Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Deutsch-Albanischen Wirtschaftskonferenz am 8. Juli 2015

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Sehr geehrter Herr Premierminister, lieber Edi Rama,
sehr geehrter Herr Minister,
Herr Staatssekretär,
Abgeordnete,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

ich freue mich, heute hier in Albanien, in Tirana, zu sein. Ich möchte mich ganz herzlich insbesondere bei Ihnen, Herr Ministerpräsident, und bei Ihrem Team für den sehr freundschaftlichen Empfang bedanken. Ich möchte mich ebenso bei den Menschen hier bedanken. Ich habe den Eindruck, dass sie sich nicht ärgern, dass ich hierhergekommen bin.

Gute Beziehungen zwischen zwei Staaten zeigen sich nicht nur darin, dass sich Regierungen gegenseitig besuchen. – Wir haben uns in den letzten Monaten schon öfters gesehen. Sie haben mich nach Albanien eingeladen; und ich freue mich, dass ich der Einladung heute folgen konnte. – Es geht vielmehr auch um gute Beziehungen im Alltag; und dazu gehören auch wirtschaftliche Beziehungen.

Deshalb begrüße ich ausdrücklich diese Konferenz. Ich möchte mich bei Herrn Staatssekretär Baake, bei der albanischen Seite und bei allen bedanken, die auf Seiten der Wirtschaft Initiative gezeigt haben. Ich freue mich, dass hier albanische und deutsche Unternehmerpersönlichkeiten zusammenfinden. Es ist bereits das achte Mal, dass eine solche Veranstaltung stattfindet. Daran zeigt sich das Interesse am Auf- und Ausbau unserer gemeinsamen wirtschaftlichen Beziehungen. Wenn ich mir das Handelsvolumen anschaue, stelle ich fest, dass 218 Millionen Euro sicherlich eine Zahl ist, hinter der interessante, spannende Projekte stehen. Aber es kann, glaube ich – da sage ich wohl nicht zu viel –, noch mehr getan werden. Das gilt auch für die Direktinvestitionen.

Wir haben heute intensiv darüber gesprochen, was Politik leisten kann und was Unternehmen leisten müssen, um einen solchen Weg zu gehen. Es gibt dafür gute Beispiele: der Flughafen von Tirana, die Kraftfahrzeugindustrie, die Textilindustrie und die Telekommunikation. Ich sage Ihnen, wie ich glaube, nichts Neues, da Sie sich schon zum achten Mal treffen, aber ich wiederhole es gerne: Die deutsche Wirtschaft ist bereit zu investieren, wenn sie den Eindruck hat, auf einem sicheren Grund zu investieren – wenn ein verlässliches Rechtssystem besteht, sich die Rahmenbedingungen nicht abrupt ändern und sich Standortvorteile bieten, die genutzt werden können.

Es gibt hier sehr interessante Möglichkeiten. Der Premierminister hat soeben von fruchtbaren Böden gesprochen. Wir haben heute auch über Bodenschätze, Öl und Wasser, auch über Wasserkraft-Projekte geredet. Es gibt ein großes Potenzial an Fachkräften; auch darüber haben wir heute natürlich gesprochen. Albanische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind jung, motiviert und bildungshungrig. Ich freue mich auch, dass uns hier insbesondere junge Stipendiatinnen begrüßt haben. Dies spricht für sich. Und das zeigt einfach, dass das Eintauchen in die Praxis der Wirtschaft große Möglichkeiten eröffnet und selbstbewusste junge Menschen hervorbringt.

Es gibt aber auch einige Sorgen. Im Augenblick machen sich viele Albaner auf den Weg nach Deutschland, um einen Antrag auf Asyl zu stellen. Das ist in sich eigentlich paradox, denn Albanien hat sich den Kandidatenstatus für den Beitritt zur Europäischen Union hart erarbeitet. Einen solchen Kandidatenstatus bekommt nur ein Land, das auch die grundsätzlichen Bedingungen für einen Beitrittsprozess erfüllt. Das kann kein Land sein, aus dem Asylbewerber nach Deutschland kommen und denen wegen politischer Verfolgung Asyl gewährt wird.

Das heißt, wir haben es hierbei – auch darüber haben wir gesprochen – vielleicht mit einer Fehlinformation zu tun, nämlich: In Deutschland würden Fachkräfte gesucht, wobei der Weg des Asyls sozusagen eine interessante Variante sei, um als Fachkraft nach Deutschland zu kommen. Ich muss Sie alle bitten: Sagen Sie den jungen Leuten, dass das ein Irrweg ist; es wird nicht funktionieren. Es mag sein, dass es am Anfang ein paar Mal funktioniert hat und dass es lange gedauert hat, bis die Anträge bearbeitet waren. Das wird sich ändern. Deshalb sollten wir legale Möglichkeiten da suchen, wo wirklich Fachkräfte gebraucht werden. Und genau darüber haben wir heute auch gesprochen.

Es ist gut, dass die Bundesländer mit Albanien in Fragen der Berufsausbildung zusammenarbeiten. Das Land Baden-Württemberg – erst neulich habe ich noch mit Ministerpräsident Kretschmann darüber gesprochen – hilft bei der dualen Berufsausbildung. Herr Ministerpräsident, ich kann Sie nur ermutigen, diesen Weg weiterzugehen. Auch wir in Deutschland haben eine gewisse Tendenz der Akademisierung, die sich in den letzten Jahren verstärkt hat. Aber wir haben immer noch als zweite wichtige und eigentlich gleichberechtigte Säule die berufliche Ausbildung. Mit ihr gewinnen viele das notwendige Rüstzeug, um als gute Facharbeiter im Berufsleben erfolgreich sein zu können. Ich versichere Ihnen, dass wir Sie auf diesem Weg auch weiter unterstützen werden.

Wir haben darüber gesprochen, dass wir uns gerade bei Berufen, in denen Fachkräfte in Deutschland stark gesucht werden – zum Beispiel Krankenschwestern oder Pfleger –, seitens der Länder nochmals anschauen können, wie die jeweilige Berufsausbildung aussehen sollte, was man an Fachwissen mitbringen muss und wie man Module entwickeln kann, mithilfe derer man die Brücke überqueren und eine Zulassung zu solchen Berufen in Deutschland bekommen kann. Wir sollten diesen Prozess legal gestalten und ihn nicht mit großen Enttäuschungen verbinden.

Wir haben zudem darüber gesprochen, dass die Frage der wirtschaftlichen Investitionen etwas mit dem Rechtssystem, mit verlässlichen Rahmenbedingungen zu tun hat. Es ist auch gut, dass es diesen „Tirana Business Park“ gibt. Er ist von großer Bedeutung und so etwas wie ein Leuchtturm. Eines Tages sollen hier bis zu 9.000 Arbeitsplätze geschaffen werden – eine stolze Zahl.

Wir können sehen, dass das, was Sie mit Blick auf einen EU-Beitritt und die Eröffnung der ersten Kapitel im Rahmen des EU-Beitrittsprozesses leisten, auch direkte Auswirkungen auf das Thema Rechtssicherheit und Verlässlichkeit für die deutsche Wirtschaft haben wird. Das werde ich auch in Deutschland verbreiten; das wird auch der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft tun. Auch das neue Gesetz zu ausländischen Direktinvestitionen und Sonderwirtschaftszonen ist ein wichtiger Schritt, genauso wie die laufende Justizreform. Man muss aber sagen, dass es noch relativ große Hürden gibt. Wir haben heute über einige Einzelheiten gesprochen. Nicht zuletzt geht es um die Frage: Gibt es eine effiziente Verwaltung, die Anträge zügig bearbeiten kann; und kommt man im Kampf gegen Kriminalität und Korruption gut voran?

Wir haben zum Beispiel im Zuge der deutschen Wiedervereinigung natürlich manches leichter gehabt als Sie. Wir hatten aus den alten Bundesländern sehr viele Berater in den neuen Bundesländern, die geholfen haben, eine effiziente Verwaltung aufzubauen. Manchmal fanden wir, dass es ein bisschen kompliziert war und auch einfacher hätte gehen können. Aber inzwischen haben wir sogar einen Zustand erreicht, in dem auch Westdeutsche einmal einen Rat von einem Ostdeutschen annehmen. Ich sehe hier gerade Herrn Lämmel, den Abgeordneten des Deutschen Bundestags aus Dresden. Die Sachsen waren immer der Meinung, dass sie manches besser können. Man muss aber sagen, dass sie auch sehr von der West-Beratung profitiert haben.

Wir wissen, dass Sie in einem Umfeld mit nicht ganz einfachen Außenbeziehungen leben. Nicht nur, dass Albanien lange Zeit abgeschottet war; hinzu kam, dass ihre Nachbarschaft, das ehemalige Jugoslawien, in einen schrecklichen Krieg verwickelt war. Ich möchte dem Ministerpräsidenten und der albanischen Regierung dafür danken, dass in den jüngsten Jahren vieles entstanden ist, das geholfen hat, Gräben zu überwinden.

Was die wirtschaftliche Prosperität der Region angeht: Man muss ja sagen, dass alle Länder der Region nicht allzu riesig groß sind. Sie können in der Region des westlichen Balkans sehr viel mehr aus sich machen, wenn Sie ein Zusammenwachsen fördern; und zwar nicht nur in Sachen Infrastruktur, sondern auch hinsichtlich zivilgesellschaftlicher Kontakte. Deshalb haben wir als Bundesregierung im letzten Jahr die Initiative ergriffen und zu einer Westbalkan-Konferenz eingeladen. Ich sage ganz ehrlich: Wir wussten nicht, ob das eine richtig gute Sache ist. Im vergangenen Jahr haben wir des Beginns des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren gedacht. Wir haben zurückgeblickt und uns an die Geschichte erinnert. Aber irgendwann haben wir uns überlegt, dass wir eigentlich auch etwas tun müssen, um in die Zukunft zu blicken. So kam die Idee zu dieser Westbalkan-Konferenz auf.

Im Rahmen dieser Konferenz sind gute Projekte entstanden, an denen das Jahr über weitergearbeitet worden ist. Aber – wie auch der Ministerpräsident gesagt hat – irgendwann möchten die Menschen konkrete Ergebnisse sehen. Wir werden uns daher in Wien – Österreich wird in diesem Jahr die nächste Konferenz ausrichten – wieder treffen. Über eine gemeinsame Autobahn entlang der Küste und über ein gemeinsames Jugendwerk zu reden, ist eine feine Sache. Aber irgendwann sagen die Leute, dass sie von der Autobahn endlich etwas sehen wollen und darauf fahren wollen. Da muss man sagen, dass die Europäische Union nicht immer die schnellste ist. Insofern müssen wir uns auch ein bisschen sputen und nicht immer nur von Albanien verlangen, dass es sich um Verbesserungen kümmert.

Meine Damen und Herren, daher ist es so wichtig, dass wir uns immer wieder treffen und Projekte durchsprechen. Dass wir uns im Prozess der Westbalkan-Konferenz auf Verkehrs- und Energieinfrastrukturprojekte sowie Jugendaustauschprojekte fokussiert haben, ist richtig. Ich sage auch, dass wir schon einige konkrete Projekte ausgesucht haben. Die Hochspannungsleitung zwischen Albanien und Montenegro ist schon fertiggestellt – auch mit deutscher Unterstützung. Die Stromtrasse zwischen Tirana und Priština befindet sich noch im Bau – auch daran sind wir beteiligt. Wir müssen auch an der Verbesserung der Telekommunikationsinfrastruktur arbeiten. Hierbei gibt es ebenfalls eine Kooperation mit Deutschland. Und so könnte es noch sehr viel mehr Projekte geben.

Ich will noch einen Blick darauf lenken, dass es nicht nur im albanischen Interesse ist, Teil der Europäischen Union zu werden. Es ist vielmehr auch im Interesse der Mitgliedstaaten, die schon länger Mitglieder der Europäischen Union sind, den Ländern der Region des westlichen Balkans eine Perspektive zu geben. Wir haben Anfang der 90er Jahre erlebt: Wenn es in dieser Region keinen Frieden gibt, dann haben wir sehr, sehr viele Flüchtlinge; dann haben auch wir sehr, sehr viele Herausforderungen. Deshalb ist ein friedliches Zusammenleben hier in unserem gemeinsamen Interesse.

Wenn wir einmal an die Situation jenseits des westlichen Balkans denken, dann sehen wir, dass heute große Gefahren von außen auf Europa zukommen. Dazu gehören die Bedrohungen des islamistischen Terrorismus; dazu gehören Herausforderungen wie der Bürgerkrieg in Syrien. Das alles ist nicht weit weg von uns. Wir spüren das jeden Tag an den Flüchtlingen, die zu uns kommen.

Es steht im Zusammenhang mit der europäischen Integration oft ein Thema im Raum, über das wir auch heute gesprochen haben. Immer wieder wird gesagt: Na ja, Kroatien haben sie aufgenommen und Slowenien haben sie auch aufgenommen; wenn jetzt noch die Länder dazukommen, in denen es eine muslimische Bevölkerung gibt, dann wird die Europäische Union noch schwerfälliger. Dazu möchte ich sagen: Dem ist nicht so. Ihre Anstrengungen werden genauso beurteilt wie die Anstrengungen anderer Länder. Es wird zwischen Serbien, Albanien und anderen kein Unterschied gemacht, wenn es darum geht, vernünftige Strukturen zu schaffen.

Ich habe allerdings auch gesagt – im Deutschen Bundestag sprechen wir oft darüber –: Manchmal haben wir erlebt, dass es, solange der Beitrittsprozess noch läuft, ein starkes Momentum gibt und, wenn der Beitrittsprozess beendet ist, es ein solches Momentum nicht mehr gibt, weil wir über die Jahre vielleicht auch etwas strenger geworden sind. Es ist für einen immer schlecht, wenn man sozusagen in eine Reihe kommt, in der schon Erfahrungen gesammelt wurden. Sie werden aber fair behandelt; das will ich ausdrücklich sagen.

Zum Abschluss und Abschied will ich außerdem noch darauf hinweisen: Albanien ist nicht nur Kandidat für den Beitritt zur Europäischen Union, Albanien ist seit Jahren auch Mitglied der NATO. In einem gemeinsamen Verteidigungsbündnis kämpfen wir für die gleichen Werte. Herzlichen Dank für diese Zusammenarbeit.

Sie sehen also: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist in eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten eingebettet. Wir reden aber auch um die Probleme nicht herum. Nun würde ich mich einfach freuen, wenn noch mehr Mittelständler aus Deutschland in Anbetracht der Tatsache, dass viele neue Gesetze entstanden sind und dass eine Justizreform in Arbeit ist, den Schritt wagen, nach Albanien zu gehen. Es kommt hinzu – auch darum braucht man nicht herumzureden –, dass viele über Albanien nicht so viel wissen, wie sie vielleicht wissen könnten. Wer sich nicht jeden Tag oder des Öfteren mit dem Land beschäftigt, ist sozusagen nicht auf der Höhe der Zeit. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir möglichst viele Multiplikatoren haben, die darüber sprechen, und dass junge Praktikantinnen und Praktikanten Erfahrungen in Betrieben sammeln und daraus neue Verbindungen nach Albanien entstehen. Deshalb möchte ich auch Herrn Staatssekretär Baake nochmals für sein Engagement danken.

Gerade auch, was Energiefragen und Energieeffizienzfragen anbelangt, kann sicherlich noch manches getan werden. Wir haben heute ein Projekt zur Verbesserung der Energieeffizienz in den Studentenwohnheimen des Campus in Tirana vorgestellt. Das ist nur ein kleines Beispiel, aber es zeigt, wie sparsam man mit Energie umgehen kann. Jede nicht verbrauchte Kilowattstunde ist eine gute Kilowattstunde. Zur Verbesserung der Energieeffizienz kann sicher noch einiges geleistet werden.

Ich glaube, dieses Zusammentreffen wird dazu beitragen, dass unsere Beziehungen noch enger werden. Wir werden in einem engen Kontakt bleiben und uns bald auf der Westbalkan-Konferenz wieder sehen. Herzlichen Dank Ihnen allen, die Sie an guten deutsch-albanischen Beziehungen interessiert sind. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.