Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der Eröffnungsveranstaltung des 4. ver.di-Bundeskongresses am 20. September 2015 in Leipzig

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Danke schön, für die freundliche Begrüßung, lieber Herr Bsirske und liebe Frau Brandl!

Liebe Jugendliche des Kölner Chors, es war ganz toll, wie ihr den Saal, die tausend Delegierten gleich in Schwung gebracht habt. Das ist wunderbar gewesen!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung,
sehr geehrter Vorsitzender des DGB, lieber Herr Hoffmann,
sehr geehrte Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der anderen Gewerkschaften,
vor allem liebe Delegierte dieses vierten ver.di-Kongresses,
meine Damen und Herren!

„STÄRKE. VIELFALT. ZUKUNFT.“ – das ist das Motto Ihres Bundeskongresses, der in den nächsten Tagen hier in Leipzig stattfinden wird. Ich erinnere mich immer noch gern an Leipzig in ganz anderen Zeiten, als ich hier Physik studiert habe. Schon damals war Leipzig immer eine Reise wert. Das Messezentrum ist vielleicht glücklicherweise ein bisschen von der Innenstadt entfernt, sodass Sie nicht dauernd ausbüxen können. Aber Sie werden sicherlich auch einmal ein paar Stunden für einen netten Ausflug Zeit haben. Es lohnt sich.

Meine Damen und Herren, liebe Delegierte, „STÄRKE. VIELFALT. ZUKUNFT.“ – das Motto, das sich die Gewerkschaft ver.di gegeben hat, strahlt Selbstbewusstsein aus. Obwohl es erst Ihr vierter Bundeskongress ist, sind Sie sicherlich zu einem wichtigen Element der deutschen Gewerkschaftsbewegung geworden, egal ob man jeweils mit Ihnen übereinstimmt oder nicht. Aber an Ihnen kommt man nicht vorbei. So viel kann ich, denke ich, sagen. Da ich eine überzeugte Vertreterin der Tarifpartnerschaft bin, sage ich das mit gewissem Respekt, aber natürlich manchmal auch mit kleiner Sorge. Aber ich bin ja in die tarifvertraglichen Auseinandersetzungen nicht eingebunden. Da habe ich es gut.

Stark, vielfältig und zukunftsgerichtet, so soll – da stimmen Sie sicherlich mit mir überein – auch Deutschland sein. Meine Damen und Herren, Deutschland ist zurzeit in vielen Bereichen stark, auch wenn wir noch viele Probleme zu lösen haben. Der Arbeitsmarkt ist in einem guten Zustand. Wir haben eine neue Höchstzahl an Erwerbstätigen, wir haben vor allen Dingen auch eine neue Höchstzahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Mit Recht setzt sich ver.di auch immer wieder gerade für faire Arbeitsbedingungen ein.

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ver.di vertritt, sind häufig in Branchen tätig, die nicht auf die langjährige Erfahrung und auch die langjährige Unterstützung einer starken Industrie zurückgreifen können, sondern das sind oft Bereiche, in denen Menschen für Menschen arbeiten, in denen Dienstleistungsgewerbe völlig neu entstanden sind und die eine weniger starke tarifvertragliche Ordnung haben, wie wir sie sonst aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kennen. Deshalb ist es wichtig, dass Sie eine starke Interessenvertretung gerade dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind.

Ich sage auch, es war der DGB insgesamt, darunter auch ver.di, der sich für einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro eingesetzt hat. Sie wissen, dass ich einen langen Weg gegangen bin; auch persönlich, weil ich immer dachte: Den Mindestlohn müssen die Gewerkschaften in den tarifvertraglichen Auseinandersetzungen doch allein durchsetzen können. – Herr Bsirske, wir haben oft darüber gesprochen. – Aber die tarifvertraglichen Bindungen sind nicht mehr so breit, dass wir sicher sein konnten, dass das gelingt. Deshalb haben wir heute diesen Mindestlohn. Er ist sicherlich für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Fortschritt. Es ist wichtig, dass das erreicht wurde.

Uns war es aber auch wichtig, dass die Politik die Entwicklung des Mindestlohns in Zukunft nicht direkt verfolgen wird, sondern dass wir dafür eine Mindestlohnkommission haben, die aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern bestehen wird und die jeweilige Anpassung des Mindestlohns vorschlagen wird. Die Politik wird das dann nachvollziehen. Ich denke, das ist wichtig. Wir haben in der Bundesregierung noch einige Vorhaben, die für Sie auch von besonderer Bedeutung sind. Dabei geht es um Fragen der Leiharbeit und Fragen der Werkverträge. Insofern werden wir sicherlich auch weiterhin in einem intensiven Dialog bleiben.

Die Stärke Deutschlands liegt auch in soliden öffentlichen Finanzen. Im Zusammenhang mit der Eurokrise haben wir gesehen, dass Länder, die solide Finanzen nicht in gleichem Maße aufweisen konnten, schwierige Zeiten durchlebt haben oder noch durchleben. Wir können heute sagen, dass wir auf der Bundesebene im letzten und in diesem Jahr keine neuen Schulden gemacht haben oder machen werden. Weil ich weiß, dass viele von Ihnen vielleicht nicht so zu hundert Prozent begeistert sind wie ich, will ich noch einmal darauf hinweisen: Das ist nicht nur eine fiskalische Frage, das ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit – eine Frage dessen, was wir zukünftigen Generationen hinterlassen und wie viel eigenen Spielraum für Entscheidungen sie dann haben werden.

Wir als Bund können mit unserem Spielraum vielfältige Unterstützung leisten. Der Oberbürgermeister von Leipzig ist hier. Er weiß, dass wir in den vergangenen Jahren immer wieder Kommunen unterstützt haben. Das gilt etwa für die Übernahme der Grundsicherung. Ich meine, es war eine ordnungspolitisch absolut richtige Maßnahme, denjenigen, die sich in ihrem Leben keine ausreichende Rente erarbeiten konnten, durch den Bund die Grundsicherung im Alter zu zahlen. Wir sind in zusätzliche finanzielle Leistungen eingestiegen, um die stark steigenden Kosten der Eingliederung mit zu finanzieren. Das wird bis 2018 auf fünf Milliarden Euro an Unterstützung seitens des Bundes aufwachsen. Wir haben ein Sonderprogramm in Höhe von 3,5 Milliarden Euro von 2015 bis 2018 für schwache Kommunen aufgelegt, die es auch gibt und die sich eben nicht so finanzieren können, wie diejenigen, die wirtschaftlich stärker sind.

Aber in diesen Tagen ist es vielleicht am wichtigsten, zu sagen, dass es gut ist, dass wir uns in einer guten Verfassung befinden, wenn wir uns die Aufgabe anschauen, die wir im Augenblick vor allem zu bewältigen haben. Eine hohe Zahl von Flüchtlingen kommt nach Deutschland. Auch hier auf dem Messegelände sind Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung.

Ich weiß, lieber Herr Oberbürgermeister – stellvertretend für alle kommunalen Vertreter –, was Sie in diesen Tagen leisten und dass Sie ad hoc und oft ohne Vorbereitung sehr schnell handeln müssen. Ich sage allen, die dabei helfen, den kommunalen Spitzenvertretern, den Ländern, den vielen ehrenamtlichen Organisationen ein herzliches Dankeschön für das, was Sie leisten. Sicherlich sind auch viele Gewerkschafter dabei. Danke für das, was Sie tun!

Angesichts der gewaltigen Herausforderung, vor der wir stehen, will ich einige Sätze sagen. Deutschland ist hilfsbereit. Jeder kann das erleben, auch außerhalb unseres Landes. Aber es ist nicht nur eine deutsche Herausforderung, sondern es ist eine europäische Herausforderung. Wir sind eine Europäische Union, die die gleichen Werte vertritt, die eine gemeinsame Asylpolitik hat, die sich für offene Grenzen eingesetzt hat – offene Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten.

Das bedeutet aber auch, dass Europa jetzt gemeinsam handeln und gemeinsam Verantwortung tragen muss. Deutschland allein kann diese Aufgabe nicht schultern. Deshalb hoffe ich, dass wir bei den anstehenden europäischen Debatten – am Dienstag die Justiz- und Innenminister, am Mittwoch die Staats- und Regierungschefs – Erfolge erzielen, die den Menschen zeigen: Europa nimmt sich dieser Verantwortung gemeinsam an. Das wird viel über die Zukunftsfähigkeit dieses Europas aussagen. Wir alle wollen ein starkes Europa, nicht nur ein starkes Deutschland, meine Damen und Herren.

Viele Dinge können wir in Europa nur gemeinsam lösen, zum Beispiel die Sicherung der Außengrenzen, aber auch die Bekämpfung der Fluchtursachen. Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass das Welternährungsprogramm oder der UNHCR, die Weltflüchtlingsorganisation der UN, nicht ausreichend Gelder haben und dass Lebensmittelrationen in den Herkunftsländern oder in Fluchtländern wie Libanon und Jordanien gekürzt werden müssen. Wir müssen alles daransetzen, damit diese Kürzungen wieder aufgehoben werden und Menschen überall eine vernünftige Perspektive haben. Europa muss hier auch seinen Teil dazu tun.

Wir werden in dieser Woche auf der Bundesebene zusammen mit den Ländern wichtige Entscheidungen treffen, während Sie Ihren ver.di-Kongress abhalten. Ich werde morgen Abend die kommunalen Spitzenverbände zu Gast haben. Wir werden deren Erwartungen besprechen. Am Donnerstag werden wir dann, so hoffe ich, wichtige Entscheidungen darüber treffen, wie der Bund Länder und Kommunen stärker finanziell unterstützen kann, aber auch darüber, was wir in unseren Gesetzen ändern müssen, um schneller und an manchen Stellen auch flexibler zu werden und um deutlich zu machen: Wir wollen denen Schutz geben, die Schutz brauchen. Aber wir müssen auch denen, die aus anderen Gründen, aus wirtschaftlichen Gründen, zu uns kommen, sagen, dass sie bei uns keine Bleibeperspektive haben, damit wir denen, die wirklich Hilfe brauchen, auch wirklich Hilfe leisten können.

Ja, ich denke, darüber kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein – vor allem darüber, wen was wann betrifft. Das ist Meinungsvielfalt. Aber ich bin ganz fest davon überzeugt, dass wir auch nicht erfolgreich sein werden, wenn wir so tun, als würden wir alles schaffen. Wir sind ein großes Land. Wir sind ein starkes Land. Wir wollen ein vielfältiges Land sein. Aber so zu tun, als ob wir alle sozialen Probleme dieser Erde allein lösen könnten, wäre nicht realitätsnah. Ich finde, wir müssen einen Blick für die Realität haben.

Meine Damen und Herren, wenn wir über Stärke sprechen, dann geht es auch um wirtschaftliche Stärke. Hierbei gibt es auch Themen, die durchaus in kontroverser Debatte zwischen uns geklärt werden müssen. Lieber Herr Bsirske, Sie wissen das. Wir meinen, dass wir eine offene Volkswirtschaft sein sollten. Wir hängen stark vom Export ab. Sie wissen das. Deshalb ist es für uns und auch für die Arbeitsplätze der Zukunft, für qualifizierte, gute Arbeitsplätze, von Vorteil, dass wir unsere Handelsbeziehungen ordnen und auch Freihandelsabkommen unterstützen.

Ja, ich weiß. Schauen Sie, wir wollen doch miteinander über alle Probleme reden. Ich nehme das zur Kenntnis. Ich kenne ja Ihre Meinung. Mir springt ja kaum einer der Einzelgewerkschaftsvorsitzenden bei, fürchte ich. Es ist ja nicht nur Herr Bsirske, sondern es sind auch noch alle anderen. Ich sage es trotzdem. Denn es gibt für mich ein Paradoxon. Das will ich hier wenigstens ansprechen. Als wir Freihandelsabkommen mit Südkorea und mit anderen Ländern abgeschlossen haben, haben die Gewerkschaften dies relativ ruhig begleitet. Und jetzt, da wir ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika abschließen wollen, gibt es unglaublich große Unruhe und Ablehnung.

Jetzt sage ich Ihnen, was diese Freihandelsabkommen unterscheidet. Es gibt Unterschiede. Die normalen Freihandelsabkommen beschäftigen sich nur oder fast ausschließlich mit Zöllen – mit Einfuhrzöllen, mit Ausfuhrzöllen, mit einem zollfreierem Handel zwischen den Ländern. Diese Handelsabkommen haben so gut wie keine Teile, in denen es um soziale Standards, Umweltstandards oder Verbraucherschutzstandards geht. Das kann man machen. Man kann die Augen schließen und sagen: Dafür interessieren wir uns nicht so; Hauptsache, die Zölle sind weg. So sind Handelsabkommen weltweit jahrelang verhandelt worden. Dieses Mal, bei dem Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, geht es in der Tat um mehr. Deshalb ist es richtig, dass wir über dieses Mehr diskutieren. Aber durch dieses Freihandelsabkommen wird kein einziger Standard der Europäischen Union oder auch nur ein Standard, der in Deutschland gilt, abgesenkt – weder im Verbraucherschutz noch im Umweltschutz; kein einziger Standard. Wer es mir nicht glaubt, kann bei mir vorstellig werden.

Es geht um die Harmonisierung von Standards oder die unterschiedliche Akzeptanz von Standards. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen voraus: Ein solches Abkommen, wie wir es mit den Vereinigten Staaten von Amerika abschließen wollen, könnte qualitätsbildend für andere Handelsabkommen auf der Welt sein, bei denen uns heute die sozialen, Verbraucher- und Umweltbedingungen noch überhaupt nicht ausreichend interessieren. Wir alle wissen: fairen Wettbewerb weltweit kann es nicht geben, wenn man nur keine Zölle mehr hat. Fairen Wettbewerb – Sie mit Ihren Arbeitsplätzen wissen das am allerbesten – kann es nur geben, wenn wir Schritt für Schritt – das wird ein langer Weg in der globalisierten Welt sein – auch auf gleiche oder ähnliche Standards hinarbeiten; hin auf Vereinbarungen, die weit mehr umfassen als Zölle, nämlich eben auch soziale, Verbraucher- und Umweltstandards. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir dies versuchen sollten, auch wenn es ein schwieriger Weg ist. Meine Damen und Herren, ich hätte gar nicht so emotional gesprochen, wenn Sie nicht gleich so emotional reagiert hätten. Aber so ist es ja auch schön.

Meine Damen und Herren, das zweite Schlagwort Ihres Mottos ist Vielfalt. Das ist in der Tat eine Errungenschaft, die Deutschland stark gemacht hat. Sie sind eine Gewerkschaft der Vielfalt. Sie sind aus etlichen Einzelgewerkschaften entstanden. Sie repräsentieren ein unglaublich breites Spektrum an Berufen und Betrieben. Deutschland ist ein Land der Vielfalt. Nichts könnte symbolischer sein als die jungen Menschen, die hier so vielfältig aufgetreten sind.

Wir wissen, dass sich uns wieder eine große Aufgabe stellt. Das ist die Aufgabe der Integration – auch von vielen Flüchtlingen, die dauerhaft hier bei uns bleiben werden. Wir haben erlebt, dass wir in den 60er und 70er Jahren das Thema Integration nicht ausreichend erkannt haben. Ich sage dies ausdrücklich für die Politik, weil ich weiß, dass gerade die Gewerkschaften die ersten waren, die am Arbeitsplatz dafür gesorgt haben, dass damals sogenannte Gastarbeiter, Menschen mit Migrationshintergrund, in die betriebliche Realität voll integriert wurden und ihren Beitrag leisten konnten. Dafür, lieber Herr Sommer – ich nenne Sie stellvertretend, weil wir oft darüber gesprochen haben –, ein herzliches Dankeschön! Das war anrührend, das war berührend; Sie waren Ihrer Zeit voraus. Seien Sie das bitte bei den Flüchtlingen auch wieder. Wir von der Politik werden Ihnen nun allerdings dichter auf den Fersen sein, weil auch wir die Notwendigkeit inzwischen erkannt haben.

Ich denke, wir haben vergangenen Freitag eine wichtige Entscheidung gefällt, als wir festgelegt haben, dass Herr Weise auch der Präsident des BAMF, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, sein und es leiten wird, weil wir damit zeigen: Der Weg von der ersten Registrierung hier in Deutschland über ein Asylverfahren muss für die, die eine Bleibeperspektive haben, sofort in Richtung Integrationskurs, Erlernen der Sprache und Arbeitsmarktvermittlung führen. Uns ist klar, dass nicht jeder sofort eine Arbeit wird leisten können. Aber es gibt auch Hochqualifizierte. Unser Ziel muss sein, wenn möglich, alle in Arbeit zu bringen, auch wenn das bei einigen eine Zeit lang dauern wird. Ich denke, hierbei sind wir gemeinsam einer Meinung.

Meine Damen und Herren, Ihr drittes Stichwort ist Zukunft. An Zukunftsaufgaben mangelt es uns nicht. ver.di ist mit Zukunftsaufgaben täglich konfrontiert. Das ist unter anderem die Balance zwischen Löhnen und Gehältern derjenigen, die mit Menschen arbeiten, und derjenigen, die mit Maschinen arbeiten. Hierbei gibt es seit vielen Jahren sicherlich ein Gefüge, bei dem man die Frage der Gerechtigkeit nicht sofort mit Ja beantworten kann. Ich will auf aktuelle Auseinandersetzungen hier tunlichst nicht eingehen. Das werden Sie verstehen. Aber ich will sagen, dass wir in den nächsten Jahren über das Thema „Arbeit mit Menschen“ natürlich in vielfältiger Weise reden und dann auch handeln werden.

Seitens der Bundesregierung haben wir in der großen Koalition in dieser Legislaturperiode den Schwerpunkt Pflege gesetzt. Obwohl wir sonst keine Steuern und möglichst keine Beiträge erhöhen, haben wir von Anfang an, auch schon im Wahlkampf, seitens der CDU, aber auch seitens der SPD gesagt: Wir werden die Pflegeversicherungsbeiträge erhöhen, weil wir die Leistungen für die, die pflegen, und weil wir auch die Leistungen für die zu Pflegenden erhöhen müssen.

Mit dem neuen Pflegebegriff haben wir einen Riesenschritt hin zu mehr Gerechtigkeit und hin zu mehr Beteiligung der Menschen gemacht, die demenzkrank sind, die andere Erkrankungen haben als nur körperliche Schwächen. Die, die daran mitgearbeitet haben, wissen, dass mit diesem neuen Pflegebegriff wir zwei Dinge sicherstellen. Erstens: mehr Gerechtigkeit für alle Formen des Pflegens. Zweitens: keinem wird es schlechter gehen durch die Einführung dieses neuen Pflegebegriffs. Es gibt mehr Leistungen für die, die Pflegearbeit leisten. Es gibt mehr Leistungen für diejenigen, die zu Hause pflegen. Das alles sind wichtige Schritte.

Ich möchte vor allem darauf hinweisen, dass sich gerade die Gewerkschaft ver.di dafür eingesetzt hat, dass wir an dieser Stelle Ansprüche an diejenigen stellen, die Pflege übernehmen und in der Pflege arbeiten. Das erfordert politische Antworten. So auch die Frage der Tarifverträge, die anerkannt werden müssen. Ich will ausdrücklich sagen: In dieser Branche sind Tarifverträge genauso wichtig wie in jeder anderen Branche, vielleicht noch wichtiger. Sie müssen eingehalten werden. Das ist absolut notwendig.

Eine zweite Frage der Zukunftsfähigkeit hat mit Digitalisierung zu tun. Für die Gewerkschaft ver.di spielt der Wandel der Gesellschaft durch Digitalisierung genauso wie der demografische Wandel eine große Rolle. Die Arbeitswelt wird sich rasant verändern. Alle Einzelgewerkschaften und der DGB sind sich dessen bewusst und arbeiten in den verschiedenen Initiativen der Bundesregierung mit. Wir führen einen wirklich spannenden Dialog über die Arbeit der Zukunft und die Zukunft der Arbeit – auch in Meseberg, wo wir uns regelmäßig austauschen. Ich sage an dieser Stelle nur, ohne dass wir schon alle Antworten kennen: Es muss sichergestellt werden, dass die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und natürlich auch die Rechte der Arbeitgeber weiterhin in einer vernünftigen Balance bleiben. Es kann nicht sein, dass Menschen rund um die Uhr verfügbar sein müssen, nur weil das Smartphone rund um die Uhr SMS oder Botschaften absenden kann.

Gleichzeitig müssen wir auch die Chancen der Digitalisierung nutzen. Wir müssen vor allen Dingen in Bildung und Qualifizierung investieren. Wer in diesen Tagen auf der IAA war und sieht, wie der Anteil der Software an einem Automobil wächst, der weiß, dass hier auch die verschiedenen Welten – die virtuelle Welt und die Welt der realen Produktion – ineinander übergehen und miteinander verwachsen. Niemand von uns weiß bereits ganz genau – mir jedenfalls geht es so –, wie wir die Regeln in einer solchen Welt vernünftig gestalten können. Aber ich denke, wir müssen intensiv daran arbeiten. Deshalb bedanke ich mich für Ihre Initiativen.

Ein dritter Punkt ist die Energiewende. Wir wollen die Wende hin zu erneuerbaren Energien schaffen. Im Dezember wird die Klimakonferenz in Paris stattfinden. Diese Konferenz soll und muss ein Erfolg werden. Wenn das 21. Jahrhundert ein Erfolg sein soll, wenn wir den Anstieg der durchschnittlichen Temperatur um zwei Grad in Bezug auf die Anfänge der Industrialisierung begrenzen wollen, dann muss dies ein Jahrhundert der weitestgehenden Dekarbonisierung werden. Das ist eine immense Herausforderung.

Sachsen und Sachsen-Anhalt haben Braunkohlereviere. Wir wissen, was das für die Arbeitsplätze bedeutet. Ich denke, wir haben jetzt gute Lösungen entwickelt, um an die Beschäftigten gleichermaßen wie an die Umwelt zu denken. Wir müssen unsere gesamte Energieinfrastruktur umstrukturieren: Leitungsbau, Hochspannungsleitungen, Gleichstromleitungen. Ich weiß nicht, wie ver.di dazu steht. Wahrscheinlich im Grundsatz Ja, aber im Detail öfter auch einmal Nein. Aber damit sind Sie sozusagen aus der Mitte des Volkes. Das kommt überall vor. Aber wir brauchen natürlich eine neue Infrastruktur, wenn wir die erneuerbaren Energien dorthin bringen wollen, wo Energie verwendet wird. Das leuchtet jedem ein. Wir brauchen preisgünstige Energie. Gleichzeitig müssen wir in den Ausbau der erneuerbaren Energien investieren.

Meine Damen und Herren, all das bedeutet: Bildung und Qualifizierung, Aus- und Weiterbildung sind zentrale Bausteine der Arbeit einer Gewerkschaft, aber auch der Politik. Lebenslanges Lernen – das steht nicht mehr nur auf dem Papier, es ist Teil des digitalen Wandels und Teil des Wandels in unserer Gesellschaft. Deshalb möchte ich mich dafür bedanken, dass wir aus der Allianz für Ausbildung, in der der DGB nicht mitgemacht hatte, nun eine Allianz für Aus- und Weiterbildung mit den Gewerkschaften gemacht haben. Denn sie haben sich immer, egal ob sie an dieser Allianz mitgearbeitet haben oder nicht, unglaublich viel für Ausbildung, aber auch für Weiterbildung eingesetzt. Dafür ein herzliches Dankeschön! Vielen, vielen jungen Menschen hat das geholfen und wird das helfen.

Meine Damen und Herren, es bleibt mir nur, Ihnen, die Sie das Motto „STÄRKE. VIELFALT. ZUKUNFT“ auf Ihre Art interpretieren werden, spannende und erfolgreiche Tage zu wünschen sowie gute Diskussionen, die den großen Herausforderungen gerecht werden. Die Welt um uns herum schläft nicht, sie ist in Bewegung. Viele Menschen auf dieser Welt wollen Lebensbedingungen, wie wir sie haben – und das mit Recht. Das heißt, wir müssen uns einem fairen Wettbewerb stellen.

Viele Menschen beneiden uns auch um das System der Partnerschaft – der Partnerschaft zwischen Politik und Tarifpartnern sowie der Tarifpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Gerade in der internationalen Finanzkrise konnten wir das sehen. Aber ich denke, gerade auch jetzt, da wir das große Problem haben, wie wir den Flüchtlingen, die eine Bleibeperspektive bei uns haben, eine gute Zukunft schaffen können, ist es wieder wichtig, zu wissen: in wichtigen Stunden haben wir immer auch gemeinsame Aktivitäten entwickelt. Das soll so bleiben. Ich jedenfalls möchte meinen Teil dazu beitragen. Das sage ich im Namen der ganzen Bundesregierung.

Nochmals herzlichen Dank dafür, dass Sie mich eingeladen haben!