Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim 4. Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforum am 19. März 2021

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Herr Schmyhal ‑ über Sie sende ich auch herzliche Grüße nach Kiew an den Präsidenten, Herrn Selensky, der sich ja auch an uns gewandt hat ‑,
sehr geehrter Herr Schweitzer,
sehr geehrter Herr Markus,
meine Damen und Herren,

es freut mich sehr, dass heute nach 2015 bereits das 4. Deutsch-Ukrainische Wirtschaftsforum stattfindet. Darin spiegelt sich auch das anhaltend hohe Interesse an einer engen deutsch-ukrainischen Zusammenarbeit wider.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die diese Konferenz vorbereitet haben. Das war in dieser schwierigen Zeit der Pandemie ja nicht ganz einfach. Aber ich finde, dass es gerade in dieser Situation wichtig ist, den Austausch zu pflegen. Dieses Forum bietet eine gute Gelegenheit, um unsere Wirtschaftsbeziehungen weiter zu beleben.

Die Partnerschaft zwischen unseren beiden Ländern reicht weit über wirtschaftliche Fragen hinaus. Das hat auch Präsident Selensky eben zum Ausdruck gebracht. Deutschland ist einer der engsten Partner der Ukraine. Wir sind entschiedene Verfechter der territorialen Integrität der Ukraine. So war und ist es uns wichtig, dass die Europäische Union auf die Annexion der Krim vor sieben Jahren und auf den Konflikt in der Ostukraine entschlossen und unmissverständlich reagiert, an dieser Haltung allen Skeptikern zum Trotz festhält und alles dafür tut, damit sich die Situation ändert.

Deutschland und die Ukraine pflegen auch bilateral enge Beziehungen, und zwar in verschiedener Hinsicht. So ist Deutschland der größte humanitäre Geber und hat beispielsweise über 110 verwundete ukrainische Soldaten in Deutschland medizinisch betreut und behandelt. Auch unterstützen wir es, lokalen Entscheidungsträgern mehr Verantwortung einzuräumen. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit hat die Bundesregierung seit 2014 Mittel in Höhe von über einer halben Milliarde Euro zugesagt. Gerade auch die Regionalisierung und die Unterstützung der lokalen Autoritäten sind mir persönlich sehr wichtig; und ich hoffe, dass sich das auch weiterhin gut entwickelt.

Wir fördern Spitzenforschung und Internationalisierung der Hochschulen in der Ukraine. Wir setzen auch unsere Austauschprogramme fort. Persönliche Erfahrungen im jeweiligen Partnerland sollen gewonnen werden. Das ist für unsere Zusammenarbeit und das gegenseitige Verständnis natürlich besonders wichtig. So freut es mich sehr, dass Sie selbst, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, vor einigen Jahren an einem Fortbildungsprogramm für Manager teilgenommen haben. Schon allein dieses Beispiel zeigt, wie eine lebendige Partnerschaft funktionieren kann.

Es ist unbestritten: Die Ukraine ist ein Land mit großem wirtschaftlichen Potenzial. Sie ist ‑ nicht zuletzt mit ihren vielen qualifizierten Fachkräften ‑ traditionell stark in industriellen Bereichen wie dem Maschinen- und Flugzeugbau. Auch die Agrarwirtschaft ‑ das wurde von Ihnen, Herr Schmyhal, ja auch gesagt ‑ gehört zu den Schlüsselbranchen. An Bedeutung gewinnt aber auch die IT-Branche, etwa in Kiew, Lwiw oder Charkiw.

Im Energiebereich hat die Ukraine gerade auch aus deutscher Sicht eine besondere Stellung. Denn sie trägt durch den Gastransit aus Russland, den wir Ende 2019 verlängern konnten, zur Versorgungssicherheit Europas bei. Daher bin ich froh, dass wir im August letzten Jahres die deutsch-ukrainische Energiepartnerschaft gegründet haben, mit der wir die Modernisierung des Energiesektors in der Ukraine unterstützen wollen. Dabei können auch die Erfahrungen Deutschlands mit dem Kohleausstieg der Ukraine nützen. Stanislaw Tillich, der frühere Ministerpräsident Sachsens, wird als Sonderbeauftragter der Bundesregierung den Strukturwandel in den ukrainischen Kohleregionen begleiten.

Auch im Bereich der erneuerbaren Energien, der Energieeffizienz und des Aufbaus einer Wasserstoffwirtschaft wollen wir noch enger zusammenarbeiten. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass neben Industrie, Landwirtschaft und Digitalisierung auch die Energie zu den Themen der heutigen Panels gehört.

Die Nähe der Ukraine zum EU-Markt zahlt sich aus. Das sehen wir nicht zuletzt am bilateralen Handel mit Deutschland. Das Handelsvolumen ist 2019 noch um 7,6 Prozent auf über 7,7 Milliarden Euro angewachsen. Natürlich machte uns aber im letzten Jahr die Coronaviruspandemie sehr zu schaffen. Das galt nicht nur für uns, für Deutschland und die Ukraine, sondern auch für die Weltwirtschaft insgesamt. Aber ich bin recht zuversichtlich, dass vor allem mit den Fortschritten durch die Impfkampagnen auch die wirtschaftliche Entwicklung wieder an Fahrt gewinnen wird. So arbeiten wir daran, dass wir uns, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt, von den Auswirkungen der Pandemie möglichst rasch erholen.

Dabei wissen wir die Ukraine sowohl als Handelspartner als auch als Investitionsstandort sehr zu schätzen. Rund 2.000 deutsche Unternehmen und Repräsentanzen sind in der Ukraine aktiv, darunter sehr viele deutsche Automobilzulieferer, die rund 35.000 Mitarbeiter vor Ort beschäftigen.

Eine besondere Rolle in der Belebung unserer Wirtschaftsbeziehungen spielt die Deutsch-Ukrainische Industrie- und Handelskammer. Daher möchte ich Ihnen, Herr Markus, ganz herzlich für Ihre Arbeit danken. Die AHK bietet sich für Unternehmen als wichtiger Ansprechpartner, Dienstleister und Ratgeber an. Das gilt insbesondere auch mit Blick auf die Berufsausbildung, denn fachliches Know-how ist ja für jedes Unternehmen ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

Natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen passen. Deshalb begrüßen wir alle Gesetzgebungsvorhaben zugunsten der Investitionen. Je mehr Rechtssicherheit besteht, umso besser ist natürlich das Investitionsumfeld. Deshalb sage ich noch einmal: Das Bekenntnis der ukrainischen Regierung zu langfristigen und nachhaltigen Reformen ist von großer Wichtigkeit für uns. Gleiches gilt natürlich auch für ihre Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds.

Die Reformfortschritte sind unverkennbar ‑ sei es mit Blick auf Vergabeverfahren, auf den Energiebereich oder die Digitalisierung. Ich darf aber vielleicht auch sagen ‑ das wissen Sie ja auch selbst ‑: In anderen Bereichen haben Sie noch einige Schritte vor sich; und ich kann mir auch vorstellen, wie schwierig das durchzusetzen ist. Ich denke zum Beispiel an den Kampf gegen Korruption, an den Justizsektor und an den Bodenmarkt, der natürlich auch von großer Bedeutung ist.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich kann Sie nur ermuntern, Ihren Reformkurs konsequent weiterzuverfolgen. Von der Umsetzung der Reformagenda und des Assoziierungsabkommens mit der EU hängt ja auch eine erfolgreiche Umsetzung der Makrofinanzhilfe der Europäischen Union ab. Ich bin mir vollkommen bewusst, dass der Weg, den Ihre Regierung eingeschlagen hat, mühsam ist. Gleichwohl bringt er die Ukraine näher an die Europäische Union heran und führt schrittweise zu gegenseitigen Marktöffnungen. Daher verstehe ich die Reformanstrengungen als eine Investition in die Zukunft ‑ wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich.

Meine Damen und Herren, Ihnen allen, die Sie heute zuhören und bei den Panels dabei sind, liegen gute Wirtschaftsbeziehungen unserer beiden Länder am Herzen. Sie machen sich dafür stark; dafür schöpfen Sie auch immer wieder alle neuen Möglichkeiten aus. Dieses Engagement ist alles andere als selbstverständlich. Ich möchte Ihnen dafür ausdrücklich danken.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen jetzt eine erfolgreiche Konferenz; nach den Grußworten beginnt ja die eigentliche Arbeit. Gerade in diesen besonderen Zeiten der Pandemie wünsche ich Ihnen auch persönlich alles Gute; und vor allen Dingen: Bleiben Sie gesund.

Herzlichen Dank.