Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Festveranstaltung zum 70. Geburtstag von Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser

Sehr geehrter Herr Kannegiesser,

sehr geehrte Familie Kannegiesser,

sehr geehrter Herr Professor Hundt,

sehr geehrter Herr Huber,

meine Damen und Herren,

liebe Geburtstagsgratulanten,

erst einmal möchte auch ich Herrn Kannegiesser zu seinem Geburtstag gratulieren. Er hat gesagt, es sei schön, dass die Geburtstgszahl nicht den ganzen Abend vor ihm stehe. Ich möchte ihm also zu seinem runden Geburtstag gratulieren, der eine Zahl beinhaltet, die höher als 50 ist und von 100 noch weiter entfernt ist als die 50 von dem Geburtstag. Zu diesem Geburtstag gratuliere ich Ihnen persönlich ganz herzlich und auch im Namen der ganzen Bundesregierung. Der Bundeswirtschaftsminister musste zu einem wirklich wichtigen Termin, nämlich zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses. Deshalb spreche ich also auch im Namen meiner Kollegen in der Bundesregierung.

Der Jahrgang 1941 scheint ein guter Jahrgang für die deutsche Wirtschaft zu sein. Gestern Abend war ich beim Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, der nicht am gleichen Tag wie Sie Geburtstag hat, aber im selben Jahr geboren wurde. Lieber Herr Kannegiesser, Sie feiern Ihren Geburtstag hier in Berlin. – Ich habe gelernt, dass Sie das Nützliche mit dem Schönen verbunden haben und heute schon den ganzen Tag über getagt haben. – Wir im Deutschen Bundestag und in der Bundesregierung haben auch unseren Sitz hier, genauso wie der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, dem Sie inzwischen elf Jahre als Präsident vorstehen. Das ist wirklich eine beachtliche Zeit in Zeiten des Wandels. Deshalb ganz herzlichen Dank für das, was Sie in diesem Bereich täglich tun.

Sie hätten Ihren Geburtstag ebenso gut in Vlotho, in Ihrer ostwestfälischen Heimat feiern können. – Ob wir alle dahin gekommen wären? Man hat es besser nicht ausprobiert. Nicht, weil ich Vlotho nicht schön finde. Aber mitten in der Sitzungswoche wäre es knapp geworden. – Sie sind eben nicht nur Verbandschef, sondern Sie sind ebenso mit Leib und Seele Unternehmer und Geschäftsführer der Herbert Kannegiesser GmbH. Als Sie sieben Jahre alt waren, hat Ihr Vater das Unternehmen gegründet. Das ist eines dieser Ereignisse, die symbolisch dafür stehen, wie kurz nach Krieg und Vertreibung der Neustart von vielen Menschen in Deutschland in Angriff genommen wurde. Es war auch ein Neustart für Ihre Familie in der neuen Heimat. Er war mit Sicherheit nicht einfach. Aber Ihre Eltern haben den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. Wie man heute sehen kann, hat sich der Schritt mehr als richtig erwiesen. Das Unternehmen wuchs. Mit nicht einmal 30 Jahren haben Sie die Leitung übernommen. Und das Unternehmen wuchs weiter. Ihnen gelang der Sprung auf alle wichtigen Auslandsmärkte und der Aufstieg zum Weltmarktführer in der Wäschereitechnik. Die Zahl der Beschäftigten verzehnfachte sich in dieser Zeit auf heute rund 1.300.

Beim Wort „Wäschereitechnik“ fällt mir etwas ein. Ich habe neulich auf einem der derzeit zahllosen EU-Treffen mit Christine Lagarde, der Chefin des IWF, gesprochen, als wir beide verzückt auf unser iPad geschaut haben. Sie sagte mir, dass sie in einem Zeitungsinterview gefragt wurde, was aus ihrer Sicht die beiden größten Erfindungen der letzten Zeit seien. Daraufhin hat sie geantwortet: Die Waschmaschine und das iPad. Ich glaube aber, die meisten haben fast vergessen, was es insbesondere für Frauen und Familien bedeutet hat, dass es im Zeitablauf bis heute in immer größerem Ausmaß Wäschereitechnik gegeben hat.

Sie, Herr Kannegiesser, sind mit Ihrer Firma ein Paradebeispiel für die vielen inhabergeführten deutschen Unternehmen, die auf ihrem Spezialgebiet weltweit Maßstäbe setzen und das Markenzeichen „Made in Germany“ weltweit glänzen lassen. Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit versichern, dass wir weiterhin versuchen werden, die Kämpfe in der EU so weit wie möglich im deutschen Interesse zu formen. Ich glaube, „Made in Germany“ hilft selbst den Zulieferern. Wir sollten Europa nicht schwächen, wenn wir das nicht im Auge behalten.

Es mag ja sein, dass die Schlagzeilen oft von den großen Unternehmen bestimmt werden. Aber überall, wo man hinkommt – gerade auch im Zusammenhang mit aktuellen Diskussionen in Europa –, ist die Rede davon, dass die kleineren, mittleren, die vielen Familienunternehmen im Grunde das Bild der Sozialen Marktwirtschaft prägen und dass Soziale Marktwirtschaft ohne sie nicht denkbar ist.

Was sind die Erfolgsfaktoren? Ich glaube, es sind jedenfalls drei, die ich heute Abend hier nennen möchte.

Erstens – und das ist das Wichtigste: Eine Unternehmerpersönlichkeit, die Überzeugungs- und Entschlusskraft auf sich vereint, ein Marktstratege mit Weitblick und Mut zu unternehmerischem Risiko. Kurzum: Jemand wie Sie, Herr Kannegiesser. Einzigartigkeit, Unverwechselbarkeit – jede dieser Unternehmerpersönlichkeiten bietet das. Vor allem durch persönliche Identifizierung mit dem Unternehmen – meistens ist die ganze Familie mit eingeschlossen – können Erfolge gelingen.

Sie gehören zu den Menschen, die stets nach vorne blicken. Sie haben immer auf Innovationen gesetzt. Ihre Kunden können sich darauf verlassen: Die Produktpalette der industriellen Wäschereitechnik ist jeweils auf dem neuesten Stand. Andere Betriebe mögen vielleicht befürchten, im harten internationalen Wettbewerb ins Schleudern zu kommen. Für Sie hingegen war Globalisierung niemals ein Schreckgespenst, sondern immer eine Chance. Sie haben daran auch nie einen Zweifel aufkommen lassen. In einem Interview haben Sie einmal gesagt – ich zitiere: „Wenn mein Unternehmen nur für Deutschland produzieren würde, könnten wir den Betrieb jeden Dienstag um elf Uhr schließen.“ – Zitatende. Glückwunsch dafür, dass Sie das nicht tun, sondern länger als bis zur Mittagspause am Dienstag arbeiten und dann für das Ausland. Sie haben auch immer wieder jungen Menschen die Chance auf einen Einstieg ins Berufsleben gegeben. Auch dafür sage ich ein ganz herzliches Dankeschön.

Der zweite betriebliche Erfolgsfaktor, der auch viel mit Ihrem außerbetrieblichen Leben zu tun hat, ist eine funktionierende Betriebspartnerschaft. Eine gelungene Partnerschaft zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat beruht vor allem auf einem: auf Vertrauen. Dieses Vertrauen haben Sie in Ihrer täglichen Praxis immer wieder ausgestrahlt und gelebt. Deshalb ist es, glaube ich, geradezu folgerichtig gewesen, dass Sie im Verband Gesamtmetall tätig geworden sind. Sie haben an vielen wegweisenden Abkommen mitgewirkt. Es kommt nicht von ungefähr, dass ich heute zwischen Herrn Kannegiesser und Herrn Huber sitze; nicht, weil Sie sich nicht nebeneinander setzen könnten – ich denke, das tun Sie, wenn ich nachher weg bin –, sondern weil es einfach zeigt, dass in Deutschland Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen erfolgreich miteinander verbunden werden. Wieder sage ich, wenn ich uns mit anderen Ländern auf der Welt vergleiche: Wir wären ohne die Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht so durch die Weltwirtschaftskrise gekommen, wie wir das 2008/2009 geschafft haben. Herzlichen Dank dafür.

 

Das Pforzheimer Abkommen des Jahres 2004 gehört sicherlich zu den großen Fortentwicklungen betrieblicher Partnerschaft. Es stellt einen Rahmen für dezentrale und unternehmensspezifische Entscheidungsmöglichkeiten dar, der Zutrauen zu den einzelnen Unternehmern, Zutrauen zu dem einzelnen Betriebsrat beinhaltet. Ich weiß, dass das nicht jedem leicht gefallen ist. Aber ich glaube, es hat uns ein hohes Maß an Möglichkeiten gegeben, auf Änderungen entsprechend reagieren zu können.

Ich bin hier als Bundeskanzlerin, aber ich bin auch Parteivorsitzende. Wir haben einen Parteitag vor uns. Ich habe auch schon, wie sich jeder denken kann, mit Herrn Hundt über die Frage Tarifautonomie und Lohnfindung jenseits der tarifvertraglichen Vereinbarung gesprochen. Gesamtmetall hat es bis heute geschafft, eine hohe Bindewirkung der Tarifverträge zu erzielen. Ich will an dieser Stelle nur sagen: Ich möchte eine Regelung auch im Bereich der Gebiete, in denen keine tarifvertraglichen Regelungen bestehen, durch die die Tarifautonomie nicht geschwächt wird. Denn die Tarifautonomie in Deutschland ist ein außerordentlich hohes Gut, meine Damen und Herren.

Den dritten Faktor habe ich schon mit der Bemerkung über den Dienstagnachmittag und die folgenden Wochentage angesprochen. Das ist die Tatsache, dass wir Teil einer internationalen Gemeinschaft, vor allem auch Teil der Europäischen Union sind. Der Erfolg der deutschen Industrie in den vergangenen zehn Jahren wäre ohne Europa, ohne den europäischen Binnenmarkt, aber auch ohne die einheitliche europäische Währung nicht denkbar gewesen. Über 40 Prozent der deutschen Exporte fließen in den Euroraum, über 60 Prozent in die Europäische Union.

Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was in der Finanzmarktkrise mit den Währungen los gewesen wäre, wenn wir nicht eine einheitliche europäische Währung mit vielen festen Bindungen auch von Währungen von nicht Euro-Mitgliedstaaten an den Euro gehabt hätten. Deshalb möchte ich mich dafür bedanken – bei Herrn Kannegiesser, Herrn Hundt, den Gewerkschaften, bei den allermeisten von Ihnen –, dass Sie sich in dieser schwierigen Phase der Euro-Diskussionen immer an die Seite des Euro, an die Seite einer stabilen Währung gestellt haben. Wir brauchen diese Unterstützung. Es ist nicht einfach. Jeder spricht darüber: Was passiert mit unserer Währung? Jeder weiß, dass wir sie auf solide Füße stellen müssen. Jeder weiß, dass wir über Jahre, ja Jahrzehnte über unsere Verhältnisse gelebt haben. Aber jeder weiß auch: Wir wären viel schlechter dran, wenn es den Euro nicht gäbe. Herzlichen Dank für diese Unterstützung.

Lieber Herr Kannegiesser, bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft waren Sie immer mit dabei. Sie hat die Ordnungsprinzipien dessen im Blick, was Walter Eucken und andere Gründer der Sozialen Marktwirtschaft für uns als Land prägend formuliert haben und was Ludwig Erhard später durchgesetzt hat. Es ist eine gesellschaftliche Ordnung, die auf der Überzeugung basiert, dass Politik Leitplanken setzen kann, aber dass Politik auch die Aufgabe hat, innerhalb dieser Leitplanken den Akteuren auf dem Markt freien Raum einzuräumen.

Weil Sie bis Dienstagmittag für Deutschland und von da an für den Export arbeiten, ist meine Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, dass die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft nicht nur bei uns, nicht nur ansatzweise überall in Europa, sondern auch weltweit Geltung bekommen, auch wenn mir viele sagen: Das klingt vermessen.

Aber, lieber Herr Kannegiesser, als Ihre Eltern angefangen haben, als Sie kurz vor dem 30. Lebensjahr das Unternehmen übernommen haben, sah auch vieles schwierig aus. Doch der Schritt hat sich als erfolgreich erwiesen. Sie verkörpern ein kleines Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte und einen großen Teil dessen, was deutsche Unternehmer für das Gemeinwohl eingebracht haben: Zeit, Kraft, Nerven – auch seitens der Familie, wie ich vermute – bei diesen schönen Tarifverhandlungen, die immer erst dann enden, wenn unsere Europäischen Räte schon vorbei sind. Soziale Marktwirtschaft hat sich mit Blick auf den Wohlstand der Menschen in Deutschland bewährt. Deshalb sollten wir mit Überzeugung weltweit dafür eintreten. Das sage ich deshalb, weil Ihr runder Geburtstag noch so viel Spielraum eröffnet, dass Sie ab Dienstagnachmittag nicht nur für Gesamtmetall arbeiten könnten, sondern für die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft zumindest in Europa und darüber hinaus.

Herzlichen Glückwunsch, alles Gute und Ihnen herzlichen Dank.