Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Verleihung der „Lampe des Friedens“ an den jordanischen König Abdullah II. am 29. März 2019 in Assisi

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Ehrwürdiger Pater Kustos,
Eminenzen,
Eure Majestät, König Abdullah von Jordanien,
Eure Majestät, Königin Rania von Jordanien,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Giuseppe Conte,
sehr geehrter Präsident des Europäischen Parlaments, lieber Herr Tajani,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben uns an einem Ort versammelt, der Frieden ausstrahlt – hier in der Heimatstadt des Heiligen Franziskus; hier in Assisi, wohin Papst Johannes Paul II. in Zeiten des Kalten Krieges erstmals Vertreter verschiedener Glaubensrichtungen zu einem Weltgebetstag eingeladen hatte.

Uns auf Frieden zu besinnen und Frieden zu stiften – nichts scheint auch heute dringender zu sein. Schon allein der Blick nach Syrien erfüllt uns mit Entsetzen. Seit acht Jahren suchen Tod, Leid und Zerstörung das Land heim. Millionen Menschen sind vor Krieg und Gewalt geflohen.

Das Nachbarland Jordanien sieht über diese Not nicht hinweg; im Gegenteil. Majestät, Sie begegnen den Grausamkeiten des Krieges mit Menschlichkeit. Sie helfen zahlreichen Geflohenen und Entwurzelten und gewähren ihnen Obdach und Schutz. Das ist alles andere als selbstverständlich. Jordanien hat annähernd zehn Millionen Einwohner. Das Land hat zusätzlich zu den vielen palästinensischen Flüchtlingen mehr als 670.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Wenn wir das Größenverhältnis auf Deutschland umrechnen würden, dann würde dies die Aufnahme von rund 5,7 Millionen Menschen bedeuten, zum Beispiel für Italien mehr als vier Millionen Menschen. Wir Europäer tun wirklich gut daran, uns diese Dimension vor Augen zu führen. Dies nötigt uns nicht nur höchsten Respekt vor der Leistung der jordanischen Bevölkerung und Regierung ab. Dies fordert auch unsere Solidarität ein.

Wir müssen weiter hilfsbereit an der Seite Jordaniens stehen. Und wir werden mit Jordanien und anderen Partnern auch nicht nachlassen, auf einen politischen Prozess in Syrien hinzuwirken, der dem leidgeprüften Land endlich Frieden bringen möge und den geflüchteten Menschen auch eine Rückkehr ermöglicht.

Frieden – wo auch immer, wann auch immer – ist eine große Aufgabe. Frieden wächst nicht von allein. Frieden ist niemals selbstverständlich, auch wenn er einmal erreicht ist. Er muss immer wieder neu geschaffen werden, immer wieder erhalten und bewahrt werden. Dafür braucht es mutige und besonnene, barmherzige und weltoffene Menschen.

Vor 800 Jahren brach Franz von Assisi ein Tabu, als er auf Leprakranke, auf gesellschaftlich Ausgestoßene, zuging und ihnen die Hand reichte. Er predigte und lebte Barmherzigkeit und Verständigung.

Wenn wir uns heute in der Welt umsehen, wenn wir Terrorangriffe auf Betende in Gotteshäusern wie zum Beispiel auf koptische Christen in Ägypten oder erst kürzlich auf Muslime in Moscheen im neuseeländischen Christchurch erleben müssen, dann drängt sich immer wieder neu die Frage auf: Was haben wir eigentlich aus der Menschheitsgeschichte gelernt? Warum fügen Menschen Menschen immer wieder so viel Leid zu?

Solche Fragen, die so alt sind wie die Geschichte selbst, sind im Grunde deprimierend. Aber abfinden dürfen wir uns damit nie. Vielmehr müssen wir unermüdlich weiter dafür arbeiten, zu einem friedlichen Miteinander oder zumindest zu einem friedlichen Nebeneinander beizutragen. Dazu ist interreligiöser Dialog unverzichtbar. Er kann helfen, Vorurteilen vorzubeugen oder sie abzubauen.

Natürlich sind interreligiöser und interkultureller Dialog nicht immer einfach. Denn Fragen der Religion und Kultur berühren ja das Selbstverständnis jedes Einzelnen, eines jeden von uns. Wir wissen, wie wichtig Religion und Kultur für den Einzelnen sind und wie stark sie eine Gemeinschaft zu prägen vermögen.

Doch die Bereitschaft, die Welt auch mit den Augen des anderen zu sehen, mehr noch, ein offenes Ohr auch für andere zu haben, und der Respekt voreinander – sie bedingen sich gegenseitig. So ist es auch der Respekt vor religiösen Bindungen, der ein friedliches Zusammenleben stärkt.

Majestät, daher ist es gar nicht hoch genug zu schätzen, dass Sie sich immer wieder in den Dienst der Verständigung zwischen den Religionen und Kulturen gestellt haben. Ein ganz besonderes Zeichen haben Sie 2007 gesetzt, als Sie den offenen Brief „Ein gemeinsames Wort zwischen uns und euch“ unterstützt haben, der von 138 islamischen Gelehrten an die Führer christlicher Kirchen versandt wurde. Ein solches Dialogangebot ist in der 1.400-jährigen Geschichte der muslimisch-christlichen Beziehungen einzigartig. Mehr noch: Im Jahr 2010 schlugen Sie in der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Einrichtung einer – so wörtlich – „Woche der Harmonie zwischen den Religionen“ vor. Seither wird diese Woche jedes Jahr im Februar begangen.

In einem Wort: Majestät, Sie stärken Verständigung, Sie stiften Hoffnung, Sie setzen sich für Frieden ein. Damit sind Sie ein Vorbild weit über Jordanien und den Nahen Osten hinaus. Sie sind ein wahrer „Weltbotschafter des Friedens“. Das ist der Titel, der Ihnen heute verliehen wird. In ihm spiegeln sich Ihr Wirken und Ihre Überzeugungen wider. – Dass Sie von Ihrer Gattin, Königin Rania, begleitet werden, freut uns sehr.

Das gilt nicht zuletzt auch für die Haltung, die Ihr Land Jordanien sowohl im Verhältnis zum Staat Israel als auch als Stabilitätsanker in der von Konflikten so sehr geprägten Region des Nahen Ostens insgesamt einnimmt, und zwar ganz gleich, wie unendlich mühsam die Anstrengungen für zwei Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite, in Frieden und Sicherheit, auch immer sein mögen.

Es ist mir eine große Ehre und eine ganz besondere Freude, die „Lampe des Friedens“ an Sie, Majestät, weitergeben zu dürfen.

Herzlichen Dank!