Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des BDI-Tages der Deutschen Industrie

Sehr geehrter Herr Keitel,

meine Damen und Herren,

ich freue mich, heute hier an dieser für den BDI ungewohnten Stelle auf dem BDI-Jahrestag sprechen zu dürfen.

Ich möchte daran erinnern, dass die vergangenen zwei Jahre sehr stark von der internationalen Wirtschaftskrise gekennzeichnet waren. Ich glaube, wir können insgesamt sagen, dass sich die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland bewährt hat. Die Politik hat mit den notwendigen Konjunkturprogrammen einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, Brücken über das konjunkturelle Tal zu bauen und Investitionen zu ermöglichen – ich denke dabei zum Beispiel an das kommunale Infrastrukturprogramm.

Was eine Besonderheit ist – das will ich auch mit Blick auf das Ausland sagen: Unsere Konjunkturprogramme wirken 2009 und 2010. Damit leisten wir auch in diesem Jahr noch einen erheblichen Beitrag zur Weltwirtschaft. Nie waren die Importe nach Deutschland so hoch wie im Augenblick. Das heißt, wir stabilisieren nicht nur die eigene Wirtschaft, sondern wir werden auch unserer internationalen Verantwortung bewusst.

Nun hat sich die Wirtschaftslage – Herr Keitel hat es gesagt – bemerkenswert gut entwickelt. Diese Entwicklung wird im Wesentlichen noch vom Export, aber auch zusehends von der Binnennachfrage vorangetrieben. Das Wirtschaftswachstum scheint in diesem Jahr in der Tat deutlich höher zu sein, als wir erwartet haben. Das Allerwichtigste ist, dass sich dies auch im Arbeitsmarkt widerspiegelt. 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung werden wir in den neuen Bundesländern die geringste Arbeitslosigkeit seit Anfang der 90er Jahre haben – unter einer Million. Wir haben die Chance, im gesamten Bundesgebiet auf etwa drei Millionen oder vielleicht noch etwas darunter zu kommen. Dieses Niveau ist ein Ansporn, weiterzumachen und die notwendigen Weichen zu stellen. Ich habe in der Krise immer wieder gesagt, dass in einer solchen Krise die Karten weltweit völlig neu gemischt werden und dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, stärker aus dieser Krise herauskommen wollen, als wir hineingegangen sind.

Wir haben heute einen Gast unter uns, nämlich den Präsidenten des indischen Industrieverbandes, Herrn Hari Bhartia. Er repräsentiert eines der dynamischen Schwellenländer – 9,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr, fast 15-mal so viele Einwohner wie Deutschland. Ich will hier ganz deutlich sagen: Ich wünsche mir, dass wir sehr bald ein ambitioniertes Freihandelsabkommen mit Indien abschließen, dass wir unsere wirtschaftlichen Beziehungen intensivieren und dass wir dazu auch 60 Jahre diplomatische Beziehungen nutzen, die wir 2011 miteinander feiern werden und zum Anlass für die Veranstaltungsreihe „Deutschland und Indien – unendliche Möglichkeiten“ nehmen. Wir können noch sehr viel gemeinsam tun. Ich freue mich sehr, dass Sie heute hier sind.

Wenn wir uns anschauen, wo wir in diesem Jahrzehnt hinwollen und wie wir uns ein Deutschland 2020 vorstellen, dann sehen wir, dass wir im Wesentlichen vor zwei großen Herausforderungen stehen. Das eine ist, dass der globale Wettbewerbsdruck zunehmen wird. Das heißt, wir werden in unserer Innovationskraft gefordert sein. Zum Zweiten stehen wir einem massiven demografischen Wandel gegenüber, der die Art der Zusammensetzung der Belegschaften verändern wird. Es werden weniger junge Leute ins Arbeitsleben eintreten. Das wird in erheblichem Maße unsere Gesellschaft prägen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die richtigen Weichenstellungen jetzt, da wir aus der Krise herauskommen, vornehmen. Genau darüber möchte ich zu Ihnen sprechen.

Wir haben als Koalition zu Anfang unserer Tätigkeit – den meisten ist nur noch das Wort „Hotel“ im Ohr – zwei Dinge gemacht, die ganz wichtig waren: Wir haben noch einmal wesentliche Änderungen an der Unternehmensteuer vorgenommen, die wir in der Großen Koalition nicht durchsetzen konnten, und wir haben sehr ärgerliche Bestimmungen im Erbschaftsrecht geändert, die auch für sehr viel Unmut gesorgt hatten. Das sind zwei Beispiele, die deutlich gemacht haben – darum erwähne ich sie überhaupt noch einmal: Wir setzen auf die Unternehmer, wir setzen auf die Einzelnen, die Verantwortung übernehmen, so wie Sie das hier in dem Anfangsfilm gezeigt haben. Wir wissen um die Stärke von Traditionsunternehmen, von Familienunternehmen. Ohne die Menschen, die in ihren unternehmerischen Entscheidungen oft ein großes Risiko eingehen, kann unser Land kein Industrieland bleiben.

Die Zielsetzung muss ganz klar sein – trotz aller Entwicklung des Dienstleistungssektors: Deutschland soll und will Industrieland bleiben. Deshalb müssen wir erstens einen Schwerpunkt auf Bildung und Forschung setzen. Diese Bundesregierung, die christlich-liberale Koalition, gibt in dieser Legislaturperiode jedes Jahr trotz aller Haushaltskonsolidierung drei Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung aus. Denn genau hier müssen wir die Weichen für die Zukunft stellen. Nun kann man viel Geld ausgeben und wenig bewirken. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch die richtigen Instrumentarien anwenden. Dabei hat sich die Hightech-Strategie bewährt, dabei hat sich die Wissenschaftsallianz bewährt. Wir werden uns als Bundesregierung jetzt auch im Rahmen eines Innovationsdialogs beraten lassen, geleitet von der Nationalen Akademie – es ist auch ein großer Schritt, dass es uns endlich gelungen ist, eine Nationale Akademie zu schaffen – und geleitet von denen, die im Bereich Innovation und Forschung in den Unternehmen arbeiten. Diese unabhängige Beratung schätze ich sehr. Ich möchte mich dafür bedanken, dass es viele unter Ihnen gibt, die dabei mitmachen.

Wir brauchen als Industrieland zweitens eine verlässliche Energiepolitik. Herr Keitel hat darüber gesprochen: Wir haben heute im Kabinett unser Energiekonzept verabschiedet. Mit diesem Energiekonzept gehen wir davon aus, dass wir Versorgungssicherheit weitestgehend selber regeln wollen, dass wir bezahlbaren Strom brauchen und dass wir natürlich auch umweltfreundlichen Strom wollen, weil wir glauben, dass das Zeitalter der erneuerbaren Energien von uns erreicht werden kann und dass Deutschland daraus auch neue Möglichkeiten für neue Technologien und neue Arbeitsplätze erwachsen. Ich gebe zu, unsere Zielsetzungen sind ambitioniert; allerdings sind sie für Deutschland auch in den vergangenen Jahren schon ambitioniert gewesen. Ich sage auch zu: Natürlich werden wir uns dafür einsetzen, dass in Europa und in der Welt verlässliche Rahmenbedingungen für den Klimaschutz gelten, damit Deutschland nicht das einzige Land ist, in dem ambitionierte Vorhaben durchgesetzt werden. Ich sage Ihnen – auch in Anwesenheit des indischen Industrieverbandspräsidenten – aber auch: Wenn wir nicht vorangehen, werden wir andere Länder nicht davon überzeugen, dass sie auch Verpflichtungen übernehmen müssen. Wir sind ein entwickeltes Industrieland, deshalb sind diese Ziele aus meiner Sicht auch erreichbar, wenngleich auch ambitioniert.

Absolut richtig ist, dass wir auch zu einem großen Umbau der Infrastruktur bereit sein müssen. Ich habe das gestern in einem anderen Kreis gesagt, nämlich auf der Jahreskonferenz des Rats für Nachhaltigkeit, auf der auch sehr viele Umweltverbände vertreten waren. Wer sagt, er möchte den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2050 auf 80 Prozent steigern, und sich gleichzeitig weigert, irgendwo eine 380-Kilovolt-Hochspannungsleitung zu bauen, der wird dieses Ziel nie erreichen. Deshalb werden wir in diesem Land über Infrastruktur sprechen müssen. Ich kann Herrn Keitel an dieser Stelle nur beipflichten: Ob es um das Laufwasserkraftwerk in Rheinfelden in Baden-Württemberg oder um die Weiterleitung von Strom aus Offshore-Bereichen gehen mag – überall trifft man auf Widerstände. Was wir aber auch von denen, die für die Veränderung unserer Energieerzeugung eintreten, erwarten können, ist ein ganz klares Eintreten auch an den Stellen, wo Infrastruktur gebaut werden muss, die aber auf Bürgerproteste stößt. Das hat inzwischen auch etwas mit unserer internationalen Verlässlichkeit zu tun.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch kurz etwas zum Thema „Stuttgart 21“ sagen. Es handelt sich dabei um ein europäisches Verkehrsprojekt, das in das Kompendium der europäischen Netze eingetaktet ist. Dieses europäische Verkehrsprojekt erstreckt sich von Paris bis in die Slowakei und weiter gen Süden. Frankreich hat seinen Beitrag geleistet. Wir diskutieren seit 1994 und haben jetzt endlich alle Planfeststellungsbeschlüsse. Wenn dieses Projekt nicht realisiert würde, würde das dazu führen, dass wir als nicht mehr verlässlich gelten. Wenn ich als Bundeskanzlerin dann auf europäischer Ebene sage: „Weil bei uns so viel protestiert wurde, können wir leider das, was wir versprochen haben, nicht mehr einhalten“, dann kommt morgen mein griechischer Kollege und sagt: „Weil bei uns so viel protestiert wurde, kann ich die Stabilitätskultur nicht mehr einhalten.“ Das möchte ich auf keinen Fall riskieren, meine Damen und Herren.

Weil wir ein verlässliches Energiekonzept wollen, sagen wir: Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien und bis zum Jahr 2050 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 60 Prozent erreichen. Wir brauchen dafür allerdings Brückentechnologien – Kohle, Gas und Kernenergie. Nicht unerwartet spielt die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke an dieser Stelle eine erhebliche Rolle. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Tatsache, dass wir die Laufzeiten verlängern – die Zahlen sind ja bekannt –, nunmehr dazu führt, dass wir mehr Geld zur Verfügung haben, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Das heißt also, ein rationales Energiekonzept führt zu einem schnelleren Erreichen dessen, was wir alle gemeinsam wollen; das möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen. Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen leisten dazu auch ihren Beitrag.

Ich weiß, Herr Keitel, dass es Diskussionen über die Frage der Subventionen für energieintensive Industrien gibt. Ich sage Ihnen zu – ich bin ja auch Mitglied des Parlaments; und so haben wir es mit dem Parlament besprochen –, dass wir über die betreffende Regelung noch einmal sprechen. Denn es ist nicht unser Ansinnen, die guten Arbeitsmarktzahlen nun zu verschlechtern, indem wir an dieser Stelle etwas tun, das Arbeitsplätze kostet. Das will ich hier ganz deutlich sagen.

Drittens. Neben dem Energiekonzept und neben dem Eintreten für Bildung und Forschung heißt es, dass wir solide Staatsfinanzen brauchen. Wenn wir uns anschauen, was die Ursachen der Krise waren, dann stellen wir fest: Wesentliche Ursache war, dass weltweit viele über ihre Verhältnisse gelebt haben und dass sich die Finanzmärkte entkoppeln konnten. Deshalb heißt die Lehre aus dieser Krise: Nachhaltiges Wachstum, kein auf Pump finanziertes Wachstum. Für uns als Land mit einem demografischen Wandel sind diese Dinge noch viel wichtiger als in Ländern, die keine solchen demografischen Umbrüche haben.

Ich bin aber sehr froh und erinnere hier auch noch einmal daran, dass wir auf dem G20-Treffen in Kanada vereinbart haben, was nicht leicht für uns war, dass alle Industrieländer bis 2013 ihre Schulden halbieren. Das ist die gemeinschaftliche Stellungnahme der G20-Länder. Es wird schwierig, dieses Ziel zu erreichen, aber das entspricht in etwa unseren Vorhaben, die wir mit Blick auf die Schuldenbremse haben. Wir haben durch die Konjunkturprogramme, durch die Kurzarbeiterregelung und durch die Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit vieles abgepuffert. Aber damit haben wir in diesem Jahr auch eine exorbitant hohe Verschuldung. Auch dann, wenn die Neuverschuldung statt bei 80 Milliarden Euro bei etwas unter 60 Milliarden Euro liegt, bleibt sie exorbitant hoch. Deshalb gibt es überhaupt keine Grundlage, jetzt darüber zu sinnieren, was man noch alles ausgeben könnte. Das Thema Einsparung wird vielmehr auch in den nächsten Jahren von allergrößter Wichtigkeit sein. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Wirtschaft jetzt durch Mehreinnehmen. Ich will gar nicht wegreden, dass nicht jeder glücklich darüber ist, bedanke mich dann aber doch. Die Bundesverwaltung leistet im Übrigen auch einen Beitrag.

Der wesentliche Ansatzpunkt muss aber sein, Menschen in Arbeit zu bekommen. Von 320 Milliarden Euro Ausgaben in diesem Jahr sind im Bundeshaushalt allein 40 Milliarden Euro für Langzeitarbeitslose vorgesehen. Und noch einmal zehn Milliarden Euro für Langzeitarbeitslose sind bei den Kommunen vorgesehen. Daran erkennen Sie: Wenn wir an dieser Stelle etwas schaffen würden, gewännen wir sehr viel Spielraum zur Haushaltskonsolidierung, aber auch für Forschung, für Innovation und für zukunftsweisende Entscheidungen. Deshalb ist die Neuberechnung der Regelsätze für Hartz IV, die Art und Weise, wie wir das ausgestalten, so wie es uns das Bundesverfassungsgericht aufgibt, Ausdruck dessen, was wir uns wirklich vorgenommen haben, nämlich an diesem bislang festen Ausgabenblock von 40 Milliarden Euro etwas zu ändern und wieder mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Das Ziel kann nicht sein, die Langzeitarbeitslosigkeit möglichst gut auszugestalten, sondern das Ziel muss sein, Anreize zu setzen, damit sich Arbeit für die Menschen lohnt, und Anreize zu setzen, damit sie arbeiten können.

An dieser Stelle sind die Berechnungen – ich glaube, das muss ich hier nicht wiederholen; das haben wir und auch die Ministerin gestern ausführlich dargelegt – auf rationaler Grundlage durchgeführt worden. Wir haben Wertentscheidungen gefällt und gesagt: Alkohol und Zigaretten gehören nicht zum Grundbedarf. Wir haben vor allen Dingen gesagt: Wir wollen die Teilhabemöglichkeit der Kinder vor allem an Bildung verbessern. Wir haben uns für Sachleistungen entschieden, damit die Hilfe auch wirklich bei den Kindern ankommt. Ich denke, das ist eine richtige Entscheidung.

Wir werden bis zum 20. Oktober, wenn der Gesetzentwurf im Bundeskabinett verabschiedet wird, noch die Hinzuverdienstregelungen neu regeln, damit wir an dieser Stelle die Anreize zur Arbeitsaufnahme erhöhen und möglichst viele Menschen wieder den Weg in die Arbeit zurückfinden. Wenn Sie sich Hartz-IV einmal anschauen, dann sehen Sie, dass zwei Gruppen von Langzeitarbeitslosigkeit besonders stark betroffen sind: Das sind zum einen Alleinerziehende – hier ist das Thema Kinderbetreuung ein wichtiges Thema, wenn es darum geht, die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt möglich zu machen – und das sind zum anderen Menschen, die über 50 Jahre alt sind. Jetzt kommt meine Bitte: Wenn wir den demografischen Wandel gestalten wollen, dann wird es wichtig sein, dass auch die Wirtschaft darüber nachdenkt, wie man vermehrt auch über 50-Jährige wieder in Arbeit bringen kann. Ich weiß, das ist nicht einfach. Ich weiß, dass Sie alle viele, viele Fälle kennen, in denen es nicht geht. In manchen Fällen – ich habe darüber erst gestern ein Gespräch mit Mittelständlern geführt – geht es aber eben doch. Diejenigen, die älter sind, sind oft sehr daran interessiert, noch einmal eine Arbeitsphase zu erleben. Wir dürfen die 50-Jährigen in unserer Beschäftigung nicht aufgeben, sonst werden wir den demografischen Wandel nicht gestalten können.

Wenn wir über solide Staatsfinanzen sprechen, dann müssen wir wissen, dass diese und das Einhalten der Schuldenbremse auch deshalb so wichtig sind, weil daraus der Anspruch Deutschlands erwachsen kann, sich in der Europäischen Union für eine Stabilitätskultur einzusetzen. Wir haben Rettungsmaßnahmen für den Euro beschlossen, weil wir der Meinung waren, dass es in unserem Interesse ist, den Euro insgesamt stabil zu halten. Wir haben aber auch darauf Wert gelegt – Herr Keitel hat es auch gesagt –, dass dies nur unter der Maßgabe erfolgt, dass die Länder, die in Schwierigkeiten geraten sind – diese sind ja nicht nur ein Ergebnis von Spekulationen auf Märkten –, auch selber die Themen Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen auf ihre Tagesordnung setzen. Deshalb war es mir so wichtig, dass der IWF dabei ist, deshalb war es mir wichtig, dass die Europäische Zentralbank mit der Europäischen Kommission zusammenarbeitet, und deshalb war es mir wichtig, dass niemand eine Unterstützung erhält, der nicht vorher sein Restrukturierungs- bzw. Umstrukturierungsprogramm auf den Tisch gelegt hat. Ich glaube, das war der richtige Weg. Im Februar und März war das noch sehr strittig, aber wenn man das heute betrachtet, sagt jeder: Ja, das ist absolut logisch, genau so musste man es machen.

Auch beim Euro-Rettungsschirm müssen wir genau darauf achten, dass die Länder, die heute Schwächen aufweisen, stärker werden. Die Euro-Stabilität ist nur zu erhalten, wenn der Stärkere der Benchmark ist, wenn wir uns nicht an einem immer weiter absinkenden Mittelniveau orientieren. Das muss unser Maßstab sein. Deshalb sage ich an dieser Stelle auch ganz klar, dass es keine Verlängerung der Hilfsfonds geben wird, sondern dass wir Vertragsänderungen in Europa brauchen, die deutlich machen, dass Länder, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht einhalten, anderen Prozeduren unterworfen werden können, als es nach dem heutigen Vertrag möglich ist. Eine einfache Verlängerung solcher Fonds, wie wir sie jetzt haben, wird es mit Deutschland nicht geben.

Wir haben, wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, die große Aufgabe, die Lohnzusatzkosten in einem erträglichen Maß zu halten. Wir haben immer wieder gesagt, dass die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent zu halten sind. Das heißt natürlich auch, dass wir bei der Rente mit 67 keine Veränderungen vornehmen werden – ich brauche das hier nicht lange zu erläutern; es ist bedauerlich, dass andere das jetzt wieder ins Auge fassen.

Wir halten uns daran, indem wir auch im Gesundheitsbereich zwei Dinge machen. Das eine wird von Ihnen nicht so stark, aber sozusagen von Ihrem Geschwisterverband stark kritisiert, nämlich dass die Gesundheitsbeitragssätze wieder auf 15,5 Prozent steigen. Dazu kann ich nur sagen: Sie waren auch vor der Krise bei 15,5 Prozent; wir haben sie in der Krise abgesenkt, um die Situation zu verbessern. Aber sie sind dann wieder so hoch, wie sie es vor der Krise waren.

Wir haben auch eine nicht ganz einfache Grundentscheidung getroffen, nämlich eine stärkere Entkopplung des Anstiegs der Gesundheitskosten von den Lohnkosten. Dieser Beschluss ist etwas, was ich für sachlich absolut geboten halte. Denn ansonsten entsteht entweder eine Zwei-Klassen-Medizin, weil dem Gesundheitssystem immer zu wenig Geld zur Verfügung steht, oder die Lohnzusatzkosten wachsen so stark, dass wir unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Dieser Beschluss ist in der Gesellschaft aber nicht einfach darzustellen. Deshalb ist es wichtig, dass ab und an vielleicht auch einer von Ihnen sagt, dass das im Grundsatz ein guter Beschluss ist, weil er Arbeitsplätze sichert.

Das Thema Gesundheit ist inzwischen schon so verzweigt, dass es vielleicht auch das schwierigste Thema in einer entwickelten Industriegesellschaft ist. Sie sehen das auch an Diskussionen in anderen Industrieländern. Wenn wir ein Land der Sozialen Marktwirtschaft bleiben wollen und wenn wir keine Zwei-Klassen-Medizin haben wollen, wenn wir den Menschen aber trotzdem sagen wollen, dass Gesundheit teurer wird, müssen wir bei diesem Thema etwas ändern. Deshalb ist die weitestgehende Entkopplung der zusätzlichen Gesundheitskosten von den Arbeitskosten ein richtiger und wichtiger von uns getragener Schritt, der aber eben, wie gesagt, ab und zu auch von Unternehmen positiv kommuniziert werden könnte, meine Damen und Herren – ein kleiner Wunsch am Rande.

Ein großes Thema der nächsten Jahre wird auch das Thema Fachkräftemangel sein. Ich habe am Beispiel der Langzeitarbeitslosen schon darüber gesprochen: Es muss unser Anspruch sein, möglichst viele der Langzeitarbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen. Deshalb kann ich bei einfacheren Tätigkeiten auch nicht einsehen, dass sofort der Ruf nach Zuwanderung kommt. Mir leuchtet nicht ein, dass von den alleinerziehenden Müttern nicht viele in der Lage sein sollen, Pflegearbeiten für Ältere durchzuführen. Ich kann mich nicht damit abfinden, dass wir da ungefähr 20 Milliarden Euro für Langzeitarbeitslose ausgeben und uns auf der anderen Seite Menschen von außen holen. Das kann nicht richtig sein.

Auf der anderen Seite weiß ich, dass wir auch politisch noch Potenziale haben. Es müssen mehr ausbildungsfähige Jugendliche aus den Schulen kommen. Da gibt es aber erhebliche Schwächen. Diesbezüglich hat sich in der Zusammenarbeit aber auch viel getan. Wir müssen vor allen Dingen auch das Thema der Integration ernst nehmen. Wenn wir uns vor Augen führen, dass heute zum Beispiel in Frankfurt am Main zwei von drei Kindern unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund haben und dass im gesamten Rhein-Main-Gebiet – der hessische Ministerpräsident Bouffier hat uns das gestern dargestellt – über eine Million junge Menschen mit Migrationshintergrund leben, dann muss die Aufgabe heißen: die Schulabschlüsse der Migrantenkinder müssen genauso gut werden wie die Schulabschlüsse derer, die hier sozusagen schon jahrhundertelange Wurzeln haben. Dieser Aufgabe muss sich der Staat stellen, dieser Aufgabe müssen wir uns alle stellen. Aber meine Bitte ist dann auch: Geben Sie den jungen Migranten, die sich gut schlagen, wirklich eine Chance. Denn Vorbilder zählen in diesem Bereich; und es müssen mehr werden. Wir werden in den nächsten Monaten – dazu müssen 30 Gesetze geändert werden – daran arbeiten, endlich auch die Berufsabschlüsse von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern anzuerkennen, die ihre Abschlüsse im Ausland gemacht haben, damit wir hier nicht zu viele Menschen haben, die weit unter ihrer Qualifikation berufstätig sind. Wir werden in ausgewählten Fällen natürlich auch über Zuwanderung aus dem Ausland sprechen müssen. Das müssen dann aber hochqualifizierte Menschen sein. Erst einmal müssen wir versuchen, bei uns zu Hause unsere Potenziale auch wirklich voll zu entwickeln.

Meine Damen und Herren, Sie sehen also: In den verschiedenen Bereichen – von Bildung und Forschung über Haushaltskonsolidierung und Energiepolitik bis hin zu sozialen Sicherungssystemen und Anreizen für Arbeit, auch im Zusammenhang mit Hartz IV – handelt die Bundesregierung. Die Entscheidungen werden im Herbst in einem sehr schnellen Takt gefällt werden. Wir werden damit Weichen stellen für eine innenpolitische Neuausrichtung und für verbesserte Chancen Deutschlands in der globalisierten Welt. Ich glaube, gemeinsam können wir das schaffen. Gemeinsam können wir dann auch die Weichen stellen, die wir darüber hinaus zu stellen haben, etwa in der Frage: Wie stehen wir international da, welche Art von Außenwirtschaftspolitik betreiben wir und wie können Politik und Wirtschaft gemeinsam international auftreten? Denn wenn ich die Welt beobachte, komme ich zu dem Schluss, dass das nicht vollkommen unwichtig ist. Wir wollen uns in Ihre Belange nicht einmischen, Sie sich in unsere manchmal – fördernd und fordernd, wie es so schön heißt. Ich glaube aber, wenn wir uns die Rohstoffmärkte und wenn wir uns die Investitionsstrategien wichtiger Schwellenländer anschauen, dann sehen wir, dass die Koordinierung von Politik und Wirtschaft im 21. Jahrhundert an mancher Stelle durchaus gefordert ist.

Ich möchte mich bedanken für einen guten Dialog, den wir mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie haben. Wir werden auch an konkreten Beispielen versuchen, unsere Stärken mit einzubringen. Unsere Schwäche besteht insgesamt darin, dass wir weder beim Staat noch bei den Unternehmen riesige Kapitalüberschüsse haben. Andere auf der Welt haben heute große Staatsfonds und können damit ganz anders agieren. Aber unsere Stärken, unsere Flexibilität und auch die möglichen Marktmechanismen geben uns hohe innovative Potenziale. Ich glaube, wenn wir das geschickt miteinander verbinden, kann Deutschland auch weiterhin gut dastehen.

Ich sage Ihnen, dass wir gewillt sind, die Weichen richtig zu stellen – für mehr Arbeitsplätze und für mehr Wohlstand, und das in einer Welt, in der man härter kämpfen muss. Ich möchte mich bei Ihnen, die Sie durch das Führen Ihrer Unternehmen einen unverzichtbaren Beitrag dazu leisten, dass Menschen in Deutschland Arbeit haben, interessante Arbeit haben, innovative Arbeit haben, bedanken. Herzlichen Dank, dass ich hier sein konnte, und auf weitere gute Zusammenarbeit.