Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Deutschen Baugewerbetag 2012 in Berlin

Sehr geehrter Herr Loewenstein,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten,
meine Damen und Herren,

der Film, den wir eben gesehen haben, hat sehr lebendig deutlich gemacht, was für ein Hoffnungspotenzial, was für eine Leistungskraft unsere jungen Leute haben. Es ist natürlich toll, dass so etwas wie EuroSkills existiert, um sich messen zu können. Und es ist natürlich noch besser, dass so viele Preisträger aus Deutschland dabei sind. Ich freue mich, Sie nach meiner Rede hier kurz sehen und ein Bild mit Ihnen machen zu können.

Die Leistungskraft, die Sie bei der Europameisterschaft gezeigt haben, ist auch so etwas wie eine Gesamtbotschaft des leistungsstarken deutschen Baugewerbes und eine Zukunftsbotschaft, dass Qualität nicht nur Vergangenheit und Gegenwart ist, sondern auch in Zukunft hochgehalten werden soll. Sie zeigt auch ein Stück Deutschland, auf das wir mit Recht stolz sind und das viele andere in der Welt – im Übrigen gerade in Europa in diesen Tagen, in diesen Krisenzeiten – gern hätten, nämlich eine gut ausgebildete Jugend, gut ausgebildete Fachkräfte.

Unser duales Berufsausbildungssystem sollte nicht nur zum Exportschlager in Europa werden. Ich werde überall auf der Welt immer wieder angesprochen, ob wir es nicht auch noch viel mehr in viele Schwellen- und Entwicklungsländer exportieren könnten. Deshalb darf ich Ihnen auch zusagen, dass wir in dem Wettstreit, den wir in Europa immer zwischen Freiheit des Dienstleistungsmarktes auf der einen und Qualitätssicherung und Qualitätsstandards auf der andere Seite haben, die deutschen Erfahrungen vehement einbringen werden. Wir tun das seit längerem zusammen mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks und werden auch weiter dafür werben, genauso wie wir dafür werben, dass es nicht nur eine Akademisierung des Ausbildungsbereichs gibt.

Wir hatten gerade wieder am Beispiel von Krankenschwestern und anderen Berufen gesehen, dass da einfach verlangt wird, dass man zwölf Jahre zur Schule gegangen sein muss. Wir sagen: Nein, man muss nicht unbedingt zwölf Jahre zur Schule gegangen sein, sondern man kann auch zehn Jahre zur Schule gegangen sein und dann eine Fachausbildung gemacht haben. Es ist für die Berufsfähigkeiten vielleicht viel, viel besser, wenn die Ausbildung einen theoretischen und einen praktischen Teil umfasst.

Danke schön Ihnen allen, die Sie einen solchen Beitrag zur Ausbildung leisten. Denn wer Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, wer Ausbildung leistet, der übernimmt Verantwortung für junge Menschen. Wir wissen, die Praxiserfahrung und die Weitergabe von Erfahrungen von erfahrenen Unternehmerinnen und Unternehmern sind durch nichts zu bezahlen. Man kann viel theoretische Ausbildung machen, aber wenn gestandene Leute neben einem stehen und einem über die Klippen hinweghelfen – auch mit dem knappen Schwung der Routine; mit all dem, was sie selbst erlebt haben –, dann ist das nicht zu ersetzen. Deshalb ein herzliches Dankeschön für das, was Sie leisten, denn die mittelständischen Unternehmen bilden rund 80 Prozent der mehr als 36.000 Lehrlinge am Bau aus.

Sie haben im Übrigen in Ihrer Branche auch erkannt, dass die Fachkräftesicherung in der heutigen Zeit eher noch wichtiger wird, weil wir in Deutschland einen demografischen Wandel haben. Es wird in absehbarer Zeit so kommen, dass Standortentscheidungen in Deutschland ganz wesentlich auch nach der Antwort auf die Frage getroffen werden: Gibt es hier überhaupt noch ausreichend Fachkräfte?

Deshalb ist es auch so wichtig, dass Sie an das Thema so herangehen und sagen: Jedes Talent zählt; wir fragen nicht, woher jemand kommt; wir fragen nicht, was für einen Hintergrund jemand hat, sondern wir fragen, ob ein junger Mensch etwas kann, ob er Lust und Spaß an der Aufgabe hat? Jedes Talent zählt gleichermaßen. Wir werden auch mehr junge Migrantinnen und Migranten unter unseren Leuten haben. Gerade auch in der Bauwirtschaft findet sich eine offene Tür für alle.

Sie schreiben im Baugewerbe die überbetriebliche Ausbildung schon lange groß. Sie bieten insgesamt 18 Ausbildungsberufe an. Nach wie vor habe ich, wenn ich mit jüngeren Leuten spreche, manchmal den Eindruck, dass sie nicht ganz genau wissen, wie viele Wahlmöglichkeiten sie haben. Wir haben deshalb als Bundesregierung einen Qualifizierungsgipfel mit den Bundesländern veranstaltet, um darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, in den letzten Schuljahren auch Berufsberatung zuzulassen. Ich kann Sie alle nur ermuntern: Suchen auch Sie den Weg zu den Schülerinnen und Schülern. Da könnten wir noch sehr viel mehr machen.

Die deutsche Bauwirtschaft verfügt seit 1976 über das umlagefinanzierte Berufsausbildungsverfahren. Rund 300 Millionen Euro lässt sich Ihre Branche die Ausbildung jährlich kosten. Das ist gut investiertes Geld. Ich erwähne es nur nochmals – Sie wissen das ja alles –, damit vielleicht auch in der Außenwelt wahrgenommen wird, welche Erfahrungen Sie gemacht haben und dass wir diese für ausgesprochen gut halten.

Sie haben eine Qualitätsoffensive gestartet und wollen damit einmal mehr darauf hinweisen, wie wichtig es ist, den hohen Standard der Ausbildung zu sichern. Solche Qualitätsoffensiven sind auch immer sehr wichtig, damit wir in Brüssel und anderswo, wo Vorschläge bewertet und Entscheidungen gefällt werden, deutlich machen können, welcher Qualitätsanspruch dahintersteht.

Spezialisierung und Hochqualifizierung am Bau prägen schon längst den Alltag in all Ihren Betrieben. Von Ihrem Wissen und Können hängt viel für unser Land ab – ob es komfortable und praktikable Wohn- und Gewerbegebäude gibt, wie leistungsstark unsere Infrastruktur ist, wie wir den Herausforderungen des Klimaschutzes und der Energiewende gerecht werden.

Der Umgang mit Ressourcen gerade im Gebäudebereich wird ein Thema sein, das uns noch über viele Jahre begleiten wird. Hier haben wir auch noch erhebliches Einsparpotenzial. Wir sagen immer: Der Wärmemarkt ist der schlafende Riese der Energiewende. Hier kann wirklich viel gemacht werden. Wir können unsere Ziele nur mit Ihrer Hilfe umsetzen, zum Beispiel den Wärmebedarf bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren oder, was wir uns wirklich sehr ambitioniert vorgenommen haben, bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu haben. Und ich will ausdrücklich sagen: Die Bundesregierung setzt hier nicht auf Zwang, sondern auf Freiwilligkeit und Anreize.

Umso bedauerlicher ist es, dass wir nach guten Erfahrungen mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm der KfW aus dem Jahr 2006 jetzt seit über einem Jahr im Vermittlungsausschuss darum ringen, dass ein neues Programm verabschiedet wird. Ich weiß nicht, ob Sie Herrn Steinmeier noch einmal mit auf den Weg gegeben haben, darüber nachzudenken. Wir sind aufseiten der Bundesregierung in den Verhandlungen absolut flexibel, nur an einer Stelle nicht: Es kann nicht sein, dass bei jedem Gesetz heutzutage die steuerliche Aufteilung zwischen Bund und Ländern außer Kraft gesetzt wird.

Deshalb sind wir im Augenblick dabei, erneut Anlauf zu nehmen. Eine Lösung zu finden, wäre für unsere Wirtschaft gut, es wäre für die Konjunktur gut, es wäre für die Menschen und mit Blick auf die Klimaziele gut. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat auch mehrfach ausgerechnet, dass die Mehreinnahmen aus dem Mehrwertsteueraufkommen die Mindereinnahmen aus den Einkommensteuerverlusten um ein Mehrfaches übersteigen würden. Wir sollten nicht müde werden, das immer und immer wieder auch zu sagen. Ich glaube nach wie vor, dass wir eine kleine Chance haben, es zu schaffen – der Kanzleramtschef ist gerade wieder in den Beratungen.

734.000 Beschäftigte – das hat Gewicht, das hat Schlagkraft. Sie konnten im Jahr 2011 ein Umsatzplus von 12,5 Prozent verbuchen. Das ist eine tolle Leistungsbilanz. Daran hat die Entwicklung im Wohnungsneubau einen ganz besonderen Anteil. Der Trend hält an. Man muss aber sicherlich sehr aufpassen, dass man in den richtigen Gegenden baut. Aber das wissen Sie, darüber brauche ich Ihnen keine Vorträge zu halten. Der demografische Wandel spiegelt sich in der Bundesrepublik Deutschland sehr unterschiedlich wider. Wir haben eben Regionen, in denen wir noch sehr, sehr viel Zulauf und Bevölkerungszuwachs haben.

Der Bautrend wird nach den jetzigen Zahlen auch 2012 anhalten: 100.000 Genehmigungen wurden im ersten Halbjahr erteilt; 5.000 mehr als im Vorjahreszeitraum. Ein bisschen hängt das, glaube ich, auch mit den Anlageunsicherheiten zusammen, die man insgesamt bei Vermögenswerten hat. Man sagt sich: Eine Immobilie kann mir keiner wegtragen, die ist eben nicht mobil und wird sich, an einem guten Standort investiert, auf Jahre hinaus auch rentieren. Und ich glaube, so, wie Sie sich einerseits wünschen, dass wir die Krise im Euroraum schnell überwinden, kann man andererseits aber auch die guten Gegebenheiten nutzen. Das Spannende an der Wirtschaft ist ja, dass man die Chancen nicht einfach verstreichen lassen sollte, sondern nutzen muss.

Die Bundesregierung unterstützt den Wohnungsbau mit Investitionsanreizen. Wir haben 2012 insgesamt mehr als zwei Milliarden Euro für die Bausparförderung und die KfW-Programme zum energieeffizienten Bauen und Sanieren bereitgestellt. Wichtig ist natürlich, dass Wohnraum auch für einkommensschwache Haushalte bezahlbar bleibt.

Hier haben wir alle in den letzten Jahren aber auch dazugelernt. Ich habe nach der Wende anfangs verblüfft auf das geschaut, was manchmal an Wohnungsneubauten entstanden ist, und mir gedacht: Ob schon jemand einen Bevölkerungszensus durchgeführt hat und ob das alles in die richtige Richtung geht? Aber inzwischen ist das vernünftig getan. Und ich möchte Sie ermuntern, auch immer daran zu denken, dass die Bedeutung des demografischen Wandels in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird und auch neue Wohnformen sowohl für Gruppen von älteren Leuten als auch für mehrere Generationen zusammen wieder an Bedeutung gewinnen werden. Ich glaube, wer hier kreativ ist, wird auch sehr gute Modelle anbieten können.

Meine Damen und Herren, wir haben immer wieder darauf hingewiesen – ich habe es eben auch gesagt –, dass wir regional differenzierte Zugänge zum Wohnungsbaubereich brauchen. Deshalb haben wir auch seit 2007 und der Föderalismusreform gesagt, dass die soziale Wohnraumförderung bei den Ländern liegen soll, weil die regionalen Gegebenheiten einfach unterschiedlich sind. Aber der Bund stellt jedes Jahr über eine halbe Milliarde Euro als Kompensation zur Verfügung – zunächst bis 2013. Jetzt verhandeln wir für die Zeit danach über die sogenannten Entflechtungsmittel – das ist der Terminus technicus. Die Verantwortlichkeiten sollen also entflochten werden. Das führt dazu, dass der Bund wenigstens mit seiner finanziellen Verantwortung nach Meinung der Länder immer mit dabei bleiben soll. Wir sagen: Wenn es einem guten Ziel dient, gibt es durchaus Verhandlungsspielräume. Die Verhandlungen sind jedenfalls noch im Gange.

Wir wollen als Bundesregierung natürlich auch auf den demografischen Wandel reagieren. Wir entwickeln unsere Demografiestrategie weiter, die verschiedenste Facetten des demografischen Wandels umfasst. Hierzu gehören Fragen unterschiedlicher Gegebenheiten in ländlichen und städtischen Räumen. Hierzu gehört natürlich auch das Thema altersgerechtes Wohnen. Wir haben uns vielleicht auch eine Zahl vor Augen zu führen: Das Kuratorium Deutsche Altershilfe kommt in einem Gutachten zu dem Schluss, dass allein bis 2020 mehr als drei Millionen altersgerechte Wohnungen zu schaffen sind. Bis 2020 ist es nicht mehr lange hin.

Bei der energetischen Gebäudesanierung möchte ich über den Spielraum gar nicht sprechen. Da haben wir eigentlich unendliche Spielräume, wenn die Anreize richtig gesetzt sind. Sicherlich muss man auch hier unterscheiden. Zum Beispiel gibt es Regionen, in denen sehr viel mehr ältere Menschen wohnen, für die sich eine Sanierung vielleicht nicht mehr allzu sehr rentiert. Aber gerade da, wo junge Familien wohnen, ist die energetische Sanierung des Bestandes auf jeden Fall lohnenswert.

Meine Damen und Herren, Sie können nur so arbeiten, wie es auch das gesamtwirtschaftliche Umfeld zulässt. Deshalb möchte ich neben dem, was Ihre Branche direkt interessiert, auch noch einmal sagen, in welchem Umfeld wir im Augenblick arbeiten. Wir befinden uns in Deutschland in einer recht guten Situation. Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist in den letzten zehn Jahren massiv gewachsen. Wir galten Anfang des Jahrtausends als kranker Mann Europas, sind aber im Augenblick in einer sehr guten Situation.

Ich weiß allerdings, dass die Welt nicht stillsteht und wir deshalb immer wieder schauen müssen: Wie können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern? Die Sozialpartnerschaft insgesamt hat sich jedenfalls bewährt – entweder als klassische Sozialpartnerschaft oder in kleineren Unternehmen oft auch als gutes persönliches Verhältnis der Eigentümer zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wenn wir in diesen Tagen in Europa sehr, sehr viel über Wachstum sprechen, dann versuche ich immer wieder den Blick auch auf Folgendes zu lenken: Der Staat kann viel falsch machen, er kann Anreize setzen; wenn er aber keine Unternehmen hat, die diese Anreize nutzen wollen, ist er völlig machtlos. Wachstum kann man mit keiner Richtlinie vorschreiben, kann man mit keinem Gesetz vorschreiben. Um Wachstum zu schaffen, brauchen Unternehmen Luft zum Atmen. Dazu brauchen sie ein Klima, in dem sie willkommen sind. Sie brauchen alles, bloß nicht dauernde Neiddiskussionen.

Deshalb sage ich immer wieder: Die Worte "Unternehmer", "Unternehmerin" oder "Unternehmen" sind im Deutschen sehr ausdrucksstark, weil sie uns darauf hinweisen, dass es jemanden geben muss, der etwas unternehmen will, der eine Idee hat, der einen Plan hat, der eine Dienstleistung anbieten will und der ganz sicher ist, dass diese Idee auch einen Kunden, einen Abnehmer findet. Und diese Arbeit, dieses Wechselspiel zwischen einem Unternehmer, der eine Idee hat, und irgendjemandem auf der Welt, dem diese Idee gefällt und der dafür Geld ausgibt, kann nicht befohlen werden. Es lebt vielmehr von Kreativität, von guter Ausbildung, von guter Erfahrung, aber es kann auch sehr schnell zerstört werden.

Wenn wir über Wachstum sprechen, dann muss in Europa die erste Frage sein: Wie können wir denen, die etwas unternehmen wollen, Mut machen, es auch zu tun? Wenn ich die Arbeitsmarktregelungen in vielen Ländern Europas anschaue, wenn ich sehe, wie schwer wir uns getan haben, einige Verbesserungen zu erreichen, dann ist natürlich klar, dass zum Beispiel ein Teil der Jugendarbeitslosigkeit in einigen europäischen Ländern auch damit zu tun hat, dass wir sehr verkrustete Arbeitsmärkte haben und daher denen, die ihre Chance ergreifen wollen, diese Chance nicht geben. Diese Diskussion müssen wir in Europa führen. Ich habe gestern im Europäischen Parlament auch darüber gesprochen. Da gibt es natürlich auch sehr kritische Auseinandersetzungen.

Letztlich ist doch immer wieder sehr, sehr viel Wahrheit in dem Satz: Sozial ist, was Arbeit schafft. Wer sich um das Schaffen von Arbeitsplätzen nicht bemüht, wird sehr große Schwierigkeiten haben, eine soziale Gesellschaft zu haben. Und wenn man etwas einnimmt, dann kann und muss man auch über eine gerechte Verteilung in unserer Gesellschaft sprechen – keine Frage. Aber dass wir sozusagen eine Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft haben, dass manch einer nur über das Verteilen spricht und die anderen irgendwie nur für das Einnehmen zuständig sind, werden wir als Bundesregierung jedenfalls nicht akzeptieren.

Wir wissen, dass wir unseren Wohlstand in Deutschland nur halten können, wenn wir auch hochwertige Arbeitsplätze, die eine hohe Qualifizierung erfordern und eine gute Technisierung aufweisen, anbieten. Das heißt, wir müssen es schaffen, innovativ, kreativ zu sein – und das nicht nur bei unseren Ingenieuren und denen, die Baumaterialien und vieles andere auf einer wissenschaftlichen Basis entwickeln, sondern auch auf allen Stufen der praktischen Projektrealisierung durch Facharbeiter. Diese Kette, die so wichtig ist, darf in Deutschland nicht zerstört werden. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung einen klaren Schwerpunkt bei Forschung und Entwicklung gesetzt und die sogenannte Hightech-Strategie auch darauf ausgerichtet, dass wir eben nicht nur Grundlagenforschung fördern, sondern uns auch mehr mit der Kette der Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis befassen, die natürlich genauso wichtig ist.

Wenn wir uns noch einmal vor Augen führen: Die Europäische Union hat 500 Millionen Einwohner. Wir sind also weniger als acht Prozent der Weltbevölkerung und produzieren noch etwa ein Viertel dessen, was auf der Welt produziert wird. Und wir haben etwa 50 Prozent der Sozialausgaben der Welt. Wenn wir das erhalten wollen, dann wird die Chance, das zu schaffen, nur darin bestehen, innovativ und kreativ zu bleiben. Wenn wir alle nur noch das machen, was andere auch können, wenn wir keine neuen Ideen haben, dann wird das nicht passieren.

Der Chef der Welthandelsorganisation, Pascal Lamy, hat uns neulich noch einmal gesagt: 90 Prozent des Wachstums auf der Welt werden derzeit außerhalb Europas generiert – 90 Prozent. Das heißt, wir müssen mit unseren Fähigkeiten und Fertigkeiten bei uns in Europa gut sein, müssen aber auch mit vielen Fähigkeiten und Fertigkeiten exportfähig sein. Das muss nicht unbedingt beim Fliesenlegen sein. Aber wenn es um Materialien, wenn es um Maschinen, wenn es um die Weitergabe von Technologien geht, dann ist Exportfähigkeit von allergrößter Bedeutung.

Den jungen Menschen möchte ich zurufen, dass es schon noch interessant ist, das, was sie können, in andere Regionen der Welt zu transportieren. Und wir könnten vielleicht darüber nachdenken, ob EuroSkills zum Beispiel einmal eine Partnerschaft mit asiatischen Wettbewerben schließt. China, Indonesien und andere Länder haben ein sehr großes Interesse an einer guten Ausbildung junger Leute. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass Reisen bildet und dass man damit auch die Dynamik der Welt sehen und viel besser verstehen kann.

Ich möchte Ihnen jetzt keinen Vortrag über meine Vorstellungen zur Lösung der so genannten Eurokrise halten. Ich will Ihnen nur sagen: Ich bin wie die ganze Bundesregierung zutiefst davon überzeugt: Wir werden das nur schaffen, wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken und unsere Schulden abbauen. Wenn wir zu viele Schulden haben, werden Investoren, die von außen kommen, wenig Vertrauen in uns haben. Deshalb ist der Schuldenabbau von allergrößter Bedeutung.

Wolfgang Schäuble kam unlängst von der großen IWF-Tagung in Japan zurück und erinnerte uns noch einmal an eine Grafik – sie war neulich auch in einer Sonntagszeitung zu sehen –: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Industrieländer mit über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet – Japan plus Amerika plus Europa. Die Verschuldung ist in dieser sehr schwierigen Phase nach dem Zweiten Weltkrieg dann aber bis in die 70er Jahre auf etwa 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Industrieländer der Welt abgebaut worden und ist seit den 70er Jahren bis heute wieder auf über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen. Nahezu alle Industriestaaten haben ein demografisches Problem – die Amerikaner am wenigsten, die Japaner und die Europäer allerdings sehr stark. Und man kann sich mühelos vorstellen, dass die Frage "Wo investiere ich mein Geld?" natürlich von der Frage abhängt, wie die Schuldentragfähigkeit ausgebildet ist.

Der zweite Punkt ist: Wir müssen, wenn wir schon mit hohen Schulden zu kämpfen haben, natürlich wenigstens Qualität bieten und als Standort attraktiv sein. Das sind die beiden Arbeitsfelder, auf denen wir in Europa handeln müssen. Da können wir uns Zeit kaufen durch Solidaritätsmechanismen. Was wir aber nicht können, ist, die harten Fakten zu ignorieren, beiseite zu schieben und zu hoffen, dass es sich von allein bessert.

Allerdings ist Europa für uns natürlich unglaublich wichtig. Manch einer sagt ja: Das schaffen manche nie in Europa. Dieser Meinung hänge ich nicht an, weil: Wir sind wenigstens 500 Millionen von sieben Milliarden Menschen auf der Welt; für uns ist Demokratie selbstverständlich ebenso wie Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, Pressefreiheit und Religionsfreiheit. Wie viele Gegenden auf der Welt gibt es, wo das nicht gewährleistet ist? Das heißt, wenn wir uns behaupten wollen, wenn wir unsere Werte weiter leben wollen, dann ist Europa für uns die beste Zukunftssicherung. Insofern werde ich nicht müde, darauf immer wieder trotz aller bürokratischer Beschwernisse aufmerksam zu machen. Und ich verspreche Ihnen auch, das zu verteidigen und für das zu kämpfen, was für Sie so wichtig ist und eben auch die Grundlage Ihres Erfolgs war, ist und nach meiner festen Überzeugung bleiben wird.

Es ist richtig: Die Welt ist eine Baustelle. Europa ist im Augenblick auch eine. Und es ist gut, dass wir Sie haben, die etwas vom Bauen verstehen.

Herzlichen Dank.