Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel am "Tag des deutschen Familienunternehmens"

Sehr geehrter Herr Professor Hennerkes,

meine Damen und Herren,

in diesem Jahr ist es in der Tat eine sehr beachtliche Versammlung von Familienunternehmen. Ich bin wieder sehr gern hierher gekommen.Es ist ja schon fast eine Tradition, dass ich unter sehr unterschiedlichen Umständen einmal im Jahr bei Ihnen bin. Dies freut mich in diesem Jahr ganz besonders, weil ich glaube, dass Sie zu den Stützen und den tragenden Pfeilern unseres Landes gehören. Sie haben über lange Zeiten hinweg in diesem Land Ihre Zukunft und Ihr Leben gestaltet. Sie haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von Ihrer Kreativität, von Ihrem Einsatz leben, die Ihnen aber natürlich auch gute Mitarbeiter sind. Sie verkörpern so etwas wie die Soziale Marktwirtschaft in lebendiger Form.

Ich denke, jeder von Ihnen spürt auch wie wir in der Politik, dass wir durch ziemlich interessante, spektakuläre Zeiten gehen, in denen die Pfeiler, die diese Gesellschaft stützen, natürlich eine ganz besondere Verantwortung haben. Deshalb möchte ich mit einem Dank beginnen. Denn wenn wir um diese Zeit, im Mai 2010, sagen können, dass wir weniger Arbeitslose haben als im Mai 2008, dann zeigt das, dass politisch sicherlich manches richtig gemacht wurde, aber vor allen Dingen, dass es eine große Verantwortungsgemeinschaft gerade der mittelständischen Unternehmen in diesem Land gibt, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass wir da sind, wo wir sind. Ich glaube, das ist alles andere als selbstverständlich, das wird uns – ich bin fest davon überzeugt und sage das nicht ohne Zuversicht – auch noch einige Zeit beschäftigen.

Denn diese internationale Wirtschaftskrise hat unser Land im Jahr 2009 in eine Situation gebracht, in der die Wirtschaft um fünf Prozent eingebrochen ist. So etwas hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. 0,9 Prozent war der bis dahin schärfste Einbruch in den 70er Jahren. Fünf Prozent – das muss erst einmal wieder überwunden werden. Selbst wenn das eintrifft, was die Bundesbank heute gesagt hat, nämlich dass wir in diesem Jahr 1,9 Prozent Wachstum haben könnten, dann sind wir immer noch 3,1 Prozent hinter 2008. Und nächstes Jahr sind wir immer noch deutlich hinter 2008. Dann ist schon das Jahr 2011 vorbei, dann kommen wir in das Jahr 2012; und wenn wir Glück haben, sind wir irgendwann zwischen 2012 und 2013 wieder da, wo wir 2008 waren. Sie alle, die Sie normale Wachstumsraten, Produktivitätssteigerungen usw. kennen, wissen, was das bedeutet.

Ich habe immer wieder gesagt, ich würde es gern sehen, wenn wir als Land stärker aus dieser Krise hervorgehen, als wir hineingegangen sind. Ich habe aber auch immer wieder darauf hingewiesen – Sie haben heute, wie ich glaube, auch über die Globalisierung gesprochen: Die Karten auf der Welt werden in einer solchen Krise neu gemischt; es ist überhaupt nicht sicher, dass die, die vorher stark waren, auch hinterher stärker sind. Das heißt, wir müssen etwas dafür tun. Unsere Ausgangsbedingungen sind – wenn ich mir den Kreis hier anschaue – sehr, sehr gute. Aber es gibt auch eine Reihe von Rahmenfaktoren, die durchaus zeigen, dass Deutschland auch Schwächen hat. Das eine ist, dass die globale Wettbewerbsfähigkeit in anderen Bereichen der Welt, zum Beispiel im asiatischen Raum, stark steigt. Das andere ist, dass wir Verschuldung haben – 1,7 Billionen Euro –, während andere Guthaben auf ihren Staatskonten haben und sich mit dem Thema Verschuldung nicht herumschlagen müssen. In Bahrain hat mir neulich jemand gesagt: Wir sind ganz dicht davor, dass wir vielleicht mal Steuern einführen müssen. – Auch eine Möglichkeit.

Die Frage, wie sich das weiterentwickelt, beschäftigt mich und die ganze Bundesregierung sehr. Deswegen haben wir auch zu Beginn der Legislaturperiode – das Jahr 2010 ist noch ein Krisenjahr; im Jahr 2011 werden wir die Ausstiegszenarien einschalten, auch mit der Schuldenbremse – noch einmal mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Dinge getan, die gerade für Sie von unglaublicher Wichtigkeit sind: Veränderungen bei der Erbschaftsteuer – ich glaube, das war etwas, was auch als Signal wichtig war –, noch einmal Veränderungen bei der Unternehmensteuer, die Wegnahme oder Abmilderung krisenverstärkender Mechanismen. Gemerkt aber haben sich wahrscheinlich alle die Sache mit den Hotels. Und wir haben die Familienleistungen verbessert.

 

Wenn wir uns jetzt noch einmal anschauen, was eigentlich in den letzten beiden Jahren passiert ist, dann sehen wir, dass durch Exzesse an den Finanzmärkten, die allerdings durchaus auch politisch angetrieben waren durch die Politik des leichten Geldes zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika, die Banken in eine dramatische Situation geraten sind und wir deshalb als erstes die Banken retten mussten. Unsere skandinavischen Freunde können uns wunderbar sagen: Erst muss man die Banken retten – dafür muss man viel Geld ausgeben –, dann bricht die Wirtschaft ein – da muss man wieder viel Geld ausgeben für die Konjunkturprogramme –, dann ist man verschuldet, da muss man die Finanzen konsolidieren; und anschließend fragen die Marktakteure: Wie sind die Strukturen des Landes, wie kann man die Strukturen modernisieren?

Jetzt sind wir irgendwo zwischen Haushaltskonsolidierung und Strukturreform. Die Koalition hat sich vorgenommen, das anzugehen und zu zeigen, was wir unserer Meinung nach verändern müssen. Ich werde Ihnen gleich einige Bereiche nennen. Hinter jedem Konsolidierungsvorschlag, den wir in unserer Klausur unterbreitet haben, steht auch der Gedanke einer Strukturreform, weil es sonst unintelligentes Sparen wäre, nicht auf Wachstum ausgerichtetes Sparen, das uns überhaupt nicht nutzen würde. Stattdessen müssen solide Finanzen mit einer klaren Wachstumspolitik kombiniert sein.

Das, was Europa jetzt in den letzten Monaten erlebt hat – wir haben uns ja alle nicht vorstellen können, was mit dem Euro geschah –, ist ja im Grunde genommen auch eine Situation, in der einzelne Mitgliedstaaten oder Teile des Euro-Raums sozusagen als wirtschaftlich zu schwach klassifiziert wurden, um die angehäuften Schulden überhaupt abzahlen zu können, um die richtigen Strukturen zu schaffen und die richtigen Wachstumsmöglichkeiten zu haben. Erst war es nur Griechenland, jetzt sind es auch andere Länder.

Die Verschuldung an sich ist ja noch kein Indikator, sondern die Verschuldung in Kombination mit einer schwachen Wachstumsstruktur und einer schlechten Zukunftsperspektive ist das, was die Märkte beunruhigt. Dafür, wie man ja auch sagen muss, gibt es auch rationale Gründe. Das ist nicht nur Spekulation; da würden wir uns in die Tasche lügen. Wenn ein Land wie Spanien zum Beispiel 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit hat sowie eine stark überentwickelte Bauwirtschaft, dann hat dies bei der gleichen Verschuldung, gemessen mit anderen Ländern, natürlich eine andere Erwartungshaltung zur Folge. Deshalb müssen die Strukturen verbessert werden.

Das, was ich als deutsche Regierungschefin gemeinsam mit Guido Westerwelle und gemeinsam mit dem Finanzminister in der Frage der Forderung nach Solidarität im Euroraum immer wieder gesagt habe, war: Na klar wissen wir, dass Deutschland davon unglaublich profitiert hat, dass wir eine gemeinsame Währung und einen Binnenmarkt haben. Mehr als zwei Drittel unseres gesamten Außenhandelsvolumens sind im europäischen Binnenmarkt angesiedelt. Eine stabile Währung hat viele Vorteile. Erinnern Sie sich nur einmal daran, was früher los war, als wir die Lire, den Franc und die Pesete gestützt haben – da war auch viel zu tun, um das Währungssystem in unseren Exporträumen stabil zu halten. Der stabile Euro hat uns also schon gut durch die Krise geführt. Aber jetzt ist der Fokus eben auf den europäischen Märkten und es wird gefragt: Wie gut seid ihr für die Zukunft gewappnet? Auch in Deutschland stehen wir vor großen Herausforderungen, denn im Zuge der demografischen Veränderungen, die wir in den nächsten Jahren haben werden, werden jedes Jahr rund 200.000 Menschen mehr aus dem Arbeitsleben ausscheiden, als junge Menschen ins Arbeitsleben eintreten.

Ich habe mich immer dafür eingesetzt, zu sagen: Jawohl, Deutschland ist solidarisch, aber nur, wenn die Probleme bei der Wurzel gepackt werden. Es hat keinen Sinn, schnell mal Griechenland ein bisschen zu helfen, wenn anschließend trotzdem kein Konsolidierungsprogramm verabschiedet und nichts an den Strukturen geändert worden ist. Dann stünden wir in einem oder zwei Jahren genau wieder dort, wo wir vorher schon gestanden haben. Deshalb müssen wir durch diese schwierige Phase gehen, in der die einzelnen Länder unter der Beobachtung auch des IWF, der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank ihre Hausaufgaben machen müssen. Für mich gibt es keine vernünftige Alternative zu diesem Vorgehen. Wenn wir das einander nicht zumuten, werden die Schwächsten den Ton in Europa angeben; und das wird nicht zum Wohle Europas sein. Deshalb sage ich: Die Schwächeren müssen stärker werden in dieser Prozedur und nicht die Stärkeren schwächer.

Dazu gehört eben auch die Tatsache, dass wir in Deutschland solide Finanzen brauchen. Wir wären 2011, also bereits nächstes Jahr, bei einem ausgeglichenen Haushalt gewesen, wenn der Wirtschaftseinbruch nicht gekommen wäre; das darf man nicht vergessen. Wir hatten 2007, 2008 gesamtstaatlich nahezu ausgeglichene Haushalte. Das konnten wir nach Brüssel melden. Das hat zwar noch nicht dazu gereicht, Schulden abzubauen, aber der gesamtstaatliche Haushalt war immerhin fast ausgeglichen. Deutschland ist, glaube ich, auch das einzige Land, das sich mitten in der Krise parteiübergreifend mit Zweidrittelmehrheit eine Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben hat, die uns jetzt dazu verpflichtet, ab 2016 im Bund nicht mehr als 0,35 Prozent des Bundeshaushalts Neuverschuldung in normalen Zeiten zu machen. Dann haben wir immer noch nichts zurückgezahlt, aber wenigstens müssen wir einigermaßen mit dem, was wir einnehmen, auch auskommen – eigentlich eine ganz selbstverständliche Regel. Wenn bei einem Unternehmen für das Investieren nichts mehr übrig bliebe, würde man wahrscheinlich schlaflose Nächte haben. Insofern ist das etwas ganz Normales.

Auf diesen Weg begeben wir uns jetzt. Dazu haben wir Maßnahmen ergriffen, bei denen wir ganz klare Prioritäten gesetzt haben: Mehrausgaben bei Bildung und Forschung, bei den Investitionen möglichst wenig kürzen, bestimmte Bereiche unangetastet lassen, zum Beispiel den Aufbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen, aber auch den großen Block der Rentenzahlungen im Bundeshaushalt. Es sind immerhin 80 Milliarden Euro, die im Wesentlichen für Familienleistungen und Ähnliches ausgegeben werden. Aber wir haben in diesem Jahr einen Haushalt von fast 320 Milliarden Euro, bei dem jeder vierte Euro, 80 Milliarden Euro, Neuverschuldung ist. Das kann auf Dauer nicht richtig sein. In diesem Haushalt – wenn Sie sich dessen Struktur anschauen, sehen Sie: das ist ein Krisenhaushalt –, sind rund 55 Prozent Sozialausgaben, wobei vieles auf die Kurzarbeit entfällt, die richtig war. Mit Personal- und Zinszahlungen sind es fast 75 Prozent. Das heißt, Sie haben nur ein Viertel, also im Grunde weniger als das, was Sie an neuen Schulden aufnehmen, um alles andere – Bildung, Forschung, Sicherheit und anderes – zu finanzieren. Dass da strukturelle Veränderungen vorgenommen werden müssen, ist doch klar. Dass sie auch im sozialen Bereich liegen müssen, ist auch klar.

Im Jahre 1980 hatte der Bundeshaushalt einen Anteil von Sozialausgaben von 16 Prozent gehabt, 1990 – nach der deutschen Wiedervereinigung – 30 Prozent und in diesem Jahr fast 55 Prozent. So kann es nicht weitergehen. Deshalb darf man sich auch den Schuh nicht anziehen, dass wir angeblich in einer unverhältnismäßigen Art und Weise Sozialkürzungen vorgenommen hätten. Die meisten Minderausgaben, die wir haben wollen, sind im Arbeitsmarktbereich. Da ist der Block, den wir verkleinern müssen, der der Langzeitarbeitslosen. Wir geben rund 40 Milliarden Euro für Arbeitslosengeld-II-Empfänger, also Hartz-IV-Empfänger aus. Das sind über fünf Millionen Menschen; das ist sehr, sehr viel. Wenn Sie sich das einmal vorstellen: von 80 Millionen Menschen in Deutschland hängen fünf Millionen von einer solchen Transferleistung ab. Hinzu kommen noch rund 20 Millionen Rentner. Daran sehen Sie schon, was der Sozialstaat zu leisten hat – auch wenn die Rentner natürlich für ihre Rente selbst eingezahlt haben; diese ist im Wesentlichen keine Transferleistung.

Es muss unser Ziel sein, möglichst viele erwerbsfähige Leistungsempfänger in Arbeit zu bringen. Sie teilen sich unter anderem in zwei große Gruppen auf – zum einen in Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die über 50 Jahre alt sind und gemeinhin als nicht mehr vermittelbar gelten, wenn sie arbeitslos sind. Da ist meine herzliche Bitte an Sie: Geben Sie auch den Älteren eine Chance. Wer heute über 50 ist, zählt noch nicht zum alten Eisen. Ich weiß, dass vieles erforderlich ist. Wir müssen unter anderem Methoden der Qualifizierung entwickeln. Es geht ja nicht um die, die lange bei Ihnen im Betrieb sind – die behalten Sie sicherlich –, sondern es geht um die, die durch eine Umstrukturierung arbeitslos geworden sind und dann nicht mehr den Weg in ein neues Unternehmen finden. Wenn man sich die heutige Lebenserwartung anschaut, dann weiß man, dass die Zeit, die man im Rentenalter verbringt, so lang ist, dass wir es auch schaffen müssen, das tatsächliche Renteneintrittsalter mit dem gesetzlichen Renteneintrittsalter weithin deckungsgleich zu machen. Was also die älteren Arbeitslosen betrifft: Da wollen wir jetzt ansetzen und versuchen, möglichst viele von ihnen wieder in einen Job zu bringen. Zum anderen haben wir rund 660.000 Alleinerziehende, die im Allgemeinen gern arbeiten würden, es aber nicht können, weil keine Kinderbetreuungsmöglichkeiten da sind. Auch da setzt Ursula von der Leyen jetzt an.

Wenn man dann also in diesem Block von 40 Milliarden Euro – das belastet die Kommunen noch einmal mit mehr als zehn Milliarden – etwas schaffen würde, sodass mehr Menschen wieder am Arbeitsleben teilhaben können, dann hätten wir auch für die Entlastung des Haushalts etwas getan. Deshalb ist das der Hauptpunkt im Sozialbereich, auf den wir uns konzentrieren.

Wir werden auch zusätzliche Belastungen der Wirtschaft in bestimmten Bereichen haben, etwa auch bei einem neuen Energiekonzept mit verlängerten Kernkraftwerkslaufzeiten. Da wollen wir eine Brennelementesteuer einführen. Ich glaube, das ist vertretbar. Wir werden ein Gesamtenergiekonzept entwickeln; es wird im Sommer vorliegen. Dann werden wir daraus die entsprechenden Maßnahmen entwickeln. Wir wollen möglichst schnell in das Zeitalter der erneuerbaren Energien hinein, aber wir sagen: Wir brauchen auch die Kernenergie als Brückentechnologie. Es hat keinen Sinn, eine Energiepolitik zu betreiben, die nur noch aus subventionierter Energie besteht und den Industriestandort massiv schwächt. Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit sind die drei Punkte, die mit jedem Energiekonzept erreicht werden müssen.

Wenn wir in dem von Rot-Grün geplanten Maße aus der Kernenergie aussteigen würden, dann ist das regional ganz unterschiedlich zu sehen. Ganz Nordrhein-Westfalen hat kein einziges Kernkraftwerk mehr am Netz. Aber Bayern und Baden-Württemberg hängen, was die Stromerzeugung anbelangt, mit etwa 70 Prozent an der Kernenergie; Bayern jedenfalls. Dann hilft es gar nichts, wenn man irgendwo an der Nordsee Windstrom erzeugt, aber keine Hochspannungsleitungen hat, mit denen man das Ganze in den Süden befördern kann, und wir derzeit dauernd das Entgelt für erneuerbare Energien in Form von Windenergie bezahlen, obwohl der Wind die Mühlen gar nicht antreibt, weil die Netze das nicht mehr aufnehmen können. Deshalb ist es auch eine der großen Aufgaben, bei uns die Infrastruktur auszubauen und zu verbessern.

Des Weiteren ist der Bereich Bildung und Forschung sehr wichtig. Ich glaube, dass wir in der Forschungspolitik mit der Hightech-Strategie und vielen anderen Dingen auch den Mittelstand inzwischen besser einbeziehen und auf angewandte Forschung besser eingehen. Die Forschungsunion, die Annette Schavan gegründet hat, hat hier sehr, sehr gute Fortschritte erzielt. Das forschungsfreundliche Klima im Lande ist auch sehr wichtig. Ich war froh, dass wir es in einer der ersten Aktionen unserer Regierung geschafft haben, Brüssel dazu zu bewegen, Amflora, die Stärkekartoffel von BASF, einer Genehmigung zuzuführen, weil die BASF eine Milliarde Euro an Forschungsgeldern in den letzten Jahren dafür investiert hat.

Der Forschungsstandort Deutschland wird natürlich nicht zu halten sein, wenn wir an dieser Stelle nicht auch die Genehmigung und die Anwendung möglich machen. In dieser Hinsicht, das muss ich Ihnen sagen, ist auch im bürgerlichen Lager – wenn ich das einmal so gemeinhin umschreiben darf – die Technologiefreundlichkeit längst nicht mehr so groß, wie sie es einmal war. Ich muss Ihnen aber auch sagen: Wir können nicht zusehen, wie in Education City von Doha und an der König-Abdullah-Universität in Djidda die Forschung mit viel Ausrüstung, viel Begeisterung, viel Leidenschaft blüht und gedeiht und bei uns die Dinge immer weiter mit Risikobetrachtungen verlangsamt werden. Das wird unseren Wohlstand schmälern. Deshalb müssen wir dagegen angehen. Und das ist die Bundesregierung auch gewillt zu tun.

Sie wissen, wir haben Veränderungsbedarf bei den sozialen Sicherungssystemen, weniger bei der Rente. Da sind wir, glaube ich, mit der Rente mit 67 und der zusätzlichen Kapitalsicherung in Form der Riester-Rente ganz gut dabei. Aber wir müssen vor allen Dingen im Gesundheitswesen etwas tun. Davon durften Sie ja auch in den vergangenen Tagen und Wochen in den Zeitungen lesen. Das ändert alles nichts daran, dass der Auftrag erfüllt werden muss. In einem Land, dessen Bevölkerung im Durchschnitt älter wird, in dem die medizinischen Möglichkeiten größer werden, wird es nicht passieren, dass die Ausgaben fürs Gesundheitssystem geringer werden. Jetzt kann man nur überlegen: Wie verteile ich die steigenden Ausgaben? Wie generiere ich die Einnahmen? Lasse ich die Bevölkerung etwas hinzuzahlen? Mache ich es über eine Prämie mit Sozialausgleich? Mute ich es wieder über die Arbeitskosten paritätisch den Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu? Da war unsere erste Grundentscheidung, zu sagen: Wir können die ansteigenden Gesundheitskosten nicht immer paritätisch mit der Verteuerung der Arbeitskosten verbinden. Das ist in zwei Richtungen problematisch, zum einen in die, die Sie sofort verstehen: dass Sie mehr belastet werden, und in die zweite, dass auch ein immerwährender Druck auf den Gesundheitskosten lastet, der sachwidrig ist.

Weil man ja weiß, dass die Arbeitskosten nicht steigen dürfen, wird in das System nicht genug Geld gegeben, was dazu führt, dass wir schleichend eine Zwei-Klassen-Medizin bekommen, die auch nicht gewünscht und richtig ist. Also muss mehr Transparenz in das System, also muss der Versicherte auch selbständiger wählen können. Ich weiß, dass das schwierig ist. Dann wird immer gesagt: Guckt euch doch mal die 20 Millionen Rentner an; die können das nicht. Okay, das mag richtig sein, aber wir müssen das System ja für die Zukunft bauen. Und so haben wir ja schon viele Schritte getan, etwa auch mit der freien Krankenkassenwahl. Aber wir können uns noch viel mehr Transparenz erlauben. Deshalb wollen wir auch das System der Zusatzbeiträge, wie wir es heute haben, weiterentwickeln in Prämienbeiträge für die aufwachsenden Kosten, die dann natürlich wieder sozial ausgeglichen werden müssen, weil die, die wirklich wenig verdienen, zum Beispiel Rentner mit 1.000 Euro oder weniger, aufwachsende Kosten nicht beliebig weit tragen können.

Dies ist sicherlich das größte Problem und deshalb ist es auch nicht so dramatisch, dass wir noch nicht alle Probleme gelöst haben, aber wir müssen einfach wissen: Gesundheitsminister Philipp Rösler steht vor der Situation, dass im nächsten Jahr allein elf Milliarden Euro Defizit im Krankenkassensystem sind. Er spart jetzt bei den pharmazeutischen Produkten; das bringt schon viel Kritik von der forschenden Pharmaindustrie ein. Dann haben wir noch den großen Kostenblock Krankenhäuser; da werden wir in unserer Gesellschaft darüber diskutieren müssen: Wie viele Krankenhäuser brauchen wir? Was sollen sie können? Wie weit sind sie vom Wohnort entfernt? Das dritte Drittel sind die Kosten für Ärzte und das medizinische Personal, wobei wir auch ein Problem haben, weil viele Ärzte inzwischen im Ausland tätig sind, weil sie es da einfacher finden, als in Deutschland zu arbeiten. So ist also eine Strukturreform hier sicherlich die größte politische Aufgabe – im Vergleich dazu sind andere relativ einfach, zum Beispiel ein in sich geschlossenes Energiekonzept; das kann man relativ einfach schaffen gemessen an der großen Aufgabe des Gesundheitssystems.

All das wird nur gelingen, wenn es begleitet wird von einem intelligenten Sparen und einer intelligenten Haushaltskonsolidierung. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren deshalb keine einfachen Jahre haben werden, weil die Verteilungskämpfe zwischen Kommunen, Ländern, Bund und die Auseinandersetzung in der Frage Schuldenmachen oder Stabilsein bzw. Sich-besser-Wappnen für die Zukunft natürlich in vielen, vielen Einzelheiten stattfinden werden. Deshalb komme ich auch wieder zurück zu dem Punkt, der mir so wichtig ist, nämlich, dass wir Sie dafür brauchen, weil Sie eben stabile Anker in dieser Gesellschaft sind und weil die Politik das natürlich nicht allein schaffen kann; sie ist unglaublich allein damit. Deshalb ist es auch so wichtig, worüber Sie auf dieser Tagung immer wieder gesprochen haben: Wie ist das mit dem Eigentum? Eigentum verpflichtet. Sie leben das in markantester Form durch Ihre eigene Tätigkeit. Das soll dem Allgemeinwohl dienen. Aber dafür haben Sie natürlich auch Ansprüche und sagen: Dafür wollen wir auch anerkannt sein, dafür wollen wir Rahmenbedingungen haben. Deshalb verstehe ich, dass der Schutz des Eigentums etwas Wichtiges ist. Deshalb verstehe ich, dass man Unternehmen nicht dauernd Knüppel zwischen die Beine schmeißen darf, und deshalb verstehe ich auch, dass da, wo Spielräume sind, Steuersenkungen natürlich auch ein Thema sind, weil für mich – das gilt für die ganze Koalition – Steuerpolitik mehr ist; sie sagt auch etwas über Gesellschaftspolitik aus.

Ich habe mich zu Beginn des Jahres schon sehr geärgert, wenn, als wir das Existenzminimum für Kinder und damit auch das Kindergeld erhöht und dann noch von strukturellen Einkommensteuerreformen gesprochen haben, dann gesagt wurde: Das ist Klientelpolitik. Meine Damen und Herren, für mich ist das nicht Klientelpolitik, sondern das ist Politik für die Unterhaltung der Fundamente unserer Gesellschaft und nichts anderes.

Man kann auf der einen Seite sagen: 50 Prozent der Bevölkerung zahlen kaum Steuern. Richtig, aber diese 50 Prozent der Bevölkerung leben eben auch davon, dass andere Steuern zahlen. Und bei den anderen 50 Prozent trägt ein ziemlich kleiner Teil 50 Prozent der gesamten Steuerlast. Deshalb ist es schon sehr wichtig, dass wir das im Auge behalten. Und deshalb ist gerade der Mittelstandsbauch, wie wir sagen, etwas, das davon abweicht, was man normalerweise als gerecht empfinden würde. Insofern ist daran zu arbeiten: Wie kriegen wir das gerechter hin, damit sich Leistung mehr lohnt, damit sich eine Überstunde mehr lohnt, damit es sich lohnt, in die nächsthöhere Gehaltsstufe aufzusteigen.

Ich glaube, das ist schon eine ganz, ganz wichtige Motivation, um zu verhindern, dass zum Schluss die Leistungsträger unser Land verlassen. Da wird der Wettbewerb ganz hart werden. Es wird nicht nur Deutschland sein, wo man toll leben kann. Sicherlich sind die Abwanderungstendenzen bei Familienunternehmen noch etwas geringer als bei anderen, aber die Mobilität wird zunehmen. Im gemeinschaftlichen Binnenmarkt der Europäischen Union kann man sich überall relativ leicht niederlassen. Auch die Wachstumsmärkte der Welt im asiatischen Bereich und anderen Bereichen werden gute Qualität für das gesamte Leben bieten. Ich weiß um die Vorteile von Deutschland, aber ich sage Ihnen als Bundeskanzlerin auch: Ich weiß, dass das, was für Sie und Ihre Eltern normal war, heute schon für die Kinder, die eine viel höhere Mobilität bereits beim Studium und bei der Ausbildung haben, nicht mehr so normal ist, nämlich dass man in diesem Land und nur in diesem Land lebt. Es hilft uns ja nichts, wenn wir sagen: Die Deutschen sind tolle Typen überall auf der Welt, die dort irgendwo Leistungsträger sind, aber bei uns sind die Leistungsträger leider weg.

Deshalb ist unser Ansinnen natürlich, dieses Land nicht nur gut zu gestalten, sondern es für alle gut zu gestalten, vor allen Dingen auch für die Leistungsträger. Auf diesem Weg sehe ich uns – von Ausnahmen abgesehen, bei denen es natürlich auch einmal Krach gibt – grundsätzlich als Verbündete an. Deshalb: Mit der Tradition von Jahrhunderten oder Jahrzehnten, mit der Erfahrung aus diesen Jahrzehnten sind Sie der Baustein in unserem Lande, der Soziale Marktwirtschaft verkörpert. Wir brauchen auf der Welt mehr Soziale Marktwirtschaft – darum müssen wir uns kümmern – und nicht weniger Soziale Marktwirtschaft.

Deshalb, lieber Herr Hennerkes, bin ich auch in diesem Jahr wieder sehr, sehr gerne zu Ihnen gekommen, um Ihnen das zu sagen. Aber ich sage Ihnen auch: Natürlich werden Sie die Augen verdrehen, wenn Sie an manchem Tag die Zeitung aufschlagen oder abends Nachrichten sehen. Es ist aber fast unmöglich – das wissen Sie in Ihrem Unternehmen auch –, neue Wege zu beschreiten, ohne dass daraus nicht auch kontroverse Diskussionen entstehen. Ohne Diskussion gibt es keine Weiterentwicklung.

In der Politik ist es jetzt so, dass jede Diskussion ein Streit ist, jeder Streit aber als schlecht angesehen wird und jeder Streit öffentlich ist. Das macht die Sache so kompliziert. Deshalb: Geben Sie uns ein Stück Raum für Diskussionen. Sie können nicht ein Gesundheitssystem reformieren – davon sind 60 Millionen Menschen betroffen –, ohne dass da nicht doch kontroverse Meinungen auftreten, ohne dass sich diese Bahn brechen. Sie können nicht die ganze Arbeitsmarktpolitik neu machen mit einer Opposition, die ja ziemlich fix vergessen hat, was sie früher einmal mitgetragen hat.

Ein Beispiel: Die Arbeitslosengeld-II-Empfänger erwerben derzeit, indem etwas in die Rentenkasse eingezahlt wird, einen Rentenanspruch in Höhe von 2,09 Euro monatlich. Daraus können Sie ersehen: Wer über viele Jahre hinweg Arbeitslosengeld-II-Empfänger ist, bekommt nie eine Rente, die über die Grundsicherung hinausgeht. Der Rentenanspruch belief sich im Übrigen einmal auf 4,18 Euro. Dann ist das unter der Großen Koalition genau halbiert worden – da war das gut, jetzt ist es sozialer Kahlschlag. So haben sich die Zeiten verändert. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Aber ich bitte Sie nur: Versuchen Sie, wo immer möglich, zu schauen, wo die langen Linien sind, weil wir sie brauchen und sie ganz konsequent verfolgen wollen. Veränderungen, wie wir sie brauchen, machen Sie nicht in einem Jahr. Es zählt die Tendenz, die Richtung insgesamt; und die muss stimmen. Ich glaube, auch mit dem, was wir am Wochenende erarbeitet haben, stimmt die Richtung. Deshalb geht es jetzt nicht darum, jeden Tag noch einen neuen Vorschlag dazu zu machen, sondern dieses einfach zu vertreten, weil wir bei der Bevölkerung nicht erwarten können, dass sie Vertrauen dazu hat, wenn wir nicht einmal verlässlich sind in dem, was wir sagen. Dafür werbe ich nun wieder. Dafür brauche ich bei Ihnen eigentlich nicht zu werben. Das sage ich nur als Beispiel für das, was mich, auch in der internen Arbeit, bewegt.

In diesem Sinne herzlichen Dank, dass ich wieder hier sein durfte, Ihnen diese Gedanken mitteilen durfte. Auf ein gutes Miteinander auch in nicht einfachen Zeiten. Herzlichen Dank.