Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Jubiläumsveranstaltung „65 Jahre Deutsche Welle“ am 5. Juni 2018

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Sehr geehrter Herr Limbourg,
sehr geehrte Frau Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags,
sehr geehrte Staatsministerinnen Grütters und Müntefering,
sehr geehrte Frau Budde,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
sehr geehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär beim Entwicklungsministerium,
vor allem auch liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle, die uns jetzt zuschauen und die Feierlichkeiten zum 65. Jahrestag überall auf der Welt verfolgen können,

„Hier ist die Deutsche Welle“ – so hieß es vor 65 Jahren via Kurzwelle. Hier ist die Deutsche Welle immer noch – so heißt es heute über die verschiedensten Kanäle. Und das ist wirklich ein Grund zum Feiern. Bei all dem, was ich mir an den Ständen soeben anschauen konnte, hat man nicht den Eindruck, dass Sie in die Jahre gekommen sind, sondern dass es mit jedem Jahr moderner, attraktiver und auch weltumspannender wird, was Sie tun. Und so begehen wir heute feierlich ein gutes Stück Mediengeschichte.

Ich begrüße auch Herrn Bettermann und andere, die früher mitgewirkt haben.

1953, nur acht Jahre nach Kriegsende, brachte sich die noch junge Bundesrepublik Deutschland in der Welt zu Gehör als ein Land, das freiheitlich, rechtsstaatlich und demokratisch ist. Damals begrüßte Bundespräsident Theodor Heuss die Hörerinnen und Hörer der ersten Sendung. Wenn man sich überlegt, in welchem Zustand Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war, dann muss man sagen: Das war ein mutiger und selbstbewusster Schritt.

Seitdem begleitet die Deutsche Welle die Geschichte der Bundesrepublik und wurde selbst Teil ihrer Geschichte. Im Laufe der Geschichte wandelte sie sich vom Kurzwellensender zum digitalen Medienunternehmen. Die Deutsche Welle ist eine Erfolgsgeschichte, zu der ich – das sage ich im Namen der gesamten Bundesregierung – einen herzlichen Glückwunsch ausspreche. Nicht rasten, nicht ruh‘n, sondern weitertun – aber trotzdem heute auch ein bisschen feiern.

Die Aussage, dass die Welt vor 65 Jahren eine andere war, ist relativ trivial, aber sie stimmt. 1953 war ein Jahr, in dem das Wirtschaftswunder den westlichen Teil Deutschlands belebte und in dem auf der anderen Seite, im Osten Deutschlands, am 17. Juni der Volksaufstand niedergeschlagen wurde, was die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen und freie Wahlen zerstörte. In den folgenden Jahrzehnten war die Deutsche Welle stets am Puls der Zeit – von der europäischen Integration, den gesellschaftlichen Veränderungen nach 1968 über den Mauerfall und die Wiedervereinigung bis hin zu Globalisierung und Digitalisierung. Immer war die Deutsche Welle – Herr Limbourg hat es vorhin gesagt – Stimme der Heimat und vor allem Stimme der Freiheit. Denn ganz besonders gab und gibt sie jenen eine Stimme, die aufgrund der Unfreiheit in ihrer Heimat sonst zu verstummen drohen.

In Zeiten des Kalten Krieges war die Deutsche Welle östlich des Eisernen Vorhangs eine Informationsquelle mit Seltenheitswert, weil sie unzensierte Nachrichten über das politische Geschehen brachte. Damit war sie der sowjetischen Staatsführung wie auch den SED-Machthabern ein Dorn im Auge. Die Ausstrahlung der Programme wurde daher massiv gestört. Die Rolle der freien Medien für die friedliche Revolution in der DDR wie in ganz Mittel- und Osteuropa ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ich denke, das hat Ihre Arbeit bis heute geprägt. Dafür herzlichen Dank.

Denn die Deutsche Welle ist eben auch heute noch für viele ein Stachel. Die Arbeit wird behindert; mal mehr, mal weniger subtil. – Sie haben es erwähnt; immer wieder kommen wir auch bei unseren Auslandsbesuchen darauf zurück. – Die Deutsche Welle ist als unabhängige Stimme der Freiheit eben nicht nur gelitten, sondern wird auch bekämpft. Presse- und Meinungsfreiheit – dafür steht die Deutsche Welle seit 65 Jahren. Ein Großteil der Menschen weltweit – das erleben Sie täglich in Ihrer Arbeit – lebt unter Umständen, die alles andere als so sind, dass man auf freie Medien setzen kann. Deshalb versuchen Sie, Informationslücken zu schließen, die lokale Medien eben nicht füllen können, sei es aufgrund staatlicher Repression oder – auch das muss man sagen – zum Teil auch aufgrund wirtschaftlicher Not. Daher wird unser Auslandssender gebraucht und gehört – aber nicht nur deshalb.

Wir spüren ein wachsendes Interesse an Deutschland und an Europa. Deutschland wird im Allgemeinen als verlässlicher Partner in der Welt geschätzt. Viele wollen wissen, was wir in Deutschland und Europa denken, was bei uns passiert und wie man hier lebt. Europäische Sichtweisen auf das weltweite Geschehen aufzuzeigen, ist, denke ich, eine Aufgabe, die nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union noch wichtiger sein wird, als es ohnehin schon ist. Deshalb kann ich neben der Kooperation mit ARD, ZDF und Deutschlandradio auch die Zusammenarbeit mit den französischen Auslandssendern nur begrüßen, die ein guter Beitrag zur deutsch-französischen Kooperation insgesamt ist, über die wir in diesen Tagen viel sprechen. Ich möchte an dieser Stelle auch Frau Saragosse von France Médias Monde ganz herzlich willkommen heißen.

Auslandskommunikation hat in einer zunehmend vernetzten Welt einen eigenen Stellenwert. Jetzt, in Zeiten eines rasanten digitalen Wandels, werden die entscheidenden Weichen dafür gestellt, wie unsere Welt in 40 oder 50 Jahren aussehen wird. Es ist deshalb kein Zufall, dass einige Länder ihre Auslandssender massiv ausbauen. Man schaue nach Russland oder China. Das, was ich bei Handelsfragen mit Blick auf China immer wieder sage, nämlich dass wir Reziprozität haben wollen, gilt eben auch für Auslandssender. Wir wollen sie auch für die Deutsche Welle genauso wie für chinesische Sender bei uns.

Die Deutsche Welle steht für seriösen Journalismus, zuverlässige Informationen und objektive Berichterstattung. Ich denke, es zeichnet sie auch das aus, was Sie, Herr Limbourg, sagten: Sollte einmal ein Fehler unterlaufen, so wird er hinterher korrigiert. Damit hebt sie sich in einer multimedialen Welt wohltuend von der Versuchung ab, ohne Entrüstung, Übertreibung und Zuspitzung nicht mehr auskommen zu können. Allerdings hat uns das kurze Video gezeigt: Leidenschaft ist doch noch dabei; und das ist auch gut so.

Dass die Zuschauer der Deutschen Welle ein Bundesligaspiel live verfolgen können, ohne dafür zu zahlen –
(Zuruf)
– Zuhörer nur! Oje.
(Heiterkeit)
Aber zuhören ist auch schön. Ich wollte nämlich schon sagen: Ansonsten müssten wir mal schauen, wie wir auch das für Deutschland einführen. Aber zuhören, das schaffen wir auch noch.

Also: Würden sich die Übertreibung, die Entrüstung und all das, was man an Fake News zu verbreiten versucht – Sie haben es hier angesprochen –, tatsächlich durchsetzen, wäre der Weg nicht mehr weit, dass das Verschweigen oder Verdrehen von Tatsachen insgesamt immer mehr für opportun gehalten wird und dass das Erfinden angeblicher Fakten als politisches Mittel systematisch eingesetzt wird und durch Desinformation und Propaganda Meinungen einfach manipuliert werden können. Deshalb ist Medienvielfalt unabdingbar und deshalb möchte ich ausdrücklich würdigen, was Sie tun, um aufzuklären. Mündige Bürgerinnen und Bürger wollen selbst entscheiden, was sie hören, lesen oder sehen, und sie müssen sich auch eine Meinung darüber bilden können.

Die Deutsche Welle versucht deshalb, auch Medienkompetenz zu fördern. Die Deutsche Welle Akademie – auch hier mit einem Stand vertreten – zeigt eben auch, wo Propaganda beginnt und wo tatsächlich die Realität dargestellt wird. Das ist wirklich Arbeit für die Freiheit, für die Demokratie am Einzelfall. Ich glaube, das kann man gar nicht hoch genug würdigen. Sie vermitteln freiheitliche und demokratische Werte über alle Kanäle – Radio, Fernsehen, Online, Mobil, Social Media. Deshalb erreichen Sie hoffentlich gleichermaßen ältere und jüngere Mediennutzer, was ja heutzutage gar nicht mehr so einfach ist.

1994 hatten Sie als erster öffentlich-rechtlicher Sender ein Internetangebot freigeschaltet – da muss Ihnen aber jemand einen guten Tipp gegeben haben –; also zu Zeiten, als die meisten Haushalte in Deutschland noch nicht über einen Internetanschluss verfügten. Seitdem haben Sie Ihr Angebot immer weiter ausgebaut. Wir erleben auf der Welt ja sowieso, dass bestimmte Technologien übersprungen werden und dass es sehr wichtig ist – gerade auch in weiten Teilen Afrikas oder in anderen Entwicklungsregionen –, gleich mit der neuesten Technologie zu beginnen. Eine der großen Sorgen, die ich manchmal habe, ist, dass wir nicht ganz mitbekommen, wie sich die Welt schon bestimmter neuer Medien bedient, wir aber denken, wir seien ganz vorne mit dabei. Insofern wäre es gut, ab und zu mal einen Blick auf den Rest der Welt zu werfen.

Sie vernachlässigen auch das Fernsehen nicht. Ob linear oder nichtlinear, ob auf Flachbildschirmen, Tablets oder Smartphones – Fernsehen bleibt ein Leitmedium; Bilder sind ja schwer zu ersetzen. Unabhängig davon, wie sich Technologien und Übertragungswege weiterentwickeln, gilt: um Menschen anzusprechen, muss man auch ihre Sprache sprechen. Deshalb: Bengalisch, Hindi und Urdu, Amharisch – alles vertreten. Neben Deutsch sind es insgesamt 30 Sprachen, in denen die Deutsche Welle weltweit zu hören ist.

Sie spricht zudem auch ganz gezielt diejenigen an, die Deutsch als Fremdsprache schätzen und gerne lernen möchten. Die Förderung der deutschen Sprache ist uns ein großes Anliegen. In einer Zeit, in der Englisch sehr stark um sich greift, sind wir froh über jeden, der Deutsch lernt. Deshalb freuen wir uns, dass Sie Deutschlernende aus aller Welt immer wieder im virtuellen Klassenzimmer zusammenführen.

Sprachwissen, sich verständigen und verstehen zu können – das ist von grundlegender Bedeutung für persönliche Chancen von Menschen und für ein gutes Miteinander von Menschen. Das erfahren wir ja auch ganz konkret im Zusammenleben mit Menschen, die eingewandert oder zu uns geflohen sind. Auch hierbei hat sich die Deutsche Welle als wichtiger Partner erwiesen. Mit ihrer Hilfe können Menschen im In- und Ausland sich gezielt informieren, lernen und ein Bild vom Leben in Deutschland gewinnen.

Meine Damen und Herren, 65 Jahre nach der ersten Sendung ist die Deutsche Welle gefragter denn je. Dessen ist sich auch die neue Regierungskoalition bewusst. Auch in der vergangenen Legislaturperiode haben wir Einiges gemacht. Daher sehen wir auch wieder eine Stärkung des Senders vor. Wir wissen und haben jetzt auch von Herrn Limbourg wieder gelernt, was das eigentlich Wichtige dabei ist: Das sind die Zahlen, die dann im Budget stehen. Deshalb sind Sie klugerweise auch gleich ins Paul-Löbe-Haus gegangen; denn hier tagt auch der Haushaltausschuss, der dabei ist, wenn die Letztentscheidungen über die finanzielle Ausstattung getroffen werden.

Ich darf Ihnen sagen: Die Zahl Ihrer Fans im Deutschen Bundestag hat sich erhöht. Denn wir alle erleben, wie wichtig eine solche Stimme in einer Zeit ist, in der wir Verfälschungen in einer Weise kennenlernen, wie wir sie uns nicht hätten träumen lassen. Ich erinnere mich noch sehr gut an unsere Diskussionen damals nach der Annexion der Krim und den Ereignissen in der Ostukraine. Ich glaube, inzwischen ist vielen, die die Deutsche Welle sonst ein bisschen unter „ferner liefen“ haben laufen lassen, bewusst geworden, wie wichtig es ist, nicht nur ein Bild von uns hierzulande zu vermitteln, sondern auch Informationen von und für Menschen überall auf der Welt zu senden. Dafür sage ich ganz herzlich danke. Das heißt, Sie können darauf setzen, dass Sie auch weiterhin politische Unterstützung bekommen; und zwar sowohl aus der Bundesregierung als auch aus dem Parlament, für das ich hier nur indirekt sprechen kann. Aber ich bin immerhin noch Bundestagsabgeordnete und somit eine Stimme von vielen.

Ich möchte noch darauf verweisen, dass nicht nur deutsche Journalisten dabei sind, sondern auch sehr viele ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nachdem ich vorhin das Video gesehen hatte, muss ich sagen: Ein bisschen beneide ich Sie dafür, dass Sie jeden Tag in so einer Welt der Vielfalt arbeiten können – zum Teil natürlich unter Bedingungen, die sich von unseren Arbeitsbedingungen unterscheiden, aber trotzdem mit Lust, mit Laune, mit viel Elan – und dass Sie so viele interessante Sachen erfahren. Ich finde es auch wunderbar, dass Sie ein Umweltmagazin aus Afrika produzieren, das die afrikanische Sicht auf die Dinge zeigt, und dass Sie diese Sicht damit auch uns ein bisschen nahebringen können. Denn es muss ja nicht immer nur eine Einbahnstraße sein, sondern es kann ja auch ein Hin und Her sein.

Deshalb, lieber Herr Limbourg, danke ich Ihnen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie allen Mistreitern, auch denen aus dem gesellschaftlichen Bereich, die der Deutschen Welle immer die Stange halten. Wir sind daran interessiert, dass Sie noch stärker werden, dass Sie noch mehr Menschen erreichen, sodass, bevor wir in irgendein Land reisen, alle schon wissen, was Sache ist und daher fast nicht mehr reden müssen. Also: Alles Gute, auf gute Zusammenarbeit – im Rahmen der journalistischen Distanz und Unabhängigkeit – und auf vielfältige Berichterstattung. Herzlichen Dank.