Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich der Nationalen Luftfahrtkonferenz 2021 am 18. Juni 2021 (Videokonferenz)

Sehr geehrte Herren Ministerpräsidenten, lieber Michael Kretschmer und lieber Dietmar Woidke,
sehr geehrte Herren Bundesminister, lieber Peter Altmaier und Andreas Scheuer,
verehrte Damen und Herren,

ich freue mich natürlich sehr, dass ich heute mit Ihnen die zweite Nationale Luftfahrtkonferenz eröffnen darf. Es freut mich auch, dass ich Sie immerhin virtuell aus dem Bundeskanzleramt am neuen Hauptstadtflughafen „Willy Brandt“ begrüßen darf. Wir haben lange auf die Eröffnung gewartet. Als der BER richtig hätte durchstarten können, wurde er von der Pandemie ausgebremst.

COVID-19 war für die Luftfahrt ein existenzielles Problem – vor allem mit Blick auf den Personenverkehr. Die Luftfracht hat weniger unter der Pandemie gelitten. Sie hat durchgängig einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Lieferketten und zur Versorgung der Bevölkerung geleistet. Auch wenn die Luftfracht seit September 2020 wieder an Schub gewinnt, hat die Luftfahrt insgesamt noch immer mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen. Immerhin konnten wir das Schlimmste verhindern, wobei neben massiver staatlicher Unterstützung auch die Flexibilität der Unternehmen und Beschäftigten entscheidend war. Dafür möchte ich ein herzliches Dankeschön sagen.

Die Aussichten hellen sich zusehends auf. Mit weiterem Impffortschritt gewinnt die Reisetätigkeit wieder an Fahrt. Dabei spielen natürlich Test- und Nachweiskonzepte immer noch eine wichtige Rolle. Denn das Virus ist ja nicht verschwunden. Wir beobachten insbesondere die länderspezifischen Risiken und Virusvarianten weiter sehr genau. So können wir schnell einschätzen, ob es vertretbar ist, bestimmte Flugverbindungen wieder zu ermöglichen. Aus diesem und natürlich aus vielen anderen Gründen ist es wichtig, Impfungen nicht nur als nationale Frage zu betrachten. Die Pandemie wird erst vorbei sein, wenn alle Menschen einen Zugang zu Impfstoffen haben.

Die Pandemie hat zwar seit über einem Jahr die Schlagzeilen beherrscht. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass es auch andere und längerfristige große Herausforderungen gibt. Daher genügt es nicht, die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise irgendwie zu bewältigen, sondern es muss auch darum gehen, dass die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Erholung auch an unseren Klimazielen ausgerichtet werden. Denn wo auch immer auf der Welt – mehr und mehr bedroht der Klimawandel unsere Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen. Die Antwort darauf kann nur eine umfassende Transformation sein, die eben auch die Luftfahrtindustrie betrifft. Dankenswerterweise wird das ja auch bei dieser Konferenz im Mittelpunkt stehen.

Die internationale Staatengemeinschaft hat sich darauf verständigt, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Wir haben uns in der Koalition darauf geeinigt, bis 2045 in Deutschland Klimaneutralität erreichen zu wollen. Die ganze Europäische Union möchte dieses Ziel bis 2050 erreichen. Das bedeutet natürlich, dass die Dekarbonisierung aller Wirtschaftszweige keinen Aufschub mehr duldet.

Wie für andere Branchen ist Klimaneutralität auch für die Luftfahrt ein sehr ehrgeiziges Ziel. Man darf wohl zu Recht sagen, dass das auch disruptive Neuerungen erfordert – sei es beim Flugzeugbau, bei den Antriebstechnologien oder der Infrastruktur; und das nicht irgendwann, sondern so schnell wie möglich, weil ja die Produktzyklen in der Luftfahrt sehr lang sind.

Einiges erscheint uns heute noch wie Zukunftsmusik. Aber so manches, das früher utopisch klang, wurde ja auch schon mehr und mehr zur Realität. So hat etwa der Schriftsteller Jules Verne schon vor fast 150 Jahren vorhergesagt – ich möchte ihn zitieren –: „Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. (…) Wasserstoff und Sauerstoff werden auf unabsehbare Zeit die Energieversorgung der Erde sichern.“ Passend dazu haben wir erst vor wenigen Tagen ein Wasserstoffabkommen zwischen Deutschland und Australien unterzeichnet. Auch das ist eines der Beispiele dafür, dass wir wissen: Wir brauchen Innovationen, um emissionsfreies Fliegen zu erreichen.

Wir als Bundesregierung haben dafür Mittel umgewidmet und in der Luftfahrtforschung Konzepte für Antriebe auf Basis von Wasserstoff und für hybridelektrisches Fliegen ermöglicht. Vor einem Jahr haben wir die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Wir fördern die Bereitstellung von Technologien und Infrastrukturen, die eben auch in der Luftfahrt eine besondere Rolle spielen.

Dazu gehört natürlich auch die Erzeugung von grünem Wasserstoff. Hier wird der Wettbewerb mit zunehmender weltweiter Nachfrage nach wasserstoffbasierten Treibstoffen deutlich anwachsen. Daher haben wir Vorschläge im Rahmen eines sogenannten „Wichtigen Projekts gemeinsamen europäischen Interesses“, IPCEI, angestoßen.

Für Langstreckenflüge können nachhaltige Flüssigkraftstoffe, Power to Liquid, eine Lösung sein. Schon jetzt lässt sich in jedem Flugzeug grünes Kerosin beimischen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Ich darf sagen: Es freut uns natürlich besonders, dass deutsche Unternehmen hierbei vorne mit dabei sind.

Die Bundesregierung hat sich für eine ambitionierte Umsetzung der zweiten Richtlinie für erneuerbare Energien eingesetzt. Ziel ist eine steigende PtL-Kerosinquote von 0,5 Prozent ab 2026 bis auf zwei Prozent ab 2030. Das heißt, dass dann jährlich mindestens 200.000 Tonnen nachhaltigen Kerosins für den deutschen Luftverkehr produziert werden sollen. Derzeit aber lassen Preise und Menge noch zu wünschen übrig. Wir müssen also zu wettbewerbsfähigen Konditionen kommen. Dazu dient die Power-to-Liquid-Roadmap, auf die sich Bundesregierung, Länder und Wirtschaft verständigt haben. Mit Forschung, einheitlichen Rahmenbedingungen und umfassender Förderung kann der PtL-Markthochlauf gelingen. Davon sind wir überzeugt.

Zum grünen Fliegen gehört im Übrigen auch, das Zusammenspiel zwischen Flugzeug und Bahn und damit also die Bahnanbindung der Flughäfen an den Fernverkehr zu verbessern.

Um unsere globalen Klimaziele zu erreichen, bedarf es natürlich auch geeigneter europäischer und internationaler Instrumente. Die Bundesregierung setzt sich daher für eine Stärkung des EU-Emissionshandels im Luftverkehr und für eine ambitionierte Gestaltung von CORSIA – das heißt nichts anderes als Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation – ein. Wichtig ist, dass sich ein europäisches und ein internationales System möglichst gut ergänzen. Schließlich geht es darum, kosteneffizienten Klimaschutz zu ermöglichen und dabei Verzerrungen im Wettbewerb und Doppelbelastungen zu vermeiden.

Aber es ist auch klar: Mit all dem ist eine sehr anspruchsvolle Transformation für den Flugzeugbau und die Luftfahrt in Deutschland verbunden. Natürlich macht man sich auch bei Airbus Gedanken über die Perspektive des Unternehmens. Und natürlich ist das auch immer mit Sorgen um Arbeitsplätze verbunden. Richtig ist aber auch: Wir haben in Deutschland wettbewerbsfähige Airbus-Standorte. Ich bin davon überzeugt, dass bei aller notwendigen Neuausrichtung die Kompetenzen der Standorte und der Mitarbeiter auch im Konzern Anerkennung erfahren müssen.

Eine gute Nachricht für den Luftfahrtsektor insgesamt ist jedenfalls die Einigung mit der neuen US-Administration, die gegenseitigen Strafzölle für fünf Jahre auszusetzen. Diese Zeit muss genutzt werden, um den langen Handelsstreit um den Luftverkehr dauerhaft zu lösen.

Meine Damen und Herren, die umfassende Transformation hin zur Klimaneutralität ist für sämtliche Branchen und eben auch für die Luftfahrt sehr, sehr fordernd. Dabei sollten wir aber immer auch die Chancen sehen, die mit zukunftsträchtigen Technologien verbunden sind – ob es etwa um grünes Fliegen oder um Drohnen oder Urban Air Mobility geht. Wie sich solche Chancen nutzen lassen und wie Industrie-, Verkehrs- und Klimaschutzpolitik miteinander zu verbinden sind, darüber werden Sie heute noch intensiv diskutieren.

Ich wünsche Ihnen dabei einen anregenden Austausch und betone auch noch einmal, dass die Konferenz nun zum zweiten Mal in den neuen Ländern stattfindet. Das ist ein gutes Zeichen für die dortigen Innovationsstandorte. Jetzt freue ich mich auf den virtuellen Rundgang, der uns noch einiges von dem, wovon ich eben gesprochen habe, plastisch vor Augen führt.