Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Eröffnung des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) am 25. Januar 2016

  • Bundeskanzler ⏐ Startseite 
  • Olaf Scholz

  • Aktuelles

  • Kanzleramt

  • Mediathek 

  • Service

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Reiner Haseloff,
sehr geehrter Herr Minister Möllring,
sehr geehrter Herr Professor Neugebauer,
sehr geehrter Herr Professor Hacker,
sehr geehrter Herr Professor Wehrspohn,
sehr geehrter Herr Professor Sträter,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Wiegand,
meine Damen und Herren,

ich bin Ihrer Einladung nach Halle gerne gefolgt. Halle kann sich in vielerlei Hinsicht von seiner besten Seite zeigen. Die Händelstadt ist als Kulturmetropole hochgeschätzt. Zugleich ist sie eine Stadt der Wissenschaft und Forschung. Mit der Leopoldina hat die Nationale Akademie der Wissenschaften in Deutschland hier ihren Sitz. Wir haben lange gebraucht, ehe wir eine Nationale Akademie der Wissenschaften geschaffen haben. Deshalb war ich gerne auch bei der letzten Jahresversammlung wieder zu Gast. Mit der Martin-Luther-Universität hat Halle eine der ältesten und traditionsreichsten Universitäten Deutschlands. Halle ist auch ein Innovationsstandort, an dem Forschung und praktische Anwendung Hand in Hand gehen. Genau dafür steht der Name Joseph von Fraunhofer. Der Forscher bewies nicht nur als gelernter Optiker Weitsicht. Er verstand es seinerzeit, kluge Ideen in neue und gefragte Produkte zu verwandeln.

Heute werden unter dem Dach der Fraunhofer-Gesellschaft ebenfalls kluge Ideen in neue und gefragte Produkte verwandelt, aber es sind ungleich mehr kluge Köpfe, die hieran arbeiten. Rund 24.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen dem Namensgeber ihrer Einrichtungen alle Ehre. Patentreife Lösungen werden quasi am laufenden Band produziert. Deshalb bürgt der Name Fraunhofer für exzellente angewandte Forschung. Das gilt eben auch hier in Halle.

Nun ist es mir eine besondere Freude, das neue Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen zu eröffnen. (Zuruf) – Okay, danke schön. Ich werde meiner Verantwortung gerecht und werde auf alles achten, damit Deutschland eine gute Zukunft hat. Mit der Zukunft beschäftigen wir uns auch heute genau hier.

Heute also wird hier das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen – kurz: IMWS – eröffnet. Damit hat Sachsen-Anhalt das zweite Fraunhofer-Institut. Wie der Ministerpräsident schon sagte, ist der Königsteiner Schlüssel für die neuen Bundesländer sozusagen überschritten, denn mit der heutigen Eröffnung gibt es – wie auch Herr Professor Neugebauer sagte – schon 15 solche Institute in den neuen Bundesländern.

Nach 25 Jahren Deutscher Einheit haben wir also eine leistungsfähige und blühende Forschungslandschaft. Das ist eine Facette der Erfolge der Deutschen Einheit. Die Geschichte des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen in Halle zählt zu dieser Erfolgsgeschichte – einer Geschichte, die im wahrsten Sinn des Wortes tief blicken lässt; ich konnte mich davon überzeugen. Denn Sie nehmen hier an Ihrem Institut die Mikrostrukturen von Werkstoffen sowie Systeme in kleinsten Dimensionen in den Blick. Da sind wir ja im Nanobereich angekommen; und das ist durchaus spannend.

Die Elektronenmikroskopie und die Entwicklung bildgebender Verfahren haben in Halle eine lange Tradition. Sie wurde im Wesentlichen von Heinz Bethge begründet. Der namhafte Forscher hat hier auf dem Weinberg-Campus nicht nur sein erstes Elektronenmikroskop gebaut, sondern er hat auch das Institut für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie der Akademie der Wissenschaften der DDR aufgebaut. Ich habe gelernt, dass hier selbst heutige Nobelpreisträger wie Professor Ertl schon damals partizipiert haben. Aus dieser Einrichtung, der Herr Bethge als Direktor jahrelang vorstand, sollte 1992 schließlich der Institutsteil Halle hervorgehen, der dem Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik in Freiburg bis 2015 angegliedert war. Es war eine Wachstumszeit, die vor allem geprägt war von einer engen Zusammenarbeit mit hier in der Region ansässigen Unternehmen, mit anderen Forschungsinstituten sowie mit der Martin-Luther-Universität.

Es ist richtig: Die Fraunhofer-Institute haben sich in den neuen Bundesländern sehr schnell etabliert. Sachsen-Anhalt war vielleicht das neue Bundesland, das vom Strukturwandel am stärksten betroffen war. Umso wichtiger war es, nach großen Einheiten wieder mit kleinen Einheiten zu beginnen und dann daraus große Netzwerke zu entwickeln. Mit der Neugründung dieses Instituts sehen wir hier sozusagen exemplarisch einen solchen Vorgang. Nun ist das Institut selbständig und unterstreicht damit das Spitzenniveau, auf dem es angewandte Forschung praktiziert.

Wir glauben ganz fest – das glauben ich und auch der Ministerpräsident –, dass weitere Investitionen in den Forschungsstandort Sachsen-Anhalt folgen werden. Denn es sind gerade die Vernetzung und die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die die Standortstärke ausmachen. Das kommt auch am Beispiel des „Leistungszentrums Chemie- und Biosystemtechnik“ zum Ausdruck. Es geht also darum, immer wieder Kompetenzen in Fachbereichen zu bündeln und Synergieeffekte zu schaffen. Dabei kann man eben sehr gut auf die jahre- bzw. jahrzehntelangen Erfahrungen in der chemischen Industrie in dieser Region aufbauen.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig Netzwerke in der Forschung und Wissenstransfer für die wirtschaftliche Nutzbarmachung sind. Die Landesregierung mit Reiner Haseloff und dem Wirtschaftsminister, Herrn Möllring, setzt ja genau darauf, das strategisch durchzuarbeiten und zu überlegen, wo man Vernetzungspunkte schaffen kann, auf die sich dann die Förderung konzentriert, sodass Schritt für Schritt eine beachtliche Industrielandschaft hervorgebracht wird. Diese wird natürlich wiederum durch Strukturwandel beeinflusst – ich denke etwa an die Solarenergie. Aber man richtet den Blick eben immer wieder nach vorne. Deshalb ist der Anteil der industriellen Wertschöpfung am Bruttoinlandsprodukt des Landes inzwischen beachtlich hoch.

Es ist vor allen Dingen eine mittelständische Wirtschaft, die sich hier entwickelt hat. Das macht zum Teil auch die Kooperationsformen vielfältiger. Es gibt hier nicht die großen Konzerne, die über eigene Forschungs- und Entwicklungskapazitäten verfügen. Insofern ist die Forschungsförderung in den neuen Ländern auch immer eine, die angepasst und spezifisch sein muss. Daher müssen wir auch bei den Bundesprogrammen immer wieder Wert darauf legen, die neuen Länder adäquat zu berücksichtigen.

Nun geht es nicht nur darum, dass möglichst rasch neue Ideen produziert werden; vielmehr geht es hier mindestens so sehr wie anderswo auch darum, schnell marktfähige Produkte daraus zu entwickeln, damit auch mehr Arbeitsplätze in die Region kommen. Diesbezüglich ist ja Beachtliches gelungen. Deshalb kann man sagen, dass das Wirken der Fraunhofer-Gesellschaft an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sehr gelungen ist. Herr Professor Neugebauer, Sie haben in Ihrer Ansprache lange Dankpassagen gehabt – ich will auch Ihnen einfach einmal ein Dankeschön sagen. Sie haben sozusagen schon mit der Muttermilch die Strukturen eingesogen, an denen man ansetzen und die man in die Zukunft transferieren muss. Sie haben viel praktische Erfahrung. Es ist sehr gut – da bin ich mir, glaube ich, mit Reiner Haseloff einig –, dass ein Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft gerade auch die Konstruktionen hier in den neuen Ländern kennt.

Nun sind Vernetzung und Kooperation nichts Neues für den deutschen Forschungsstandort und für das deutsche Innovationssystem, weshalb es auch im internationalen Vergleich in hohem Maße attraktiv und wettbewerbsfähig ist. Wir können als Exportnation vor allem deshalb so gut dastehen, weil wir mit forschungs- und entwicklungsintensiven Hightech-Gütern immer wieder auf dem Weltmarkt überzeugen können. Der frühere Bundespräsident Köhler hat immer wieder gesagt: Wir müssen um so viel besser sein, wie wir teurer sind und höhere Lohnkosten haben, wenn wir uns unseren Wohlstand erhalten wollen. Das heißt, die Triebkraft Innovation ist sozusagen der Garant für unseren Lebensstandard. Das mag vielleicht eine Binsenweisheit sein, aber man muss diese Erkenntnis immer wieder in die Bevölkerung und auch in die Schulen hineintragen.

Unser Wohlstand der Zukunft hängt also davon ab, dass wir innovativer und produktiver sind als andere auf der Welt. Deshalb versuchen wir das auch seitens des Bundes in unserer Hightech-Strategie zu berücksichtigen. Sie bündelt das Engagement der Bundesregierung ressortübergreifend – vom Forschungsministerium über das Wirtschaftsministerium bis zu vielen anderen – zu einer Innovationsstrategie. Sie bringt immer wieder Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammen. Dem dient ja auch unser Innovationsdialog, in dem wir über spannende zukünftige Entwicklungen diskutieren.

Wir konzentrieren uns natürlich auf besonders zukunftsträchtige Felder, die auch von globaler Bedeutung sind – wie etwa Klimaschutz, Energie, Gesundheit, Ernährung, Industrie 4.0 und nachhaltige Mobilität. Von fast allem ist auch hier am Institut etwas zu sehen. Insbesondere nachhaltige Mobilität spielt hier eine wichtige Rolle – interessanterweise in verschiedensten Komponenten, wie ich mich überzeugen konnte; und zwar sowohl, was Karosserien anbelangt, wenn es um Kohlenstofffasern geht, als auch, was die Elektronik anbelangt, wenn es um das automatisierte Fahren geht.

All das sind Bereiche mit enormen Marktpotentialen. Das Thema Werkstoffforschung ist vielleicht eines, das in Deutschland jahrelang ein bisschen unterschätzt wurde. Wir erleben bei den Werkstoffen ja geradezu eine Revolution. Insofern geht es hierbei auch um eine Schlüsseltechnologie. Deshalb hat Halle jetzt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, auf Zukunftsmärkten Fuß zu fassen. Denn Werkstofftechnologien finden eigentlich in allen Industriebranchen ihre Anwendung. Dementsprechend ist bei Ihnen die Bandbreite möglicher Partner beeindruckend groß. Das Spektrum reicht von der chemischen Industrie über die Energietechnik bis zum Automobilbau und Flugzeugbau. Dem Ganzen sind keine Grenzen gesetzt.

Rund 70 Prozent aller neuen Produkte basieren auf neuen Werkstoffen. Sie helfen zum Beispiel dabei, langlebigere Güter zu produzieren, Energie zu sparen, Material zu sparen – also alles, was in eine Nachhaltigkeitsstrategie hineingehört. Ihr Institut widmet sich als wissenschaftliches Schwergewicht den Leichtgewichten unter den Bauteilen. So kann etwa eine leichtere Bauweise im Automobilbereich zu geringerem Kraftstoffverbrauch beitragen, was wiederum ein Beitrag für mehr Klimaschutz ist. Überhaupt ist ein solches Institut im Umfeld des Automobilbaus sehr wichtig, denn wir erleben zurzeit doch einen starken qualitativen Wandel des Automobils. Insofern stehen Ihnen, glaube ich, auch in Zukunft viele Kooperationsmöglichkeiten offen.

Ich vermute einmal, Sie haben hier eine relativ gute Ausstattung – ich habe jedenfalls keine Klagen gehört –: vom Computertomographen bis hin zu guten Elektronenmikroskopen. Aber vielleicht wollte man nur keine Klagen vorbringen. Ich weiß ja, dass die Skala bei den Ausstattungswünschen ja meist nach oben hin offen ist. Ich denke aber, Herr Professor Neugebauer achtet schon darauf, dass die Dinge vorangehen. Und wir versuchen seitens des Bundes, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir haben verschiedene Initiativen ergriffen – auf den Pakt für Forschung und Innovation ist bereits hingewiesen worden. Da haben wir – sehr zur Freude der Länder – eine neue qualitative Stufe erreicht: Der Bund zahlt in dieser Legislaturperiode die Aufwüchse der Fördermittel alleine, was die Länder entlastet und dann zum Beispiel auch mehr Wirtschaftsförderung ermöglicht.

Wir haben uns auch Gedanken über die zum Teil bestehenden Unterschiede zwischen der außeruniversitären Forschung und der Forschung an den Universitäten gemacht. Das war auch der Grund dafür, dass wir als Bund die BAföG-Kosten vollständig übernommen haben und demnächst die BAföG-Leistungen erhöhen werden. Damit leisten wir einen Beitrag dazu, dass sowohl universitäre als auch außeruniversitäre Forschung faire Chancen haben. Das wird auch hoffentlich die Martin-Luther-Universität zu würdigen wissen, auch wenn ich weiß, dass es immer noch Unterschiede gibt. Darüber hinaus haben wir die Exzellenzinitiative, die den Wettbewerb unter den Anbietern im Wissenschaftssystem stärkt, weshalb über deren Fortführung derzeit diskutiert wird.

Gerade durch die Verlässlichkeit unserer Forschungsförderung in den letzten Jahren haben wir unseren internationalen Stand verbessern können. Es gibt eine Vielzahl von Forschern, die wieder aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehren, auch weil es während der internationalen Finanzkrise und auch während der europäischen Schuldenkrise in anderen Ländern keinesfalls so war, dass man dort auf verlässliche Rahmenbedingungen setzen konnte. Die Bundesregierung aber hat verlässliche Rahmenbedingungen über die Jahre hinweg sichergestellt; und die Bundesländer haben das mit ihrer Kofinanzierung genauso.

Es geht also um Rahmenbedingungen, es geht um kluge Köpfe und es geht natürlich auch um Weltoffenheit. Wir wollen alles tun, um im Wettbewerb weiter vorne mit dabei zu sein. Auch mit Blick auf die Probleme, die wir im Augenblick im Zusammenhang mit den vielen Flüchtlingen, die zu uns kommen, haben, sage ich ausdrücklich: Die Aufgabe der Integration derjenigen, die bei uns eine Bleibeperspektive haben, wird nur gelingen, wenn wir hier auch gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen haben. Dazu gehört natürlich auch ein funktionierender Arbeitsmarkt. Deshalb möchte ich mich, auch was die Integrationsaufgabe anbelangt, dafür bedanken, dass die Fraunhofer-Gesellschaft gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft eine eigene Initiative mit dem Ziel gestartet hat, Flüchtlinge zu qualifizieren, fit für den Arbeitsmarkt zu machen und nach Möglichkeit in das Wissenschaftssystem zu integrieren. Wir fördern natürlich auch seitens der Bundesregierung Sprachkurse, Integrationskurse und wollen damit erreichen, dass es einen leichteren Zugang zu Praktika und Jobs geben kann.

Meine Damen und Herren, um Innovation „made in Germany“ immer weiter voranzubringen, können wir uns glücklich schätzen, mit der Fraunhofer-Gesellschaft einen starken Motor zu haben. Ihre Institute – jedes für sich – leisten dazu ihren Beitrag. Anders ausgedrückt: Sie verstehen sich hier in Halle genauso wie Ihre Fraunhofer-Kollegen in Freiburg als „Fitnesszentrum mit Notfallpraxis für technische Werkstoffe und Bauteile“ – also Vorsorge und Nachsorge. Ich habe hier motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesehen, die an ihren Projekten mit großem Elan arbeiten. Ich vermute, das gilt für alle, die hier beschäftigt sind; denn es ist ja auch jeden Tag etwas Neues zu entdecken.

Deshalb wünsche ich Ihnen, dass Sie auch in Zukunft ein Schrittmacher des Fortschritts, der wissenschaftlich-technischen Entwicklung und der Umsetzung in die Praxis sein werden. Ich wünsche der Landesregierung, dass sich die Fraunhofer-Institute hier gut bewähren und dass sich auch über ihre Kooperationen Sachsen-Anhalt als lebendiger Innovationsstandort weiterentwickelt. Wenn man auf die letzten 25 Jahre zurückschaut, kann man sagen: Es ist schon eine Menge geschafft. Insofern habe ich keinen Zweifel daran, dass es auch genauso weitergeht.

Herzlichen Dank dafür, dass Sie mich zur Institutsgründung eingeladen haben.