Rede von Bundeskanzlerin Merkel im Rahmen des Großen Übersee-Tags des Übersee-Clubs e. V. am 5. Mai 2017 in Hamburg

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Sehr geehrter Herr Behrendt,
sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister, lieber Olaf Scholz,
sehr geehrte Frau Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
Exzellenzen,
sehr geehrte Mitglieder des Konsularischen Korps,
meine Damen und Herren,

herzlichen Dank für Ihre Einladung zum Großen Übersee-Tag des Übersee-Clubs. Nur wenige andere deutsche Wirtschaftsforen können auf eine so lange und bewegende Geschichte zurückblicken wie der Übersee-Club. Vor mittlerweile 95 Jahren wurde er auf Initiative des Bankiers Max M. Warburg gegründet. Damals befand sich Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg inmitten der Umstellung von einer Kriegs- in eine Friedenswirtschaft. Wirtschaft und Gesellschaft litten unter einer hohen Inflation. Die Produktivität war gering. Das schwache Wachstum reichte nicht aus, um die von den damaligen Siegermächten geforderten Entschädigungszahlungen zu leisten. Deutschland drohte im internationalen Vergleich immer weiter zurückzufallen.

Die Gründungsmitglieder des Übersee-Clubs waren Kaufleute, Industrielle und leitende Köpfe der Verwaltung, die sich durch diese Umstände nicht entmutigen ließen, sondern das Heft des Handelns in die Hand nehmen wollten. Dabei verhedderten sie sich nicht im Klein-Klein von Partikularinteressen. Das Fundament des Übersee-Clubs waren von Beginn an vielmehr grundlegende Werte: Demokratie, Freiheit, Offenheit und Toleranz. Diese Werte waren damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Aber auf dieser Grundlage diskutierten die Mitglieder Möglichkeiten und Wege, wie die internationale Wirtschaft gestärkt und die Beziehungen Hamburgs zu den globalen Märkten weiterentwickelt werden könnten. Diese Werte und Ziele haben sich weder nach dem Scheitern der Weimarer Republik und der Auflösung des Übersee-Clubs noch seit seiner Neugründung im Jahr 1948 geändert. Bestes Beispiel dafür ist der seit 1950 jährlich stattfindende Übersee-Tag in Erinnerung daran, dass Kaiser Friedrich I. Barbarossa im Jahr 1189 Handelsprivilegien an die Stadt Hamburg verliehen hatte. – So jedenfalls denkt man, war es.

Die Liste der bisherigen Redner auf den Übersee-Tagen ist nicht nur lang, sondern auch gespickt mit herausragenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik aus dem In- und Ausland. Es spricht für sich, dass nicht nur alle Bundeskanzler und fast alle Bundespräsidenten Redner vor dem Übersee-Club waren. Wenn sich etwas wie ein roter Faden durch die Chronologie Ihres Forums und die bisherigen Übersee-Tage zieht, dann ist es die außerordentliche Bedeutung, die Sie Weltoffenheit und Internationalität beimessen. Das kommt auch heute in der Vergabe der Stipendien für Auslandsaufenthalte junger Wissenschaftler zum Ausdruck.

Hieraus spricht die tiefe Erkenntnis, dass sich globale Herausforderungen – davon gibt es im Augenblick nachweislich viele – nicht im nationalen Alleingang, sondern nur global lösen lassen. Max M. Warburg hatte dies bereits in seiner Rede zur Gründung des Übersee-Clubs auf den Punkt gebracht. Ich möchte ihn zitieren: „Der Versuch zur Selbstbescheidung als geschlossener Handelsstaat wäre für uns Deutsche ein Selbstmordversuch, für kein Land der Welt ein Glück. […] Geschlossen müssen wir uns einsetzen für unser Ziel, den neuen Freihandel, […] der mit den Interessen des Kaufmanns zugleich die Interessen der Völker fördert.“ – Besser kann man es eigentlich auch heute nicht sagen.

Meine Damen und Herren, deshalb trage ich auch Eulen nach Athen, wenn ich vor dem Übersee-Club sage: Deutschland profitiert auch und gerade heute noch in besonderem Maße vom Freihandel. Doch die Geschichte zeigt auch eindrücklich: Es gibt immer wieder Zeiten zunehmenden Protektionismus. Dagegen müssen wir anstehen und Überzeugungsarbeit leisten. Kaum ein anderes großes Industrieland ist so stabil in die Weltwirtschaft eingebunden wie Deutschland. Im Jahr 2016 hat Deutschland Waren und Dienstleistungen im Wert von fast 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts exportiert. Für viele deutsche Exportgüter – zum Beispiel aus dem Investitionsgüterbereich und dem Anlagenbau – sind wir auf Vorleistungen aus anderen Ländern angewiesen. Gerade für unsere Volkswirtschaft wäre deshalb Protektionismus besonders schädlich. Nur mit offenen Märkten und freiem Handel können wir die gute wirtschaftliche und soziale Lage unseres Landes stärken, damit die Menschen auch in Zukunft in Deutschland gut leben können. Und nur mit offenen Märkten und freiem Handel werden wir auch die Lage in Europa weiter stärken können.

Deshalb hat sich die Bundesregierung stets für ein regelbasiertes multilaterales Handelssystem der WTO eingesetzt. Darüber hinaus befürworten wir als Bundesregierung mit Nachdruck den Abschluss bilateraler und regionaler Handelsabkommen der Europäischen Union. Nach den erfolgreichen Abkommen mit Südkorea und Kanada wird es jetzt insbesondere darum gehen, die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Japan zum Abschluss zu bringen. Der japanische Ministerpräsident hat bei seinem jüngsten Besuch anlässlich der CeBIT, auf der Japan Gastland war, diesen Wunsch von japanischer Seite erneut bekräftigt.

Ich sage auch: Freihandel bleibt auch mit Blick auf die USA ein wichtiges Thema. Ich persönlich halte ein transatlantisches Freihandelsabkommen nach wie vor für ein wichtiges Vorhaben. Denn ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den USA würde immerhin 30 Prozent des Welthandels abdecken. Wenn wir uns einmal überlegen, was wir bei CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada, an Standards setzen konnten, dann wissen wir auch, so würde auch ein solches Abkommen Standards für einen offenen und fairen Handel setzen können, an denen dann auch viele andere Abkommen weltweit nicht vorbeikommen würden. Diesen Ansatzpunkt für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung sollten sich die Demokratien in Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika nicht nehmen lassen.

Meine Damen und Herren, 2017 ist auch für Hamburg ein wichtiges Jahr, da am 7. und 8. Juli hier der G20-Gipfel stattfinden wird. Wir danken der Freien und Hansestadt und dem Senat ausdrücklich dafür, dass Hamburg dies, bei allen Problemen, die auftreten können, auch mit Vorfreude betrachtet. Sie wissen: Seit 2008, ausgelöst durch die Finanzkrise, kommen die Staats- und Regierungschefs der G20 einmal im Jahr zusammen. Bis dahin waren es nur die Finanzminister. Seitdem hat sich das Format der G20 zu einem zentralen Forum der multilateralen Zusammenarbeit und zur Gestaltung globaler Rahmenbedingungen entwickelt.

Die G20 repräsentiert etwa 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und zwei Drittel der Weltbevölkerung. Sie ist damit ein Beispiel für gelebte Globalisierung. Sie ist zudem ein geeignetes Forum zur Diskussion und Lösung globaler Probleme. Auch deshalb haben wir die G20-Agenda unter der diesjährigen deutschen Präsidentschaft nochmals erweitert. Neben klassischen Wirtschafts- und Finanzthemen wollen wir uns im Kreis der G20 verstärkt auch dem Klimawandel, der Armut, der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Nachbarkontinent Afrika, der Gesundheit und der Flucht und Migration widmen. Das sind Themen, die die Menschen bewegen – in Deutschland und außerhalb Deutschlands. Sie sind Ausdruck einer immer enger zusammenwachsenden Welt. Vor diesem Hintergrund steht auch das Leitmotiv unserer Präsidentschaft: „Shaping an Interconnected World“ – eine vernetzte Welt gestalten.

Wir sind davon überzeugt, dass die globalisierte und vernetzte Welt Deutschland und den Menschen nutzt, wenn wir es richtig machen. Aber wir wissen, dass vieles, was sich entwickelt, auch für Verunsicherung sorgt. Wir wollen deshalb mit unserer G20-Präsidentschaft die Gelegenheit ergreifen, Globalisierung auf der Grundlage von Werten und klaren Regeln voranzubringen und den Bürgern dabei auch ein Stück weit Orientierung zu bieten. Unsere Agenda richtet sich an drei inhaltlichen Säulen aus: Stabilität sicherstellen, Zukunftsfähigkeit verbessern, Verantwortung übernehmen.

Weltweiter Wohlstand erfordert starke internationale Zusammenarbeit und belastbare Verbindungen. Symbolisiert wird unser diesjähriges G20-Motto durch einen Kreuzknoten. Dieser verbindet insbesondere dann, wenn die Zugkräfte hoch sind. Hamburg ist ein Gipfelort, der dank des Hafens seit Jahrhunderten als Leuchtturm des freien Handels wahrgenommen wird. Daher ist Hamburg als Gipfel-Gastgeber geradezu prädestiniert. Doch der Gipfel wird der Stadt nicht nur viel internationale Aufmerksamkeit bringen. Er wird wegen hoher Sicherheitsauflagen auch Einschränkungen für Bürgerinnen und Bürger und für Unternehmen nach sich ziehen. Ich weiß das sehr wohl und bitte Sie für die Unannehmlichkeiten um Verständnis.

Meine Damen und Herren, Hamburg ist vielleicht auch die Stadt, in der die Verbundenheit zwischen Deutschland und Großbritannien am stärksten zu spüren ist. Vielen gilt Hamburg gleichermaßen als die britischste Stadt auf dem europäischen Festland. Das mag nicht nur am Wetter liegen, sondern vor allen Dingen an Hamburgs Rolle als Hafenstadt und Tor zur Welt. – Ich weiß nicht, wie Hannover darüber denkt; aber das ist wieder eine andere Sache. – Ich nehme deshalb an, dass das Bedauern über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hier in Hamburg besonders groß ausfällt. Ich selbst teile dieses Bedauern ausdrücklich. Auch das Matthiae-Mahl mit dem damaligen Premierminister David Cameron hat nicht geholfen. Aber wir müssen die Dinge nehmen, wie sie sind. Es gilt, die demokratische Entscheidung der britischen Wählerinnen und Wähler zu respektieren und mit ihr pragmatisch umzugehen.

Mit dem offiziellen Austrittsgesuch der britischen Regierung am 29. März dieses Jahres läuft die zweijährige Frist, nach deren Ablauf die britische Mitgliedschaft in der Europäischen Union enden wird. Vor uns stehen ausgesprochen komplexe und intensive Verhandlungen. Je mehr man sich im Übrigen mit diesen Verhandlungen beschäftigt, umso mehr weiß man, wie vernetzt und wie verbunden wir innerhalb der Europäischen Union sind. Wir wollen diese Verhandlungen im Interesse Europas fair und konstruktiv führen, da wir Großbritannien auch in Zukunft als guten Partner brauchen und haben wollen.

Mir sind bei diesen Verhandlungen drei Punkte sehr wichtig.

Erstens: Wir müssen die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger wahren, die als EU-Ausländer in Großbritannien leben. Geschätzt sind das etwa 100.000 Deutsche – mit individuellen Biografien und persönlichen Sorgen um ihre Zukunft. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, im Interesse dieser Menschen so schnell wie möglich Klarheit und Planungssicherheit zu schaffen.

Zweitens: Wir müssen den Schaden begrenzen, den der Austritt Großbritanniens für die Europäische Union insgesamt mit sich bringen könnte, wenn Austritt und Übergang nicht gelängen. Großbritannien wird künftig weniger eng eingebunden sein als bisher, auch im Bereich der Wirtschaft. Gleichwohl wollen wir auch künftig enge und partnerschaftliche Beziehungen mit Großbritannien. Das gilt für die Wirtschaft, aber auch für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik und den gemeinsamen Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität.

Drittens: Wir müssen bei allen Überlegungen und Verhandlungen rund um das Thema Brexit das Wohl der Europäischen Union als Ganzes und seiner zukünftig 450 Millionen Unionsbürgerinnen und -bürger im Blick haben. Ende März haben wir in Rom den 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge gefeiert. 60 Jahre europäische Integration sind eine einzigartige Erfolgsgeschichte, die wir auch ohne Großbritannien fortsetzen wollen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Europäische Union der 27 in den Verhandlungen mit Großbritannien nicht spalten lässt, sondern dass sie – wie wir das in den letzten zehn Monaten seit dem Ergebnis des Referendums getan haben – in allen Fragen weiter eng zusammenarbeitet.

Für den Zusammenhalt der EU ist es zudem wichtig, dass wir auch an den vielen anderen Aufgaben weiterarbeiten – Brexit hin oder her. Wir können nicht sozusagen unsere eigene Zukunftsgestaltung vergessen, weil wir gerade mit Austrittsverhandlungen beschäftigt sind. Europa muss in denjenigen Bereichen, in denen gesamteuropäisches Handeln einen echten Mehrwert bringt, schneller und entschiedener vorangehen als bisher. Wir sehen gerade, wenn wir uns auf den nächsten Sonntag konzentrieren und hoffen, dass die Wahl so ausgeht, wie wir uns das wünschen, dass auch der Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich in diesem Zusammenhang eine entscheidende Bedeutung zukommt.

Wir Europäer leben in unsicherer Nachbarschaft. Die Nachbarschaft der EU beginnt mit Russland im Norden, geht weiter über Weißrussland, die Ukraine, Georgien, die Türkei, Syrien und den Nahen Osten bis Nordafrika. Das sind sozusagen die Nachbarn des Raums der Freizügigkeit, der freien Bewegung von Waren, Dienstleistungen, Kapital und auch der Menschen. Wir brauchen eine geeinte EU, um unsere Werte und Interessen langfristig behaupten zu können. Denn unser wirtschaftlicher Wohlstand ist nicht möglich ohne Stabilität und Frieden in Europa, aber wünschenswerterweise auch in unserer Nachbarschaft.

Selten zuvor seit dem Fall der Berliner Mauer vor über 27 Jahren kam unsere Art, zu leben und zu arbeiten, so sehr unter Druck wie heute. Heute müssen wir uns stärker denn je gegen diejenigen wenden, die auf geopolitische Einflusszonen, auf Populismus und eine Ablehnung liberaler Werte ausgerichtet sind. Das erfordert von uns, dass wir für die Werte, die uns leiten, gemeinsam einstehen; und zwar auch öffentlich. Ich möchte allen danken, die das tun. Manchmal haben wir vielleicht gedacht, dass es mit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr notwendig sei, diese Werte immer wieder zu betonen. Aber es erweist sich ein Vierteljahrhundert nach diesen großartigen Ereignissen der Beendigung des Kalten Krieges und des Falls der Mauer, dass es eben wieder und wieder notwendig ist.

Unser Zusammenhalt in Europa und im transatlantischen Bündnis hat eine besondere Bedeutung. Denn dieser Einbindung in das, was wir Westen nennen, verdanken wir ein Leben in Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben starke demokratische Institutionen und sind der mit Abstand wichtigste Partner Europas. Dies gilt in vielfacher Hinsicht, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im Kampf gegen Terror und insgesamt in außen- und sicherheitspolitischer Hinsicht. Ich bin daher froh über das klare Bekenntnis des neuen US-Präsidenten Donald Trump zur NATO. Dieses Bekenntnis war sehr wichtig.

Für alle NATO-Staaten ist klar, dass wir bereit sein müssen, in fairer Lastenteilung für unsere Sicherheit und die Sicherheit unserer Partner einzutreten, wie es die NATO zuletzt 2014 auf dem Gipfel in Wales beschlossen hat. Die damals beschlossene Lastenteilung innerhalb der Allianz ist in unser aller Interesse. Deutschland machte aber stets deutlich, dass es dabei nicht nur um Verteidigungsausgaben geht. Es müssen immer auch Diplomatie und Entwicklungshilfe zum Einsatz kommen. Deshalb möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen: Die Bundesregierung bleibt dem vernetzten Ansatz treu, der eben nicht allein auf den Einsatz militärischer Mittel verengt ist, und wird ihn weiterentwickeln. So deutlich die amerikanische Regierung das bis 2024 ausgerichtete Zwei-Prozent-Ziel für die Verteidigungsausgaben der NATO einfordert, so deutlich treten wir eben auch für das 0,7-Prozent-Ziel der Entwicklungshilfe, die sogenannte ODA-Quote, ein.

Deutschland nimmt seine Verantwortung weltweit wahr: für Frieden, Sicherheit, Stabilität. Deutschlands Rolle hat sich seit der Zeit des Mauerfalls kontinuierlich verändert. Wir arbeiten mit Frankreich gemeinsam im Normandie-Format an einer politischen Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Deutschland unterstützt die Arbeit des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, um unter dem Dach der Vereinten Nationen ein Ende der Tragödie in Syrien zu erzielen. Vielleicht ist ja der Ansatz von Sicherheitszonen in Syrien, der jetzt verfolgt wird, ein kleiner Hoffnungsschimmer in dieser unglaublichen Tragödie. Deutschland ist mit der Bundeswehr wie auch mit Diplomaten und Entwicklungsexperten weltweit in einer Vielzahl von Missionen und Operationen vertreten und leistet seinen Beitrag. Mehr als tausend deutsche Soldaten beteiligen sich an der Anti-IS-Koalition im Irak und in Syrien. Deutschland hat zudem eine führende Rolle bei der Stabilisierung der vom IS-befreiten Gebiete. Das ist ein sehr wichtiger Beitrag, um sicherzustellen, dass unsere militärischen Bemühungen gegen den IS auch langfristig nachhaltig wirksam bleiben. Knapp 2.000 deutsche Soldaten beteiligen sich in Mali und Afghanistan an Einsätzen, die dem Kampf gegen den Terrorismus und der Stabilisierung der jeweiligen Länder dienen.

Verantwortung zu übernehmen, bedeutet auch, sich für eine Stärkung der Sicherheitsarchitektur in Europa einzusetzen. Deshalb haben wir Europäer die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bei den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge ganz oben auf die Agenda gesetzt und uns verpflichtet, unsere außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit weiter zu vertiefen. Dies ist auch dringend notwendig, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass unsere jeweilige Politik gegenüber Russland, gegenüber China und anderen Regionen der Welt noch viel kohärenter ausgerichtet sein muss.

Meine Damen und Herren, all das zeigt: Wir leben in einer Zeit, in der sich auf der Welt sehr vieles verändert. Ich habe deshalb auch schon von einer Welt gesprochen, die aus den Fugen geraten zu sein scheint – sei es durch die Ungewissheit, wie es mit den zunehmenden protektionistischen Tendenzen in der Welt weitergeht, sei es aufgrund der Sorgen über die vielen Kriege und Krisenherde dieser Welt. Deshalb brauchen wir mehr denn je Werte, die uns leiten. Mehr denn je brauchen wir Grundsätze, an denen wir uns orientieren. Und mehr denn je brauchen wir Kriterien, nach denen wir entscheiden. Mehr denn je brauchen wir ein gemeinsames Verständnis von Prinzipien des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens, die uns Halt und Orientierung geben.

In Deutschland haben wir mit der Sozialen Marktwirtschaft ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das all diese Voraussetzungen mit Leben erfüllt. Der heutige 5. Mai ist für die Soziale Marktwirtschaft ein besonderer Tag; denn heute jährt sich der Todestag einer ihrer wichtigsten Vordenker, Ludwig Erhards, zum 40. Mal. Nach der Vorstellung Erhards sollte jeder Einzelne, der bereit ist, zu arbeiten und Leistung zu erbringen, auch in der Lage sein, zu Wohlstand zu gelangen. Zugleich ging es ihm darum, Marktmissbrauch und Monopole zu verhindern, damit Wohlstand bei möglichst allen Menschen ankommt und nicht nur Reiche profitieren. Die Soziale Marktwirtschaft verknüpft die Vorteile des freien Markts mit einem System der sozialen Sicherung für jene, die nicht aus eigener Kraft am Leistungswettbewerb teilnehmen können – also für jene, die unsere Hilfe brauchen.

Längst hat sich die Soziale Marktwirtschaft als tragende Säule und Garantin für Stabilität und Entwicklung erwiesen. Heute können wir sagen, dass die deutsche Wirtschaft kontinuierlich wächst, dass die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland nie so hoch war wie heute, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit 2005 um fast 5,5 Millionen Menschen gestiegen ist. Die Arbeitslosenquote hat sich zwischenzeitlich annähernd halbiert; die Jugendarbeitslosigkeit ist sogar um 60 Prozent zurückgegangen. Diese außerordentlich gute Wirtschaftslage schlägt sich auch in der Stimmung der Bevölkerung nieder. Laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage sind 86 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Ansicht, unser Land stehe wirtschaftlich gut da.

Aber trotz dieser guten Lage dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen. Um die zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, brauchen wir auch in Zukunft gute Rahmenbedingungen für eine starke Wirtschaft. Denn ohne eine starke Wirtschaft und ohne Wachstum wird der Wohlstand, den es zu verteilen gibt, nicht größer. Das wusste auch Ludwig Erhard, als er 1957 sein vielbeachtetes Buch „Wohlstand für alle“ vorlegte. Mit dem Titel formulierte er ein Ziel, das uns alle in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft antreiben sollte. Vor 60 Jahren muss das Ziel, eines Tages tatsächlich Wohlstand für alle zu erreichen, für viele fast wie eine Utopie geklungen haben. Heute sind wir in Deutschland dem Ziel sicherlich so nahe wie nie zuvor, aber wir müssen natürlich auch in Zukunft unsere Hausaufgaben machen. Gerade die jüngste Maritime Konferenz, die wir hier in Hamburg abgehalten haben, hat darauf hingedeutet, was allein im Bereich der maritimen Wirtschaft an Hausaufgaben zu erledigen ist.

Ludwig Erhard hat die Soziale Marktwirtschaft nie rein national gedacht, sondern stets als offenes Modell verstanden – als ein Modell, dessen Erfolg ohne menschliche Freiheit und ohne Einbindung in die Welt nicht vorstellbar wäre; als ein Modell, das hier in Hamburg gelebt wird, wie in kaum einer anderen Stadt. Ludwig Erhard hat dies auf dem Übersee-Tag 1964 treffend formuliert. Ich möchte ihn zitieren: „Wenn irgendwo der Geist mich anweht, der mein innerstes Wesen ausmacht, der Geist, den ich ausstrahlen möchte, um den Menschen den Wert der Freiheit erkennen zu lassen, dann ist es eine Stadt wie Hamburg.“

Ich bin mir sicher, dass Hamburg mit seiner Weltoffenheit und Internationalität ein guter Gastgeber für den G20-Gipfel sein wird. Und ich wünsche mir, dass der Übersee-Club weiterhin eine kraftvolle Stimme für Freiheit und gegen Abschottung bleibt.

Herzlichen Dank.