Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Festveranstaltung anlässlich der Jahresversammlung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Oetker,

sehr geehrter Herr Hambrecht,

sehr geehrter Herr Bundespräsident von Weizsäcker,

meine Damen und Herren,

auch ich möchte Ihnen, lieber Herr Bundespräsident Richard von Weizsäcker, ganz herzlich zu dieser Auszeichnung gratulieren, wobei auch ich der Meinung bin, dass die Richard-Merton-Ehrennadel die Verleiher genauso schmückt wie den, an den sie verliehen wurde.

Ich bin heute sehr gerne zur diesjährigen Festveranstaltung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft gekommen. Ich möchte auch von meiner Seite aus Danke sagen – Danke für 90 Jahre Wissenschaftsförderung in Deutschland. Seit 90 Jahren bündelt der Stifterverband das Engagement der Wirtschaft für die Wissenschaft. Er unterstützt Forschung und Lehre in Deutschland, gibt immer wieder Impulse für die Weiterentwicklung unserer Wissenschaftslandschaft und fördert vor allen Dingen bürgerschaftliches Engagement im Bereich der Stiftungen. Die Wirtschaft übernimmt im Stifterverband Verantwortung für ein leistungsstarkes Hochschul- und Wissenschaftssystem.

Auf jeden Fall sind es 90 Jahre im Dienst der Wissenschaft. Und schon am Anfang stand eine Erkenntnis. Diese Erkenntnis hing unmittelbar mit der allgemeinen Situation im Gründungsjahr des Stifterverbandes zusammen. 1920, kurz nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, war Deutschland in seinen wirtschaftlichen und sozialen Fundamenten schwer erschüttert. Damals waren es weitsichtige Unternehmer und Wissenschaftler, die sich schnell einig wurden in der Ansicht, dass ein zukunftsfähiges Deutschland, eine zukunftsfähige Gesellschaft und Wirtschaft immer auch auf leistungsfähige Universitäten, Hochschulen und Forschungsinstitute gegründet sein sollten. Das Spannende war, dass sie erkannten, dass die Unternehmen eine Mitverantwortung für die Bildungs- und Forschungslandschaft haben. Beispielhaft dafür steht der überlieferte Satz von einem der Gründer des Stifterverbandes, Carl Duisberg. Er sagte 1920: Wir müssen jeden Pfennig, den wir übrig haben, in die Wissenschaft stecken. In diesem Zitat kommt bereits ein unternehmerisches Selbstverständnis zum Ausdruck, das rund 30 Jahre später dem idealtypischen Unternehmerbild der Sozialen Marktwirtschaft entsprechen sollte. Das ist der Geist, der eine lange Tradition geformt hat und der deutlich macht: Soziale Verantwortung der Wirtschaft ist etwas, wofür man einsteht – von 1920 bis heute.

Rund 3.000 Unternehmen, Verbände, Stiftungen und Privatpersonen machen den Stifterverband mit ihren Spenden, Beiträgen und Stiftungserträgen zum aktuell größten privaten Wissenschaftsförderer Deutschlands. Mit seinen Initiativen zur Stärkung der Hochschulen und zur Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft weist der Stifterverband immer wieder den Weg, wie wir mit Bildung, Forschung und Innovation unseren Wohlstand dauerhaft sichern können.

Sie, meine Damen und Herren, nehmen ernst, was uns das Grundgesetz aufträgt: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ – Das ist ein Satz, den man in den letzten zwei Jahren nicht für jeden, der in der privaten Wirtschaft, insbesondere in einem bestimmten Sektor, tätig ist, sagen konnte. – Ich danke Ihnen dafür, dass Sie sich genau diesem grundgesetzlichen Artikel verpflichtet fühlen. Wir brauchen Ihr Engagement zum Wohle der Allgemeinheit mehr denn je – gerade jetzt, in einer Zeit, in der sich auch die Bundesrepublik Deutschland durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise nicht nur in der schwierigsten haushaltspolitischen Situation ihrer Geschichte befindet, sondern vor allen Dingen auch darum ringt, was das Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft ist und wo die Verantwortung der einzelnen Gruppen liegt. Ich glaube, dass wir im Augenblick insgesamt in einer Situation sind, in der die Verfasstheit unseres Staates immer wieder auf die Probe gestellt wird, in der die Beiträge der Einzelnen dringend notwendig sind. Für mich war es eine gute Erfahrung, dass wir mit dem Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise ein wichtiges und im Allgemeinen sehr intensives und gutes Miteinander von Politik, Arbeitgebern – sprich, der Wirtschaft – und Arbeitnehmern gehabt haben.

Die Soziale Marktwirtschaft befindet sich in einer Bewährungsprobe. Gerade in einer solchen Zeit ist es wichtig, dass auch das Engagement der Wirtschaft im Bereich Forschung und Bildung, also im Zukunftsbereich, deutlich wird. Wir haben einen Wirtschaftseinbruch von fünf Prozent gehabt – etwas, was die Bundesrepublik Deutschland in seiner 60-jährigen Geschichte bislang nicht gekannt hat. Dieser Wirtschaftseinbruch wird uns und das Leben in unserem Lande auch noch einige Jahre prägen. Und wie es so ist: Im ersten Schock ist jeder noch mit dabei, aber bei der Überwindung der Krise werden jetzt auch die Mühen der Ebene kommen. In einer solchen Krise werden auch weltweit die Karten neu gemischt. Es wird ganz wichtig sein, dass das, was uns in den letzten Jahren stark gemacht hat, jetzt auch weitergeführt wird.

Gerade in der Phase, die vor uns liegt, sind Institutionen wie der Stifterverband aus meiner Sicht von allergrößter Bedeutung. Denn die Menschen schauen mehr denn je, wo denn Elemente und Kennzeichen der Sozialen Marktwirtschaft auch in Zeiten der Globalisierung erlebbar sind. Da es auch um die Zukunft unseres Landes geht, wenn wir über Bildung und Forschung sprechen, ist es gerade in einer Zeit, in der der Wettbewerb weltweit zunimmt, wichtig, deutlich zu machen, welcher Anspruch uns in Deutschland leitet. Dabei ist der Stifterverband eine wichtige Größe.

In dieser Zeit erlebt unser Land einen massiven demografischen Wandel. Wir werden – erfreulicherweise – mehr Ältere, aber weniger Junge haben. In den nächsten Jahren werden Jahr für Jahr 200.000 Menschen mehr aus dem Arbeitsleben ausscheiden als da eintreten. Umso wichtiger wird es sein, das, was unser Rohstoff ist, nämlich die Fähigkeiten und Kenntnisse der Menschen, fortzuentwickeln, denn dabei stehen wir in einem viel stärkeren Wettbewerb, als wir früher hatten.

Ich sehe gerade Herrn Reitzle, der mich auf meiner letzten Golfreise begleitet hat – das Folgende gilt aber auch für Reisen nach China und in andere Länder: Wenn man sich einmal in der Welt umschaut – Sie alle, die Sie hier sitzen, sind wahrscheinlich öfters auf Reisen als ich –, dann muss man einfach erkennen, dass die Dynamik in vielen Bereichen der Welt so sichtbar ist, dass es von allergrößter Bedeutung ist, dass wir auf dem guten Fundament, das wir haben, aufbauen und uns stetig weiterentwickeln. Wenn wir das nicht tun, werden wir unwiderruflich abgehängt werden. Dabei spielt die Frage von Bildung und Wissenschaft eine zentrale Rolle. Wer sich einmal anschaut, was an Bildungsstätten und Bildungsstädten rund um die Welt in dieser Zeit gebaut wird und was in Bildung investiert wird, der weiß, dass wir auf einem guten Pfad sind, aber der weiß auch, dass wir intensiv weitermachen müssen.

Der ehemalige Vorsitzende des Stifterverbandes, Richard Merton, hat einmal gesagt: Die Forschung von heute ist das Brot von morgen. Damit hat er schon damals, in den 50er Jahren, Recht gehabt, aber das gilt in unserer heutigen Zeit noch mehr. Deshalb ist meine Erwartung, dass Ihr Engagement nach 90 Jahren nicht erlahmt, sondern gerade in den Zeiten, in denen wir jetzt leben, an Kraft gewinnt.

Wir haben uns in unserer Regierungsarbeit natürlich auch dieser Aufgabe gewidmet. Sie wissen, dass wir gerade bei Bildung und Forschung trotz notwendiger Haushaltskonsolidierung nicht gespart haben. Im Gegenteil: Wir haben in diesem Bereich einen systematischen Aufwuchs an Ausgaben, den wir auch fortsetzen wollen. Wir haben gesagt: Deutschland soll eine Bildungsrepublik werden. Fragen der Sozialen Marktwirtschaft, die inzwischen, wie ich glaube, besser geregelt sind, als das noch vor 50 Jahren der Fall war, werden heute insbesondere durch Bildungsfragen ersetzt. Wenn unser Land nicht gut gebildete Menschen und insbesondere gut gebildete junge Leute hervorbringt, wenn das lebenslange Lernen nicht zu einer Selbstverständlichkeit wird und wenn nicht auch die Älteren als Persönlichkeiten angesehen werden, die sich immer wieder weiterentwickeln können, dann werden wir mit der Dynamik der Entwicklung auf der Welt nicht mithalten können.

Deshalb haben wir jetzt versucht, die notwendige Haushaltskonsolidierung vorzunehmen, die auch ganz viel mit Zukunft zu tun hat. Denn es ist eigentlich ein unhaltbarer Zustand, dass wir seit etwa 40 Jahren ganz selbstverständlich immer mehr ausgeben, als wir einnehmen. Wenn wir heute über Sparen sprechen, sprechen wir eigentlich nur über die Erreichung eines Zustandes, in dem wir in einem Jahr nicht mehr ausgeben, als wir eingenommen haben. Dann haben wir aber immer noch keine Schulden abgebaut. Deshalb muss sich an der Struktur unseres Haushaltes etwas ändern.

Wir hatten im Jahre 1980 einen Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt von 16 Prozent. 1990 waren wir schon bei 30 Prozent. Wir sind in diesem Jahr – es ist ein krisenbedingter Haushalt, weshalb das etwas atypisch ist; aber ganz so schlimm ist es generell noch nicht – bei fast 55 Prozent. Wenn wir dann noch die Personalkosten des Bundes und die Zinszahlungen addieren, sind bereits rund 75 Prozent des Bundeshaushalts ausgegeben. Wenn wir da keine Neutarierung zugunsten von Zukunftsinvestitionen hinbekommen, dann wird es für die kommenden Zeiten ausgesprochen schwierig. Und wenn der Anteil der Zinszahlungen am Bundeshaushalt weiter wächst, dann werden natürlich die Spielräume für kommende Generationen immer geringer. Deshalb gibt es zu dem, was wir tun müssen, keine vernünftige Alternative – es gibt immer Alternativen, aber es gibt in diesem Fall keine vernünftige Alternative. Darum ist es auch so wichtig – und ich bitte den Stifterverband, das ganz vehement zu tun; Sie tun es ja auch –, dass wir darüber eine gesamtgesellschaftliche Diskussion führen und uns immer wieder deutlich machen: Wo stehen wir in Deutschland, woran können wir anknüpfen und was liegt vor allen Dingen als Aufgabe vor uns?

Man kann viele Rechtsansprüche definieren, aber der Anspruch, ein dynamisches Land zu sein und im globalen Wettbewerb eine führende Position einzunehmen, ist durch Definition nicht möglich; man muss sich das vielmehr täglich erarbeiten. Deshalb haben wir heute Nachmittag in der Tat – leider auch wieder etwas kontrovers – über das Erreichen des Zehn-Prozent-Ziels in Bildung und Forschung gesprochen. Das heißt nichts anderes, als dass wir gesamtgesellschaftlich drei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und – möglichst schon im Jahre 2015 – sieben Prozent für Bildung ausgeben wollen.

Nun sind diese Prozentzahlen zugegebenermaßen relativ ambivalent. Denn einige Länder haben heute berichtet, dass der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um fünf Prozent sie in die erstaunliche Lage versetzt, zwar 2010 sieben Prozent für Bildung ausgeben zu können, dies aber 2013 nicht mehr zu schaffen, obwohl sie 2013 mehr ausgeben werden als 2010. Das zeigt, dass man mit einer solchen Größe nicht alles beschreiben kann, zumal dann zu Recht auch immer wieder gesagt wird: Das Geld muss auch vernünftig eingesetzt werden.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir in Deutschland den Stifterverband haben, denn an Ihren Beispielen können wir sehen, wie innovativ und individuell neue Wege beschritten und neue Projekte unternommen werden können. Diese kann man zwar gleich für alle und für alles einführen, sie sind aber notwendige und wichtige Ergänzungen. Wenn man allein an die vielen Bildungsprojekte im Bereich der Stiftungen in Deutschland denkt, kann man ohne Weiteres sagen: Sie bereichern die Bildungslandschaft erheblich. Sie haben auch immer wieder dazu beigetragen, an Stellen, an denen sich der Staat in Zuständigkeitsabgrenzungen ergeht, Brücken zwischen den verschiedenen Institutionen zu bauen.

Mir sind Stiftungsprojekte aufgefallen, von denen man eigentlich denkt, dass sie Normalität sein müssten. Wenn man aus dem Blickwinkel eines Kindes auf seinen Bildungsweg schaut, muss man sagen: Das Kind interessiert ja nicht, in wessen Zuständigkeit es sich gerade aufhält – ob in halber Zuständigkeit des Bundes im Kindergartenalter, in ganzer Zuständigkeit des Landes im Schulalter oder beim Verlassen der Schule sofort wieder in der Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit. Das Kind möchte im Allgemeinen – und auch die Eltern möchten das – vielmehr vernünftig gebildet werden.

Weil nun die Ausbildung von Kindergärtnerinnen eine Fachausbildung und die Ausbildung von Grundschullehrerinnen eine akademische Ausbildung ist, ist es über Jahre und Jahrzehnte hinweg so gewesen, dass die Grundschullehrerin den Kindergarten nicht betrat und die Kindergärtnerin die Grundschule nicht betrat. Damit wurde das arme Kind auch nicht auf den Übergang vorbereitet und analog zum schönen deutschen Sprichwort Mit der Schule beginnt der Ernst des Lebens natürlich von einer Phase der Fröhlichkeit unmittelbar in den Ernst des Lebens entlassen, ohne dass man schaute, ob man diese Stufe auch besser überschreiten kann. Ich bin unglaublich dankbar dafür, dass man es in einem Projekt über die trickreiche Idee einer gemeinsamen Weiterbildung und die Notwendigkeit, in dieser Phase gemeinsam Zeit zu verbringen, irgendwie geschafft hat, die Neugier so groß werden zu lassen, dass die Grundschullehrerin gefragt hat, ob sie auch einmal in den Kindergarten schauen kann, und die Kindergärtnerin gefragt hat: Kann ich auch einmal in die Grundschule gehen? Das war ein großer Erfolg. Aus so etwas kann dann auch gemeinschaftliches Denken im Sinne der Menschen werden, was in unserer hoch entwickelten Gesellschaft eben an vielen Stellen unglaublich fragmentiert und damit, weiß Gott, nicht mehr zum Wohle des Menschen ist. Das sind nicht immer Fragen des Geldes.

Wir haben in Dresden auf dem Bildungsgipfel einen grandiosen Erfolg erzielt, nämlich dass Berufsberatung in Schulen stattfinden darf. Das heißt, dass die Bundesagentur für Arbeit grundsätzlich die Erlaubnis erhält, zum Ende der Schulzeit in die Hauptschul- und Realschulklassen zu gehen, um über die Vielfalt der Berufe und darüber zu informieren, wie man eine Bewerbung schreibt. Auch das sind im Grunde genommen zwei Zuständigkeitswelten, die zusammengebracht werden. So sind die Dinge, die wir in unserer Bundesrepublik zu leisten haben, zum Teil Dinge, die zwar natürlich etwas mit finanzieller Ausstattung zu tun haben. Aber gerade in Ihrem privaten Engagement sind es an vielen Stellen eben auch Dinge, die innovatives Denken in eine zum Teil doch sehr starre und sich mit Veränderungen schwer tuende Gesellschaft hineinbringen.

Die Frage, wie wir in der Bildung vorankommen, wird natürlich darüber entscheiden, wie wir in zehn oder 20 Jahren dastehen werden. Wenn wir uns einfach anschauen, dass nicht nur die Zahl derer, die in die Schule kommen, signifikant kleiner wird, sondern dass sich auch die Zusammensetzung derer, die in die Schule kommen, verändert, der Anteil der Migrantinnen und Migranten erheblich zunimmt, und wenn wir uns anschauen, dass heute in vielen Großstädten die Zahl der Eingeschulten mit einem Migrationshintergrund schon größer als die Zahl derer mit einem Hintergrund von Eltern aus Deutschland ist, dann ist erkennbar, wie wichtig es ist, hier in der geeigneten Art und Weise wirklich Chancen für ein ganzes Leben durch vernünftige Bildung zu entwickeln.

Wir haben außerdem die Situation, dass es einen Teil der Bevölkerung gibt – damit haben wir uns auf unserer Klausurtagung jetzt sehr stark beschäftigt –, der in der Langzeitarbeitslosigkeit verharrt. Auch die so genannten Hartz-IV-Reformen haben nicht dazu geführt, dass die Ausgaben für Langzeitarbeitslose geringer geworden sind. Sie sind fast konstant geblieben. Bei einer Bevölkerung von 80 Millionen Menschen haben wir mehr als fünf Millionen erwerbsfähige Hilfebedürftige. Darunter sind 660.000 Alleinerziehende, für die man schon durch bessere Kinderbetreuung, für die auch sonst manches spricht, die Arbeitsfähigkeit erhöhen könnte, und rund 1,2 Millionen ältere Menschen, wobei man heute mit über 50 schon älter ist. Man ist dann zwar älter, als wenn man 40 ist, aber dass man im Erwerbsleben bei einer Lebenserwartung von doch deutlich über 75 Jahren mit 50 im Grunde schon zum schwer vermittelbaren Bereich gehört, ist ein Zustand, den sich unsere Gesellschaft in Zukunft nicht leisten kann. Deshalb wird gerade die berufliche Qualifizierung auch in den Berufsjahren, in denen man schon über ein erhebliches Maß an Erfahrung verfügt, eine der wichtigen Aufgaben sein. Herr Hambrecht nickt gerade; ich konnte mir das bei der BASF auch einmal anschauen.

Das wirft völlig neue Fragen des Lernens auf. Wir haben es damals im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit immer wieder gesehen: Wenn der Prüfer plötzlich 25 Jahre und der Geprüfte 50 Jahre alt ist, dann stellen sich auch kulturell und gesellschaftspolitisch ganz andere Fragen als wir bisher gewöhnt waren. Insofern ist der Bereich des lebenslangen Lernens sicherlich ein unglaublich spannender – ob es nun um das Berufsleben oder um das Forschungs- oder Akademikerleben geht.

Wir haben versucht – in der letzten Legislaturperiode hat das Annette Schavan als Bildung- und Forschungsministerin gemacht –, sehr intensiv zu evaluieren, wie Deutschland in der Forschungslandschaft dasteht. Ich glaube, wir haben mit der Hightech-Strategie etwas Gutes gemacht. Wir lügen uns nicht bezüglich dessen in die Tasche, wo wir gut sind oder wo wir schlechter sind, sondern wir analysieren das systematisch und geben Ziele vor. Wenn man einmal sieht, wie strategisch und durchgängig das in anderen Teilen der Welt gemacht wird, dann ist das aus meiner Sicht die einzige Möglichkeit, um heute vorne mit dran zu bleiben. Ich glaube, dass sich daraus auch ein gutes Miteinander von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ergeben hat. In der Forschungsunion wird dies täglich praktiziert.

Insoweit sind viele Ihrer Projekte, die ich hier jetzt natürlich nicht alle nennen kann, auch Ergänzungen, Erweiterungen und Anstöße, um auch im politischen Tun voranzukommen. Ich glaube, wir tun auch gut daran, die Erkenntnisse aus unserer Forschungslandschaft in Deutschland in die Europäische Union und in das vereinigte Europa einzubringen, weil Deutschland mit einer klaren Ausrichtung am Leistungsprinzip hierbei doch erhebliche Erfolge erzielt hat. Es ist uns damals gelungen – darauf bin ich heute noch ein bisschen stolz –, dass wir es während unserer deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 geschafft haben, einen Europäischen Forschungsrat zu installieren, der nicht nach der Frage Aus welcher Ecke Europas kommst du; wie groß muss die Gruppe sein? entscheidet, sondern wirklich nur nach der Frage, welches die guten Projekte sind, die wir fördern müssen. Exzellenz ist nämlich die einzige Möglichkeit dafür, dass wir weltweit unseren Ruf und unsere Fähigkeiten weiterentwickeln können.

Ich glaube, dass wir in unseren Forschungsaktivitäten breit ausgerichtet sein sollten. Es gibt in den entwickelten Gesellschaften eine gewisse Tendenz, bestimmte Forschungsbereiche gleich für nicht wichtig zu erklären, und andere, die hinsichtlich der Feuilletons reüssiert haben, wieder massiv zu fördern. So wacht man eines Tages auf – und es gibt keinen Elektrochemielehrstuhl mehr in Deutschland. Irgendwie gibt es dann Sätze wie Die Elektrochemie ist auch wichtig. Wenn das die Gründer des Stifterverbandes damals gehört hätten, wären sie in Ohnmacht gefallen, weil völlig klar ist, dass Elektrochemie zur Chemie gehört; dazu gibt es gar keine Alternative. Nun fangen wir halt wieder damit an, Elektrochemielehrstühle zu fördern und zu entwickeln, weil wir die E-Mobility, wie es so schön heißt, also die Elektroantriebe, voranbringen wollen. Nachdem vieles in die Biotechnologie gegangen ist, geht es jetzt wieder in die Elektrochemie und dann geht es wieder in andere Bereiche. Meine Bitte an den Stifterverband lautet also: Sagen Sie mit 90 Jahren bitte einfach: Alles kommt wieder und manches kommt neu hinzu. Bleiben Sie breit aufgestellt und gehen Sie nicht nach den Modeerscheinungen.

Meine Damen und Herren, es bleibt mir nur, all denen zu danken, die sich Zeit und Energie ihres persönlichen Lebens nehmen, um dem Stifterverband immer wieder ein Gesicht zu geben und auch die Dinge deutlich zu machen, die Sie bewegen. Ich glaube, in unserer schnelllebigen Zeit des 21. Jahrhunderts ist irgendwann das höchste Gut, das man geben kann, persönliche Zeit. Deshalb ist es ganz wichtig, dass auch in zehn, in 20 und in 30 Jahren dieser Stifterverband aus Persönlichkeiten besteht, die sich vielleicht einmal im Jahr die Zeit nehmen, sich darüber auszutauschen, was sie für das Allgemeinwohl tun. Das ist heute alles andere als selbstverständlich, wenn man rund um die Uhr verfügbar sein muss. Das, was früher normal war, dass man ab 20 Uhr keinen mehr auf der Welt erreichte, ist heute bei weitem nicht so. Wenn man selbst mit Amerika alles erledigt hat, ist dann in Tokio schon wieder die Börse geöffnet. In diesem Lauf der Welt weiß man gar nicht, wann man ein schönes Zusammensein organisieren soll. Auch ein gemeinschaftliches Leben im Stifterverband ist also wichtig.

Herr Oetker und liebe Mitglieder, ich gratuliere Ihnen zu 90 Jahren erfolgreicher Arbeit, und ich wünsche mir, dass Sie im 100. Jahr wieder auf zehn gute Jahre zurückblicken können. Herzlichen Dank.