Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim 7. Nationalen IT-Gipfels

Sehr geehrter Herr Professor Kempf,
sehr geehrter Herr Hiesinger,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Kabinett,
ganz besonders Wirtschaftsminister Philipp Rösler, der den IT-Gipfel hier zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen und mit ThyssenKrupp organisiert hat,
meine Damen und Herren hier im Saal und
alle, die heute an diesem IT-Gipfel teilgenommen haben,

in der sogenannten Bloggerchallenge rund um das diesjährige Treffen findet sich unter anderem ein Eintrag zur Frage, was denn überhaupt ein IT-Gipfel sei. Es gibt eine kurze und bündige Antwort, und die zitiere ich: „IT steht für Informationstechnik. Und ein IT-Gipfel ist dann so was wie ein G8-Treffen für die deutsche IT-Branche.“ Gut, würde ich sagen. Auch hier hat man also gleich einen Vergleich von Nationalem und Internationalem vorgenommen.

Der G8-Gipfel findet immer an unterschiedlichen Orten statt, so auch der IT-Gipfel. Insofern möchte ich mich bei denen bedanken, die uns hier in der Ruhrmetropole Essen gute Gastgeber sind und waren. Rund 1.000 Unternehmer und mehr als 10.500 Beschäftigte machen die Stadt zu einem wichtigen Kompetenzzentrum für Informations- und Kommunikationstechnologien. Dass wir hier im ThyssenKrupp Quartier sein dürfen, in dem sich industrielle Stärke widerspiegelt, ist für uns natürlich eine ganz besondere Freude.

Ich habe eben auch mit Ministerpräsidentin Kraft gesprochen, die jetzt schon gehen musste. Wir waren uns darin einig, dass dieser IT-Gipfel für Nordrhein-Westfalen, das ja prototypisch für Strukturwandel, für Veränderungen steht, eine wirkliche Win-Win-Situation mit sich bringt – für uns, die wir vonseiten der Bundesregierung teilnehmen, aber auch für das Land, das hier heute Gastgeber sein kann. Es wurde versprochen, was ich auch sehr wichtig finde, dass mit Ende dieses IT-Gipfels nicht das Ende der Beschäftigung mit diesem Thema erreicht ist, sondern dass die Landesregierung – das ist auch unser Wunsch – die Dinge, die hier angestoßen wurden, auch vorantreiben wird.

Meine Damen und Herren, es ist hier auch möglich gewesen, dass uns die regionale Arbeitsgruppe des IT-Gipfels heute einiges von dem gezeigt hat, das sowohl im Bereich der Logistik als auch im Bereich der intelligenten Netze entstanden ist. Wir werden immer mehr erleben, dass Städte umgebaut werden und dass Unternehmen durch eine Verbindung von Informations- und Kommunikationstechnologien mit den eigentlichen Arbeitsabläufen in der realen Welt ganz anders als früher agieren können, wobei die Informations- und Kommunikationstechnologien so real sind, dass, Herr Kempf, betreffende Unternehmen bitte nicht nur auf den Bahamas oder wo auch immer, sondern im Bereich des gut bewährten deutschen Steuerrechts Steuern zahlen mögen.

Es gibt ja immer sehr viele Arbeitsgruppen im Gipfel-Prozess. Ein Schwerpunkt in diesem Jahr war das sogenannte Cloud Computing. Ich glaube, dass Cloud Computing eine wesentliche Ergänzung für mittelständische Unternehmen sein kann. Hier wird es um Fragen der Sicherheit – damit hat sich auch eine Arbeitsgruppe des IT-Gipfels befasst – und natürlich auch um Fragen der Ausweitung der Nutzung gehen. Angesichts des demografischen Wandels in Deutschland ist gerade auch die Verknüpfung von Logistik und IT-Möglichkeiten ein wesentlicher Punkt, um das Leben und Arbeiten auch in den ländlichen Räumen attraktiv zu halten.

Von großer Bedeutung sind vernetzte und eingebettete Systeme. Sie bieten auch viele neue Verbindungen von Kunden und Geschäftspartnern. Alles bündelt sich sozusagen in dem Schlagwort „Industrie 4.0“. Damit bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich mir für Deutschland sehr, sehr große Chancen verspreche. Ich habe mit Freude gehört, dass die Presseberichterstattung schon überholt ist und dass ZVEI, VDMA und BITKOM in einen engen Dialog und eine enge Kooperation eintreten, um weitere Verknüpfungen zwischen der Welt der Informationstechnologie und der Welt der Produkte zu finden. Vor dem Hintergrund, dass Deutschland seine Exportkraft in klassischen Bereichen – zum Beispiel Automobilbau, Chemie, Maschinenbau – erhalten will, denke ich daran, dass heutzutage eigentlich schon in jedem Produkt informations- und kommunikationstechnologische Strukturen enthalten sind. Wir haben gerade am Beispiel der Fahrstühle von ThyssenKrupp gehört: Management, Wartung und Kundenservice – also all das, was heute eine Rolle spielt und was Kunden gleichsam als Komplettangebot automatisch erwarten – können überhaupt nur funktionieren, wenn man sich der Informations- und Kommunikationstechnologien bedient.

 

Wir brauchen Hardware, wenn ich es einmal so sagen darf. Wir haben in den IT-Dialogen und IT-Gipfeln mit der Frage angefangen: Wie schaffen wir eine Breitbandversorgung aller Haushalte in Deutschland? Wir haben, was die 1-Megabit-Anbindung anbelangt, die weißen Flecken nahezu beseitigt. Wir sind jetzt bei weit höherem angelangt; man spricht schon von der Gigabit-Gesellschaft. Wir bewegen uns aber zumeist immer noch im Megabit-Bereich und sind eigentlich ganz froh, dass rund 50 Prozent der Haushalte immerhin schon in der Nähe eines Anschlusses mit 50 Megabit pro Sekunde sind. Aber wir sehen, dass die Dinge weiterlaufen. Wir müssen es jetzt vor allen Dingen schaffen, die in breiter Ausprägung vorhandenen Anwendungsmöglichkeiten auch möglichst allen Menschen in Deutschland zugänglich zu machen. Das ist auch deshalb so wichtig, damit sich das Lernverhalten der Bevölkerung sozusagen adäquat in Bezug auf die technologischen Entwicklungen verhält. Wenn nämlich zu viele Menschen an zu vielen Anwendungen nicht teilhaben können, dann geraten wir auch insgesamt wieder in einen Rückstand.

Wir gehören in Deutschland beim Ausbau des neuen Mobilfunkstandards LTE zu den Vorreitern. – Ich habe hier mit Freude Herrn Homann von der Netzagentur gesehen. – Ich denke, dass wir die Anwendung sicherlich so schnell wie möglich hinbekommen werden. Es ist ja immer so: Wenn etwas in Mode ist, dann kommen plötzlich alle darauf; und dann muss die Realisierung auch schnell gelingen. Die Netzagentur hat in den vergangenen Jahren jedenfalls eine herausragende Rolle gespielt; und dafür möchte ich auch einfach einmal danke sagen. Nicht immer ist jeder zufrieden, aber nach vielen Gesprächen verbessert sich die Zufriedenheit; und das freut mich dann auch. Ein Lächeln von Herrn Obermann für Herrn Homann erfreut ebenso. Ich hoffe, dass andere Wettbewerber nicht darüber entsetzt sind, dass es zu so viel Annäherung gekommen ist; wir brauchen ja alle.

Meine Damen und Herren, ich habe schon über intelligente Netze gesprochen. Das wird ein für die nächsten Jahre enorm wichtiger Bereich sein – ob es sich um die Energiewende handeln mag oder um anderes. Wir werden intelligente Netze, was die Verknüpfung von erneuerbaren Energien und grundlastfähigen Energien anbelangt, jenseits der Hochspannungsnetze vor allem auch im Verteilerbereich dringend brauchen. Sie werden die Grundlage dafür sein, dass wir effiziente Verknüpfungen finden. Deshalb freue ich mich, dass wir hier heute nicht nur über Mobilfunkanwendungen und ähnliches gesprochen haben, sondern zum Beispiel eben auch über Fragen der Energiewende.

Ein wichtiges Sonderthema waren Gesundheitsversorgung und Telemedizin. Ich habe auf manchem IT-Gipfel über die Durchdringung der Welt der Bürgerinnen und Bürger mit Gesundheitskarten gesprochen. Wir haben dabei einen echten Quantensprung gemacht. Gesundheitsminister Daniel Bahr konnte heute darüber informieren, dass wir die 70-Prozent-Marke erreicht haben. Ich glaube, dass es richtig war, mit dem Projekt anzufangen, um dann die Anwendungsmöglichkeiten der Gesundheitskarte zu verbessern. Schwerpunkt hier war aber vor allem das Thema Telemedizin, bei der auch große Fortschritte zu verzeichnen sind. Auch dieses Thema ist für den ländlichen Raum von allergrößter Bedeutung.

Die Frage der Lebensqualität wird sich ja in Zukunft nicht nur an den Wachstumsraten unseres Bruttoinlandsprodukts ausrichten, sondern zum Beispiel auch an der Frage: Welche Qualität meiner sozialen Sicherheit kann ich als Bürger in unserem Lande erwarten? Dafür ist die Gesundheitsversorgung natürlich ein entscheidender Maßstab; und deshalb ist es von größter Bedeutung, dass es hier auch schon an die 200 Projekte gibt. Ich denke, das wird sich sehr dynamisch weiterentwickeln.

Nun ist uns immer wieder gesagt worden: Alles schön, was ihr so von anderen erwartet, aber ein Maßstab ist natürlich auch, wie ihr es mit E-Government haltet. Wir haben uns ja jahrelang zur Behördenrufnummer 115 vorgerobbt. Das föderale System ist eine echte Herausforderung für jegliche zentrale Nummer. Sie können sich mühelos vorstellen, wie gefragt wird: Was, bundesweit eine Zahl, und dann nur dreistellig – wie sollen wir da in unserer Vielfalt noch zur Geltung kommen? Wir haben dennoch mehr erreicht, als man denkt, insbesondere deshalb, weil viele Kommunen doch sehr aufgeschlossen an solchen Anwendungen teilnehmen. Dafür möchte ich, falls Vertreter von Kommunen hier anwesend sind, einfach auch herzlich danke schön sagen.

Heute ging es um etwas anderes: um den App-Store des Staates. Die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Frau Rogall-Grothe, hat mich in dieses Thema heute eingeführt. Es wurde eine Plattform für alle in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen regierungsseitigen Anwendungen geschaffen – ob auf Bundesebene, Landesebene oder auf lokaler Ebene. Ich glaube, dass das für die Bürgerinnen und Bürger ein echter Mehrwert ist; denn es ist ja nicht ganz einfach, sich dahingehend zurechtzufinden, was genau man nun unter welchem Stichwort findet. Deshalb messe ich diesem App-Store eine große Bedeutung zu und rufe alle auf, dabei mitzumachen, zumal er, wie ich glaube, sehr gut aufgebaut ist. Er ist ein Ergebnis einer Arbeitsgruppe des IT-Gipfels; und zwar ein sehr konkretes Ergebnis.

Mit unserem Entwurf des E-Government-Gesetzes haben wir eine große Schneise für nutzerfreundlichere Verwaltungsdienste geschlagen. Es ist heute noch einmal die Bitte geäußert worden, nicht aus jedem Soll ein Kann zu machen. Im parlamentarischen Beratungsverfahren werden wir darauf achten.

Alles soll gut handhabbar sein, aber die Bürgerinnen und Bürger möchten natürlich auch, dass es sicher ist. Deshalb war es gut, dass im Umfeld dieses IT-Dialogs das Thema Sicherheit wieder eine große Rolle gespielt hat. Der Bundesinnenminister hat dazu Vorschläge gemacht. Die Bundesregierung insgesamt hat eine Cyber-Sicherheitsstrategie entwickelt. Ich ermuntere alle dazu, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Das ist für uns auch Neuland. Wir wollen nicht überall gleich gesetzlich zugreifen und Pflichten einführen. Für kritische Infrastrukturen brauchen wir ein höheres Maß an Sicherheit als für andere Bereiche. Aber man wird versuchen, sich zu beschränken, wenn es um Pflichten geht. Allerdings glauben wir, dass zum Beispiel Angriffe auf die IT-Technologie von Unternehmen durchaus eine große Gefahr sind.

In der Diskussion, die ich heute geführt habe, ist auch deutlich geworden, dass der Weg „Niemand spricht darüber und verheimlicht etwas, um ja nicht als schwarzes Schaf zu gelten“, uns mit Sicherheit in unserer Gesellschaft nicht weiterführt. Das heißt, wir brauchen ein notwendiges Maß an Transparenz, wir brauchen aber auch ein notwendiges Maß an Anonymität. Und dazu brauchen wir die notwendigen Strukturen. Ich glaube, dass das BSI eine gute staatliche Ansprechstelle ist, um genau das zu garantieren und weiterzuentwickeln.

Die IKT-Branche ist eine Wachstumsbranche. Wir freuen uns, dass es viele junge Unternehmer gibt. Philipp Rösler hat mir von den Begegnungen gestern mit jungen Unternehmensgründern erzählt. Es ist ja selten, dass, wenn man 180 einlädt, 500 kommen. Jedenfalls sind mir Bereiche bekannt, in denen das nicht so ist. Insofern zeigt sich, dass es sehr gut war, diese Gründer auch wirklich einmal anzusprechen.

Wir wollen die Rahmenbedingungen verbessern, und zwar auf der einen Seite bei der Frage der Besteuerung oder Nichtbesteuerung des Streubesitzes. Hierbei müssen wir einen Aufruf an die im Augenblick nicht mehr im Saal vertretenen Bundesländer starten. Uns geht es andererseits auch um die Frage der Förderung im Bereich des Kapitals für junge Unternehmensgründer. Hierzu hat die Bundesregierung mit einem Zuschussmodell einen sehr guten Vorschlag gemacht.

Die IT-Lounge hat sich auch in diesem Jahr bewährt. Der Software-Campus hat sich ebenfalls bewährt. Damit bin ich beim Thema Fachkräftesicherung. In Deutschland könnten wir schon seit Jahren mehr gut ausgebildete Fachkräfte brauchen. Wir haben aber auch Fortschritte erreicht. Unsere zielstrebige Werbung für die sogenannten MINT-Berufe, also Ingenieurberufe und mathematisch-technologische Berufe, hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Wir haben heute aus der Arbeitsgruppe von der Veränderung gehört, die sich anbahnt, was Curricula von Studiengängen oder Ausbildungsmodulen anbelangt. Ich glaube, es wird in Zukunft ganz wichtig sein, dass Menschen über E-Learning Zusatzqualifikationen erlangen und ihre Basisausbildung verbessern können. Im Übrigen ist dabei auch von ganz unterschiedlichen Studiengängen auszugehen. Egal, ob man Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft oder vielleicht etwas aus dem Bereich der Naturwissenschaften studiert hat oder aus dem Ingenieursbereich kommt – IT-Module kann man sehr, sehr gut brauchen, um besser und umfassender informiert zu sein und entsprechend eingesetzt werden zu können. Insofern auch dafür ein herzliches Dankeschön. Allerdings richte ich auch die Bitte an alle Hochschulen und Fachhochschulen, sich mit der Entwicklung solcher Curricula durchaus zu sputen – je schneller, umso besser.

Sie sehen an der Breite meiner Darstellungen, dass wir, aufbauend auf dem sehr guten Ausgangspunkt unserer klassischen Wirtschaft und Industrie, unseres starken Mittelstandes und unserer sehr guten Grundlagenausbildung, versuchen, die Informations- und Kommunikationstechnologien in der gesamten Breite zur Anwendung zu bringen und auch dabei zu sein, wenn internationale Standards gesetzt werden. Wir versuchen, uns durch die Arbeit in den verschiedenen Arbeitsgruppen in die europäische Diskussion einzumischen – und zwar nicht gemäß dem Motto „Hier die Lobbyisten der Wirtschaft und dort die Lobbyisten der Politik“, sondern mit gemeinsamen Vorschlägen.

Das, was sich durch all die Jahre des IT-Dialogs und IT-Gipfelprozesses zieht, ist nicht ein Wettbewerb „Wer kann mehr und wer kann weniger – Politik hier und Wirtschaft dort“, sondern es ist der gemeinsame Wille, Neuland zu betreten und gemeinsam praktikable Lösungen zu finden. Das ist ein Ansatz, den wir auch sonst noch öfters in unserer Gesellschaft brauchen könnten. Es ist ein innovativer Ansatz, der den IT-Standort Deutschland stärker gemacht hat und der im Übrigen all denen, die mitmachen, auch noch Spaß macht. Es gibt inzwischen viele Gründer. Wir könnten und wollen noch mehr willkommen heißen. Insofern werden wir in diesem Bereich weiterarbeiten.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die über das ganze Jahr hinweg in den Arbeitsgruppen mitgemacht haben, die ihre Eindrücke und ihre Ideen eingebracht haben – das sind viel mehr, als hier überhaupt im Saal sein können. Ich bedanke mich dafür, dass dies ein Prozess ist, der nicht mit dem heutigen Tag endet und zwei Wochen vor dem nächsten IT-Gipfel wieder hektisch beginnt, sondern der kontinuierlich stattfindet. Wir treffen uns zumeist auf der CeBIT wieder, so auch im Frühjahr des nächsten Jahres. Mir macht es immer Spaß, dabei zu sein.

Nächstes Jahr sind wir natürlich nicht wieder hier, sondern für das nächste Jahr hat sich Hamburg beworben. Hamburg hat eine wunderbare Bewerbungsschrift aufgesetzt. Das hat uns beeindruckt. Insofern bekommt Hamburg den Zuschlag. Der Bürgermeister ist hoffentlich auch zufrieden. Ich hoffe, auch wieder dabei zu sein.

Herzlichen Dank.