Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich des Besuchs bei der Firma Roche Diagnostics GmbH am 5. Mai 2014

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Sehr geehrter Herr Franz,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Horst Seehofer,
sehr geehrte Frau Staatsministerin Huml,
sehr geehrter Herr Kollege, lieber Alexander Dobrindt, hier heute als Wahlkreisabgeordneter – ein toller Wahlkreis, es gibt noch mehr schöne Wahlkreise, ich muss auch etwas für meinen eigenen tun, aber ich bin heute erst einmal gerne hier ,
meine sehr verehrten Damen und Herren und
sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier im Saal, aber auch an all den Standorten von Roche in Deutschland, die uns jetzt vielleicht folgen,

Ihr Unternehmen versteht sich selbst – so ist mir gesagt worden – als Powerhouse. Das hat auch seine Berechtigung. Wenn ich meinen kleinen Eindruck hier nehmen kann – das, was ich eben gesehen und erklärt bekommen habe –, dann zeigt das, was von der Firma Roche an Maßstäben gesetzt wird. Aber auch, was von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Leidenschaft vorangebracht wird, das ist schon toll. Sie sind gut ausgebildet, haben eine spannende Tätigkeit und sind dazu noch an vielen Stellen an der Spitze dessen, was in ihrem Arbeitsfeld auf der Welt vor sich geht. Und dann ist es noch ein Arbeitsplatz mit dem Zweck, auch in Zukunft anderen Menschen zu helfen. Das ist eine sehr, sehr gute Kombination.

Was ich mir hier anschauen konnte, zum Beispiel zur Blutkrebstherapie, zeugt absolut von der Innovationskraft des Unternehmens. „Forschung für die Medizin von morgen“ – unter diesem Motto wird bei Roche gerade auch im Hinblick auf die Volkskrankheiten sehr, sehr viel gemacht, in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die Volkskrankheit Krebs. Es wird daran gearbeitet, die Lebensqualität zu verbessern.

Roche gehört als Schweizer Traditionskonzern – das müssen wir ja zugeben –, aber mit tollen Standorten in Deutschland zu den Top-Fünf der Pharmaunternehmen weltweit. Wenn man sieht, wie groß die Konkurrenz ist, dann weiß man, dass wir gut daran tun, in Europa alles daranzusetzen, auch solche wirklich weltweit führenden Unternehmen in Europa zu haben. Sie sind Weltspitze in den Bereichen Biotechnologie, Onkologie und In-vitro-Diagnostik. Dass 14.000 Mitarbeiter in Deutschland an dieser Erfolgsgeschichte mitschreiben, ist eine tolle Botschaft. Die 5.000 Mitarbeiter in Penzberg verstärken Bayern und bayerische Qualitäten. Es freut mich, dass Sie sich hier besonders wohlfühlen. Sie setzen die Standards von morgen und sind damit ein gutes Aushängeschild für den Pharmastandort Deutschland insgesamt.

Die jüngsten Investitionen zeigen, dass Sie Vertrauen in die Standorte in Deutsch-land haben, dass Sie glauben, dass man in den nächsten Jahren mehr machen kann. Das, was allein seit 1998 hier investiert wurde, das ist jetzt schon mehrfach gesagt worden. Es zeigt sich, wie vielen Patientinnen und Patienten geholfen wer-den konnte, aber auch, wie sich die Dinge weiterentwickelt haben. Dass auch in den nächsten Jahren klare Investitionen getätigt werden, freut mich natürlich sehr.

Penzberg ist sicherlich ein Beispiel für möglichen Wandel. Es wird ja immer wieder vergessen, dass es Bayern nicht in die Wiege gelegt war, dass es im 21. Jahrhundert an vorderster Stelle mitwirtschaftet. So ist dieser Standort Penzberg sicherlich ein Lehrbuchbeispiel für das, was getan werden kann – auch in kluger Kooperation von Ideen auf der einen Seite, aber eben auch Engagement einer Staatsregierung auf der anderen Seite.

Strukturwandel erfolgreich zu bewältigen, das heißt auch, immer schon ans nächste und übernächste Jahr zu denken und sich zu fragen: Was müssen wir an Rahmenbedingungen schaffen, um Forschung und Entwicklung möglich zu machen? Eine Region kann – das ist auch eine Botschaft an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – nur dann Heimat für viele, auch für Familien bleiben, wenn man an der Arbeit der Zukunft teilhat. Das ist hier nun in einer ganz beachtlichen Art und Weise gelungen.

Ich habe mir eben beim Besuch der Entwicklungsabteilung noch einmal selbst vor Augen geführt, wie sehr die Dinge zusammenhängen. Wenn bestimmte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Deutschland nicht mehr stattfinden, werden auch diejenigen einen Nachteil haben, die die Maschinen für diese Dinge entwickeln. Ich habe in diesem Zusammenhang gleich gelernt, dass man nicht nur engste Beziehungen in die Kliniken hat, um bestimmte Dinge sofort an Patientinnen und Patienten heranzutragen, zu testen und weiterzuentwickeln, sondern dass man natürlich auch immer ein Standbein bei den Ausrüstern haben muss. Die Kette der Zusammenarbeit muss also wirklich gut und vernünftig funktionieren. Das bedeutet auch, dass solche Unternehmen absolut kooperative Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen, die in alle Richtungen immer wieder Kontakte knüpfen.

Es ist schon beeindruckend, wenn man sieht, wie – in diesem Fall muss ich es aus-sprechen, lieber Horst Seehofer – in Köln, also außerhalb der bayerischen Grenzen, an dieser Stelle eine ganz enge Zusammenarbeit herrscht. Aber ich habe mir auch das Augsburger Klinikum mit einem perfekten Roche-Labor zeigen lassen, sodass die bayerische Seele wieder zufriedengestellt sein sollte.

Meine Damen und Herren, was kann die Politik beitragen? Wir haben uns im Jahr 2005, als ich Bundeskanzlerin wurde, in der ersten Großen Koalition entschieden: Wir wollen das Ziel, das wir uns in Europa alle vorgenommen haben, nämlich drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben, schrittweise erreichen. Wir haben das getan. Hier sind wir in einem ganz forschungsintensiven Bereich. Ihre Prozentzahlen erreichen natürlich nur wenige Unternehmen.

Die drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung teilen sich so auf, dass zwei Drittel von der Wirtschaft in Forschung und Entwicklung investiert werden, und ein Drittel müssen Bund und Länder beitragen. Wir freuen uns, dass wir es mit unserem Anteil jetzt gemeinsam mit der Wirtschaft geschafft haben, dass wir diese drei Prozent wirklich erreichen. Das müssen wir auch, denn als neu-lich die südkoreanische Präsidentin bei mir zu Gast war, konnte sie berichten, dass sie in Korea mehr als vier Prozent ausgeben.

Wenn man sich einmal anschaut, welche dynamischen Entwicklungen gerade auch im asiatischen Bereich erfolgen, dann wissen wir, dass die Welt nicht auf uns wartet. Deshalb ist es so unglaublich wichtig, dass wir unsere Kräfte zwischen den verschiedenen Sparten bündeln und zwischen der Politik und den Unternehmen, die uns auch die Richtung vorgeben.

Mit unserer Hightech-Strategie, die jetzt zu einer ressortübergreifenden Innovationsstrategie ausgearbeitet und weiterentwickelt werden soll, haben wir den richtigen Akzent gesetzt. Was bedeutet die Hightech-Strategie? Wir haben etwa 20 Bereiche der Wissenschaft und Forschung genommen und eine ganz klare Analyse gemacht: Wo steht Deutschland? Wo müssen wir aufholen zum Weltmarkt. Und wo sind wir Weltspitze? Wir haben dann in Kooperation mit der Wirtschaft und den Forschungsinstitutionen festgelegt: Wo wird in welcher Art und Weise investiert?

Wir stellen weltweit fest, dass das Denken in Clustern, also Kombinationen von Unternehmen, Forschungseinrichtungen, politischen Förderungen, immer mehr zu-nimmt. Deshalb ist es auch für die Gesundheitsforschung, wenn wir da Weltspitze bleiben wollen, existenziell, dass wir dieses kombinierte Denken wirklich ins Handeln überführen können. Deshalb reden wir ziemlich viel über eine Änderung von Art. 91b des Grundgesetzes – dass auch überregionale Forschungszentren mit Universitäten zusammenarbeiten müssen. Wenn das nicht passiert, wird die Forschung nicht die notwendige Kombination von akademischem Bereich, unternehmerischem Bereich und außeruniversitären Forschungseinrichtungen schaffen.

Bei allem Respekt vor dem Humboldt’schen Gedanken der Ausbildung: Der Forschungsgedanke in den Universitäten muss stark bleiben. Das kann er nur, wenn es eine klare Kombination mit der außeruniversitären Forschung gibt. Dazu müssen auch Bund und Länder in neuer Weise zusammenarbeiten.

Die Gesundheitsforschung ist ein Schwerpunkt in unserer Hightech-Strategie. Wir haben für sie bis 2014 bereits 5,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Da ist es dann ganz wichtig, dass wir gute Unternehmen und natürlich auch gute Forschungseinrichtungen haben, die uns sagen, in welchen Bereichen konkret investiert werden muss. Die Gesundheitsforschung wird strategisch weiterentwickelt. Einer der großen Schwerpunkte ist zum Beispiel die Krebsforschung, aber auch die Forschung an anderen Volkskrankheiten. Die entsprechenden Zentren dazu sind gebildet.

Natürlich hängen die einzelnen Fachbereiche miteinander zusammen. Das heißt, ohne die Biotechnologie wird es Fortschritte in der Gesundheitsforschung nicht geben können. Deshalb ist Penzberg auch eines der größten Biotechnologiezentren in Europa. Ich habe gehört, es ist wohl das größte Biotechnologiezentrum in Europa. Das ist natürlich ein wirkliches Aushängeschild. Im Rahmen der „Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“ stellen wir seitens des Bundes zwischen 2011 und 2016 noch einmal 2,4 Milliarden Euro für die Forschung und Entwicklung der Biotechnologie zur Verfügung. Es wird jetzt darauf ankommen, dies auch vernünftig mit den Investitionen zu koppeln, die Sie im wirtschaftlichen Bereich tätigen.

Im Übrigen müssen wir schauen, dass unsere nationale deutsche Forschungs- und Entwicklungsstrategie auch Impulse nach Brüssel gibt, zu den europäischen Vor-haben. Denn es gibt eine ganze Reihe von Bereichen, in denen wir als einzelnes Land überhaupt nicht mehr in der Lage sein werden, es an die Weltspitze zu schaffen. Es ist ja gerade der Vorteil eines europäischen Binnenmarkts, dass wir damit ein Gewicht bekommen, das zum Beispiel dem US-amerikanischen Markt durchaus vergleichbar ist.

Da ist es wichtig, dass es Exzellenz gibt, dass die Auswahlkriterien so sind, dass wirklich Weltspitze gefördert wird. Ich freue mich, dass wir gerade im Gesundheits-bereich noch viele, viele Ansatzpunkte dazu haben, wenngleich ein kritischer Blick zeigt: Die Bedeutung der europäischen Pharmaforschung und der europäischen Pharmaindustrie hat nicht ausreichend zugenommen – wenn ich das jetzt einmal sagen darf –, wenn man wirklich ehrgeizig ist. Deshalb hat Herr Franz ja auch da-rauf hingewiesen, dass ein Dialog mit der Politik durchaus notwendig ist. Denn Sie betreiben Hochrisikoentwicklung in dem Sinne, dass bei Beginn einer Forschung überhaupt noch nicht klar ist, was nach zehn, zwölf, dreizehn Jahren herauskommt.

Wenn ich mir manche Patentdiskussion anschaue, die darauf drängt, dass möglichst vieles schnell in den Generika-Bereich überführt wird, dann ist das sicherlich im Sinne der Kosteneffizienz sehr wichtig. Wir müssen als Politiker ja auch darauf achten, dass unser Gesundheitssystem für jeden weiterhin jede Leistung anbieten kann. Das heißt, Kosteneffizienz spielt schon eine Rolle. Aber wenn wir eigene Entwicklungen haben wollen, dann müssen wir der forschenden Pharmaindustrie auch die entsprechenden Beratungen zubilligen.

Dazu will ich zwei Bemerkungen machen:

Das eine ist, dass ich als Bundeskanzlerin gern bereit bin, diesen berechtigten An-liegen zu folgen, und deshalb ja auch wieder ein Dialog mit der Pharmaindustrie stattfinden wird. Ich soll noch nicht so viel Konkretes sagen, hat man mir aufgeschrieben, weil das alles noch in der Abstimmung zwischen den Ressorts ist, aber wir arbeiten daran. Sie kennen die Koalitionsvereinbarung.

Das zweite ist aber auch, dass ich Sie bitte, transparent mit Ihrem Fortschritt umzugehen. Wir haben auch erlebt, dass kleinste Veränderungen als totale Neuheiten – ich rede nicht von Roche, aber es ist sonst schon mal vorgekommen – vermarktet werden. Wenn die Politik einmal diesen Eindruck hat – es ist für uns sehr schwer, Innovation von Innovation zu unterscheiden –, dann ist die Gefahr, dass Sie langfristig dadurch mehr Nachteile haben, weil wir dann wieder Maßnahmen ergreifen, die vielleicht nicht sachgerecht sind, sehr hoch. Deshalb lebt der Pharmastandort Deutschland, in diesem Falle sage ich auch: Europa – denn die Schweizer sind ja in die europäische Forschungsentwicklung eng einbezogen – davon, dass wir transparent sind und uns ehrlich austauschen können. Denn nicht jeder Politiker kann zum Fachexperten für die neueste medizinische Entwicklung werden.

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, an Sie möchte ich mich zum Abschluss wenden. Sie sind es, die das Ganze möglich machen. Solche Weltspitzenleistungen kann man nur schaffen, wenn man wirklich viel darüber nachdenkt, mit Elan dabei ist, die Arbeit schätzt und gerne macht. Das kann man nicht per Knopfdruck befehlen. Entweder haben Menschen Spaß und Freude an einer solchen Tätigkeit oder nicht. Wenn man für andere Menschen und die Wirkung im Gesundheitsbereich arbeitet, dann ist man ja schon am praktischen Ende dessen, was so erforscht und entwickelt werden kann. Das heißt, Sie sehen sehr oft, welche direkten Erfolge Sie mit Ihren Arbeiten schaffen. Deshalb ist es gewiss eine sehr erfüllende, sehr spannende und interessante Arbeit.

Ich habe mich eben erkundigt und erfahren, dass es deutlich mehr Bewerbungen gibt, als Auszubildende angenommen werden können, aber es freut mich, dass Sie die Zahl der Auszubildenden erhöht haben. Wir brauchen gut ausgebildete junge Leute. Im Übrigen werden es nicht mehr junge Leute in Deutschland, sondern in den nächsten Jahren erst einmal weniger. Das heißt, mit jedem, den Sie schon ausgebildet haben, stärken Sie auch Ihre eigene Firma.

Wir unsererseits wollen alles dafür tun, dass das Arbeitsumfeld hier weiterhin so sein kann, wie es heute ist. Dafür sorgt im Wesentlichen natürlich die Bayerische Staatsregierung, aber der Bund will auch seinen Teil dazutun.

Herzlichen Dank, dass wir heute hier sein können. Alles Gute für Sie. Viel Spaß, viel Elan, viel Erfolg. Herr Franz, Ihnen wünsche ich eine glückliche Hand bei all den Entscheidungen, die Sie zusammen mit denen, die das Unternehmen auf deutscher Seite führen, zu treffen haben. Herzlichen Dank.