Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Eröffnung der IFA 2010 am 2. September 2010

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,

sehr geehrter Herr Hecker,

sehr geehrter Herr Hosch,

meine Damen und Herren,

ich bin gerne wieder zur Eröffnung der IFA gekommen, und dies in diesem Jahr natürlich besonders gerne. Denn das 50. Jubiläum ist schon eine stolze Angelegenheit. Dass die IFA in diesem Jahr mit mehr als 1.400 Ausstellern, wie ich mir habe sagen lassen, wirklich auch die größte in ihrer Geschichte ist, zeigt, dass hier richtige Entscheidungen getroffen wurden – immer wieder und über die ganze Zeit hinweg. 50-mal IFA in 86 Jahren – und trotzdem wirkt diese Messe jung und frisch. Denn sie bewegt sich auch immer an den Randlinien neuer technologischer Möglichkeiten und der Rückbindung zu den Konsumenten, die diese Technologien erfahren, erwerben und mit ihnen ihr eigenes Leben verändern.

Nur eine kurze Rückschau, die an vielen Stellen hier schon vorgenommen wurde: 1924 begann das Ganze als „Große Deutsche Funk-Ausstellung“. Königs Wusterhausen hatte im Oktober 1923 den regelmäßigen Hörfunk-Sendebetrieb aufgenommen. Es gab damals nur wenig mehr als tausend Rundfunkteilnehmer. Doch die erste Funkausstellung wirkte wie eine Initialzündung. Es gab 180.000 Besucher, die die neue Technologie der damals knapp 250 Aussteller – auch schon eine ganze Menge – bestaunten. Das Radio hat sich dann rasant ausgebreitet. Noch im Jahre 1924 wurde der flächendeckende Sendebetrieb von Aachen bis Königsberg aufgenommen. Ein Jahr später war bereits die Millionengrenze der Rundfunkteilnehmerzahl überschritten.

Natürlich wuchs damit auch die gesellschaftspolitische Dimension des neuen Mediums. Albert Einstein hat im Jahr 1930 seine Hoffnung auf eine friedlichere und bessere Welt durch den Rundfunk in seiner Eröffnungsrede zur Funkausstellung folgendermaßen ausgedrückt: „Was speziell den Rundfunk anlangt, so hat er eine einzigartige Funktion zu erfüllen im Sinne der Völkerversöhnung. (…) Er wird dazu beitragen, das Gefühl gegenseitiger Fremdheit auszutilgen, das so leicht in Misstrauen und Feindseligkeit umschlägt.“ Das war 1930. Das war ein Wunsch. Leider wissen wir, wie trügerisch diese Hoffnung war, denn nur drei Jahre später kam der Sieg des Nationalsozialismus. Wir wissen, was das bedeutet hat.

Heute können wir sagen: In diesem Jahr feiern wir 20 Jahre Deutsche Einheit. Wir haben viele Erfolge erreicht. Eine Zeit lang, während der deutschen Teilung, hat sich die IFA natürlich auf der Westberliner Seite gut entwickelt. Während sie früher noch „Deutsche Funkausstellung“ hieß, wandelte sie sich 1971 zur „Internationalen Funkausstellung“ mit Ausstellern aus 23 Ländern. Es war damals eine sehr weise Entscheidung, auf Internationalisierung zu setzen. Wenn in diesem Jahr mehr als 60 Länder präsent sind, dann sind zwar immer noch, wenn ich mir die Zahl der UNO-Mitglieder anschaue, ein paar Länder übrig, die noch herkommen könnten. Aber 60 ist auch schon eine ganz stolze Zahl. Schön und erfolgreich – sie wird deshalb auch ganz besonders von mir begrüßt – ist die zunehmende Beteiligung von Ausstellern aus Asien. Darin spiegelt sich einerseits wider, dass man gerne zu uns kommt, andererseits aber natürlich auch, dass es in Asien boomende Volkswirtschaften mit interessanten Entwicklungen gibt.

Es wurde schon gesagt: 2008 ging es hier erstmals auch um „Home Appliance“ – „Haushaltsgeräte“ sagt man nicht mehr. Aber ich glaube, man muss ab und zu doch noch einmal sagen, dass es sich um Kühlschränke, Herde, Waschmaschinen und Staubsauger handelt, auch wenn es sich nicht so richtig danach anhört. Nun habe ich gerade auch erfahren: 30 Prozent der Ausstellungsfläche entfallen inzwischen auf diese praktischen Geräte. Insoweit ist es eine sehr weise Entscheidung gewesen, die Vernetzung elektronischer Möglichkeiten mit der so genannten Hardware auch am Beispiel der Haushaltsgeräte auszuprobieren.

Nun lerne ich, dass der Herd inzwischen erkennen kann, wann das Gericht fertig und das Fleisch gar ist – ich weiß nicht, ob das schon die Herdtasten „medium“ und „well done“ beinhaltet, aber das werde ich mir noch zu Gemüte führen –; dann reguliert der Herd dementsprechend die Temperatur. Eben habe ich noch gelernt, dass sich die Waschmaschine überhaupt nur noch in Gang setzt, wenn der Strom besonders billig ist. Ich habe gesagt: Hauptsache, nicht nachts um zwei Uhr. Aber all das wird man sicherlich auch programmieren können. Vorzugsweise wann, weiß ich nicht. Wenn man vor dem Ins-Bett-Gehen noch eine ganze Stunde braucht, um den Haushalt in Ordnung zu bringen, dann würde ich mich wahrscheinlich wieder an die Zeit erinnern, wo man einmal mit dem Kehrbesen durch den Flur gegangen ist. Auch die Wäsche wird sich noch nicht allein aufhängen. Und das Einkaufen muss auch noch selbst erledigt werden. Aber wir kommen voran. Insoweit glaube ich, dass vieles wirklich interessant ist. Herr Wowereit hat schon darauf hingewiesen: Für Menschen unseres Alters ist es ganz wichtig, dass wir schnell begreifen, wie wir das alles in Gang setzen.

Meine Damen und Herren, die rechtliche Dimension und die Veränderungsdimension, die sich hier ja immer wieder in neuen Technologien andeutet, werden vielleicht von uns allen noch nicht vollständig überblickt. Wir haben darüber gesprochen, dass sich Computer, Fernseher und Internet jetzt immer weiter einander annähern. Wenn man sich dann überlegt, wie wir die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, das private Fernsehen, das dazugehörige Regelwerk, die Gebührenerhöhungen, die Befassung von 16 Landtagen und dann das freie, weltweite Internet zusammenbringen sollen, dann wird uns das noch ziemlich viel Kraft kosten – dies nicht nur Sie, die Sie die technischen Neuerungen entwickeln, sondern auch uns, die wir die Gesetze machen müssen.

Es deutet sich jetzt schon an, dass es viele Fragen der Bürgerinnen und Bürger gibt. Es geht auf der einen Seite um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es so schön vom Verfassungsgericht gestaltet oder eingefordert worden ist, und auf der anderen Seite um die Umsetzung und nicht die Verweigerung in Bezug auf neue Technologien. Was hat man bei der Ansichtskarte mit seiner eigenen Häuserfront noch alles ertragen, und was findet man suspekt, wenn man weiß, dass alle Häuser sozusagen Ansichtskarten sind, die ins Internet gestellt werden? Wie darf man die verschiedenen Informationen vernetzen? – Ich glaube, der Google-Chef wird ja noch hierher kommen. – Und ob die Idee, dass man mit der Volljährigkeit seinen Namen wechselt, weil man dann seine Jugendsünden tilgen kann, wegweisend ist, darf wirklich bezweifelt werden, meine Damen und Herren. Ich will in diesem Zusammenhang gar nicht von den Gebühren für den neuen Personalausweis sprechen.

Es gibt dann natürlich auch noch gewisse Ungleichzeitigkeiten. Wir haben kürzlich die Digitale Dividende versteigert und sie den Unternehmen in die Hand gegeben, dies in der Hoffnung, dass nicht nur der Städter Zugang zum Breitband haben möge, sondern auch derjenige, der irgendwo auf dem Lande lebt. Ich glaube, dass die Ortschaften inzwischen einigermaßen gut erfasst sind. Aber wenn man 20 km durch den uckermärkischen Wald fährt – ich muss es nach wie vor sagen –, dann sieht es selbst beim einfachen Handygespräch immer noch ziemlich düster aus. Von verschiedenen Fragen wie DSL und weiteren Frequenzübertragungen möchte ich dabei gar nicht reden. Es wird also noch eine Weile dauern, bis auch der Mensch, der sich für ein Landleben entschieden hat, in vollem Umfang an den Segnungen des Internet und von anderem teilhaben kann.

Die Computer werden immer interessanter, immer praktischer und immer schneller. Man muss aufpassen, dass Tiefgründigkeit und die langen Linien einer Entwicklung nicht verloren gehen. Ich glaube, dass sich auch eine gewisse Erziehungsfrage stellen wird. Wer wird in zehn oder 20 Jahren noch 15 oder 25 Minuten lang Nachrichtensendungen ertragen können? Man wird aufpassen müssen, dass man nicht schon nach 90 Sekunden ermattet sein wird. Da werden sich vollkommen neue Sendegewohnheiten durchsetzen. Man wird alle zwei Stunden etwas Neues wollen und sich trotzdem am Abend noch einmal fragen müssen, ob man irgendetwas davon behalten hat oder ob man etwas vom Vortag bis zum übernächsten Tag behalten kann, geschweige denn von Woche zu Woche und von Monat zu Monat.

Ich glaube, es ist gut, dass es jedes Jahr eine IFA gibt und wir uns daran erinnern, dass es letztes Jahr eine tiefe Wirtschaftskrise gab. Ich habe in Erinnerung, dass man diese Sache hier auf der IFA gefasst aufgenommen und gesagt hat: Wir wollen unsere Chancen nutzen, wir heben nicht ab, aber wir sehen durchaus auch in die Zukunft und stellen uns dieser Zukunft. Wir haben vielleicht alle nicht gedacht, dass wir in diesem Jahr schon wieder in einer doch relativ günstigen Situation zusammenkommen würden. Dennoch sage ich: Von Nachhaltigkeit sind wir, was die Wirtschaftsprognosen anbelangt, im Augenblick noch sehr weit entfernt. Da es in wirtschaftlichen Prognosen nicht üblich ist, Fehlergrenzen anzugeben, hat man natürlich immer den Eindruck, dass sozusagen bis auf die zweite Stelle nach dem Komma alles in Stein gemeißelt ist, nur um dann 14 Tage später von einem anderen Resultat überrascht zu werden. Deshalb würde ich sagen: Grundkurse in Fehlerrechnung, Nachhaltigkeit und Wahrscheinlichkeiten im Internet könnten nicht schaden, damit die Menschen auch in Zukunft wieder zu einer eigenen Beurteilung fähig sind.

Dennoch freuen wir uns, dass sich insbesondere der Arbeitsmarkt in Deutschland sehr gut entwickelt hat. Wir haben jetzt knapp 3,2 Millionen Arbeitslose. Das ist noch zu viel, aber wir hatten im Zusammenhang mit der Krise doch ganz andere Befürchtungen. Diese Krisenzeit, die wir gemeinsam durchlebt haben, zeigt aus meiner Sicht, dass zwei Dinge wichtig sind. Das eine ist, dass versucht wird, politischen Gestaltungsraum mit wirtschaftlicher Vernunft und gemeinsam mit den Tarifpartnern zu meistern. Eine Kraft allein hätte das nicht geschafft. Das andere, das uns diese Krise gelehrt hat, ist: Wir müssen international engstens kooperieren.

Ich will nicht verhehlen, dass ich mir manchmal wünschen würde, dass die Realwirtschaft deutlicher auftritt und ihre Interessen vertritt. Finanzmärkte sind wichtig und unerlässlich, aber sie dürfen nicht die alleinigen Treiber wirtschaftlicher Entwicklung sein; davon bin ich zutiefst überzeugt. Wenn wir Fortschritte bei der Regulierung machen – selbst das ist sehr schwierig, zum Teil auch für viele Menschen nicht nachvollziehbar; und es ist oft zu langsam, bis sich die Weltgemeinschaft einigt –, dann ist das ein Beitrag der Politik. Dieser muss geleistet werden. Aber es ist genauso wichtig, dass die Realwirtschaft ganz deutlich macht, wie sie sich Entwicklungen vorstellt.

Sie können bestimmte Dinge nicht entwickeln, wenn Sie nicht auch ein Stück weit einen langen Atem haben. Heute hätten die Haushaltsgeräte nicht einen solchen Erfolg auf dieser Messe, wenn wir nicht auf eine jahrzehntelange Struktur von technischen Entwicklungen, die an elektronische Entwicklungen gekoppelt sind, hätten aufbauen können. Deshalb ist Nachhaltigkeit nicht nur beim Klimaschutz und bei der Energieeffizienz wichtig, sondern auch hinsichtlich eines langen Atems bei der Entwicklung neuer Produkte.

Mit dieser Hoffnung am 50. Jahrestag der IFA darauf, dass es auch eine 100. IFA geben möge, gratuliere ich ganz herzlich zum Jubiläum und darf die IFA für eröffnet erklären.