Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde des Technion – Israel Institute of Technology am 10. Oktober 2021 in Jerusalem

Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde des Technion – Israel Institute of Technology am 10. Oktober 2021 in Jerusalem

Sonntag, 10. Oktober 2021 in Jerusalem

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Professor Uri Sivan,
sehr geehrter Herr Vorsitzender des Technion-Rates, lieber Gideon Frank,
sehr geehrter Herr Professor Wolf,
Exzellenzen,
Botschafter,
meine Damen und Herren,

ich möchte mich ganz herzlich für den freundlichen Empfang bedanken. Und ich möchte mich auch dafür bedanken, dass Sie die Reise von Haifa hierher, nach Jerusalem, gemacht haben. Die Entscheidung des Rates liegt ja schon eine Weile zurück. Wir haben oft hin und her überlegt, wann die Verleihung stattfinden kann. Dann kam auch noch Covid-19 dazwischen; und die Reisemöglichkeiten wurden noch enger. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute nun doch auf israelischem Boden diese Verleihung vornehmen können. Ich weiß aber zu schätzen – Wissenschaftler sind sehr beschäftigt –, dass Sie sich die Zeit auch für diese Reise genommen haben.

Ich bin sehr tief bewegt und dankbar dafür, dass Sie mir die Ehrendoktorwürde des Technion, des Israel Institute of Technology, verleihen. Damit darf ich nun Ihrer traditionsreichen Hochschule eng verbunden sein. Sie haben ja eben noch einmal dargelegt, welche Verbindungen es gibt. Diese lassen mich als in meiner früheren Wissenschaftszeit sehr irdische Wissenschaftlerin erbleichen; denn Albert Einstein zu verstehen, war schon immer eine große Sache, aber zu sehen, dass man mit ihm sozusagen auch noch durch das Technion verbunden ist, ist eine wirklich bewegende Sache. Aber ich denke, diese Auszeichnung unterstreicht auch die besondere Verbundenheit unserer beiden Länder Israel und Deutschland.

Schon 36 Jahre vor der Gründung des Staates Israel waren nicht zuletzt deutsche Juden am Aufbau des „Technikums“, wie das Institut anfangs hieß, beteiligt. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass damals sehr viele sich vom Traum einer jüdischen Heimat leiten ließen und in die Zukunft investierten. Das war zu einer Zeit, als Juden vielerorts in der Welt der Zugang zu technischen Studien verwehrt war. In Haifa aber wurden damals schon die wissenschaftlichen Grundlagen vermittelt, die für den Aufbau eines Staates Israel unabdingbar waren. – Das, wofür Israel auch heute bezüglich seiner Leistungsfähigkeit bekannt ist, ist ja genau diese wissenschaftliche Fähigkeit, diese technische Fähigkeit. – Deshalb war das damals ein wirklich kühnes Unterfangen, ein visionäres Unterfangen. Aber wir wissen, dass es heute reiche Früchte trägt und auch schon vorher eine Weile lang trug. Mit dem Grundstein für das Technion war also gleichsam der Grundstein für die Hightech-Nation Israel gelegt.

Nicht unerwähnt lassen dürfen wir natürlich, dass in den 1930er Jahren viele Juden im Technion Aufnahme fanden, denen in Deutschland während des Nationalsozialismus Verfolgung und Ermordung drohten. Nach dem Zivilisationsbruch der Shoa schien es undenkbar zu sein, Beziehungen zwischen Israel und Deutschland zu knüpfen. Dass trotzdem 1965 diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden, gleicht für mich auch heute noch einem Wunder.

Ich komme gerade von einem Besuch in Yad Vashem. Dort wird uns vor Augen geführt, was damals passiert ist. Sie dürfen davon ausgehen, dass meine Bundesregierung – aber auch jede zukünftige Bundesregierung – sich der Verantwortung für die Shoa bewusst sein wird.

Die Annäherung auf dem Weg der Wissenschaft erfolgte schneller als auf dem politischen Weg. Sie war sozusagen eine Vorreiterin. Die ersten Kontakte gab es bereits Anfang der 1950er Jahre und führten schließlich zu einer Israelreise einer Delegation der Max-Planck-Gesellschaft, zu der das Weizmann Institute of Science 1959 eingeladen hatte. Das war der Auftakt zu umfassenden Kooperationen in den Folgejahren.

Aus der gemeinsamen Überzeugung, dass Austausch und Zusammenarbeit wissenschaftlichen Fortschritt fördern, wurde eine gemeinsame Erfahrung – eine Erfahrung, die Sie auch hier im Technion machen. In Haifa betreiben Israelis und Deutsche gemeinsam Forschung auf höchstem Niveau, in Ingenieurswissenschaften wie auch in Natur- und Lebenswissenschaften. Am Technion sind zwei der 22 Minerva-Forschungszentren eingerichtet, die es in Israel gibt und die vom Weizmann-Institut mit gefördert werden.

Besonders wichtig finde ich, dass sich auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs gute Möglichkeiten zum Austausch bieten, zum Beispiel über das Life Science Netzwerk. Es fördert und ermöglicht Forschungsaufenthalte deutscher und israelischer Studierender und Doktoranden im jeweils anderen Land. Ich glaube, wir sind uns einig, dass sich dieses Programm seit Jahren einer großen Beliebtheit erfreut – inzwischen einer so großen Beliebtheit, dass es das Bundesland Niedersachsen mittlerweile für alle Hochschulfachbereiche fortführt. Das ist also auch eine Initiative von Bund und Bundesländern in Deutschland.

Wie wichtig gute internationale Zusammenarbeit in der Forschung ist, zeigt uns natürlich auch die Coronaviruspandemie. Die Schnelligkeit, mit der Impfstoffe erforscht und entwickelt wurden und mit der wir jetzt auch Erfahrungen darüber sammeln, wie diese Impfstoffe wirken, ist beispiellos. Wir haben in einer Mischung aus Bewunderung und auch ein bisschen Sehnsucht darauf, dass es bei uns auch so schnell gehen möge, der Impfkampagne in Israel zugeschaut. Aber wir bewundern vor allen Dingen, wie Sie hier Daten sammeln und damit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Impfwirkung weltweit dienen. Das ist ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen das Virus. Allein am Technion wird in 50 Laboren an Lösungen zur Bekämpfung der Pandemie geforscht. Aber auch bei vielen anderen Entwicklungen und Innovationen blicken wir natürlich mit großem Interesse nach Israel.

In meiner Amtszeit als Bundeskanzlerin war es mir stets wichtig, Wissenschaft und Forschung zu fördern – nicht nur, weil ich von der Ausbildung her Physikerin bin, sondern auch als Politikerin. Dass es wissenschaftliche Erkenntnisse sind, die technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt antreiben und häufig erst ermöglichen, hat, glaube ich, niemand so treffend zum Ausdruck gebracht wie der erste Präsident des Staates Israel, Chaim Weizmann: „Intelligenz ist der einzige Rohstoff, über den wir verfügen.“ Das sagte er; und das gilt nicht nur für Israel, sondern es gilt im Wesentlichen auch für Deutschland. Ich habe daher auch immer wieder Ihre Ausgaben hier im Lande für Forschung und Entwicklung als Beispiel erwähnt, um sie auch in Deutschland zu steigern.

Intelligenz ist eine Ressource – und Ihr Institut, das Technion, trägt maßgebend dazu bei, dass es auch eine sich immer wieder erneuernde Ressource bleibt. Im Gegensatz zu anderen Rohstoffen gehen Intelligenz und Wissen ja nicht zur Neige, wenn wir sie nutzen und fördern und wenn wir ordentlich arbeiten und forschen.

Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Welt voller Fragestellungen ist, die wir noch zu beantworten haben. Das Virus und die Pandemie gehören dazu. Es gibt den Klimawandel, die Digitalisierung, die Globalisierung. Angesichts all dessen ist es wirklich geboten, wissenschaftlichen Sachverstand und Ressourcen international zu bündeln und Synergien zu schaffen. Es ist allerdings auch geboten, dass Politik wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt. Auch wenn man alles darüber weiß, aber trotzdem nicht danach handelt, nutzen sie nichts.

Ich freue mich jedenfalls über die vielfältigen Wissenschaftskooperationen zwischen Israel und Deutschland. Und ich bin dankbar dafür, dass unsere beiden Länder auch über wissenschaftliche Beziehungen hinaus eine enge Partnerschaft pflegen. Ich darf das heute auch hier mit der Gastfreundschaft der israelischen Regierung wieder erleben. Wir haben seit 2008 insgesamt sieben deutsch-israelische Regierungskonsultationen durchgeführt. Das ging zurück auf einen Vorschlag eines früheren Botschafters in Deutschland, nämlich von Herrn Stein, der sagte: Lasst uns unsere Beziehungen doch auf etwas breitere Grundlagen stellen. – Wir haben das gemacht. Heute konnten wir zwar keine weitere Regierungskonsultation durchführen, aber ich durfte an einer Sitzung des israelischen Kabinetts teilnehmen. Das war mir natürlich eine außerordentliche Ehre. Ich freue mich, dass so viele Frauen wie noch nie im israelischen Kabinett sind. Die Diversität des Kabinetts übersteigt die Diversität deutscher Koalitionsregierungen. Trotzdem ist ja offensichtlich Zusammenarbeit möglich.

Meine Damen und Herren, über die Jahre und Jahrzehnte hinweg scheint uns eine enge deutsch-israelische Zusammenarbeit selbstverständlich geworden zu sein. Doch das ist sie nicht. Wir dürfen eben nicht vergessen, dass Deutschland nur im Bewusstsein seiner immerwährenden Verantwortung für den Zivilisationsbruch der Shoa eine wirklich gute Zukunft gestalten kann. Wir wissen aber angesichts bitterer Vorfälle, die es gerade in den letzten Tagen wieder in Deutschland gegeben hat, dass Phänomene wie Antisemitismus, Gewalt und Hass eben nicht aus der Welt verschwunden sind und dass Lehren aus der Geschichte nicht dafür ausreichen, dass solche Vorfälle heute nicht mehr vorkommen.

Die gewachsene und gefestigte Partnerschaft unserer beiden Länder gründet auf dem Engagement sehr vieler Frauen und Männer in der Politik, der Kultur, der Wirtschaft und natürlich der Wissenschaft. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie im Technion mit Ihrer Forschungsarbeit jeden Tag einen wichtigen Beitrag zu leisten. Sie leben, beleben und teilen wissenschaftliche Exzellenz. Sie bringen immer wieder Menschen zusammen und tauschen sich aus. Sie bauen damit Brücken des Vertrauens und des Fortschritts.

Nun bin ich Ihrer Hochschule durch diese Ehrendoktorwürde verbunden. Das ist – ich will das abschließend noch einmal sagen – für mich eine große Ehre. Wenn es meine Gesundheit zulässt, dann werde ich – so habe ich es all denen, die mir schon eine Ehrendoktorwürde verliehen haben, versprochen; und das gilt jetzt auch für das Technion in Haifa – noch einmal kommen, um auch mit Studierenden zu sprechen und zu diskutieren. Ich glaube, das gehört auch dazu, also dass man nicht einfach nur eine Urkunde nach Hause trägt, sondern auch versucht, ein bisschen zu verstehen, was die akademische Welt ist und die Welt der jungen Menschen, die dort studieren.

Dem Technion und allen, die hier arbeiten, forschen, lehren und studieren, wünsche ich weiterhin alles erdenklich Gute und viel Erfolg. Dass ein Nobelpreisträger heute hier dabei ist, zeigt ja, auf welch hohem Niveau Sie arbeiten. Auch dazu gratuliere ich Ihnen. Alles Gute und hoffentlich irgendwann auf ein Wiedersehen. Vielleicht wird es nicht so lange wie zwischen 2016, der Entscheidung des Rates, und dem heutigen Tag dauern, bis das möglich wird, aber ich freue mich, dass es heute gelungen ist.

Herzlichen Dank.

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