Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der deutsch-spanischen Wirtschaftskonferenz

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Rosell,
Herr Teruel,
Herr Keitel,
Herr Driftmann,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte mich zuerst bei Ihnen allen aus der Wirtschaft und aus den Gewerkschaften dafür bedanken, dass Sie heute hierhergekommen sind. Wir haben es von politischer Seite aus ausgesprochen begrüßt, dass es einen engen Austausch zwischen der spanischen und der deutschen Wirtschaft gibt. Ich weiß, dass für viele von Ihnen beträchtliche Zeit in die deutsch-spanischen Beziehungen investieren. Viele Unternehmen arbeiten global; und sich einfach einen ganzen Tag Zeit füreinander zu nehmen, zeigt, dass man am gegenseitigen Erfolg interessiert ist.

Ihr Programm heute war beeindruckend; ich konnte aber natürlich nicht die ganze Zeit dabei sein. Aber ich denke, Sie haben die Zeit genutzt, um offen darüber zu sprechen, was gut ist, was noch verbessert werden kann und wie wir auf den internationalen Märkten insgesamt noch besser dafür sorgen können, dass in unseren Ländern Arbeitsplätze entstehen, dass gute Investitionen getätigt und dass gute Produkte hergestellt werden.

Ich bin soeben auf der Pressekonferenz gefragt worden, ob es mich beunruhigt, dass das Bild von Deutschland in Spanien in diesen Tagen manchmal etwas angekratzt ist. Dazu habe ich gesagt: Natürlich ist das nicht schön; und mein Besuch dient natürlich auch der Tatsache, dass wir uns wieder besser verstehen wollen. Aber ich habe auch noch einmal deutlich gemacht, dass wir uns doch nicht gegenseitig Reformen zumuten, weil wir es so schön finden, wenn ein anderer in Europa leidet, sondern dass wir das doch aus der tiefen Überzeugung heraus machen, dass wir unseren Wohlstand und unsere Art zu leben – Freiheit, Meinungsfreiheit, Reisefreiheit – letztlich nur erhalten können, wenn wir auch wettbewerbsfähig sind und das produzieren und auf den Weltmärkten verkaufen können, was dem Stand der Zeit entspricht. Nur so können wir sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger in unseren Ländern den Wohlstand haben können, den sie auch in der Vergangenheit gewöhnt waren.

Es hat sich eben unglaublich viel geändert. Und deshalb müssen wir uns gegenseitig austauschen, weil wir ein gemeinsames Interesse haben. Wir haben das Interesse, ein starkes Europa zu sein, weil wir stolz sein können auf unsere Art zu leben und weil wir gerne dafür sorgen wollen, dass unsere Kinder und Enkel das auch können. In dieser Hinsicht können Staaten und Politiker vieles machen. Sie können Rahmen und Regelungen schaffen, sie können Leitplanken setzen. Wir haben ja an den Finanzmärkten gemerkt, in welch schreckliche Kalamitäten sie uns stürzen können, wenn dort die Regulierung nicht ausreicht. Aber wir müssen bei allen Regeln immer noch so viel Platz lassen, dass sich Menschen finden, die Lust haben, ein Unternehmen zu gründen und etwas zu produzieren – kleine Unternehmen und große Unternehmen, die letztendlich die Arbeitsplätze schaffen, durch die wir dann Steuereinnahmen erhalten können und sozialen Ausgleich, mehr Solidarität und Gerechtigkeit in der Gesellschaft schaffen können.

Wir alle haben erlebt – das gilt auch für Deutschland –: Wenn man über Jahrzehnte hinweg mehr ausgibt als einnimmt, dann wird man abhängig von Dritten; und diese Dritten fangen an, Bedingungen zu diktieren, die einem auch nicht passen. Aus dieser Falle müssen wir gemeinsam wieder herauskommen. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Angesichts von sieben Milliarden Menschen werden wir mit 80 Millionen Menschen in Deutschland nur dann Großes bewegen können, wenn wir als 500 Millionen Europäer nicht nur stolz darauf sind, dass wir jetzt schon über 60 Jahre in Frieden leben, sondern wenn wir unsere Interesen auch gemeinsam nach außen vertreten.

Dass Sie sich bereiterklärt haben, daran mitzuarbeiten, finde ich gut. Ich habe die hier thematisierten vier Punkte verfolgt. Ich denke und hoffe, dass wir in der Diskussion noch ein bisschen mehr darüber erfahren können, was Sie glauben, wo die Regierungen helfen können – sei es bei der Unterstützung des dualen Ausbildungssystems oder bei anderen Rahmenbedingungen. Wir alle haben in unseren Ländern Reformaufgaben zu erledigen. Das Schwierige in Spanien ist jetzt sicherlich, dass die Reformen nicht sofort wirken, sondern dass man erst eine ziemlich lange Wegstrecke zurücklegen muss, bevor man die Effekte solcher Reformen sieht. Ich kann aus Deutschland berichten, dass wir auch einmal mehr als fünf Millionen Arbeitslose hatten und dass wir jetzt wieder in einer besseren Lage sind. Aber wir wissen auch: Jeden Tag müssen wir wieder dafür arbeiten, dass wir auch morgen noch wettbewerbsfähig sind.

Ich will noch einen Gedanken aufnehmen: Auch die Europäische Kommission muss sich natürlich überlegen – dabei werden wir sie als Regierungschefs unterstützen –, was wir noch an Rahmenbedingungen für Wettbewerb und für Entbürokratisierung schaffen können. Gerade die großen Investitionen in die Infrastruktur werden nicht allein von den Staaten getätigt werden können. Es muss uns gelingen, hierfür privates Kapital, das es auf den Märkten ja gibt, zu mobilisieren. Die Staaten werden in den nächsten Jahren alle Hände voll damit zu tun haben, ihre Budgets wenigstens einigermaßen in Ordnung zu bringen. Das heißt, wir müssen in ganz Europa geeignete Rahmenbedingungen schaffen, sodass Investoren sagen: Jawohl, hier lohnt es sich, für die Zukunft zu investieren. – Daran führt kein Weg vorbei.

Sagen Sie uns deshalb, was Sie uns unbedingt sagen müssen, damit wir auch ein bisschen klüger werden und wissen, wo unsere Hausaufgaben liegen. Ganz herzlichen Dank dafür, dass es dieses Treffen gibt, weil es unterstreicht: Die Gemeinsamkeit in Europa ist nicht nur eine Sache von Politikern, sondern die Gemeinsamkeit in Europa findet auf allen Ebenen statt. Deshalb bedanke ich mich auch dafür, dass die Vertreter der Gewerkschaften hierhergekommen sind. Ich weiß, dass das im Augenblick keine einfache Zeit für Sie ist. Sie haben viel Verantwortung gegenüber denen, die Einbußen hinnehmen müssen. Sie haben viel Verantwortung gegenüber denen, die arbeitslos sind. Aber glauben Sie uns: Wir tun das, von dem wir glauben, dass es richtig ist, um aus dem jetzigen Dilemma herauszukommen und auch wieder bessere Zeiten zu erleben.

Herzlichen Dank.