Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der 12. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung

Sehr geehrte Frau Thieme,

sehr geehrte Ratsmitglieder,

meine Damen und Herren,

Wachstum – dieser Begriff wird in diesen Tagen im Zusammenhang mit der europäischen Staatsschuldenkrise intensiv diskutiert. Schon der Zusammenbruch von Lehman Brothers und die darauffolgende internationale Finanzkrise 2008 haben uns ein für allemal gelehrt: Einem rein quantitativen Verständnis von Wachstum sind Grenzen gesetzt. Wenn wir jedoch Wachstum mit Wohlstandsmehrung in umfassendem Sinne gleichsetzen wollen, dann muss – davon bin ich überzeugt – der rein quantitative Wachstumsbegriff einem qualitativen weichen, dann kann Leitbild nur ein nachhaltiges Wachstum sein; ein Wachstum, das die Lebensqualität der heutigen Generationen verbessert, ohne die Chancen der nächsten Generationen zu beeinträchtigen – sei es im ökonomischen, im ökologischen oder auch im sozialen Bereich.

In Deutschland ist ein Prozess zu erkennen, in dem ein solches Verständnis von Wachstum immer mehr Raum greift. Nachhaltigkeit ist ja längst nicht mehr nur ein Schlagwort, unter dem viele gar nichts verstehen oder jeder etwas anderes versteht, sondern es setzt sich durch, was Nachhaltigkeit bedeutet. Das ist auch ein großes Verdienst des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Und dies ist auch der Grund, warum ich Ihrer Einladung gerne wieder gefolgt bin.

Auch dieses Jahr stehen Fragen der Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda der Bundesregierung. Wir haben unsere Nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit dem Fortschrittsbericht 2012 weiterentwickelt. Zu Beginn des Monats fand der erste bundesweite Aktionstag zur Nachhaltigkeit statt. Auch das laufende Wissenschaftsjahr setzt unter der Überschrift „Zukunftsprojekt Erde“ einen Schwerpunkt bei diesem Thema. Und gerade auch für die Konferenz Rio+20 hat sich die Bundesregierung für weltweite neue Impulse für mehr Nachhaltigkeit eingesetzt.

Frau Thieme hat mir gesagt, dass bei Ihren heutigen Beratungen gefragt wurde, was die große Konferenz Rio+20 gebracht hat. Ich glaube, man kann sagen: Die Ergebnisse von Rio bleiben hinter dem zurück, was in Anbetracht der Ausgangslage notwendig gewesen wäre. Die Europäische Union und Deutschland hatten sich für verbindlichere Aussagen eingesetzt. Aber einmal mehr haben wir gesehen: Wir sind nicht alleine auf der Welt; es ist recht schwierig, bestimmte Dinge durchzusetzen. Frau Thieme hat das gerade treffend beschrieben.

Richtig ist aber auch, dass die Ergebnisse zumindest ein weiterer Schritt in die richtige Richtung sind. Ich will dazu drei Punkte nennen. Erstens: die sogenannte Green Economy – ein Thema, das auch in Los Cabos unter der mexikanischen G20-Präsidentschaft seitens der 20 führenden Wirtschaftsnationen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs sehr umfassend diskutiert wurde. Umweltschonendes Wirtschaften wurde von den Vereinten Nationen als wichtiges Instrument für eine nachhaltige Entwicklung gewürdigt. Damit erkennt nun die gesamte Staatengemeinschaft an, dass in einem Green-Economy-Konzept, das der jeweiligen Situation eines Landes angepasst ist, große Chancen liegen. Das heißt, Ökonomie und Ökologie werden nicht mehr als Widerspruch, sondern als Einheit wahrgenommen. Die Vereinten Nationen sind jetzt aufgefordert, in Zusammenarbeit mit Gebern und internationalen Organisationen interessierte Staaten beim Übergang zu einer Green Economy mit Informationen zu unterstützen. Damit folgten die Konferenzteilnehmer einem Vorschlag der Bundesregierung.

Zweitens: Reformen der UN-Institutionen für Nachhaltigkeit und Umwelt. In Rio wurde beschlossen, die bisherige Kommission für nachhaltige Entwicklung abzulösen. Künftig wird es ein hochrangiges politisches Forum für nachhaltige Entwicklung geben. Damit kann das Thema Nachhaltigkeit mehr politisches Gewicht auf der Agenda der Vereinten Nationen erhalten. Es ist uns leider nicht gelungen, das UN-Umweltprogramm UNEP in Nairobi zu einer Sonderorganisation aufzuwerten. Aber wir konnten UNEP durch die Einführung einer universellen Mitgliedschaft und durch eine bessere Finanzausstattung stärken. Ich sage Ihnen zu: Das Thema Aufwertung von UNEP zu einer Sonderorganisation bleibt auf der Tagesordnung.

Drittens: In Anlehnung an die bisherigen Millennium-Entwicklungsziele sollen nun auch „Sustainable Development Goals“ erarbeitet werden. Damit erhöht sich der politische Handlungsdruck im Sinne von Nachhaltigkeit. Jetzt müssen wir allerdings die Konferenzergebnisse in der Praxis konkretisieren. Denn allein die Feststellung, dass man so etwas will, reicht natürlich nicht aus.

Daran kann auch die Jahreskonferenz des Nachhaltigkeitsrates anknüpfen. Sie steht unter der Überschrift: „Wege, Wissen, Wirkungen“. Das dreifache „W“ verweist auch auf das dreifache W des World Wide Web, denn in der Tat haben moderne Informationstechnologien und technischer Fortschritt enorme Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung. Informationstechnologien geben uns die Möglichkeit, Orte und Länder, in denen Nachhaltigkeit nicht gelebt wird, viel besser zu identifizieren. Informationstechnologien schaffen auch Voraussetzungen für intelligente Anwendungen. Dadurch lassen sich zum Beispiel technische Geräte oder die Stromversorgung stärker an individuelle Bedürfnisse anpassen. Damit wird unnötiger Material- und Energieverbrauch vermieden. Dies ist also eine Möglichkeit zu qualitativem Wachstum bei einem geringeren Ressourcenverbrauch. Oder nehmen wir die Smartphones als Beispiel, die uns, wann und wo auch immer, die beste Verbindung im öffentlichen Nahverkehr zeigen, die uns also Optimierungsmöglichkeiten geben.

Dies sind nur zwei Beispiele dafür, wie Technik nachhaltiger Entwicklung dienen kann, und zwar unter einer wichtigen Voraussetzung – unter der Voraussetzung, dass unser Land gegenüber Innovationen aufgeschlossen ist, ihnen aber zugleich eine Richtung weist. Gerade wenn es um Informationstechnologien geht, sind wir nicht immer an der Spitze der Bewegung. Dies ist ein Faktor, der uns als eine führende Industrienation nicht ganz kaltlassen sollte. Ich habe mich erst neulich wieder sehr intensiv mit Vertretern von Internetfirmen darüber unterhalten.

So wie Wirtschaft und Soziales bilden auch Ökonomie und Ökologie eine produktive Einheit. Denn Wirtschaft, Umwelt und Soziales bedingen einander. Das ist das Grundverständnis von Nachhaltigkeit. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Umweltschutz und soziale Verantwortung – das ist das Komplizierte an einer nachhaltigen Entwicklung – sind immer wieder in ein neues Gleichgewicht zu bringen. Ein solcher Entwicklungspfad von Gesellschaften begründet sozusagen eine neue Kultur: die Kultur der Nachhaltigkeit. Diese Kultur der Nachhaltigkeit stellt die Lebensgewohnheiten eines jeden von uns auf den Prüfstand. Das gilt für das Berufsleben genauso wie für das Privatleben.

Um eben dies stärker ins Bewusstsein zu rücken, fand am 4. Juni der schon genannte Deutsche Aktionstag für Nachhaltigkeit statt. Hierzu hatte auf Ihrer letzten Jahreskonferenz der damalige Ratsvorsitzende Hans-Peter Repnik aufgerufen, den ich von hier aus ganz herzlich grüße. Im Rahmen dieses Deutschen Aktionstags für Nachhaltigkeit hat es mehr als 270 Veranstaltungen gegeben. Es haben sich Privatpersonen, Vereine, Kirchen, Unternehmen, Städte, Gemeinden und Ministerien daran beteiligt. Sie zeigten, wie viele gute Ansätze für mehr Nachhaltigkeit es bereits gibt. Sie ermutigten andere zum Mitmachen, Nachahmen und Entwickeln neuer Ideen. Die Bundesregierung hat sich auch an diesem Aktionstag beteiligt. Diskussionen mit Jugendlichen in Betrieben und Ausbildungszentren standen auf dem Programm. Und im Bundeskanzleramt haben sich Vertreter aus über 80 ausländischen Botschaften über unsere Nachhaltigkeitspolitik informiert.

Nachhaltigkeit ist eine Querschnittsaufgabe. Sie betrifft jedes politische Ressort. Das gilt auch für die Haushalts- und Finanzpolitik. Frau Thieme sprach davon, dass wir einen Nachhaltigkeitsbericht zum Haushalt machen sollen. Ich glaube, dass die deutsche Schuldenbremse in unserem Grundgesetz die beste Antwort auf die Frage eines nachhaltigen Umgangs mit den Haushalten von Bund und Ländern ist. Auf der anderen Seite wissen wir, wenn wir uns die Schuldenberge anschauen, die wir angehäuft haben und ja immer noch weiter anhäufen, dass wir von einer wirklich nachhaltigen Haushaltsführung noch entfernt sind. Bei der Haushalts- und Finanzpolitik bedeutet „nachhaltig“ eine langfristig angelegte Sicherung der haushaltspolitischen Handlungsfähigkeit, um für Zukunftsinvestitionen und damit auch für kommende Generationen finanzielle Spielräume zu bewahren.

Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise und die europäische Staatsschuldenkrise zeigen, wie sehr gerade das Missachten einfachster Regeln der Nachhaltigkeit überhaupt erst zu Krisen führt. Denn wer sich dauerhaft mehr leistet, als er erwirtschaften kann, wer dauerhaft mehr verbraucht, als er einnimmt, der tut nichts anderes, als auf Kosten zukünftiger Generationen zu leben, der zieht eben einen ungedeckten Wechsel auf die Zukunft, um in der Sprache der Finanzwirtschaft zu bleiben. Ich kann es auch mit den Worten sagen, die Ludwig Erhard 1964 in der 8. und letzten von ihm selbst autorisierten Fassung seines bahnbrechenden Buchs „Wohlstand für alle“ gefunden hat: „Die Menschen haben zwar zuwege gebracht, das Atom zu spalten, aber nimmermehr wird es ihnen gelingen, jenes eherne Gesetz aufzusprengen, das uns verbietet, mehr zu verbrauchen, als wir erzeugen.“

Um Glaubwürdigkeit und Vertrauen wieder zurückzugewinnen, brauchen wir also ganz im Sinne Ludwig Erhards zweierlei: sowohl eine gemeinsame Verpflichtung zu Haushaltsdisziplin als auch Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Nach den Worten Ludwig Erhards und dem, was ich zur Nachhaltigkeit und unserer Vorstellung von nachhaltigem Wachstum gesagt habe, können solide Haushalte und Wachstum überhaupt kein Widerspruch sein. Es ist abenteuerlich, zu glauben, man könnte nachhaltiges Wachstum so organisieren, dass man sich über die Haushaltspolitik keine Gedanken machen müsste. Es ist auch in Europa so – da haben wir ein schweres Erbe –, dass jeder Euro, der für Schuldzinsen aufgebraucht werden muss, für Investitionen fehlt. Jeder Euro, der für Investitionen fehlt, verschärft das Problem der Wettbewerbsfähigkeit. Je geringer aber die Wettbewerbsfähigkeit ist, desto geringer fallen am Ende auch die Staatseinnahmen aus. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen.

Am kommenden Donnerstag beginnt in Brüssel der nächste Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs. Auch in Brüssel werden sich – dazu bedarf es keiner kühnen Prognose – wieder viele oder alle Augen auf Deutschland richten. Ich sage ganz offen: Wenn ich an den Rat am Donnerstag denke, dann treibt mich die Sorge um, dass dort schon wieder viel zu viel über alle möglichen Ideen für eine gemeinschaftliche Haftung und viel zu wenig über verbesserte Kontrolle und Strukturmaßnahmen gesprochen wird. Da ist die Rede von Euro-Bonds, von Euro-Bills, von europäischer Einlagensicherung als gemeinschaftlicher Haftung und vielem mehr. Ganz abgesehen davon, dass solche Gemeinschaftshaftungen in Deutschland schon verfassungsrechtlich nicht denkbar sind, halte ich sie auch ökonomisch für falsch und für kontraproduktiv. Haftung und Kontrolle dürfen nicht in einem Missverhältnis zueinander stehen. Eine europäische Einlagensicherung zum Beispiel könnten wir sofort vornehmen, wenn sie nicht zur gemeinschaftlichen Haftung führt, sondern zu verbesserten Kontrollmöglichkeiten und Standards; denn diese sind mehr als überfällig.

In einem Wort: Wir müssen die Mängel beseitigen, die mit der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion vor 20 Jahren entstanden sind; und dabei müssen Haftung und Kontrolle im Gleichgewicht stehen. Das Ziel also muss und wird eine politische Union sein – mehr Europa also –, in der nicht das Mittelmaß Maßstab ist, sondern das Beste. Dabei muss Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle spielen. Deshalb ist es ein starkes Signal, wenn in Deutschland am Freitag der Deutsche Bundestag und der Bundesrat den europäischen Fiskalvertrag und den ESM mit Zweidrittelmehrheit beschließen.

Auch die Rahmenbedingungen für private Investitionen und privat finanzierte Arbeitsplätze sind zu verbessern. Natürlich muss man dafür Wachstumsimpulse setzen, aber eben nicht im Gegensatz zur Konsolidierung der Haushalte. Nur so können wir – da sind wir hier, glaube ich, einer Meinung – von einer nachhaltigen Wirtschafts- und Haushaltspolitik sprechen. Nur so kann die Rede davon sein, dass wir Zukunft nicht verbrauchen, dass wir nicht auf Kosten künftiger Generationen leben.

Genau darum geht es ja in allen Politikfeldern. Denn unsere Art zu leben und zu wirtschaften erweist sich als nicht mehr wirklich zukunftsfähig. Schon ein Blick auf das globale Bevölkerungswachstum genügt, um dies zu verdeutlichen. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der Menschen um annähernd 1,5 Milliarden gewachsen. Derzeit zählen wir rund sieben Milliarden Erdenbürger. Bis 2050 ist ein Anstieg auf neun Milliarden zu erwarten. Wenn wir vor diesem Hintergrund unsere bisherigen Lebensweisen nicht deutlich ändern, berauben wir uns selbst unserer Lebensgrundlagen.

So ist zwar seit 1992 die Nahrungsmittelproduktion in der Landwirtschaft weltweit um 45 Prozent gewachsen. Trotzdem sind Hunger und Mangelernährung in vielen Ländern ein gravierendes Problem. Gerade Länder mit hohem Bevölkerungswachstum leiden stark unter zunehmender Verschlechterung und dauerhaftem Verlust fruchtbaren Bodens. Hinzu kommen unzureichende Lagerungs- und Transportmittel. Dadurch verrottet ein erheblicher Teil der Ernte. Zugleich werfen wir in Deutschland immer noch große Mengen genießbarer Lebensmittel weg. Beide Prozesse müssen verändert werden.

Wir haben einen rasanten Verlust an biologischer Vielfalt, an Arten und ihren Lebensräumen, zu verzeichnen. Auch das hat folgenschwere Auswirkungen für die Menschheit. Wir müssen uns zum Beispiel nur vor Augen halten, dass die Ozeane Nahrungsmittel für Milliarden von Menschen bieten. Die Weltmeere aber sind von Überfischung, Müll und Klimaerwärmung massiv bedroht. Dennoch ist erst knapp ein Prozent der Meeresflächen unter Schutz gestellt. Man kann allerdings auch sagen: Immerhin das hat die Konvention zur Biodiversität geschafft. Aber wir müssen schneller handeln, wenn wir nicht Schreckliches erleben wollen.

Seit 1990 hat sich die weltweite Waldfläche um 300 Millionen Hektar verringert. Das entspricht einer Fläche, die größer als die Fläche Argentiniens ist. Am Beispiel der Wälder wird besonders deutlich, dass die Erhaltung von Lebensräumen und Arten auch klimaschutzpolitisch wichtig ist. Intakte Waldökosysteme binden Kohlendioxid und regulieren so das Klima. Wir müssen den massiven Bedrohungen durch den fortschreitenden Klimawandel entschlossen entgegentreten. Dies hat die deutsche Bundesregierung immer wieder getan. Immerhin haben wir in Durban erreicht, dass an einem verbindlichen Abkommen gearbeitet wird. Es ist interessant, dass sich dem jetzt auch die Schwellenländer geöffnet haben.

Wir wissen, dass wir es mit steigenden Meeresspiegeln zu tun haben. Die Existenz von Inselstaaten ist bedroht. Stürme, Hitze- und Dürrekatastrophen gefährden die Nahrungsmittel- und Wasserversorgung ganzer Landstriche. Sie alle hier im Raum wissen das. Die Folgen sind mehr Migration und mehr Auseinandersetzungen um Wasser und Nahrung. Ich kann immer nur sagen: Wir müssen, wenn wir über die Kosten sprechen, die ein Handeln im Sinne von Klimaschutz verursacht, noch viel stärker deutlich machen, was es kostet, nicht zu handeln. Das Nicht-Handeln, wie auch im Stern-Report festgehalten wurde, ist nämlich allemal teurer und deshalb aus meiner Sicht keine Option.

Die bisherigen Klimaschutzzusagen – es war ja sozusagen das einzig Gute der Konferenz von Kopenhagen, dass wir freiwillige Zusagen erhalten haben – reichen bei Weitem nicht aus, um den Anstieg der Erderwärmung unter dem kritischen Wert von zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten. Deshalb dürfen wir nicht nachlassen, an die gemeinsame, wenn auch unterschiedliche Verantwortung – so wird es ja in den Konventionen beschrieben – von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern zu appellieren. Wir als hochentwickelte Industrieländer – da spreche ich für Deutschland – haben angesichts dessen, was wir schon an CO2-Emissionen verursacht haben, eine Bringschuld, uns für die Entwicklung neuer Technologien und nachhaltiger Technologien mit aller Kraft einzusetzen.

Wir haben manches erreicht. Im Jahr 2010 lagen unsere Treibhausgasemissionen rund 24 Prozent unter dem Niveau von 1990. Auf diesem Weg wollen und werden wir weitergehen. Wir setzten natürlich auf erneuerbare Energien. Ihr Anteil an der Stromerzeugung soll bis 2020 auf mindestens 35 Prozent anwachsen, bis 2050 sogar auf 80 Prozent. Nun kommen wir zu den Mühen der Ebene in diesem Zusammenhang. Die Energiewende ist ein anspruchsvolles Projekt. Aber sie ist ein Projekt, das nicht nur für uns in Deutschland gut ist, sondern das auch ein Beispiel sein kann, mit dem wir anderen Ländern zeigen: Man kann es schaffen, man kann den Weg einer nachhaltigen Energieversorgung gehen. Sie ist ein Teil dieser Bringschuld, von der ich sprach, gegenüber Ländern, die heute erst ihre industrielle Entwicklung voranbringen.

Deshalb bitte ich Sie auch, die Sie in diesem Raum versammelt sind, die notwendigen Entscheidungen und die notwendigen Konsequenzen eines solchen Wandels der Energieversorgung mitzutragen. Dabei geht es vor allen Dingen um den Netzausbau. Hierfür haben wir unter anderem das Energiewirtschaftsgesetz umfassend geändert. Wir haben ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz verabschiedet. Wir haben nun auch einen nationalen Netzentwicklungsplan. Wir wollen die Öffentlichkeit frühzeitig und breit am Planungsprozess beteiligen, aber ich sage auch: Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir neue Netze brauchen. Wenn man neue Energien haben will und sie zu einem einigermaßen erschwinglichen Preis haben will, dann werden wir von Nord nach Süd sehr viel mehr Strom transportieren müssen als heute. Das geht nicht ohne neue Netze und das geht auch nicht nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Deshalb müssen wir für Akzeptanz werben, ansonsten wird das nicht klappen.

Die Energiewende ist sehr anspruchsvoll. Sie hält uns natürlich dazu an – das spüren wir jetzt schon bei den Verfügbarkeiten von erneuerbaren Energien –, Versorgungssicherheit, die soziale Komponente der preislichen Akzeptanz und die ökologische Komponente sozusagen als Nachhaltigkeitscredo zusammenzuhalten. Auch hier bitte ich Sie als diejenigen, die mit Nachhaltigkeit zu tun haben, sich nicht immer nur auf eine dieser Komponenten zu stützen, sondern sozusagen die drei Ecken der Veranstaltung im Auge zu behalten. Die Energiewende ist auch insofern anspruchsvoll, weil wir die erneuerbaren Energien erst Schritt für Schritt marktfähig machen müssen. Dieses Marktfähigmachen wird uns noch erhebliche Anstrengungen abverlangen.

Es ist schon beachtlich – wenn man sich die Verteilstationen oder Netzüberwachungsstationen anschaut –, dass es dort beispielsweise heißt: 20 Gigawatt Solarenergie und 26 Gigawatt Windenergie stehen heute zur Verfügung; der durchschnittliche Tagesbedarf beläuft sich auf etwa 56 Gigawatt. Es gibt also Stunden am Tag, in denen wir fast alles mit erneuerbaren Energien schaffen können – ob die Energie dann immer gerade da hinkommt, wo sie gebraucht wird, sei dahingestellt. Und dann gibt es wieder Stunden, in denen – zum Beispiel aufgrund von Windstille oder in den Nachtstunden, wenn eben die Sonne nicht scheint – diese 56 Gigawatt beziehungsweise nachts meist weniger – sagen wir einmal, 35 bis 40 Gigawatt – bereitgestellt werden müssen, ohne dass man auf irgendwelche erneuerbaren Energien zurückgreifen kann. Dies in einen wirtschaftlichen Rahmen zu bringen und mit Versorgungssicherheit zu verbinden, bedeutet natürlich eine erhebliche technische Anstrengung und muss auch gesellschaftlich diskutiert werden.

Ein Schlüssel ist die Energieeffizienz. Deshalb ist es so bitter, dass wir es immer noch nicht geschafft haben, mit den Ländern einen Konsens über eine steuerliche Förderung der CO2-Gebäudesanierung zu bekommen. Denn Wärme ist der schlafende Riese, bei dem wir hinsichtlich der Senkung des Energieverbrauchs noch sehr viel machen können. Deshalb werden wir hier auch weiter tätig sein und versuchen, im Bereich der Gebäudesanierung einen Kompromiss zu finden.

Wir brauchen des Weiteren grüne Technologien, Verfahren und Produkte. Diesbezüglich weisen wir hier in Deutschland erhebliche Erkenntnisse und sehr gute Leistungen auf. Wer die Hannover Messe oder die CeBIT besucht oder sich Innovationspreise in Deutschland vor Augen führt, der sieht: Es geht immer auch um mehr Ressourceneffizienz, um intelligente Anwendung und Verwendung von Energie, denn diese Bereiche sind inzwischen auch richtig starke Innovationstreiber.

Unser Ziel ist, dass sich Deutschland zu einer der energie- und ressourceneffizientesten Volkswirtschaften der Welt entwickeln soll. Deshalb haben wir in diesem Jahr ein Ressourceneffizienzprogramm verabschiedet, in dem es um Rohstoff- und Materialeinsatz, um Recyclingmethoden und um viele, viele Gebiete, die die Ressourceneffizienz im Fokus haben, geht. Denn mit wachsender Weltbevölkerung nimmt auch die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen zu. Das spiegelt sich dann auch in der Preisentwicklung wieder. Deshalb gibt es auch auf diesem Gebiet einen weiteren Grund, mehr Nachhaltigkeit zu praktizieren.

Es gibt also eigentlich nur Gründe, die dafür sprechen, nachhaltiges Wirtschaften voranzubringen. Eine gute Orientierung darüber, wie weit uns das gelingt, bietet der deutsche Nachhaltigkeitskodex, der vom Nachhaltigkeitsrat gemeinsam mit Finanzinstituten und Unternehmen entwickelt wurde. Die Bundesregierung unterstützt diesen Kodex. Wir werben dafür, dass ihn auch noch mehr Unternehmen anwenden.

Nicht nur der private Unternehmenssektor, sondern auch der öffentliche Sektor steht in der Verantwortung, den Managementgedanken zu verinnerlichen. Das bedeutet, Nachhaltigkeit gleichsam im Betriebssystem der Bundesregierung zu verankern. Einen wichtigen Ansatzpunkt dafür bietet die Gesetzesfolgenabschätzung. Jedes Ressort muss seine Gesetzentwürfe auch nach Maßstäben der Nachhaltigkeit überprüfen. – Das gilt in diesem Sinne natürlich auch für den Haushalt; bei dem sieht man ziemlich einfach, dass er noch nicht nachhaltig ist. – Über die Einhaltung wacht der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung beim Deutschen Bundestag. Kritische Anmerkungen sind somit garantiert.

Ein Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung hat ein Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit für die jeweiligen Ministerien und ihre Geschäftsbereiche erarbeitet. Dieses Programm macht unter anderem im Rahmen der öffentlichen Beschaffung Vorgaben für einzelne Produkte. Es geht also darum, das Thema Nachhaltigkeit als Leitprinzip auch im Alltag der öffentlichen Verwaltung besser zu verankern. Denn wer für mehr Nachhaltigkeit wirbt, sollte auch selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Das gilt letztlich auch für ganz Deutschland als größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union.

Was wir in den bisherigen zehn Jahren der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie erreicht haben, kann sich sehen lassen. Es gibt mittlerweile drei Fortschrittsberichte. Allen, die daran mitgewirkt haben, möchte ich an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön sagen – ob sie sich nun mit Beiträgen am Onlinedialog oder, wie der Nachhaltigkeitsrat, mit eigenen Kapiteln eingebracht haben. Nachhaltigkeit als Daueraufgabe erfordert natürlich eine Weiterentwicklung der Strategie. Da erhoffe ich mir wertvolle Impulse unter anderem vom nächsten sogenannten Peer Review durch internationale Sachverständige. Wir wollen hier also nicht nur im eigenen Saft schmoren, sondern wir wollen auch internationalen Sachverstand hinzuziehen.

So wichtig es auch ist, fachlich fundierte, detaillierte und wohl formulierte Gutachten und Berichte zu erarbeiten – letztlich kommt es vor allem auf die praktische Umsetzung an. Deshalb sage ich Ihnen allen noch einmal danke. Sie sind diejenigen, die sich des Themas annehmen, Sie sind diejenigen, die mit viel Kraft, mit viel Leidenschaft, mit viel Ausdauer – manchmal auch Rückschläge, Missverständnisse oder Unverstand in der Gesellschaft sehend und aushaltend – diesem Gedanken verpflichtet sind. Gut, dass es Sie gibt; gut, dass es den Nachhaltigkeitsrat gibt.

Wir fühlen uns alle angespornt. Wir sind noch längst nicht dort, wo wir hin müssen; aber damit man weitermachen kann, braucht man ja auch etwas Positives. Ich glaube, wir lügen uns nicht in die Tasche, wenn wir sagen: Wir sind vorangekommen – aber immer noch nicht weit genug, weshalb noch vieles zu tun bleibt.

Herzlichen Dank.