Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim Deutschen Maschinenbaugipfel des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. am 15. Oktober 2019 in Berlin

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Sehr geehrter Herr Welcker,
meine Damen und Herren,
liebe Mitglieder des VDMA,

es ist mir eine Freude, bei Ihnen zu sein. Ich war das letzte Mal 2008 bei einem VDMA-Maschinenbau-Gipfel. Das ist erkennbar schon eine ganze Weile her. Dennoch haben wir jährlichen Kontakt über die Hannover Messe, die ja gemeinsam mit BDI und ZVEI in rotierender Federführung veranstaltet wird.

Ich glaube, die Hannover Messe ist nach wie vor ein beeindruckendes Aushängeschild unserer industriellen Leistungsfähigkeit. Industrie 4.0 ist zum Schlagwort geworden. Dass das Thema Innovation für Sie ein zentrales ist, ist klar. Das zeigt sich auch an Ihrem Motto „Zukunft produzieren“. Sie sind sozusagen diejenigen, die die Transformation für das produzierende Gewerbe in Zeiten der Digitalisierung voranbringen. Sie sind Vorreiter und Aushängeschild.

Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren eine sehr gute Kooperation entwickelt. 2013 wurde auf der Hannover Messe die Plattform Industrie 4.0 gegründet. Sie ist inzwischen auch so etwas wie ein internationales Markenzeichen. Sie wurde 2015 erweitert. Wir können sagen, dass wir hier eine Vielzahl an Kooperationen haben – mit China, Japan, den USA – und damit auch vieles in Gang gesetzt haben.

Ihre Branche ist stark von mittelständischen Unternehmen geprägt. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, dass 99 Prozent aller Unternehmen mittelständisch sind, 80 Prozent aller Auszubildenden in mittelständischen Unternehmen ihre Ausbildung bekommen, dass der Mittelstand 60 Prozent der Arbeitsplätze und 54 Prozent der Wirtschaftsleistung unseres Landes ausmacht. Deshalb ist es auch gut und richtig, dass der Bundeswirtschaftsminister nicht nur eine Industriestrategie vorgelegt hat, sondern auch eine Mittelstandsstrategie, über die bei Ihnen sicherlich intensiv debattiert wird. Und dass sie den Titel „Wertschätzung, Stärkung, Entlastung“ trägt, passt, glaube ich, gut mit dem zusammen, was Sie mit Recht von uns erwarten.

Ich will etwas aufnehmen, das soeben von Ihnen, Herr Welcker, gesagt wurde, nämlich das Thema Bürokratie. Wir haben kürzlich ein drittes Bürokratieentlastungsgesetz mit Entlastungen von einer Milliarde Euro bei Berichtspflichten, die Sie haben, auf den Weg gebracht. Aber es kommen auf der anderen Seite immer wieder Dinge hinzu. Die sogenannte A1-Bescheinigung, von der Sie gesprochen haben, war Gegenstand meiner Unterredungen mit dem französischen Präsidenten vor wenigen Tagen. Wir werden das Thema morgen beim Deutsch-Französischen Ministerrat nochmals aufnehmen, denn hier ist etwas passiert, das – ich bin einmal ganz vorsichtig – nahe an einer gewissen Form von Protektionismus in einem eigentlich freien Binnenmarkt liegt. Wir haben eine Entsenderichtlinie; und in diesem Fall ist nicht die EU schuld, dass die Entsenderichtlinie erfordert, was jetzt passiert ist, sondern es ist auf Druck bestimmter Mitgliedstaaten entstanden, dass diese Bescheinigungen im Vorhinein abgeliefert werden müssen. Und da Sie, wie Sie richtig sagen, bei Ihren Auftragsdurchführungen flexibel sein müssen, ist das ein ungeheurer Aufwand. Man könnte diese Bescheinigungen genauso im Nachhinein ausfüllen und dann abrechnen. Insofern geht es um ein Umsetzungsproblem. Und ich werde nicht nachlassen, zu versuchen, dieses Bürokratiemonster zu verkleinern, weil das im Augenblick im Umgang mit einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wirklich ein Unding ist und Sie ohne jeden erkennbaren Sinn nur Zeit und Kraft kostet.

Meine Damen und Herren, ihr diesjähriger Verbandstag findet in einer Zeit statt, in der die konjunkturelle Entwicklung gerade auch in Ihrer Branche besorgniserregend ist. Sie ist ja auch so etwas wie ein Frühindikator für bestimmte Dinge, die im Entstehen begriffen sind. Wir haben sicherlich gewisse typische zyklische Erscheinungen nach einer nun schon langen Wachstumsphase, aber auf der anderen Seite wird das Ganze durch internationale Handelskonflikte noch weiter getrieben.

Ich bedanke mich für die Unterstützung des VDMA für das Eintreten für eine multilaterale Welt. Wir sehen erhebliche Schwierigkeiten und Risse in einer eigentlich selbstverständlichen, zumindest für uns inzwischen selbstverständlich gewordenen Weltsicht, nämlich dass es Win-win-Situationen gibt, wenn Länder auf der Welt partnerschaftlich, fair, barrierefrei zusammenarbeiten. Diese Muster werden infrage gestellt, inklusive aller multilateralen Institutionen. Für mich deutet sich damit ein Paradigmenwechsel bei einer Ordnung an, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist – im Übrigen geboren aus den Erfahrungen von unendlichem Leid, das von Deutschland über die Welt gebracht wurde.

Bei aller Kritik an der nicht perfekten Funktionsweise multilateraler Organisationen ist es doch sehr bedenklich, dass es schnell möglich sein kann, solche Institutionen zu zerschlagen, sie arbeitsunfähig zu machen, so wie das jetzt der Welthandelsorganisation droht, weil die Schiedsgerichte nicht mehr tagen können, ohne aber zu wissen, was man an deren Stelle setzt. Ich bin zutiefst überzeugt: Wenn jeder nur noch an sich denkt, wird diese Welt schwächer werden, dann wird sie ärmer werden. Dagegen werde ich mich weiter stemmen. Aber es bedarf unser aller Kraftanstrengung, weil das scheinbar Selbstverständliche nicht mehr selbstverständlich ist.

So können wir natürlich nur hoffen, dass bestimmte Handelsstreitigkeiten, die bei Ihnen ja auch unmittelbar auf die Auftragseingänge durchschlagen, beseitigt werden. Mit einer Exportquote von 80 Prozent ist die Mehrzahl der Arbeitsplätze in Ihrer Branche vom Außenhandel abhängig. Der USA-China-Handelsstreit wirft seine Schatten auf Ihre wirtschaftliche Lage. Es stehen auch Streitigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika im Raum. Wir haben die Unsicherheit des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union und damit aus dem europäischen Binnenmarkt. Was jetzt klar zu sein scheint, ist, dass Großbritannien auch aus der Zollunion austreten will. Das macht die Gespräche mit Großbritannien auch so kompliziert, weil wir dann eine Binnenmarktgrenze haben werden, die dann auch auf der irischen Insel – zwischen der Republik Irland und Nordirland – ihre Auswirkungen hat, aber durch das historische Good Friday Agreement Grenzkontrollen auf der irischen Insel nicht stattfinden sollen; so die Abmachung zwischen Großbritannien und Irland. Das ist so etwas wie die Quadratur des Kreises, was da gerade zu verhandeln versucht wird. Das ist sehr, sehr kompliziert.

Wir werden bis zur letzten Minute daran arbeiten, dass ein geregelter Austritt Großbritanniens erfolgt. Aber eines ist jetzt schon klar – wir sind auch auf den anderen Fall vorbereitet –: Großbritannien wird sich zu einem weiteren Wettbewerber vor den Haustüren Europas entwickeln. Und damit wird die Europäische Union noch sehr viel stärker gefordert sein, wettbewerbsfähig zu sein und auch geopolitische Verantwortung zu übernehmen.

In dieser konjunkturellen Situation, in der wir uns befinden, haben wir die Aufgabe, zu versuchen, die Grundlagen von Wachstum und Wohlstand zu stärken. Für uns gehört dazu auch eine solide Haushaltspolitik. Wir haben im Augenblick ein Investitionshoch. Wir hatten schon lange nicht mehr so viele Investitionsmittel in unserem Bundeshaushalt. Und wir glauben, dass ein ausgeglichener Haushalt angesichts unserer demografischen Lage auch eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft ist. Deshalb bekennen wir uns zu einem ausgeglichenen Haushalt.

Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht investieren, dass wir nicht Vorsorge für die Zukunft treffen. Hier will ich insbesondere darauf hinweisen, dass wir seit 2017 zum ersten Mal das Drei-Prozent-Ziel für Ausgaben in Forschung und Entwicklung erreicht haben – drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung. Wir haben nun eine steuerliche Forschungsförderung auf den Weg gebracht und haben auch mit der Hightech-Strategie 2025 und der Umsetzungsstrategie Digitalisierung die richtigen Weichen gestellt, um Ihre Anstrengungen zu flankieren und den digitalen Wandel, den technologischen Wandel gut zu begleiten. Wir haben eine Agentur für Sprunginnovationen in Leipzig gegründet, um – ähnlich wie die Vereinigten Staaten mit ihrer DARPA-Institution – schneller reagieren zu können. Wir haben eine Strategie zur Umsetzung der Künstlichen Intelligenz. So haben wir in den letzten anderthalb Jahren eine Vielzahl von Weichen in Richtung Zukunft gestellt und arbeiten in vielen Bereichen eng zusammen.

An dieser Stelle will ich allerdings sagen: Ihre Unternehmen sind voll im digitalen Wandel begriffen und sind auch vom Wandel in anderen Branchen, zum Beispiel der Automobilindustrie, in hohem Maße abhängig. Aber an einer Stelle, denke ich, müssen wir noch intensiver zusammenarbeiten. Die Digitalisierung der Produktionsprozesse, die in Ihren Unternehmen stattfindet, hat natürlich auch erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Daher haben wir, was das lebenslange Lernen anbelangt, gemeinsam mit der Wirtschaft unsere Qualifizierungsstrategie entwickelt.

Was mir aber große Sorgen macht, ist die Frage der Datenautonomie, der Datensouveränität europäischer Unternehmen. Das ist auch ein Thema, über das wir mit dem französischen Präsidenten und auch im Europäischen Rat intensiv diskutieren. Datenmanagement findet heute in hohem Maße gemeinsam mit amerikanischen Firmen statt. Ich bin der Meinung, wir brauchen in Europa eine eigene Cloud-Bewirtschaftung, eine eigene Hyperscale, wie man sagt, also eine Plattform, auf der wir Daten nicht nur lagern können, sondern auch verarbeiten können, damit aus Daten, über Künstliche Intelligenz, wieder neue Produkte entstehen. Ich bitte Sie, darüber in Ihrer Branche wirklich intensiv zu diskutieren, weil wir – jedes einzelne Unternehmen – in Abhängigkeiten geraten können, die wir vielleicht heute noch nicht in ihrer gesamten Konsequenz voraussehen. Deshalb sind wir bereit, auch im Rahmen einer europäischen Kooperation für neue Technologien, so wie wir es auch bei der Chipherstellung machen, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die europäischen Unternehmen Datensouveränität ermöglicht und erlaubt. Da müssten wir noch enger zusammenarbeiten.

Ich glaube auch, dass die neue Kommissionspräsidentin und die neue Kommission, die dann hoffentlich bald ihre Arbeit aufnehmen kann, die Weichen richtig gestellt und mit der Konzentration auf Digitalisierung, auf geopolitische Herausforderungen für Europa und auf den Klimawandel die richtigen Schwerpunkte gesetzt haben.

Herr Welcker, Sie sind auch intensiv darauf eingegangen, dass der Klimawandel ähnlich wie die Digitalisierung tiefgreifende Auswirkungen auf Ihre Branche, aber auch auf unsere gesamte Art zu leben hat und wir uns in einem tiefgehenden Transformationsprozess befinden. Deshalb lassen Sie mich einiges zu dem sagen, was Sie zum Klimapaket der Bundesregierung gesagt haben.

Es ist ja so, dass die Industrie gemeinsam mit der Energiewirtschaft bereits einem Bepreisungssystem von CO2 unterliegt. Das heißt also, die Frage der Vermeidungskosten von CO2 in Zementwerken ist über das europäische Zertifikatehandelssystem bereits vollständig abgebildet. Dort beträgt der Zertifikatepreis jetzt um die 25 oder 26 Euro pro Tonne, vielleicht mit leicht steigender Tendenz; und das entfaltet bereits Lenkungswirkung. Da hören wir im Augenblick wenige Klagen. Ich sage einmal: In dem Moment, in dem die Preise im Zertifikatehandel Europas in Richtung 40 Euro pro Tonne steigen würden, kämen wir dann in die Situation, über die Frage diskutieren zu müssen, ob für diejenigen, die im internationalen Wettbewerb stehen, die Kosten nicht zu hoch sind. Aber das ist im Augenblick noch nicht der Fall. Also, die gesamte Industrie und die gesamte Energiewirtschaft unterliegen dem Zertifikatehandel. Und wir sehen zum Beispiel bei den Braunkohlekraftwerken schon, dass durch die steigenden Kosten die Exportrate an braunkohlebasiertem Strom zum Beispiel nach Polen gesunken ist. Das heißt, das hat einen direkten Klimaeffekt im Gebäude- und Energiebereich.

Was wir jetzt mit dem Klimapaket der Bundesregierung machen, betrifft vor allem die Bereiche Verkehr und Gebäude, Abfallwirtschaft und kleine Unternehmen, im Wesentlichen das Handwerk. Hier fangen wir mit einer CO2-Bepreisung an, wobei man ja ehrlich sagen muss, dass wir nicht damit beginnen, da wir ja schon, historisch gewachsen, Preise auf fossile Energieträger haben. Beim Heizöl sind die Preise relativ gering, bei Benzin und Diesel – wenn Sie nur von den heutigen Steuern ausgehen – liegen sie bei über 150 Euro pro Tonne. Die werden aber als solche nicht empfunden, sondern empfunden wird das, was teurer wird. Das heißt, da kommen jetzt zehn Euro pro Tonne drauf. Dazu sagen Sie: Das ist zu wenig. – Das mag sein, aber es ist der Einstieg in ein dauerhaft ansteigendes Bepreisungssystem, das am Anfang immer noch von Mindest- und Höchstpreisen flankiert wird, aber zum Ende des Jahrzehnts mit frei floatenden Preisen stattfinden wird.

Die Vermeidungskosten im Gebäude- und Verkehrsbereich sind sehr viel höher, als wir sie im Industriebereich haben. Deshalb könnte man sagen: Jetzt lege ich die beiden Systeme sofort zusammen. – Das haben wir in der Europäischen Union deshalb nicht gemacht, weil wir glauben, dass erstens die Industrie ganz wesentlich im internationalen Wettbewerb steht und wir zweitens auch im Verkehrsbereich und im Gebäudebereich Druck brauchen, damit dort Veränderungen stattfinden, weil sich die Mobilität dramatisch ändern wird und die Isolierung von Häusern und die bessere Energieeffizienz von Häusern auch ein Thema ist, das angegangen werden muss. Legten wir die beiden Punkte zusammen, würden bei Ihnen im Energie-und Industriebereich die Preise leicht steigen, sagen wir von 26 auf vielleicht 31 Euro pro Tonne, und wir würden für einen langen Zeitraum null Lenkungswirkung im Verkehrsbereich und im Gebäudebereich haben. Dann würde erst ganz zum Schluss, wenn wir in der Mitte des Jahrhunderts CO2-Neutralität erreicht haben wollen, Druck auf diese Bereiche entstehen. Das, glauben wir, ist nicht gut, sondern wir brauchen schon jetzt die Entwicklung alternativer Antriebstechnologien und müssen die erneuerbaren Energien ausbauen; und das im Übrigen auch parallel. Das Elektroauto ist noch nicht besonders CO2-freundlich, solange der Strom nicht aus erneuerbaren Energien stammt. 2030 aber werden wir zwei Drittel unserer Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien haben; so ist unser Plan. Um 2030 herum können wir die beiden Zertifikatesysteme zusammenlegen, weil wir glauben, dass wir dann den Transformationsprozess im Gebäude- und Energiebereich nach vorne gebracht haben.

Nun zu der aus Ihrer Sicht so starren Sektorbezogenheit, die wir vereinbart haben: Ja – aber. Ja, weil wir Folgendes erlebt haben: Der Verkehrsbereich hat seit 1990 keine einzige Tonne Einsparung an CO2-Emissionen erbracht. Es wurden zwar effizientere Autos entwickelt – wobei man angesichts der SUV-Mode auch fragen kann, ob sich diese Entwicklung fortsetzt –, aber das Verkehrsaufkommen hat sich weiter erhöht. Und damit sind die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich konstant geblieben. Die müssen runter.

Im Gebäudebereich haben wir leichte Fortschritte, aber immer noch einen sehr, sehr schlechten Altbau-Gebäudebestand. Deshalb haben wir Sektorziele festgelegt. Aber durch die Einführung des Bepreisungssystems sind diese Sektorziele in gewisser Weise obsolet. Das heißt, je stärker die Preissignale wirken, umso weniger Bedeutung werden die Sektorziele haben. Um aber zu schauen, wie welche Maßnahmen wirken, haben wir vereinbart: Wenn das Gesamtziel der Emissionssenkung nicht erreicht wird, können wir zwischen den Sektoren austauschen. Das heißt, wenn sich ein Sektor besser entwickelt, weil die Vermeidungskosten hier geringer sind, kann der andere Sektor dadurch entlastet werden. So etwas wird das Klimakabinett beschließen. Und mit dem wachsenden Anstieg des Preises wird das Sektorziel an Bedeutung verlieren. Trotzdem müssen wir Rechenschaft ablegen: Was haben wir in welchem Bereich geschafft? Es wird nicht ausreichen, wenn wir dann auf der einen Seite nur alle Ölheizungen ausgetauscht, aber auf der anderen Seite, zum Beispiel im Verkehrsbereich, überhaupt nichts erreicht haben. Das heißt, die Sektorziele sind zwar festgeschrieben, sind aber auch nicht europäisch bindend; und sie werden mit zunehmender Kraft des Preissignals an Bedeutung verlieren. Wir haben entsprechend den europäischen Gegebenheiten – und das ist für Deutschland auch gut so – nicht die Möglichkeit, zwischen dem Zertifikatehandel des Industriebereichs und den dort zu erreichenden Reduktionszielen und im Gebäude- und Verkehrsbereich sozusagen hin- und herzutauschen, sondern der Druck liegt jetzt mit unseren Klimaschutzprogrammen im Wesentlichen auf dem Gebäude- und auf dem Verkehrsbereich plus Landwirtschaft plus Abfallwirtschaft.

Jetzt kann man viel Kritisches sagen, aber was wir geschafft haben, ist Folgendes: Uns wird für jedes Jahr von 2020 bis 2030 ein Budget für CO2-Emissionen im Verkehrs- und Gebäudebereich zur Verfügung stehen. Wenn wir dieses Budget überschreiten, also unsere CO2-Minderungsziele nicht einhalten, dann müssen wir auf dem europäischen Markt zusätzliche Zertifikate kaufen und dafür teures Geld ausgeben. Es besteht also ein großer Druck, national die vorgegebenen europäischen Ziele zu erreichen. Deshalb, glaube ich, ist unser Programm etwas intelligenter, als Sie es dargestellt haben. Aber richtig ist – und das haben wir auch immer wieder mit den Ministerien besprochen –, dass es schon Sinn macht, sich einmal die Vermeidungskosten anzuschauen und zu sagen: Jetzt lasst uns mal die low hanging fruits als Erstes pflücken und nicht das Teuerste zuallererst machen. Diesen Punkt sehen wir sehr wohl.

Meine Damen und Herren, der Klimawandel ist eine riesige Herausforderung; und er wird im industriellen Bereich auch dazu führen, dass sich vollkommen neue Technologien durchsetzen. Insofern werden wir bis zum Jahresende neben dem weiteren Ausbau der Elektromobilität auch eine Wasserstoffstrategie entwickeln. Wasserstoff wird vielleicht einer der interessantesten Energieträger – auch mit Blick auf die Speicherung von erneuerbaren Energien. Industrielle Wertschöpfungsprozesse werden sich vollkommen verändern. Wenn wir nur einmal daran denken, dass wir eines Tages eine klimaneutrale Stahlproduktion brauchen, so stehen wirklich noch interessante Innovationen ins Haus.

Und ich will Ihnen allen ausdrücklich Dank sagen, die Sie tolle Systeme entwickeln, die energieeffizienter arbeiten und gerade auch im Hinblick auf den Klimaschutz innovativer sind.

Wir haben ein Investitionsprogramm Energieeffizienz und Prozesswärme. Wir haben des Weiteren – und da gebe ich Ihnen recht, wir brauchen möglichst schnell möglichst viel erneuerbare Energie – den Förderdeckel bei Solaranlagen angehoben. Wir haben außerdem den Deckel für den Ausbau von Offshore-Windenergie angehoben und werden damit erneuerbare Energien schneller ausbauen können.

Wir werden dafür gescholten, dass wir bei der Windkraft die Abstandsregeln neu festgesetzt haben. Aber, meine Damen und Herren, da will ich nur Folgendes sagen: Wenn wir wegen der mangelnden Akzeptanz in weiten Teilen Deutschlands – gerade da, wo der Wind sehr gut weht und die Windenergie sehr effizient ist – keinerlei Neubau von Windanlagen mehr haben und die Genehmigungsverfahren zum Teil schon fünf Jahre dauern, dann muss der Staat auch handeln.

Ich habe neulich mit Schülern im Naturkundemuseum in Berlin diskutiert. Die haben gefragt: Mit wem auf der Welt können wir eine Partnerschaft zugunsten des Klimaschutzes eingehen? – Da habe ich gesagt: Nehmt mal die jungen Leute aus meinem Wahlkreis. – In meinem Wahlkreis an der Ostsee werden Windkraftanlagen gebaut. Und wenn man dann sein Haus in einem Dorf hat, wo repowered, also die Windkraftanlage ausgetauscht und aus einer 80-Meter-Anlage eine 220 Meter hohe Anlage wird, dann ist es um die Akzeptanz erneuerbarer Energien vor der eigenen Haustür ein bisschen schlechter bestellt als in Berlin, wo ich den Strom aus der Steckdose nehme und sage, der möchte bitte aus erneuerbaren Energien kommen. Wenn wir keine Akzeptanz haben, wird der Ausbau erneuerbarer Energien sehr schwierig sein. Deshalb überlegen wir jetzt auch, wie die Kommunen mit Windkraftstandorten besser an den Erträgen aus der Windenergie beteiligt werden können, damit sie sehen, dass sich außer Lärm und ein paar blinkenden Lichtern oben auf den Windanlagen auch ein paar Vorteile für sie ergeben.

Meine Damen und Herren, ich möchte danke dafür sagen, dass Sie diese Herausforderung des Klimawandels so positiv annehmen. Ich möchte danke dafür sagen, dass Sie mit Blick auf die Digitalisierung einen großen Transformationsprozess durchlaufen. Ich will Ihnen versprechen, dass wir Sie auf diesem Weg begleiten, insbesondere auch beim Umgang mit Daten. Ich will Ihnen zusagen, dass wir versuchen, weder in Europa noch in Deutschland zu viele bürokratische Dinge zu erzeugen. Allerdings müssen wir – und daran arbeitet die Bundesregierung auch – schauen, dass wir die Digitalisierung sehr viel schneller in unser Leben aufnehmen.

Ich hatte neulich eine Diskussionsrunde mit der estnischen Präsidentin. Wenn man in Deutschland über die Datenschutz-Grundverordnung spricht, dann gibt es allgemeines Klagen und die allgemeine Bemerkung, dass das ein bürokratisches Monster sei. Die estnische Präsidentin hat mich auf Folgendes hingewiesen: Wenn alle unsere Daten digitalisiert würden – zum Beispiel alle Register, die wir haben, Handelsregister und andere –, wenn alle Nichtregierungsorganisationen und alle Vereine ihre Daten bereits digitalisiert hätten, dann verursachte die Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung ein Bruchteil der Anstrengungen, die wir mit unseren analogen und händischen Verfahren in Deutschland immer noch produzieren. Das heißt, eine Verordnung, die in Estland überhaupt keine Diskussion verursacht, sondern als wegbereitend für die Datensouveränität der Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen gewertet wird, wird in Deutschland bei der Umsetzung zu einem bürokratischen Monster, weil wir in der Digitalisierung auch der öffentlichen An- und Ausgaben so weit zurück sind.

Deshalb ist ein zentrales Vorhaben der Bundesregierung, mit dem ich dann auch schließen möchte, dass wir ein Online-Zugangsgesetz machen, das heißt, dass wir jedem Bürger bis 2022 den Zugang zu allen staatlichen Leistungen eröffnen wollen. Das sind über 500 Funktionen, die dem Bürger im Verhältnis zum Staat zugänglich gemacht werden, davon über 100 auf der Bundesebene. Und wenn wir diesen Zugang dann mit einer einheitlichen Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen, sind wir ein ganzes Stück weiter. Dann haben wir auch eine gemeinsame Plattform, von der aus auch die Wirtschaft ihre Kundenbeziehungen sehr viel besser digitalisieren kann, als es heute der Fall ist.

Dazu gehört eine aktive Regierung, aber dazu gehören natürlich auch der Wunsch und der Drang einer Bevölkerung, sich der Digitalisierung weiter zu öffnen. Und wenn ich heute Morgen wieder lese, Deutsche haben Bedenken beim Handy-Bezahlsystem, dann, meine ich, sind wir sozusagen ein bisschen in der Situation, dass wir Opfer unserer noch einigermaßen gut funktionierenden Verwaltung werden, weil die Menschen keinen Transferdruck spüren. Sie spüren ihn in Ihren Unternehmen schon, aber im täglichen Leben ist dieser Druck nicht so groß. Deshalb brauchen wir neben allen technischen Digitalisierungsschritten vor allen Dingen auch ein Bewusstsein dafür, wie wichtig Digitalisierung ist und wie sie unser gesamtes Leben verändern wird.

Ich sage danke. Ich verspreche Ihnen, dass wir uns mit Blick auf die Handelsfriktionen darum bemühen werden, möglichst gute Exportbedingungen für Ihre Branche zu schaffen. Denn die starke Exportabhängigkeit führt natürlich dazu, dass Sie weltweite Spannungen sehr viel schneller spüren als manch andere Branche. Deshalb war es mir ein besonderes Anliegen, auch in diesem Jahr bei Ihnen zu sein.

Ich weiß, die Situation ist ernster, als sie viele Jahre war. Wir versuchen, mit Ihnen gemeinsam die Probleme zu lösen, und ich hoffe, es gelingt uns zumindest teilweise. Herzlichen Dank.