Rede von Bundeskanzlerin Merkel anl. des Arbeitgebertages 2014 der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände am 4. November 2014

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Sehr geehrter Herr Kramer,
meine Damen und Herren,
sehr geehrte Freunde der BDA
– Herrn Grillo möchte ich stellvertretend für alle anderen Präsidenten natürlich auch gerne begrüßen –,

ich freue mich, heute hier zu sein, und möchte zunächst den Preisgebern des Arbeitgeberpreises ganz herzlich danken. Man sieht: Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Bildung und alle Fragen in diesem Zusammenhang spielen auch in Ihrer Arbeit eine große Rolle. Das freut mich.

Heute vor genau 25 Jahren – ich weiß nicht, ob Sie sich alle daran erinnern – fand am Alexanderplatz die größte nichtstaatlich gelenkte Demonstration in der ehemaligen DDR statt. Etwa eine halbe Million Menschen demonstrierte friedlich für Recht und Freiheit – mit Erfolg, denn fünf Tage später fiel die Mauer. Wie der frühere Bundeskanzler Willy Brandt damals feststellte, wuchs nun zusammen, was zusammengehört. Erfreulich ist: Das gilt auch für die Wirtschaft und auch für die Verbände.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände etablierte sich unter Führung des vor wenigen Wochen verstorbenen Präsidenten Dr. Klaus Murmann schnell als gesamtdeutscher Arbeitgebervertreter. 1999 folgte der Umzug nach Berlin, ganz in die Nähe des Alexanderplatzes. Im Haus der Deutschen Wirtschaft setzt sich die BDA jeden Tag für das ein, was uns eint: Die Soziale Marktwirtschaft als Wirtschafts- und auch als Gesellschaftsmodell.

Sie, meine Damen und Herren, tragen wesentlich dazu bei, dass Deutschland mit seiner funktionierenden Sozialpartnerschaft zum Vorbild für viele Länder geworden ist. Wir haben in den Krisen der vergangenen Jahre gesehen, wie wichtig die Bereitschaft ist, besonders in schwierigen Zeiten gemeinsam – zum Teil gemeinsam mit der Politik, aber auch gemeinsam mit den Gewerkschaften – Verantwortung zu übernehmen und damit wesentlich dazu beizutragen, krisenhafte Situationen zu überwinden. Dazu gehört natürlich, dass es immer wieder eine kritische, aber auch konstruktive Diskussion mit der Politik gibt. Diese Diskussion wird sich auch in Zukunft fortsetzen.

Wir treffen uns unter Umständen, unter denen wir die Wachstumsprognosen nach unten korrigieren mussten – das haben alle Forschungsinstitute getan. Wir rechnen für 2014 mit 1,2 Prozent, für 2015 mit 1,3 Prozent Wachstum. Natürlich wird das seine Auswirkungen haben. Heute beginnen die Steuerschätzer ihre Arbeit.

Was sind die Gründe hierfür? Ein Grund hierfür ist ohne Zweifel die schwächer als erwartet verlaufende Erholung der Weltwirtschaft. Insbesondere auch im Euroraum hat sich die wirtschaftliche Situation noch nicht so sehr verbessert, wie wir es gerne hätten. Das hat zum Teil Eurozonen-interne Gründe, das hat aber auch geopolitische Gründe. Unsicherheit, das wissen wir, trübt das Geschäftsklima. Es gibt eine Reihe von krisenhaften Situationen weltweit, die Verunsicherungen mit sich bringen.

Für uns sind vor allem auch die Krise in der Ukraine und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland einer der Gründe. Ich will hier deshalb noch einmal deutlich machen: Unser Ziel ist und bleibt eine diplomatische Lösung des Konflikts. Sie konnten allerdings am Wochenende wieder nachvollziehen – ich spreche die illegalen Wahlen in Lugansk und Donezk an –, wie schwierig es ist, selbst bereits getroffene Vereinbarungen einzuhalten.

Wir können aber auch sagen, dass die Wahlen in der gesamten Ukraine am 26. Oktober ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Stabilisierung des Landes waren. Was mir außerdem sehr wichtig war: Sie waren eine deutliche Absage an alle Extremisten, gleich welchen Lagers.

Russland bringt sich allerdings noch nicht so in eine Stabilisierung des Landes ein, wie wir es uns wünschen, insbesondere mit Blick auf Lugansk und Donezk. Das Minsker Abkommen sollte die Grundlage sein. Deshalb waren die Wirtschaftssanktionen unumgänglich; und es gibt im Augenblick auch keinen Grund, sie aufzuheben.

Ich will noch einmal sagen, dass diese Wirtschaftssanktionen alles andere als ein Selbstzweck sind. Sie sind kein Selbstzweck; vielmehr hat sich die internationale Staatengemeinschaft zu ihnen bereit gezeigt, weil sie unvermeidlich sind. Ich weiß, dass sie auch viele von Ihnen treffen, aber ich glaube, zum Schluss ist es auch im Interesse der deutschen Wirtschaft, Verlässlichkeit anzumahnen und einzufordern und berechenbare internationale Rahmenbedingungen zu haben. Denn Verlässlichkeit ist, auf Dauer gesehen, eine notwendige Voraussetzung für gute wirtschaftliche Beziehungen, die wir auch mit Russland haben wollen. Deshalb danke ich Ihnen – Ihnen, Herrn Kramer, Ihnen, Herrn Grillo, und all denen, denen daraus auch Nachteile entstehen – ganz ausdrücklich für die Unterstützung, die Sie immer wieder für diese notwendigen politischen Schritte gegeben haben. Langfristig ist das für uns wichtig. Wir werden die diplomatischen Bemühungen fortsetzen.

Nun sind die konjunkturellen Risiken infolge der geopolitischen Entwicklungen auch für die deutsche Wirtschaft gestiegen. Gleichzeitig können wir in Deutschland weiterhin eine stabile Binnenkonjunktur beobachten. Der private Konsum bleibt bislang eine verlässliche Wachstumsstütze. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor in einer guten Verfassung. Die aktuellen Erwerbstätigenzahlen sind nochmals gestiegen. Wir haben eine gute Aussicht, erstmals an die Grenze von 43 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland heranzukommen. Es gibt Lohnzuwächse; zusammen mit der gesunkenen Inflation führt das dazu, dass es auch reale Kaufkraftgewinne gibt. Das heißt also, die Menschen in Deutschland profitieren von der wirtschaftlichen Lage. Deshalb ist dies erst einmal ein guter Ausgangsbefund.

Sie und ich wissen aber, dass die Gegenwart relativ wenig zählt, wenn sie sich nicht in die Zukunft fortsetzt. Darum müssen wir uns natürlich gemeinsam kümmern, jeder an seiner Stelle. Deshalb ist es notwendig, dass wir unser Augenmerk auf bestimmte Punkte legen. Hierbei will ich zunächst sagen: Es geht um mehr Investitionen. Das ist ein Thema, das wir miteinander besprechen müssen und bei dem wir handeln müssen.

Die Investitionen, die notwendig sind, sollten nach unserer Auffassung, nach Auffassung der Bundesregierung, nicht auf Pump erfolgen. Wenn wir an einem ausgeglichenen Haushalt für 2015 arbeiten, der ja nichts anderes bedeuten würde, als nicht mehr auszugeben, als einzunehmen – also eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die nur leider viele Jahrzehnte lang nicht eingehalten wurde –, dann wird das ja heutzutage schon so dargestellt, als sei das übermäßiges Sparen. Es ist aber angesichts der demografischen Herausforderungen, vor denen wir in Deutschland stehen, nichts anderes als das Mindestmaß an vernünftigem Verhalten. Deshalb sollte dieses Ziel auch unterstützt werden.

Das heißt also, wenn wir über mehr Investitionen sprechen, dann geht es nicht um Investitionen auf Pump, sondern dann geht es um Verbesserungen von Rahmenbedingungen. In der Bundesregierung glauben wir, dass wir durch einen Verzicht auf Steuererhöhungen, durch erste Schritte für bessere Bedingungen für Wagniskapital und durch mehr Sicherheit, was erneuerbare Energien und die Ausnahmeregelungen für die energieintensive Industrie anbelangt, in den letzten Monaten einige vernünftige Rahmenbedingungen gesichert haben. Es bleibt aber noch viel zu tun.

Wenn es um Investitionen geht, ist ein Thema immer die Erhöhung der Ausgaben für Infrastrukturinvestitionen. Sie wissen, dass wir hierfür in dieser Legislaturperiode sieben Milliarden Euro mehr ausgeben als in der letzten. Der Bedarf ist sehr groß. Deshalb werden wir weiter daran arbeiten müssen, dass vor allen Dingen auch privates Kapital in Investitionen eingebracht wird. Das heißt also, öffentliche und private Investitionen müssen Hand in Hand gehen.

Auf dem Weg von Wachstum und Stabilität dürfen wir nicht nur die deutsche Dimension berücksichtigen, denn wir sind natürlich in den europäischen Raum eingebettet. Wir können Positives vermelden. Die Programmländer Irland, Portugal und Spanien und auch Griechenland haben wichtige Erfolge errungen: Die Lohnstückkosten sind gesunken, die Leistungsbilanzen sind sehr viel ausgewogener. Die Programme konnten daher zum großen Teil abgeschlossen werden.

Dennoch bleibt die Situation im Euroraum extrem fragil. Das liegt zum einen daran, dass in einigen Ländern Strukturreformen noch durchgeführt werden oder erst noch durchgeführt werden müssen. Das liegt zum Teil aber auch daran, dass die Frage der Glaubwürdigkeit aus meiner Sicht immer noch nicht abschließend, richtig und ordentlich genug beantwortet ist.

Dabei geht es immer wieder um den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Sie werden sich erinnern: Diesen Pakt haben wir in vielen Sitzungen mühevoll verschärft spezifiziert; und kaum kam der Tag, an dem er zum ersten Mal eingehalten werden sollte, begann eine Diskussion, ob das nun wirklich notwendig sei oder ob man nicht eher auf Flexibilitäten, die man vereinbart habe, schauen sollte. Ich glaube, dass so etwas zu großer Verunsicherung beiträgt. Deshalb war es wichtig, dass wir immer wieder gesagt haben: Wir wollen den Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten; wir stehen zu ihm. Es ist ja nicht nur ein Stabilitätspakt – das heißt, ein Pakt, der auf Haushaltskonsolidierung setzt –, sondern es ist ein Pakt, der auch auf Wachstum setzt. Deshalb hat er diesen Doppelnamen. Deshalb ist es absolut abzulehnen, wenn dauernd versucht wird, vermeintliche Austerität und Wachstum gegeneinander auszuspielen. Das führt in die Irre und wird uns in Europa nicht weiterbringen.

Wir befinden uns jetzt in einer interessanten Phase in Europa. Ich glaube, der Amtsbeginn der neuen Kommission mit Jean-Claude Juncker an der Spitze eröffnet die Möglichkeit, in der europäischen Politik und gerade in der Politik der Eurozone noch einmal Einiges in Schwung zu bringen. Hierbei kann etwa auch durch Deregulierung Wachstum entstehen. Wir sollten uns daran erinnern, dass Edmund Stoiber mit seiner Kommission in den letzten Jahren zum ersten Mal damit begonnen hat, auch auf der Ebene Europas Bürokratie abzubauen. Wir sehen, dass dies mit dem Ersten Vizepräsidenten der neuen Europäischen Kommission, Herrn Timmermans, mit ausdrücklichem Auftrag von Jean-Claude Juncker fortgesetzt werden soll. Wir werden uns hierbei sehr intensiv einbringen.

Der zweite Punkt ist: Wir müssen darüber nachdenken, in welchen Bereichen wir wachsen wollen, wo die Wachstumspotenziale sind, was uns behindert und wie wir private Investitionen gekoppelt mit öffentlichen Investitionen anstoßen können. Wir werden hierzu auf dem Europäischen Rat im Dezember Vorschläge von Jean-Claude Juncker hören, an deren Erarbeitung sich Deutschland natürlich auch sehr intensiv beteiligt.

Ich persönlich freue mich sehr, dass Sie heute Nachmittag noch eine Diskussion haben, in der es auch um das Thema Digitalisierung geht. Ich glaube, wir sind uns einig: Wir sind im Augenblick in einer Phase, in der sich für Europa sehr viel entscheidet. Für mich ist das insbesondere an der Verschmelzung der digitalen Welt mit der realen Industriewelt festzumachen. Wie uns Innovationsökonomen immer wieder sagen – wir haben mit Herrn Kramer und Herrn Grillo sowie mit den Gewerkschaften ja auch in Meseberg darüber gesprochen –: Wenn man sich in einer Phase revolutionärer Veränderungen befindet, entscheidet es sich aufs Neue, wo man im Weltmaßstab steht. Für Europa wird diese Entscheidung in den nächsten Jahren gefällt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch zusammen mit unserem deutschen Kommissar Günther Oettinger die Rahmenbedingungen für Europa so stellen, dass die digitale Wirtschaft wirklich wachsen kann.

Dabei gibt es zwei Dinge, die von entscheidender Bedeutung sind. Das ist erstens die sogenannte Datenschutz-Grundverordnung, die im Übrigen aus meiner Sicht erst geklärt sein muss, bevor wir uns mit dem Beschäftigtendatenschutz befassen. Zuerst muss das europäische Rahmenwerk vorhanden sein. Und zweitens ist es das Telekommunikationspaket, das die bisherige Kommissarin Kroes über viele Jahre ohne jedes Ergebnis verhandelt hat. Inzwischen ist wieder eine Situation entstanden, in der fast die Hälfte der Mitgliedstaaten die Meinung vertritt, dass sie so etwas gar nicht bräuchten. Ich sage ganz deutlich: Wir brauchen einheitliche europäische Rahmenbedingungen – von Netzneutralitätsdefinition bis hin zu vernünftigen Förderbedingungen für den Ausbau von Breitbandnetzen sowie für Unternehmensgründungen und Start-up-Unternehmen. Nur so wird Europa den Binnenmarkt auch wirklich als Vorteil für sich nutzen können. Die Zeit drängt, meine Damen und Herren.

Wenn wir einmal davon ausgehen, dass wir das in Europa gut hinbekommen, dann sollten wir einen weiteren Schritt gehen, auf den auch der Präsident der Europäischen Zentralbank zu Recht hinweist. Die Geldpolitik kann die Versäumnisse an politischen Entscheidungen nicht wiedergutmachen. Damit dieser Druck gar nicht erst entsteht, müssen wir in der Eurozone bereit sein zu handeln. Es ist für mich vollkommen klar – ich werbe seit Jahr und Tag dafür und hoffe, dass wir jetzt auch vorankommen –, dass wir eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung brauchen. Das bedeutet nicht größere Finanztransfers, sondern eine gleiche Ausrichtung an internationalen Benchmarks, was die Wettbewerbsfähigkeit anbelangt. Das bedeutet, sich wirklich an zugesagte Verpflichtungen zu halten, zum Beispiel drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben, und dass sich alle Euroländer daran halten und nicht nur jedes zweite oder jedes dritte Euroland. Das bedeutet auch, sich bei den Lohnstückkosten aufeinander zubewegen und nicht immer weiter auseinanderzulaufen; und wenn man sich aufeinander zubewegt, dann so, dass man trotzdem international wettbewerbsfähig bleibt.

Diese Bereitschaft muss in der Eurozone entstehen, denn ansonsten wird man auf den Finanzmärkten nicht zufrieden sein und man wird nicht wissen, wohin sich die Eurozone entwickelt. Deshalb geht es nicht darum, in Europa ohne notwendige Strukturreformen eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung aufzulegen, sondern es geht darum, sich zu strukturellen Reformen für Wettbewerbsfähigkeit zu verpflichten. Diese Diskussion in Europa wird die Bundesregierung weiterführen.

Nun kommen wir einmal wieder zurück zu den Dingen, die wir zu Hause zu tun haben. Es gibt einen Punkt, bei dem wir vorankommen. Wir haben seit Längerem mit der BDA, aber auch mit dem DGB über ein Gesetz zur Tarifeinheit gesprochen. Das nimmt jetzt klare Züge an. – Oh, Züge. Das ist auch so ein Ding. Herr Grube sitzt gerade vor mir. Nichts für ungut. – Wir sind gemeinsam der Meinung, dass für das, was über Jahrzehnte ohne rechtliche Regelung in der Bundesrepublik galt – ein Tarifvertrag für einen Betrieb – und was durch die Rechtsprechung ja nicht mehr Gültigkeit hat, eine rechtliche Klarstellung erfolgen muss. Wir wissen alle, dass das verfassungspolitisch sehr sensibel angefasst werden muss. Jetzt haben wir eine Schneise geschlagen, in der ein solches Gesetz mit dem Ziel verabschiedet werden kann, dass das, was die Stärke der Tarifpartnerschaft ausmacht, sozusagen durch immer neue Gründungen von Einzelgewerkschaften nicht unterminiert werden kann, was ansonsten zum Schluss das Gesamtwohl der Beschäftigten nicht mehr in ausreichendem Maße wiedergeben würde. Deshalb glaube ich, dass wir auf einem sehr guten Weg sind. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat das zusammen mit den Verfassungsressorts vorangetrieben. Wir werden noch in diesem Jahr eine Kabinettsbefassung und dann die entsprechenden parlamentarischen Beratungen haben.

Es gibt eine Vielzahl anderer gesetzlicher Vorhaben, die Sie mit mehr oder weniger Freude begleiten; ich habe ja von einem kritisch-konstruktiven Dialog gesprochen. Ich will deshalb auch darauf hinweisen, dass es noch einen Entwurf für mehr Präsenz weiblicher Führungskräfte in Aufsichtsräten geben wird. Hiervon sind Sie vielleicht nicht so begeistert, aber ich muss Ihnen sagen: Langfristig ist es für die deutsche Wirtschaft richtig. Wir haben jahrzehntelang Selbstverpflichtungen gehabt. Es ist bedächtig vorangegangen. Der Mittelstand ist hierbei, glaube ich, besser als die großen Unternehmen vorangekommen. Und deshalb werden nun die großen Unternehmen stärker herangezogen, was die Aufsichtsräte anbelangt. Ich sage Ihnen voraus: Es werden sich interessante, spannende Führungspersönlichkeiten weiblicher Art finden; und zum Schluss werden Sie das Ganze als eine große Bereicherung erkennen, meine Damen und Herren.

Ich will allerdings an dieser Stelle auch gleich hinzufügen: Bei näherer Betrachtung ist es um dieses Thema auch im öffentlichen Dienst nicht so gut bestellt. Das heißt, es gibt auch dort noch sehr bedenkliche Beiträge. Wir müssen das, was wir der Privatwirtschaft abverlangen, natürlich auch im öffentlichen Bereich durchsetzen. Das versteht sich von selbst.

Wir arbeiten des Weiteren natürlich noch an anderen Maßnahmen. Ich will hier nur ein Thema ansprechen, das Sie sehr bewegt, nämlich Zeitarbeit und Werkverträge. Ich will ausdrücklich sagen: Die Zeitarbeit hat sich bewährt. Sie ist allerdings zum Teil auch sehr extensiv genutzt worden. Das heißt, wir werden deshalb gewisse rechtliche Beschränkungen einführen. Das Instrument der Werkverträge wird auch weiter seine wichtige Rolle spielen – auch das ist unsere Entscheidung –, allerdings soll es einige Präzisierungen geben. Mein Versprechen an Sie ist: Wir werden über das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, nicht hinaus gehen. Es ist als Sicherung für Sie ganz wichtig, dass diese Instrumente nicht durch die Hintertür ihrer Wirkung beraubt werden. Ich halte allerdings in Bezug auf Werkverträge Informations- und Unterrichtungsrechte der Betriebsräte für vernünftig. Denn eines ist auch absehbar: Werkverträge werden zunehmen; durch die Digitalisierung wird sich die Arbeitsteilung vollkommen anders darstellen. Hierbei ist es, wenn die Tarifpartnerschaft weiter gelebt werden soll, durchaus wichtig, dass die Tarifpartner auch darüber Bescheid wissen, was stattfindet. Insofern halte ich die Informations- und Unterrichtungsrechte für wichtig.

Meine Damen und Herren, weil die Wirtschaft zum Teil mit Recht sagt, dass eine ganze Reihe von Gesetzgebungen einen hohen Erfüllungsaufwand mit sich bringt – der Normenkontrollrat schreibt uns das immer auf; zum Beispiel ist das Mindestlohngesetz ein Gesetz, das einen sehr hohen Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft mit sich bringt –, haben wir die Absicht, an anderer Stelle bürokratische Lasten wieder abzubauen.

Der Normenkontrollrat verlangt von uns – ich glaube, wir bekommen das in der Bundesregierung auch hin; Bundesminister Gabriel wird Ihnen, denke ich, darüber noch ausführlicher berichten –, dass wir „one in, one out“ sagen, dass wir also, wenn wir ein Gesetz dazunehmen, uns auch überlegen, wo man etwas abschaffen kann. Das wird nicht ganz einfach sein. Die Briten haben das schon einmal versucht. Wenn man sich allerdings die Ausnahmebereiche anschaut, dann weiß man, dass das auch nicht ganz so glänzend wie die Überschrift ist. Wir wollen aber dieser Bitte des Normenkontrollrats nachkommen und es ernsthaft versuchen. Wir werden an vielen anderen Stellen versuchen, Bürokratie abzubauen. Dazu hat der Bundeswirtschaftsminister Vorschläge vorbereitet, die wir diskutieren und sehr schnell und parallel zu anderen Gesetzgebungsvorhaben umsetzen werden.

Ich will hier auch noch sagen, dass ich persönlich einer Anti-Stress-Verordnung sehr skeptisch bis ablehnend gegenüberstehe. Nicht alles, was als Problem auftaucht, muss zu neuen Gesetzen führen. Es müssen auch Regelungen auf andere Weise möglich sein. Wir werden natürlich beobachten müssen, wie sich die Veränderung der Arbeitswelt auswirkt. Dazu gibt es umfangreiche Studien und Forschungsvorhaben im Bereich der Arbeitsmedizin. Es ist ja unbestritten, dass die Digitalisierung der Arbeitsplätze Veränderungen mit sich bringt. So, wie man in der klassischen Produktfertigung – zum Beispiel in der Automobilindustrie – heute eine Vielzahl ergonomischer Maßnahmen einführt, um arbeitsmedizinisch vernünftig mit der Gesundheit der Beschäftigten umzugehen, so wird man sich das auch im digitalen Bereich überlegen müssen. Das sollten aber betriebliche Lösungen sein, das sollten spezifische Antworten sein und es sollte nicht alles erst über ein Gesetz gelöst werden.

Zum Beschäftigtendatenschutz habe ich mich geäußert. Es kommt zuerst auf eine Datenschutzgrundverordnung auf der europäischen Ebene an. Neben der Frage Energiekosten, neben der Frage bürokratischer Aufwand, neben der Frage, wie wir mit dem Arbeitsrecht umgehen, spielt das Thema Lohnzusatzkosten gerade auch für die BDA immer eine entscheidende Rolle. Wir hatten Zeiten, in denen die Sozialbeiträge deutlich über 40 Prozent lagen. Wir sehen also: Die Tatsache, dass wir heute eine so hohe Beschäftigungsquote haben, ist im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft die beste Sicherung dafür, mit dem demografischen Wandel am besten klarzukommen. Deshalb wollen wir auch darauf achten, dass die paritätisch finanzierten Beiträge deutlich unter 40 Prozent bleiben.

Sie wissen, dass wir den Pflegeversicherungsbeitragssatz mit, wie ich glaube, guten Begründungen anheben. Bei Gesundheitsbeiträgen gibt es eine Disparität; die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben höhere Gesundheitsbeiträge zu schultern. Daran hat die Koalition auch nichts geändert. Wir werden die Spielräume, die wir wahrscheinlich in der Rentenversicherung haben, nutzen, um den Beitragssatz zu senken. Ich sage das nicht nur, weil es das Gesetz vorschreibt und weil wir nicht wieder in ein Gesetz eingreifen sollten, sondern weil es angesichts der aktuellen konjunkturellen Herausforderungen auch ein ganz wichtiges Signal ist. Ich freue mich, wenn Sie das unterstützen.

Ich will bei aller kontroversen Diskussion über die Rente nach 45 Beitragsjahren nur noch einmal ganz deutlich machen: Insgesamt stehen wir zur Rente mit 67; und wir arbeiten auch an einer Flexibilisierung der Rentenübergänge – dazu werden wir vermehrt kommen müssen. Allerdings warne ich davor, Erwartungen zu wecken, dass man schon ab 60 solche flexiblen Übergänge schaffen könnte. Das sehe ich nicht; ich will das ausdrücklich sagen. Wir werden aber je nach Berufsgruppe sicherlich unterschiedliche Möglichkeiten der flexiblen Weiterbeschäftigung jenseits der regulären Altersgrenze für den Renteneintritt haben. Ich muss allerdings sagen: Wir müssen bei den Vorschlägen, die jetzt in der Koalition diskutiert werden, darauf achten, dass daraus keine Mehrbelastungen der Rentenversicherung werden. Das wäre auch nicht im Sinne des Erfinders. Man kann sozusagen je nach Perspektive mit guten Zwecken und schlechten Zwecken Mehrbelastungen eines Versicherungssystems hervorrufen. Für das Rentensystem darf es aber möglichst keine neuen Belastungen geben.

Meine Damen und Herren, zu guter Letzt – aber nicht, weil es das Unwichtigste ist, sondern eine der zentralen Herausforderungen –: Wenn die Steuern für Sie berechenbar bleiben, wenn die paritätisch finanzierten Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent liegen, wenn wir im Bereich der Digitalisierung die richtigen Schritte machen und bürokratisch nicht noch mehr drauflegen, dann wird immer klarer werden, dass eines der zentralen Probleme in Deutschland das Thema Fachkräftesicherung ist. Im Übrigen haben wir trotz der guten Arbeitsmarktlage ein Problem, das die Arbeitsministerin dankenswerterweise jetzt anpackt, aber was noch sehr viel Arbeit bedeuten wird: Es verfestigt sich immer mehr der Block der Langzeitarbeitslosen. Wir haben sehr flexible Beschäftigungsmodelle, aber bei der Zahl der Langzeitarbeitslosen kommen wir von einem bestimmten Niveau nicht herunter. Im Gegenteil, die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich trotz mehr Erwerbstätiger zum Teil noch erhöht. Deshalb müssen wir gerade bei den unter 30- oder unter 35-Jährigen schauen, wie wir möglichst jeden wieder in Arbeit bringen.

Ich muss es immer wieder sagen: Wir zahlen gesamtstaatlich über 40 Milliarden Euro für Hartz-IV-Empfänger. Stellen Sie sich einmal vor, wir könnten die Hälfte dieser Summe in Deutschland in Investitionen einbringen. Wir kommen an dieser Stelle schlicht und ergreifend noch nicht ausreichend voran. Ich möchte aber allen Unternehmen, die sich dafür einsetzen, gerade Jugendlichen, die bei der Berufsausbildung Schwierigkeiten haben, dabei zu helfen, in den Betrieb einzutreten, ein ganz herzliches Dankeschön sagen.

Fachkräftesicherung heißt auf der einen Seite, die Hochschulausbildung voranzubringen. Ungefähr die Hälfte eines Jahrgangs nimmt derzeit ein Studium auf. Eine so hohe Zahl an Studienanfängern hatten wir noch nie. Ich hoffe, dass die Zahl derjenigen, die die Hochschule mit einem Abschluss beenden, annähernd so hoch sein wird wie die Zahl derjenigen, die eine Universität oder Hochschule erstmals betreten. Ich glaube, wir sollten nicht versäumen, das Fachhochschulsystem weiter gut auszubauen, weil es mir gerade in Anpassung an die Wirtschaft sehr wichtig zu sein scheint.

Wir müssen auf der anderen Seite jetzt aber darauf achten, dass wir das Thema berufliche Ausbildung nicht nur im Ausland verkünden, sondern auch im Inland weiter beleben. Deshalb wünsche ich mir, dass der Pakt für Beschäftigung und Qualifizierung abgeschlossen werden kann. Ich hoffe immer noch, dass es gelingt, auch die Gewerkschaften in den Pakt einzubinden. Es ist nicht ganz einfach, wäre aber ein gutes Zeichen. Ich bitte Sie alle, auch in Ihren Ansprachen in Schulen und mit Jugendlichen immer wieder deutlich zu machen: Eine erfolgreiche berufliche Ausbildung ist eine herausragende Voraussetzung, um ein Leben in Wohlstand führen zu können. Dazu muss man nicht unbedingt studiert haben; das ist ganz, ganz wichtig.

Wir werden alles, was in unserer Macht steht, tun, auch die OECD, die uns ja viele sinnvolle Zahlen zur Verfügung stellt, immer wieder zu ermahnen, dass es kein Abstieg ist, wenn der Sohn oder die Tochter eines Facharbeiters wiederum eine Facharbeiterausbildung absolviert und anschließend Meister oder ein guter Facharbeiter wird. Das aber gilt heute international schon nicht mehr als Aufstieg, sondern es heißt dann, dass das Bildungssystem versagt habe. Diese übertriebene Bezogenheit auf das Hochschulstudium als das Nonplusultra für jede gelungene berufliche Karriere ist etwas, das wir wegbekommen müssen. Ansonsten werden wir Ländern wie Spanien und Portugal, die viel zu viele Hochschulabsolventen haben, die sich heute daher auch nach einer beruflichen Ausbildung umschauen, nicht beweisen können, dass das gut ist. Es ist ja auch absurd, dass man sozusagen den OECD-weiten Durchschnitt der Hochschulabsolventen betrachtet und dann mit Deutschland vergleicht, um zu sagen, Deutschland stehe schlecht da – wissend, dass gerade die, die so viele Hochschulabsolventen haben, auch eine hohe Jugendarbeitslosenquote haben. Das muss man ja irgendwie durchbrechen können.

Zum Thema Fachkräfteverfügbarkeit gehört natürlich auch das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hierbei hebe ich abschließend wie zu Beginn noch einmal hervor, dass Sie vieles auf freiwilliger Basis machen und deshalb der Meinung sind, dass wir uns gesetzlich zurückhalten sollten. Manches Gesetzliche haben wir ja jetzt auf den Weg gebracht, bei dem Sie, glaube ich, auch ein bisschen mit der Stirn runzeln, wenn ich an das „Elterngeld Plus“ denke. Dennoch vergessen Sie nicht: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird in den nächsten Jahren eine immer größere Rolle in der Frage spielen, wie sich Familien in die Berufswelt einbringen können und wie Karriere gemacht werden kann. Ich glaube, wir haben spannende und interessante Lösungen auf den Weg gebracht. Und wir sollten das auch weiter gemeinsam tun. Die Bundesregierung hat mit dem Ausbau von Kita-Plätzen einen Beitrag geleistet, wobei man uns jetzt schon fast vorwirft, Familienpolitik sei nur noch Wirtschaftspolitik. Ich glaube, ganz so sehen Sie das noch nicht, aber andere sehen das schon so.

Insofern freue ich mich auf weitere konstruktive und auch kritische Diskussionen. Letzten Endes arbeiten wir an den gleichen Zielen: am Wohl unseres Landes, am Wohl Europas. Lassen Sie uns das weiter gemeinsam tun.

Herzlichen Dank.