Rede von Bundeskanzlerin Merkel zum Besuch der Hydro Aluminium Rolled Products GmbH am 4. Mai 2017 in Grevenbroich

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Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, liebe Erna,
sehr geehrter Herr Brandtzæg,
sehr geehrter Herr Ebbesberg,
sehr geehrter Herr Bundesminister und Abgeordneter Gröhe,
sehr geehrter Herr Landesminister Groschek,
sehr geehrter Herr Vassiliadis – ich denke, es hat auch eine symbolische Bedeutung, dass die Gewerkschaft IG BCE hier vertreten ist –,
liebe Abgeordnete aus dem Landtag,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
liebe Gäste,

100 Jahre Aluminiumproduktion in Deutschland – das ist die hundertjährige Erfolgsgeschichte eines Werkstoffs. Und das Beste daran ist: diese Geschichte wird weitergeschrieben. Deshalb ist diese moderne Fertigungsanlage ein Jubiläumsgeschenk und ein Zukunftsversprechen in einem. Dafür herzlichen Dank.

Aluminium ist angesichts seiner Eigenschaften sehr gefragt. Es ist in seinen Verwendungsmöglichkeiten vergleichbar mit Stahl, jedoch – das spielt auch in Ihrer Produktdarstellung eine große Rolle – um ein Vielfaches leichter. Sein Einsatz erweist sich überall dort von Vorteil, wo es auf geringes Gewicht ankommt. Das ist in der Luft- und Raumfahrt der Fall und natürlich auch in der Automobilindustrie. Da wie dort hilft das Leichtmetall, Treibstoff einzusparen und damit Treibhausgasemissionen zu verringern.

Aluminium aus dem Primärrohstoff Bauxit zu gewinnen, erfordert allerdings erst einmal viel Energie. Daher kommt dem Recycling so große Bedeutung zu, zumal das – das muss ein Werkstoff erst einmal leisten – ohne Folgen für die Qualität bleibt. Die Wiederverwertung spart erhebliche Ressourcen ein. Denn dazu braucht es ja kein neues Bauxit; und außerdem bedarf es nur eines geringen Bruchteils der Energie, die zur Erzeugung von Primäraluminium nötig ist. Auch dadurch lässt sich der CO2-Ausstoß deutlich senken.

Das ist so wichtig, weil Deutschland genauso wie andere Staaten verpflichtet ist, alles Mögliche zu tun, um Schadstoffemissionen zu reduzieren. Das Pariser Klimaschutzabkommen war und ist in dieser Hinsicht ein historischer Meilenstein. Dieses Abkommen weist der internationalen Staatengemeinschaft den Weg, wie wir zumindest die gravierendsten Folgen des Klimawandels eindämmen können. Hierfür muss es gelingen, die weitere Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau unter zwei Grad, besser noch unter eineinhalb Grad zu halten.

Die Europäische Union hat hierfür ehrgeizige Ziele vorgegeben. Sie will ihre Emissionen bis 2030 um 40 Prozent verringern. Diesem Ziel dient unter anderem der Emissionshandel, der auch für die Aluminiumindustrie von hoher Bedeutung ist. Wir wollen und werden dieses zentrale Instrument der europäischen Klimapolitik stärken. Es gilt, wirksame Anreize zu setzen, damit wir unsere Ziele wirklich erreichen – und das möglichst kosteneffizient.

Wir müssen auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft erhalten und immer wieder stärken. Dazu gehören angemessene Kompensationen, um den Aufschlag beim Strompreis auszugleichen, den der Emissionshandel mit sich bringt. Das hat in den vergangenen Jahren eine zentrale Rolle gespielt und war für Sie zeitweise auch ein Faktor der Unsicherheit, den wir jetzt, denke ich, durch mehr Sicherheit ersetzt haben. Der örtliche Abgeordnete hat dabei eine zentrale Rolle gespielt. Ich habe gelernt, dass sozusagen in Erinnerung an sein Fechten für den Standort ein Ofen in Neuss nach seinem Vornamen benannt wurde. Alle Öfen dort haben Vornamen; einer heißt jetzt Hermann.

Die energieintensive Industrie muss natürlich genau hinschauen, wie viel eine Kilowattstunde kostet. Durch das ehrgeizige Vorhaben der Energiewende sind die Strompreise in Deutschland relativ hoch. Aber genau deshalb brauchen wir Ausnahmeregelungen. Denn es wäre natürlich völlig abwegig, umweltunverträglichere Produktionsstandorte irgendwo auf der Welt statt Produktionsstandorte unter den sehr guten technologischen Bedingungen in Deutschland zu haben. Deshalb tun wir alles dafür, eine Abwanderung energieintensiver Unternehmen ins Ausland zu verhindern. Ich denke, gerade auch die heutige Eröffnung hier ist ein Zeichen dafür, dass dies gelingt. Wir brauchen solche Zukunftszeichen, denn wir wollen nicht nur den Status quo erhalten, sondern natürlich auch in Zukunft Investitionen haben.

Meine Damen und Herren, wir brauchen die energieintensive Industrie als Partner im Einsatz für Ressourceneffizienz und Klimaschutz. Wir brauchen sie als Teil der Wertschöpfungsketten und als Grundlage unseres Wohlstands. Und wir brauchen sie auch als Wegbereiter für die Produkte von morgen. Deshalb habe ich mich natürlich sehr über Ihre Rede gefreut, Herr Brandtzæg, in der Sie nicht nur Ihre eigene Mutter zitiert haben, sondern auch an die Mutter Erde gedacht haben.

Meine Damen und Herren, die heutige Eröffnung des Erweiterungsbaus ist ein gutes Beispiel für all das. Hier sollen Spezialbleche für Kraftfahrzeuge entstehen. Automobile made in Germany genießen weltweit einen hervorragenden Ruf. Daran zeigt sich auch, dass Aluminium zwar ein Leichtmetall ist, aber ein Schwergewicht in seiner wirtschaftlichen Bedeutung. Daher freue ich mich, dass Hydro mit dieser neuen Produktionsanlage ein klares Bekenntnis zum Standort Deutschland ablegt.

Damit kommt auch zum Ausdruck, dass wir zwischen Norwegen und unserem Land generell gute wirtschaftliche Beziehungen pflegen. Liebe Erna, das wird noch einmal dadurch unterstrichen, dass auch du heute hier dabei bist. Norwegen ist zwar kein Mitglied der Europäischen Union – ich würde immer „leider“ sagen; die Norweger hören das aber nicht so gerne, also sage ich es leise –, aber wir arbeiten im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsraums sehr eng zusammen. Wir handeln vielfach im engen Schulterschluss – auch um weltweit Akzente für nachhaltiges Wirtschaften zu setzen. Wir wissen aber auch, dass Europa weit mehr ist als ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Wir sind eine Wertegemeinschaft – und als solche auch eine Verantwortungsgemeinschaft in und für Frieden, Freiheit und Wohlstand.

Die enge Partnerschaft drückt sich auch darin aus, dass wir als deutsche Gastgeber für das G20-Treffen Norwegen gebeten haben, ein Partnerland zu sein. Wir werden das später in einem bilateralen Gespräch noch vertiefen. Ich finde, es hat hohen Symbolwert, dass Sie hier sagen: Wir blicken auf eine hundertjährige Geschichte zurück, aber wir wollen weitere hundert Jahre. Ich wünsche mir natürlich, dass diese weiteren hundert Jahre historisch einfacher sein werden als die vergangenen hundert Jahre. Denn der Stand unserer bilateralen Beziehungen, auch in ganz Europa, war nicht immer so gut wie heute. Vielmehr ist er das Ergebnis eines harten Ringens der Nationen mit sich und untereinander. Es gab früher zu viel nationale Selbstüberschätzung, zu viele Vorurteile gegenüber anderen, zu viele Konfrontationen und erst recht zu viele Kriege über Jahrhunderte hinweg, die das Verhältnis der europäischen Staaten zueinander bestimmt haben.

Das spiegelt sich auch in der hundertjährigen Geschichte von Hydro wider. Sowohl in Deutschland als auch in Norwegen erfolgte die Aufnahme der Aluminiumproduktion in Kriegszeiten. In Deutschland wurde während des Ersten Weltkriegs, im Jahr 1917, die Vereinigte Aluminium-Werke AG gegründet. Das Ziel war, unabhängiger von Importen zu werden. In Norwegen fallen die Anfänge Ihres Unternehmens in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. 1940 wurde dort die Aluminiumindustrie unter deutscher Besatzung auf- und ausgebaut. Nach Kriegsende übernahm dann der norwegische Staat die Betriebe. In Deutschland kam die Aluminiumproduktion zunächst zum Erliegen, bevor sie dann Anfang der 50er Jahre wieder aufgenommen wurde. Auch hier lag sie zunächst in staatlicher Hand. Später erfolgte in beiden Ländern die Privatisierung.

2002 übernahm Norsk Hydro die deutschen Standorte. Grevenbroich ist das Zentrum der Walzsparte des Konzerns und damit auch das Zentrum für Band- und Folienprodukte. Die Palette der Einsatzmöglichkeiten ist breit und eindrucksvoll. Ob in der Verpackungsindustrie, im Maschinenbau, in der Elektrotechnik oder auch im Fahrzeugbau – Aluminium ist eben sozusagen ein Allround-Metall.

„Made in Europe - Mit Leichtigkeit!“ – so lautet Ihr Motto. Das würde ich mir auch in der Politik gerne zu eigen machen. Aber Sie wissen ebenso gut wie ich: Leichtigkeit müssen wir uns manchmal schwer erarbeiten. Dieser neue Bau macht es Ihnen hoffentlich trotzdem leicht, hier weiterhin eine gute Heimat zu haben. Ihre Arbeit ist ja auch mit Freude verbunden, wenn das Ergebnis stimmt. Deshalb: eine freudige Jubiläumsfeier, ein herzliches Dankeschön an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier und auch an den anderen Standorten und weiterhin viel Erfolg. Herzlichen Dank.