Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim Leaders’ Roundtable im Rahmen des World Humanitarian Summit am 23. Mai 2016

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Herr Generalsekretär Ban,

Herr Präsident Erdoğan,

wir wollen natürlich alles tun, um humanitären Krisen und Katastrophen vorzubeugen. Das ist das gemeinsame Ziel. Nun geht es um die Frage: Wie können wir gemeinsam handeln? Ich denke, dass wir lernen müssen, Frühwarnung, Prävention, Stabilisierung, Friedenskonsolidierung und nachhaltige Entwicklung sowie die jeweiligen Instrumente zusammenzudenken. Wir müssen natürlich die Lasten auch international fair teilen. Das ist heute von Präsident Erdoğan auch schon gesagt worden.

Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist Friede. Das heißt, Krisenprävention ist die entscheidende Aufgabe. Gleichzeitig müssen wir aber auch in der Lage sein, auf gewaltsame Konflikte zu reagieren. Denn es wäre blauäugig und illusionär, zu glauben, dass es gar nicht mehr zu Krisen käme. Auch Naturkatastrophen wird es weiterhin geben. Es wird immer Menschen in akuten Notsituationen geben.

Wir müssen lernen, humanitäre und politische Handlungsoptionen besser aufeinander abzustimmen. Ich nehme zum Beispiel das Thema Stabilisierung einer Region. Wenn es Anstrengungen zur Konfliktlösung gibt – heute wurde darüber gesprochen, dass sich einige Länder, auch die Türkei, mit Mediation beschäftigen –, dann muss das dadurch unterfüttert werden, dass die betroffenen Menschen einen Mehrwert erkennen, eine Friedensdividende gewinnen und Möglichkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung erhalten. Das heißt, es geht um neue Perspektiven etwa durch Beschäftigungsförderung und Bildung, durch den Aufbau von Basisinfrastrukturen und Katastrophenschutz.

Das bedeutet also, Friede auf der einen Seite und nachhaltige Entwicklung auf der anderen Seite bedingen einander. Keine nachhaltige Entwicklung ohne Frieden, aber auch kein Friede ohne nachhaltige Entwicklung. Was heißt das? Das heißt, dass wir die Dinge gut aufeinander abstimmen müssen: Zugang zu humanitärer Hilfe, Mediation und politische Konfliktlösung.

Hier will ich, was politische Konfliktlösung anbelangt, ganz offen ansprechen, dass wir in Gesprächen mit Politikern aus den Ländern, in denen Konflikte herrschen, auch stärker gute Regierungsführung einfordern müssen. Es nützt nichts, wenn wir uns international um politische Gespräche bemühen, aber aufgrund intransparenter Regierungsführung bei den Menschen nichts von dem ankommt, was wir als Ziele festlegen.

In Zeiten der Digitalisierung, in Zeiten des Internets, wissen junge Menschen auch in den Ländern, die von Konflikten, von Hunger, von Klimawandel betroffen sind, im Grunde alles und kennen jede Information – auch über ihre eigenen Regierenden. Es muss gelingen, die Zivilgesellschaft besser in die Konfliktlösung einzubeziehen – allen voran Frauen, die sehr viel stärker Ressourcen für ihre Familien, für die Kinder und für das Zusammenleben vor Ort einsetzen –, indem subsidiäre Strukturen geschaffen werden, mit denen den Kommunen mehr Gewicht zukommt und die gesamte Gesellschaft auf dem neuen Weg des Landes mitgenommen wird.

Auch hierbei müssen wir von guten Beispielen lernen. Das bedeutet nicht etwa, dass die Industrieländer immer sagen, wie man das machen soll. Viel interessanter und spannender hingegen sind die guten Beispiele aus der jeweiligen Region, an denen andere lernen können, wie es besser geht. Wenn wir diesen Weg gehen, dann haben wir, denke ich, auch eine Chance, Krisenprävention und Krisenlösung besser hinzubekommen.