Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Konferenz „Compact with Africa“ am 19. November 2019 in Berlin

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Sehr geehrte Präsidenten,
Premierminister und Minister,
Exzellenzen,
sehr geehrter Herr Professor Große,
sehr geehrter Herr Professor Liebing,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Kabinett
und dem Deutschen Bundestag,
meine Damen und Herren,

lassen Sie mich damit beginnen, dass ich einen besonderen Gruß an den Präsidenten Ägyptens, an Herrn Al-Sisi, senden darf, der nicht nur Vorsitzender der Afrikanischen Union in diesem Jahr ist, sondern heute seinen 65. Geburtstag in Deutschland feiert. Herzlichen Glückwunsch, Herr Präsident, und Ihnen alles, alles Gute.

Ich freue mich, heute gemeinsam mit Ihnen – vor allem mit den zahlreichen Gästen aus den „Compact-with-Africa“-Staaten – diese Konferenz zu eröffnen und begrüße ganz besonders auch die Staats- und Regierungschefs hier in Berlin.

Ich bedanke mich auch ganz herzlich bei den Veranstaltern, dem Afrika-Verein und der Subsahara-Afrika Initiative der Deutschen Wirtschaft. Wir sind heute hier im Haus der Deutschen Wirtschaft zu Hause. Hier sind die Verbände der deutschen Wirtschaft unter einem Dach vereint. Man kann sagen: wir sind heute im Herzen der deutschen Wirtschaftsorganisationen zu Hause.

Ob es um Frieden, um Klimaschutz, um wirtschaftliche Entwicklung, Migration und andere große Fragen unserer Zeit geht, sind wir uns alle einig, dass Afrika mit seinen mehr als 50 Staaten und einer wachsenden Bevölkerung – insbesondere einer jungen Bevölkerung – bei der Lösung globaler Fragen eine wichtige Rolle zukommt. Wir sehen, dass Afrikaner und Europäer vor vielen gemeinsamen Herausforderungen stehen. Deshalb haben wir unsere Zusammenarbeit in den letzten Jahren deutlich intensiviert, weil wir fest daran glauben, dass das nicht nur im afrikanischen Interesse ist, sondern auch im Interesse der größten Volkswirtschaft Europas, im deutschen Interesse.

Ich habe schon einige afrikanische Staaten besuchen können, leider längst noch nicht alle, noch nicht einmal die Hälfte. Aber ich freue mich, dass afrikanische Staats- und Regierungschefs sehr häufig auch bei uns zu Gast sind. Ich weiß, man muss ja auch zu Hause seine Arbeit machen. Deshalb danke dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

Wir sind uns einig, dass wir neben der Entwicklungshilfe natürlich vor allen Dingen den Übergang in einen sich selbst tragenden Aufschwung schaffen müssen. Das war auch der Grund, warum wir während unserer G20-Präsidentschaft 2017 die Initiative „Compact with Africa“ ins Leben gerufen haben. Die Zielsetzung ist, besonders private Investitionen in den teilnehmenden Ländern zu steigern.

Wir wissen, dass sich die afrikanischen Länder in den letzten Jahren selbst eine sehr anspruchsvolle Agenda gesetzt haben. Der letzte große Höhepunkt, würde ich sagen, war das Treffen der Afrikanischen Union in Niamey in Niger, wo der abschließende Beschluss für eine afrikanische Freihandelszone gefasst wurde. Ich glaube, dass dieser Beschluss neben den regionalen Organisationen, die ja auf dem afrikanischen Kontinent schon sehr stark ausgeprägt sind, ein wegweisender war. Ich möchte Sie dazu beglückwünschen. Wir haben mit dem europäischen Binnenmarkt eine kleine Vorstellung davon, wie schwer es ist, so etwas dann auch zum Leben zu erwecken. Da gibt es Zollhemmnisse, aber gibt es vor allen Dingen zahlreiche nichttarifäre Handelshemmnisse, mit denen man kämpfen muss. Wir als Europäer müssen sagen: auch nach vielen Jahren der Europäischen Union haben wir noch keinen perfekten Binnenmarkt.

Gerade auch im Hinblick auf die Digitalisierung stellen sich die Fragen des Binnenmarkts wieder neu. Wir haben uns gestern als Regierungskoalition mit digitalen Fragen für Deutschland beschäftigt. Bei uns war auch der Vertreter von „SMART Africa“, den die Afrikanische Union eingesetzt hat, um die Digitalisierung voranzutreiben, und hat uns über Ihre Bemühungen berichtet. Das war durchaus sehr ermutigend. Maßstab für Initiativen ist insbesondere auch Ihre Agenda 2063, die Sie sich für den 100. Jahrestag nach der Befreiung vom Kolonialismus vorgenommen haben. Wir haben gestern mit Herrn Koné von „SMART Africa“ im Übrigen auch darüber gesprochen, was digitale Souveränität bedeutet. Denn man kann auch in den Zeiten der Digitalisierung wieder in massive Abhängigkeiten von anderen geraten. Das „neue Öl“, wie es gestern genannt wurde, nämlich die Daten, gehört dann vielleicht plötzlich nicht mehr uns. Das ist übrigens ein Problem, das es in Europa genauso wie in Afrika gibt. Hier lohnt sich für uns eine Zusammenarbeit also auf jeden Fall.

Nun haben wir also den „Compact with Africa“. Zwölf Länder nehmen daran teil. Die Idee war, ist und bleibt eine G20-Initiative. Das ist also keine deutsche Initiative, die nur von Deutschland getragen wird, sondern sie wird von allen G20-Ländern getragen. Aber weil sie in unserer Präsidentschaft entstanden ist, sind wir so etwas wie ein Patron oder eine Patronin für diese Initiative. Aber sie wird inzwischen vor allen Dingen auch von der Weltbank und vom Internationalen Währungsfonds getragen. Wir werden heute Nachmittag ja auch die entsprechenden Gäste haben.

Auf der einen Seite bedeutet diese Initiative: in den afrikanischen Ländern selbst wird einiges unternommen, um die Transparenz des Finanzsystems zu verbessern, um das Steuersystem zu verbessern, um das Schuldenmanagement zu verbessern. Im Großen und Ganzen wird also vieles für bessere Governance, wie man heute sagt, für bessere Regierungsführung getan. Wir glauben, und davon bin ich zutiefst überzeugt, dass mehr Transparenz auch mehr Investoren in die Länder bringen kann, weil es für deutsche, gerade auch mittelständische Unternehmen oder Investoren aus anderen G20-Ländern sehr wichtig ist, dass Vertrauen herrscht, dass Transparenz herrscht, dass man weiß, welche Bedingungen dort herrschen, wo man investiert.

Auf der anderen Seite wollen wir Anreize dafür setzen, dass, wenn diese Länder, die am „Compact with Africa“ teilnehmen, Erfolge erzielen, dann auch unseren Unternehmen verbesserte Investitionsbedingungen einräumen. Dafür haben wir einen Investitionsfonds aufgelegt. Ich will noch einmal in Erinnerung rufen – dieses Design haben wir im Grunde letztes Jahr gemacht –, auf welchen Säulen dieser Fonds ruht.

Die erste Säule ist „AfricaConnect“. Damit sollen mittelständische Unternehmen aus Deutschland und Europa bei der Finanzierung von Investitionen in Compact-Ländern unterstützt werden. Wir haben das im Juni gestartet; und wir haben bereits über 220 Anfragen. Demnächst werden die ersten Zusagen erfolgen. Einige dieser Investitionsprojekte werden auch hier heute vorgestellt.

Die zweite Säule ist das „Wirtschaftsnetzwerk Afrika“. Es dient deutschen Unternehmen mit individueller Beratung zu Fördermöglichkeiten sowie zu wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen in afrikanischen Ländern.

Die dritte Säule ist der Entwicklungsinvestitionsfonds „AfricaGrow“. Damit werden wir über bewährte afrikanische Fonds Risikokapital für afrikanische Start-ups bereitstellen – auch ein ganz wichtiger Punkt. Ich habe erst kürzlich mit der diesjährigen Trägerin des Deutschen Afrika-Preises, Juliana Rotich, über die Schwierigkeiten gesprochen, lokal Kredite zu bekommen. „AfricaGrow“ bietet nun für afrikanische Start-ups eine Möglichkeit, besser an finanzielle Mittel zu kommen.

Hinzu kommt, dass wir die Konditionen für Exportgarantien und Investitionsgarantien attraktiver gestaltet haben. Seit 2018 sind allein Exporte in Compact-Länder in Höhe von 330 Millionen Euro durch Bundesgarantien abgesichert worden. Es liegen Anträge in Höhe von einer Milliarde Euro vor. Wir steigern uns also; wir kommen ja von einem relativ geringen Niveau, wenn man uns einmal mit China und anderen Ländern vergleicht. Wir wissen auch, dass der Außenhandel oft die Vorstufe für ein Engagement vor Ort ist, zum Beispiel in Form von Investitionen. Deshalb sind diese Zahlen durchaus vielversprechend.

Im Übrigen haben wir uns einmal angeschaut: Wie hat sich der „Ease of Doing Business Index“ der Weltbank, der für viele Investoren von Bedeutung ist, in den letzten Jahren bei den Compact-Ländern entwickelt? Wir können sagen, dass sich der Index gerade auch bei den Compact-Ländern sehr stark verbessert hat. Dazu darf ich alle beglückwünschen.

Wir können jetzt also eine Vielzahl praktischer Beispiele vorweisen; und wenn Sie noch etwas mehr wissen wollen, können Sie sich nachher im Atrium noch darüber informieren.

Die Entscheidung, in Afrika zu investieren, bleibt natürlich eine privatwirtschaftliche Entscheidung. Diese Entscheidung können wir keinem Unternehmer und keiner Unternehmerin abnehmen. Wir können aber helfen, wir können Vertrauen schaffen und wir können über die Compact-Staaten sagen, dass wir da durchaus transparentere Bedingungen haben, als wir sie vorher hatten.

Wir haben sozusagen als einen weiteren Schritt – das wird im Bundesentwicklungsministerium von Gerd Müller und seiner Crew gemacht – bilaterale Reformpartnerschaften mit einigen der Compact-Länder geschlossen. Das ist bereits mit Ghana, Tunesien und Côte d’Ivoire und jetzt auch mit Senegal und Äthiopien der Fall. Wir können auch sagen, dass eine solche Reformpartnerschaft jedem offensteht. Da reden wir über die Bedingungen; und der Minister ist ja auch mit vielen Vertretern der anderen Compact-Länder im Gespräch.

Es ist also einiges in Bewegung gekommen, aber ich will auch kein zu positives Bild malen, denn wir haben ja weiterhin Probleme zu lösen. Dazu gehört die große Frage der Sicherheit, insbesondere in der Sahelregion. Hier haben wir andere Instrumentarien, um zu versuchen, Sicherheit und Entwicklung in Einklang zu bringen. Die terroristischen Herausforderungen sind gravierend.

Wir haben außerdem das Thema Bevölkerungswachstum. Afrika hat eine junge Bevölkerung, die aber auch unglaublich drängend ist. Es ist im Grunde das glatte Gegenteil von dem, was wir in Deutschland erleben. Wir sprechen sehr viel darüber, wie viele Rentenempfänger wir in Zukunft haben werden. In Afrika spricht man mehr über junge Menschen. Deshalb freue ich mich, dass es eine länderübergreifende Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“ gibt, mit der 100.000 Arbeitsplätze und 30.000 Ausbildungsplätze vor Ort geschaffen werden sollen.

Ich will auch auf den Beschluss der Bundesregierung hinweisen, ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Gang zu bringen. Ab dem 1. März 2020 werden wir zum ersten Mal in Deutschland geregelt haben, wie die Einwanderung von Fachkräften stattfinden kann. Unsere Auslandshandelskammern – das ist von Herrn Große schon angesprochen worden – werden Ansprechpartner sein. Wir werden mit der deutschen Wirtschaft noch im Dezember ein großes Forum veranstalten, um zu überlegen, in welchen Ländern wir ganz besonders um qualifiziertes Personal werben wollen und wie wir das insgesamt tun wollen.

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der Schwerpunkt des heutigen Vormittags nicht in meiner Rede besteht, sondern darin, dass wir konkrete Projekte für die einzelnen Compact-Länder vorgestellt bekommen. Das heißt natürlich, dass wir auch mehr über Ihre Länder, die Sie heute hier zu Gast sind, erfahren. Deshalb möchte ich ein afrikanisches Sprichwort zitieren: „Wenn du wissen willst, wie die Geschäfte auf dem Markt laufen, musst du dort hingehen“. – So ist das. Der Markt wird zwar ein bisschen hierher zu uns nach Berlin geschafft, aber wenn man es wirklich wissen will, muss man dort hingehen.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank – vor allem unseren Gästen, die eine weite Reise unternommen haben – und uns allen eine erfolgreiche Konferenz.