so visualisiert, wie Sie das alle kennen – sozusagen Begriffe und Ziele, die wir erfassen können und die, wie Gerd Müller eben auch sagte, ein Weltzukunftsvertrag geworden sind. In einer Zeit, in der der Multilateralismus unter Druck ist, in einer Zeit, in der es viele Alleingänge der Länder gibt, ist es schon erfreulich und spannend, dass es gelungen ist, diese SDG-Ziele, wie sie ja heißen, diese Nachhaltigkeitsziele und mit ihnen einen Zukunftsvertrag zu verabschieden.

Die internationale Staatengemeinschaft hat sich verpflichtet, Armut und Hunger zu beenden, sich für Bildung für alle, Geschlechtergerechtigkeit, sauberes Wasser und saubere Energie einzusetzen, den Klimawandel zu bekämpfen und die globale Gesundheit zu stärken. Das sind nur einige Punkte. Das Spannende ist: Anders als bei Vorgängerplänen ist es diesmal so, dass jedes Land der Welt einbezogen ist. Wir müssen unsere Nachhaltigkeitspläne ebenso machen, wie die ärmsten Länder der Welt ihre machen müssen. Das kommt dem Gedanken der einen Welt sehr nahe. Mit der Agenda 2030 übernehmen eben alle Staaten der Welt – Industrie-, Entwicklungs-, Schwellenländer – gemeinsam Verantwortung für unseren Planeten.

Es ist sehr wichtig, Klarheit und Einigkeit darüber zu haben, wohin wir wollen. Da reicht das abstrakte Ziel natürlich nicht, sondern wir brauchen immer wieder Etappen auf dem Weg zur Erreichung der Ziele. Wir müssen prüfen, wie weit wir gekommen sind und ob der Kurs oder das Tempo angepasst werden müssen. Im Zweifelsfall gilt: Ja, wir sind im Durchschnitt viel zu langsam.

Im September ging es beim Sustainable-Development-Goals-Gipfel in New York genau darum. Dort haben sich die Staats- und Regierungschefs zum ersten Mal seit der Verabschiedung der Agenda 2030 getroffen. Die Zwischenbilanz, die wir gezogen haben, war kritisch. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, in dem wir im Augenblick arbeiten, werden wir die Ziele nicht erreichen. Wir wissen ja – es ist jetzt das Jahr 2019 –, dass wir noch gut zehn Jahre Zeit haben; und da sind gewaltige Schritte zurückzulegen. Wir waren uns also einig, dass wir mehr tun müssen und schneller werden müssen. Deshalb hat UN-Generalsekretär António Guterres das kommende Jahrzehnt von 2020 bis 2030 auch die „decade of action“ genannt, also das Jahrzehnt des Handelns.

Mittlerweile sind vier Jahre seit der Verabschiedung der Agenda 2030 vergangen; und es hat sich durchaus einiges bewegt. Wir müssen uns auch selbst ermutigen, sonst wird man ja depressiv; und das ist auch nicht gut, um etwas zu schaffen. Ich konnte zum Beispiel bei meinem jüngsten Besuch in Indien erleben, dass das Land die Energiewende vorantreibt; und das immerhin so, dass inzwischen eine Menge von erneuerbaren Energien in einer Größenordnung von 74 Gigawatt zur Verfügung steht. Dies soll in den nächsten drei Jahren verdoppelt werden. So sieht man, dass sich die Dinge beschleunigen. Gerd Müller weiß: Wir haben Indien in den letzten Jahren mit vielen Milliarden Euro – acht Milliarden Euro insgesamt – unterstützt, um diesen Weg zu mehr erneuerbaren Energien zu gehen.

Auch ein Blick auf die weltweite Gesundheit zeigt, dass Erfolge möglich sind. Es gab 1988 noch 350.000 Fälle von Polio. Und in diesem Jahr, wie ich eben gelesen habe, gab es 33 Fälle. Das Ziel ist also fast geschafft. Es gibt auch Fortschritte im Bildungsbereich. Inzwischen gehen weltweit 91 Prozent aller Kinder zumindest einige Jahre in die Schule. Im Jahr 2000 waren es den UNESCO-Berichten zufolge nur 76 Prozent der Jungen und nur 70 Prozent der Mädchen. Man sieht also: Wir kommen voran. Doch oft sind die letzten Meter die schwierigsten, aber es lohnt sich, den Weg zu gehen.

Allerdings gibt es insgesamt zu wenige Fortschritte. Deshalb will ich auch schlechte, negative Zahlen nennen: 736 Millionen Menschen leben noch immer in absoluter Armut. Das heißt, sie haben weniger als 1,90 Dollar pro Tag. Jeder zweite der Betroffenen lebt in Subsahara-Afrika. Die Zahl der Menschen, die Hunger leiden, ist leider im dritten Jahr in Folge wieder gestiegen, und zwar auf 822 Millionen Menschen. Zum Vergleich: In den derzeit noch 28 Ländern der Europäischen Union leben 512 Millionen Menschen. 822 Millionen Menschen leben in Verhältnissen, in denen sie wirklich hungern. Eine Million Tier- und Pflanzenarten – das ist ebenfalls bedrückend – sind in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Die Treibhausgasemissionen steigen weiter an. Mit den heute bestehenden Klimazielen der Welt würde sich die Erde um drei Grad erwärmen. Das heißt, wir sind mit unseren Zielsetzungen insgesamt noch längst nicht da, wo wir hin müssen.

Wir verbrauchen als Menschheit immer noch 30 Prozent mehr Ressourcen, als unser Planet regenerieren kann. Man muss mit Blick auf die Industrieländer leider sagen, dass 20 Prozent der Menschen 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen. Wir gehören also zu denen, zu den 20 Prozent, die 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen. Die Industrieländer haben im Kampf gegen den Klimawandel und für den Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen genau aus diesem Grund eine so bedeutende Verantwortung.

Ich habe heute wieder eine Diskussion mit einer Gruppe gehabt, in der gesagt wurde: „Na ja, warum geben Sie denn nicht das ganze Geld, das Sie in Deutschland für den Klimaschutz einsetzen, dem Gerd Müller? Der könnte doch mit dem gleichen Geldeinsatz eine viel größere CO2-Reduktion schaffen.“ Darauf habe ich gesagt, dass ich ihm immer gerne im Ressortkreis etwas gebe, damit er gute Arbeit machen kann. Aber das geht am Problem vorbei. Denn wenn wir, die wir heute 80 Prozent der Ressourcen zur Verfügung haben, mit diesen Ressourcen nicht die Innovationsleistung in Bezug darauf erbringen, dass mehr Menschen auf der Welt in mehr Wohlstand leben können, dann werden es auch die ärmeren Länder mit Sicherheit nicht schaffen. Das heißt nicht, sich sozusagen vom Acker zu machen und nichts zu tun, sondern das heißt, woanders etwas stattfinden zu lassen, woanders etwas zu tun. Und hier müssen wir mit großer Anstrengung zeigen und vormachen, dass wir in Wohlstand leben können und gleichzeitig den Nachhaltigkeitszielen entsprechen. Das muss unser Beitrag sein.

Deshalb unterstütze ich auch Ursula von der Leyen, die sagt: Europa muss der erste klimaneutrale Kontinent auf der Welt werden. Das ist eine Mission, die wir haben und mit der wir unseren Beitrag leisten können, um die Nachhaltigkeitsziele wenigstens in diesem Bereich zu erfüllen.

Meine Damen und Herren, wir sehen ja gerade im Klimabereich verschiedene Anzeichen, die uns sorgenvoll stimmen müssen. Die Getreideernte im Agrarjahr 2018/2019 lag weltweit aufgrund anhaltender Dürre schon 30 Millionen Tonnen unter unserem Bedarf. Deshalb müssen wir natürlich die besonders betroffenen Staaten auf der Welt unterstützen und gleichzeitig unseren Klimaverpflichtungen nachkommen. Damit haben wir ja auch hier zu Hause noch sehr viel zu tun.

Aber für den internationalen Klimaschutz werden wir 2020 insgesamt vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Wir engagieren uns beim Waldschutz. In den vergangenen Jahren haben wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit geholfen, mehr als 160 Millionen Hektar Wald weltweit unter Schutz zu stellen. Das ist immerhin das Sechzigfache aller deutschen Naturschutzgebiete. Wir handeln also zu Hause; und wir tun auch in der Entwicklungshilfe etwas. Zum Beispiel wurde das derzeit modernste Solarkraftwerk der Welt unter anderem mit Förderung und Technologie aus Deutschland in Marokko gebaut. Es liefert grünen Strom für immerhin 1,3 Millionen Menschen.

Wir haben uns auch sehr systematisch im Bereich der Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern engagiert. Wir bekämpfen über den Globalen Fonds und die Impfallianz Gavi Krankheiten wie HIV, AIDS oder Tuberkulose und Malaria. Mir ist auch der Globale Aktionsplan zum Agenda-Ziel „Gesundheit und Wohlergehen“ wirklich sehr, sehr wichtig, weil – da knüpfen wir an etwas an, das so oft fehlläuft – es ja nicht reicht, ein Ziel zu setzen und Geld zu geben, sondern man muss es ja auch noch schaffen, dass die Dinge Hand in Hand gehen, dass sie koordiniert sind, dass sie effizient sind. Es gibt eine Vielzahl an Organisationen, Initiativen, NGOs und Geldgebern. Man muss sich einmal so ein Entwicklungsland mit nicht unbedingt der allerstärksten Governance vorstellen, das nun in 17 Bereichen von vielen, vielen Menschen und Initiativen und Organisationen Möglichkeiten erhält, in Richtung der Umsetzung dieser Ziele zu arbeiten. Aber das muss ja auch bewältigt werden. Es müssen Doppelarbeit und vieles andere mehr vermieden werden. Da, finde ich, liegt die Aufgabe erst einmal bei uns, aus dem Kompetenzwirrwarr etwas zu machen, was dann ein Angebot ist, das die Länder auch wirklich nutzen können.

Natürlich gibt es viele Eitelkeiten. Da gibt es Länder, die sagen: Wir sind entwicklungshilfemäßig auf dieses und jenes spezialisiert. Es gibt UN-Organisationen, die ein bisschen hiervon und ein bisschen davon machen. Und wenn etwas nicht funktioniert hat, dann wird eine neue Initiative gegründet. Hinzu kommen noch die privaten Geber. Uns geht es jetzt eigentlich darum, mit dem Globalen Aktionsplan jedem zuzuweisen, an welchen Stellen auf das Gesamtziel hinzuarbeiten ist. Es geht uns darum, dass Doppelarbeit vermieden wird, dass miteinander gesprochen wird, dass den Ländern, die am meisten darauf angewiesen sind, effizient geholfen wird.

Wir haben während der deutschen G20-Präsidentschaft das Thema Gesundheit auf die G20-Agenda gesetzt und haben auch andere dazu ermutigt, dieses Thema weiterzuverfolgen. Ich glaube, wir können heute sagen, dass wir eine gestärkte Weltgesundheitsorganisation haben, die ja der Treiber der Entwicklung sein muss, und dass auch die Kompetenz des Chefs oder der Chefin der Weltgesundheitsorganisation besser geworden ist, wenn es darum geht, auf die regionalen Organisationen einwirken zu können. Ich glaube, wir sollten auf diesem Gebiet weitermachen. Ich weiß, dass Herr Ganten hier unter uns ist, der sich auch ganz wesentlich engagiert. Das Entwicklungsministerium tut das auch. Jens Spahn tut das als Gesundheitsminister genauso, wie es Hermann Gröhe getan hat. Wir vom Kanzleramt tun es. Wir haben uns mit Norwegen und mit Ghana Verbündete gesucht, die auch immer wieder auf der UN-Ebene gemeinsam auftreten. So können wir uns gerade auch mit Blick auf das Gesundheitsziel in besonderer Weise engagieren.

Wir versuchen auch unsere Zusammenarbeit mit Afrika etwas strukturierter zu organisieren. Dazu haben wir während unserer G20-Präsidentschaft die Initiative „Compact with Africa“ gegründet – „with“ Africa, also „mit“ Afrika; und nicht „in“ Afrika oder „für“ Afrika. In der nächsten Woche werden wieder Vertreter der inzwischen mehr als zehn Compact-Länder hier in Deutschland zu Gast sein, obwohl wir nicht die G20-Präsidentschaft innehaben. Aber wir versuchen, gerade auch mit internationalen Organisationen – mit dem IWF, mit der Weltbank – eng zusammenzuarbeiten.

Worum geht es bei dieser Initiative? Es geht darum, private Investitionen zu fördern und Ländern, die eine gute Regierungsführung haben oder ihre Regierungsführung verbessern, bessere Konditionen zu bieten, damit sich ausländische Investoren für Investitionen in diesen Ländern interessieren. Das heißt also, es gibt einen klaren Aufgabenkatalog, was transparentes Schuldenmanagement, ordentliche Finanzen, vernünftige Arbeit im gesamten Geldbereich, im Bankenbereich, anbelangt. Und im Gegenzug versuchen wir, dafür zu sorgen, dass Investitionen nach Afrika fließen. Das sollen auch nachhaltige Investitionen sein.

Entwicklungshilfe ist das eine, aber wir müssen – das wird die Arbeit der nächsten Jahre aus meiner Sicht ganz wesentlich bestimmen müssen – über eine Brücke von der klassischen früheren Entwicklungshilfe hin zu mehr privatwirtschaftlichem Engagement einen Weg finden. Ich nenne als Beispiel die Initiative des „Grünen Knopfs“, die auf eine Stärkung der Produktion vor Ort im Textilbereich abzielt. Wenn man sich überlegt, was die GIZ zu einem großen Teil macht, dann ist es, an der erwähnten Brücke zu arbeiten, um zu nachhaltigen Wertschöpfungsketten in den betreffenden Ländern zu gelangen. Aber Sie alle wissen das natürlich, weil Sie hier ja mehr oder weniger vom Fach sind.

Das heißt, wir müssen den Weg von der Entwicklungshilfe zu wirtschaftlicher Produktion auch wirklich gehen. Da bitte ich wiederum alle darum, dass wir nicht aufeinander neidisch sind, dass wir uns nicht gegeneinander ausspielen. Jeder weiß, dass es der Entwicklungshilfe im klassischen Sinne bedarf und dass sie unabdingbar ist. Allen Organisationen, die in diesem Bereich arbeiten – Brot für die Welt, MISEREOR und vielen anderen mehr –, danke ich herzlich. Aber auf der anderen Seite ist es auch so, dass Trainingsprogramme zum Beispiel für Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten wollen, natürlich nicht abgebrochen werden dürfen, wenn wir unser Wissen weitergegeben haben, das aber nicht unbedingt an die Gegebenheiten vor Ort angepasst ist. Es kann ja nicht sein, dass sie, wenn sie nach Hause gehen und ihre klassische Landwirtschaft sehen, dann nicht wissen, was sie da mit dem neu Gelernten schaffen sollen. Das heißt, das Angepasste, das dann auch Weiterführbare, ist sehr wichtig. Man kann auch nicht jedem afrikanischen Jugendlichen sagen: Gründe dir einmal dein eigenes Start-up; du wirst schon irgendwie durchkommen. – Das geht mit Sicherheit auch nicht.

Nun wissen wir, dass Geld allein nicht reicht. Wirtschaftliche Entwicklung steht und fällt mit Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Deshalb wollen wir mit der „Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung“ dafür sorgen, dass wir zusätzlich 100.000 Arbeitsplätze und 30.000 Ausbildungsplätze bekommen. Wir arbeiten also weiter an der angesprochenen Brücke. Ein ganz wesentlicher Faktor sind in diesem Prozess natürlich die Frauen. Frauen müssen in allen Bereichen Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen bekommen. Oft gehen sie mit gesellschaftlichen oder materiellen Ressourcen sogar sorgsamer um, weil der Gedanke an die Kinder, an die Familie, im Vordergrund steht.

Meine Damen und Herren, Helen Clark, die ehemalige neuseeländische Ministerpräsidentin, hatte 2018 mit einer Expertengruppe den Peer Review zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet. Darin heißt es – das hat sie ermutigend geschrieben –: „Wenn Deutschland es nicht schafft, wer dann?“ Diese rhetorische Frage drückt zweifellos eine besondere Erwartung an Deutschland aus, eine treibende Kraft bei der Umsetzung der Agenda 2030 zu sein. Viele Länder schauen auch auf uns. Wir tragen Verantwortung, weil wir auf der einen Seite Industrienation sind – und damit auch Verursacher von vielen Schwierigkeiten, die wir heute haben, zum Beispiel beim Klimawandel, aber auch beim Artensterben – und weil wir auf der anderen Seite über Mittel und Möglichkeiten verfügen, zu zeigen, dass Klimaschutz und Wirtschaftswachstum, Artenschutz und Wirtschaftswachstum zusammengehen können.

Wir wissen, dass wir es in einigen Bereichen geschafft haben, Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum zu entkoppeln – leider nicht in allen Bereichen. Einer unserer schwierigsten Indikatoren ist zum Beispiel der Landverbrauch. Da haben wir noch keine Entkopplung vom Wirtschaftswachstum, während wir das beim Energieverbrauch schon geschafft haben. Deshalb müssen wir solche Fragen in der Nachhaltigkeitsstrategie miteinander bearbeiten.

Als Bundesregierung müssen wir Nachhaltigkeit in allen Politikbereichen verankern. Unsere Nachhaltigkeitsstrategie wurde im November letzten Jahres aktualisiert. Der nächste Schritt wird Ende 2020 erfolgen. Wir können das nur, weil wir eng mit der Zivilgesellschaft, mit den Wirtschaftsverbänden sowie mit den Ländern und Kommunen zusammenarbeiten. Deutschland als föderales Gebilde muss auf allen Ebenen gleichermaßen agieren. Deshalb sind Dialogkonferenzen von großer Bedeutung.

Ich kann nur begrüßen, dass auch die künftige Kommissionspräsidentin nicht nur im Bereich Klimaschutz, sondern auch im Bereich Nachhaltigkeit einen Schwerpunkt setzen will. Wir werden während unserer deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 genau diesen Themen besonders viel Platz einräumen.

Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist, dass jeder und jede Einfluss auf das hat, was zum Schluss eine nachhaltige Welt ermöglicht. Oft denken Menschen, dass ihr kleiner Beitrag nicht ausreicht oder vielleicht nicht wichtig sei. Wir wissen aber auch, dass die individuelle Kraft, die individuelle Kaufentscheidung, die individuelle Lebensentscheidung in der Summe viel ausmachen kann. Deshalb ist es so wichtig, dass Menschen ermutigt werden.

Deshalb freue ich mich, dass heute mit Toni Garrn, Sara Nuru, Britta Steffen und Felix Finkbeiner vier Botschafter unter uns sind, die für die Nachhaltigkeitsziele werben, die motivieren, die durch den eigenen Beitrag zeigen: Es geht. Deshalb möchte ich Ihnen ganz, ganz herzlich für Ihre Arbeit danken.

Ich glaube, Sie treffen auch auf viele Bürgerinnen und Bürger, die selber schon motiviert sind. Es gibt so viele Initiativen und Organisationen, die Vorbilder sind. Dieses Engagement konstruktiv sichtbar zu machen, ist ein weiterer notwendiger Schritt. Manchmal ist es ja ein bisschen zum Verzweifeln: Die negative Botschaft dringt sofort durch, die positive braucht etwas länger. Deshalb sollten wir uns in unserer Gesamtdiskussion auch gegenseitig ermuntern. Wir alle haben auch nur ein Leben; und wir können uns natürlich jeden Tag sagen, wie schrecklich dieses und jenes ist, aber wir können auch jeden Tag sagen: Das ist noch nicht okay, aber wir arbeiten daran, dass es morgen besser wird. Manchmal habe ich die Sorge, dass wir uns durch zu viel negative Wahrnehmung in dem, was wir eigentlich erreichen könnten, blockieren könnten. Deshalb ermutige ich zu einem positiven Ansatz, mit dem wir nichts schönreden, aber an die Kraft des Einzelnen glauben.

Da wir uns vor wenigen Tagen an den Mauerfall vor 30 Jahren erinnert haben, will ich noch sagen: Damals hatte auch keiner so richtig daran geglaubt, dass das einmal passieren kann. Ich war mir jedenfalls nicht sicher – um das einmal vorsichtig zu sagen –, vielmehr lief meine Planung eher darauf hinaus, dass ich mir mit 60 in der alten Bundesrepublik einen Reisepass hole und dann um die Welt reise. Doch der Mut vieler Einzelner, die Tatsache, dass Einzelne ein Anliegen und plötzlich ihre Stimme gefunden hatten, hatte aber etwas schier Unmögliches möglich gemacht. Mit diesem Vertrauen, dass Veränderung möglich ist, sollten wir an die Dinge herangehen.

Herzlichen Dank, dass ich heute an diesem wichtigen Abend dabei sein durfte.

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