Rede der Kanzlerin beim IHK-Neujahrsempfang

Sehr geehrter Herr Teufel,
sehr geehrter Herr Albiez,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Burgbacher,
lieber Volker Kauder,
lieber Siegfried Kauder,
sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten,
lieber Erwin Teufel und
meine Damen und Herren,

was die Abgeordneten des Deutschen Bundestages anbelangt, muss ich einfach darauf verweisen: Es ist gerade keine Sitzungswoche, sonst könnte ich nämlich auch nicht hier sein. Insofern ist es weise, wenn Sie Ihre Abgeordneten bei sich haben wollen, auch in künftigen Jahren den Empfang in eine sitzungsfreie Woche zu legen – und wenn schon in eine Sitzungswoche, dann niemals auf einen Donnerstag oder Freitagvormittag. Das war sozusagen nur eine Vorbemerkung.

Ansonsten ganz herzlichen Dank für die Einladung der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Ich bin sehr gerne hierhergekommen, weil ich die Kooperation mit meinen Kollegen im Deutschen Bundestag sehr schätze und weiß, aus welcher Region sie kommen – einer Region, die spannend ist, einer Region, bei der ich, die ich auch im ländlichen Raum meinen Wahlkreis habe, nämlich an der Ostseeküste, manchmal ein ganz kleines bisschen neidisch bin, wenn ich höre, dass Sie 30.000 Mitglieder haben, wenn ich weiß, welche Topfirmen hier ihr Zuhause haben. Aber es ist gut, solche Regionen in Deutschland zu haben. Und Sie, die Sie hier im Saal sitzen, wissen natürlich auch, dass das alles jeden Tag erarbeitet werden muss.

Sie haben vorhin sehr schön gezeigt, dass man auf diese Region stolz sein kann. Aber Sie haben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ja auch schon Phasen erlebt, dass massive Veränderungen notwendig waren. Das, was hier geschaffen wurde, war eben keine Hexerei, wie man vielleicht zur Fastnacht hier bei all den Hexenvereinen manchmal meinen könnte, sondern dahinter steht ein gutes Stück Arbeit, ein gutes Stück Tradition, etwas, das immer wieder fortgesetzt, modernisiert, verändert wurde, das, auf den Stärken der Vergangenheit aufgebaut, immer wieder in eine neue Zeit geführt wurde.

Ich habe in den letzten Jahren, vor allem seit 2008/2009, als wir die große weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise erlebt hatten, und in der schwierigen Situation, die wir jetzt in Europa und im Euroraum haben, immer wieder Diskussionen geführt, die wir auch weiter führen werden, über die Frage: Wie entsteht denn eigentlich Wohlstand, wie entsteht Wachstum, wie entstehen Arbeitsplätze? In der Politik diskutieren wir diese Dinge ja oft von einem sehr theoretischen Standpunkt aus. Deshalb ist es so wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern: Der Staat kann keine Arbeitsplätze direkt schaffen. Der Staat kann vieles falsch machen, indem er zu weit eingreift. Er kann auch etwas falsch machen, wenn er keine Leitplanken setzt. Das haben wir bei den Finanzmärkten gesehen. Soziale Marktwirtschaft bedeutet nicht einfach Freiheit, ohne Verantwortung mitzudenken.

Wir müssen uns immer bewusst sein: Arbeitsplätze und Wohlstand entstehen im Grunde durch Menschen, die Unternehmer sind. Das deutsche Wort „Unternehmer“ sagt ja alles. Es besagt, es sind Menschen, die etwas unternehmen wollen. Ein Staat kann vieles erzwingen, aber was er nicht erzwingen kann, ist der innere Wunsch des Menschen, etwas unternehmen zu wollen. Er kann nicht erzwingen, dass ein Mensch, der etwas unternommen hat und mit sich ganz zufrieden ist, für einen anderen Menschen einen Arbeitsplatz schafft. Er kann nicht erzwingen, dass, wenn Wachstum möglich ist, auch wirklich immer wieder Wachstum stattfindet. Manch einer, der in einer Umgebung zu arbeiten hat, die voller Neid und voller Misstrauen ist, kann ja auch sagen: Ich habe einfach keine Lust mehr, etwas zu unternehmen. Oder: Ich unternehme etwas anderes. Oder: Ich unternehme etwas woanders.

Das heißt also – deshalb bin ich besonders gerne hierhergekommen –, ich möchte mich als Erstes bei vielen von Ihnen hier im Saale dafür bedanken, dass sie etwas unternommen haben, das zum Schluss uns allen und dem ganzen Land guttut. Danke dafür – verbunden mit allen guten Wünschen für 2013.

Nun müssen wir immer wieder austarieren – ein solcher Besuch ist für mich natürlich auch wichtig, weil ich hier etwas lernen kann –: Wie müssen wir staatlicherseits, von der politischen Ebene aus die Rahmenbedingungen setzen, damit wir gute Entwicklungen fortführen können?

Ich habe im letzten Jahr zu drei Fragen, die ich für wichtig halte, einen Bürgerdialog durchgeführt. Die erste Frage war: Wie wollen wir zusammenleben? Wir sind zur Diskussion dieser drei Fragen im Übrigen nicht in großen Ballungszentren zusammengekommen, sondern in kleineren, mittelgroßen Städten. Wir haben den Dialog auch im Internet geführt. Es ist eines klar geworden: Die Soziale Marktwirtschaft hat als unsere Wirtschaftsordnung Deutschland tief geprägt; und diese Prägung ist eine gute Prägung, weil sie Ausdruck des großen Zusammenhalts ist, den wir Deutsche wollen. Auch in Ihrem Film vorhin ist deutlich geworden, dass sozusagen der Weg zur Arbeit und dann wieder in die Familien oder in die Freizeit kurz ist, sodass man den Zusammenhalt wirklich erleben kann.

Die zweite Frage war: Wovon wollen wir leben? Da, muss ich Ihnen sagen, war ich sehr unzufrieden mit der Diskussion, weil für viele, viele Menschen die Frage, wovon wir leben wollen, davon bestimmt ist, dass wir uns eigentlich keine Sorgen darüber machen müssen, morgen und übermorgen nicht genug Unternehmer zu haben. Ich habe gerade auch mit vielen jungen Leuten diskutiert und gesagt: Seid ihr euch eigentlich ganz sicher, dass wir in 10 oder 20 Jahren noch die größte Chemiefirma der Welt haben, dass wir in 10 oder 20 Jahren noch eine Automobilindustrie samt Zulieferindustrie in dem Ausmaß wie heute haben? Seid ihr euch ganz sicher, dass in 10 oder 20 Jahren nicht vielleicht jemand auf der Welt medizintechnische Produkte genauso gut herstellen kann, wie wir das heute können? Und seid ihr euch ganz sicher, dass wir dann auch noch so viele sogenannte Hidden Champions haben werden? Es gibt unter den jungen Menschen eine große Sicherheit, dass das schon so sein wird. Das hat eine gute Seite, weil diese jungen Menschen auch bereit sind, ihren Beitrag dazu zu leisten. Aber es hat auch eine Seite, die mich besorgt. Ich befürchte manchmal, dass wir Dinge für gegeben halten, die angesichts einer sich stark verändernden Welt auch sehr schnell wieder verschwinden können.

Deshalb ist es so wichtig, dass Politik und Wirtschaft in einem ganz engen Dialog stehen. Der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Burgbacher, hat mir erzählt, wie wichtig es für ihn ist, mit Ihrem IHK-Chef, Herrn Teufel, zum Beispiel darüber zu diskutieren, wie man denn Bilanzen in Zukunft elektronisch erstellen kann und welches Praxiswissen man dafür braucht. Wenn wir über solche Fragen nur abgehoben diskutieren, dann werden wir nicht zusammenkommen, dann wird der Wirtschaftsstandort Deutschland darunter leiden.

Nun verändern sich die Zeiten natürlich ständig. Sie, die Sie auch immer wieder Ihre Waren verkaufen müssen, wissen das besser als alle anderen. Ihr Motto „Hierbleiben und weiterkommen“, das im Zentrum des heutigen Abends steht, ist ein Motto, das darauf hindeutet, dass man auch um die Jugend kämpfen muss.

Eine der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, neben der Tatsache der Globalisierung, in der wir in der Lage sein müssen, so gute Produkte zu produzieren, dass wir sie auch im Ausland verkaufen können – diese Region ist ja beispielgebend dafür –, ist natürlich die Frage des demografischen Wandels. Die Tatsachen sind hier völlig eindeutig: Wir werden in den nächsten 15 bis 17 Jahren rund sechs Millionen Arbeitskräfte in Deutschland verlieren. Wir können erfreulicherweise sagen, dass die Lebenszeit, die jeder zur Verfügung hat, im Durchschnitt steigt. Das ist eine gute Botschaft, aber wir müssen darauf achten, dass die junge Generation zur Absicherung der sozialen Sicherungssysteme – Rente, Pflege, Gesundheit – nicht zu stark belastet wird. Wir müssen um die jungen Menschen kämpfen und darauf achten, dass sie Lebensbedingungen vorfinden, in denen sie gut lernen können, in denen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Möglichkeit ist, sein Leben zu leben, und in denen die Balance zwischen Älteren und Jungen gewahrt wird.

Dabei sind wir an vielen Stellen in Deutschland gut aufgestellt. Baden-Württemberg gehört zu den Bundesländern, die eine gute Schulausbildung haben; ich hoffe, das bleibt so. Die Schule ist eigentlich kein Ort, an dem man zu viel experimentieren sollte. Es hat sich in der Geschichte des Bundeslandes Baden-Württemberg eigentlich auch immer als richtig erwiesen, dass der Leistungsgedanke aus der Schule nicht völlig verschwindet. Lernen soll Spaß machen, aber Lernen soll auch dahin führen, dass man später und durchaus auch schon als Kind auch Spaß an Höchstleistungen hat.

Der zweite Punkt ist: Wir brauchen ein gutes Ausbildungssystem. Wir erleben heute in Europa, mit welch neidischen und großen Augen zum Teil unser duales Ausbildungssystem angeschaut wird. Auch hierbei möchte ich ein Dankeschön sagen, denn es sind vor allen Dingen mittelständische Unternehmen, die die Träger der dualen Ausbildung sind. Es sind die Industrie- und Handelskammern, es ist das Handwerk, die hier an vorderster Front mit dabei sind. Danke dafür. Denn nichts geht für einen jungen Menschen über eine Ausbildung im Betrieb, wo er das von der Pike auf lernen kann, was an Erfahrung weitergegeben werden kann; und das in Kombination mit einer guten theoretischen Ausbildung. Unser duales Ausbildungssystem hat sich bewährt. Wir werden alles daransetzen, dass hier durch Zentralisierungen aus Brüssel nicht versucht wird, das Erfolgsmodell zu zerstören, sondern dass vielmehr andere Länder dem Beispiel folgen, weil es sich als zukunftsweisend herausgestellt hat.

Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel ist Fachkräftesicherung natürlich ein zentrales Thema. Es ist wichtig, darauf zu achten, dass die Lebensbedingungen und Arbeitsbedingungen der Menschen so zusammenwachsen, dass es nicht zulasten der Familien geht. Jeder, der selbst Kinder oder Enkelkinder hat, weiß: Die Familien wollen heute häufiger, als das früher der Fall war, auch mit Kindern in jüngerem Alter bereits Familie und Beruf miteinander vereinbaren. Ich glaube, dass es deshalb richtig ist, dass der Bund hilft, in Kindertagesstätten für Kinder unter drei Jahren zu investieren und damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern.

Nicht alles kann hierbei die Politik durch Gesetze und Maßnahmen sozusagen erzwingen. Ohnehin gibt es gerade in mittelständischen Unternehmen ein hohes Maß an freiwillig erbrachter Flexibilität. Deshalb müssen wir auch immer wieder aufpassen, dass wir eine vernünftige Balance zwischen Regulierungen und Freiräumen schaffen, damit Unternehmer selbst um gute Arbeitskräfte kämpfen können, indem sie sich flexibel zeigen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken. Wir haben eine Vielzahl von Plattformen und Initiativen der Familienministerin und anderer, die an herausragenden Beispielen zeigen, dass es Unternehmen gibt, die diese Dinge sehr, sehr gut zusammenhalten.

Meine Damen und Herren, wir brauchen des Weiteren eine Politik, in der das Thema Bildung und auch das Thema Forschungsförderung von allergrößter Bedeutung sind. Alles, was Sie an Spitzenleistungen erreichen wollen, muss untermauert sein, muss unterlegt sein, braucht ein Fundament in Form einer starken Forschungslandschaft, die Deutschland glücklicherweise hat. Ich bin sehr froh, dass, seitdem ich Bundeskanzlerin bin, seitdem Annette Schavan Forschungsministerin ist, wir in Deutschland Jahr für Jahr deutlich mehr für Forschung und Entwicklung und für Bildung ausgegeben haben als früher. Wir sind dem Drei-Prozent-Ziel, also dass drei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts die Summe aus staatlichen und privaten Forschungsausgaben bilden, ganze nahe. Darin liegt der Schlüssel, um auch in Zukunft erfolgreich bleiben zu können.

Wenn ich mir von Ihnen, den Unternehmerinnen und Unternehmern, die hier im Saal sind, etwas wünschen würde, dann Folgendes: Fordern Sie das von der Politik auch immer ein. Manchmal läuft die Diskussion zum Thema Forschung so glatt ab, weil die forschende Gemeinschaft, die großen Forschungsinstitutionen, die Universitäten sehr zufrieden sind. Wer zufrieden ist, der kritisiert wenig. Wer wenig kritisiert, steht nicht so oft in der Zeitung. Und schon hat man den Eindruck, die Investitionen in diesen Bereich seien vielleicht gar nicht so dringlich. Ich sage Ihnen: Wenn sie wegfallen würden, würden wir uns um unsere Zukunft bringen. Und deshalb setze ich ganz bewusst darauf, dass wir trotz Haushaltskonsolidierung genau in diesen Bereich immer wieder weiter investieren.

Wir brauchen noch modernere Strukturen – Baden-Württemberg ist da vorangegangen; auch durch die Kooperation von Universitäten mit Großforschungseinrichtungen, wie es sie in Karlsruhe gibt –, wenn wir mit den Besten in der Welt auch in Zukunft konkurrieren wollen. Wenn Sie heute zum Beispiel nach Südkorea fahren, dann sehen Sie, dass man dort nicht über Investitionen von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Forschung spricht, sondern über vier Prozent. Wenn Sie sich anschauen, wie in einigen der Schwellenländer das Thema Forschung und Entwicklung in den Vordergrund gestellt wird, dann wissen alle, die exportieren, dass sie in Zukunft harte Konkurrenz zu befürchten haben. Deshalb ist Zukunftsorientierung absolut notwendig.

Meine Damen und Herren, demografischer Wandel erfordert auch, dass wir dafür Sorge tragen, dass in allen Bereichen unseres Landes eine moderne Infrastruktur vorhanden ist. Damit komme ich zu einem Thema, an dem wir weiterzuarbeiten haben und bei dem wir sicherlich auch in der nächsten Legislaturperiode noch manches werden tun müssen.

Da meine ich auf der einen Seite die Verkehrsinfrastruktur. Volker Kauder macht mich darauf immer wieder aufmerksam. Es kann nicht sein, dass wir unsere Verkehrsinfrastruktur letztlich nicht nachhaltig pflegen, sondern von der Substanz leben, was aber zurzeit stattfindet. Es kann vor allen Dingen auch nicht sein, dass wir in unserem Lande nicht mehr in der Lage sind, große Verkehrsinfrastrukturprojekte überhaupt noch hinzubekommen. Das wird im Übrigen auch unserem weltweiten Ruf als zuverlässiger Wirtschaftspartner schaden. Denn wenn wir uns einmal das Hochgeschwindigkeitszugnetz in China oder Ähnliches anschauen, dann sehen wir, dass es ja durchaus Plätze auf der Welt gibt, wo sehr, sehr viel Neues entsteht.

Nun bin ich heute von einem Flughafen in der Hauptstadt zu einem anderen in einer anderen Stadt gelangt, die mehr Probleme mit dem Bahnhof hat. Ich bin froh, dass ich zurzeit Wahlkampf in einem Land mache, das immerhin einen Tiefwasserhafen für hochseefähige Schiffe in Wilhelmshaven zustande gebracht hat. Er ist termingerecht fertig geworden und nicht teurer geworden als veranschlagt. Das ist eine echte Leistung, meine Damen und Herren.

Aber wir brauchen auf der anderen Seite auch Infrastrukturinvestitionen in zwei anderen Bereichen. Dabei geht es zum einen um die Frage der Breitbandanschlüsse. Hierbei, Herr Teufel, haben Sie meine volle Unterstützung. Hierbei müssen die Möglichkeiten in den ländlichen Räumen genau so gut sein wie in den Ballungsräumen. Deshalb sind wir hier auch in einem Bereich, in dem wir wieder Neuland betreten, denn früher sind solche Daseinsvorsorgeinvestitionen staatlicherseits durchgeführt worden. Das muss heute privat funktionieren. Aber wir müssen auf Rahmenbedingungen achten, bei denen nicht nur der Endkunde möglichst billig mit der jeweils neuesten Leistung versorgt wird, sondern bei denen auch rentable Investitionen möglich sind, und zwar in Ballungsgebieten und in ländlichen Räumen gleichermaßen. Ansonsten wird der Mittelstand in Deutschland einer schwierigen Zukunft entgegensehen. Aber wir haben Fortschritte gemacht. Mit bis zu einem1 Megabit sind jetzt eigentlich fast alle Regionen angeschlossen. Aber mit einem Megabit kann man heute und auch morgen kaum mehr bewegte Bilder anschauen, keine ordentlichen Homepages gestalten usw. Das heißt, Sie können sich international nur präsentieren, wenn Sie sozusagen ordentlich am Netz sind. Das ist uns vollauf bewusst.

Der dritte Bereich der Infrastruktur, um den wir uns kümmern müssen, betrifft alles, was mit der Energiewende und mit der Frage des Netzausbaus zusammenhängt. Auch hier haben wir noch erhebliche Aufgaben vor uns. Ohnehin haben wir mit der Gestaltung der Energiewende – wir werden auch im Wahljahr 2013 dafür werben – sicherlich noch eine der größten Aufgaben vor uns. Die Strompreise sind für die Zukunft unseres Wirtschaftsstandortes essenziell. Wir wollen die Wende hin zu erneuerbaren Energien schaffen, aber nicht auf eine Art und Weise, dass zum Schluss in Norddeutschland die Windkraftanlagen aufgrund fehlender Netze stillstehen und wir trotzdem dafür zahlen. Wir müssen die Energiewende vielmehr wirtschaftlich vernünftig, umweltverträglich und gleichermaßen sozialverträglich gestalten. Das ist auch das, was die Soziale Marktwirtschaft von uns verlangt. Auf diesem Weg müssen wir vorangehen. Auch da bitte ich Sie um Unterstützung, denn wir können uns jetzt keinen monatelangen Stillstand gerade bei der Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes leisten. Ansonsten würden wir Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. Und deshalb hoffe ich darauf, dass auch in dieser starken Wirtschaftsregion hier deutlich gemacht wird, dass gehandelt werden muss, meine Damen und Herren.

Wenn wir unsere Rahmenbedingungen anschauen, wenn wir unsere motivierten Menschen anschauen, wenn wir sehen, wie wir manches in den letzten Jahren verbessert haben und wenn wir vor allen Dingen auf die Arbeitsmarktlage schauen, dann können wir sagen – Herr Teufel, Sie haben es auch gesagt –: Ja, wir können zufrieden sein, wir können auch ein Stück weit selbstbewusst sein, wir können stolz sein und wir können mit Optimismus in die Zukunft blicken. Aber, wie gesagt, Erfolg muss jeden Tag erarbeitet werden. Wir haben noch viel zu tun – sowohl bei uns als auch in unserer erweiterten Heimat; das ist ja die Europäische Union. Wenn die Unternehmen aus dieser Region 45 Prozent ihrer Produkte exportieren und wir wissen, dass 60 Prozent der Exporte in die Europäische Union fließen, dann wissen wir auch, wie stark wir voneinander abhängen und wie eng die Dinge in Europa zusammenhängen.

Nach der großen internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir jetzt im europäischen Bereich eine Schuldenkrise, die in gewisser Weise absehbar war, aber die lange Zeit nicht so zum Ausbruch gekommen ist, weil die wirtschaftliche Entwicklung in Europa noch harmonisch zu sein schien und die Finanzinvestoren in Europa investiert haben. Durch die internationale Finanzkrise ist eine Situation entstanden, in der wir alle Konjunkturprogramme aufgelegt haben. Auch die deutsche Gesamtverschuldung ist in dieser Phase gestiegen. Wir haben jetzt einen Gesamtschuldenstand in Höhe von über 80 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts. In anderen Ländern ist er noch viel dramatischer gestiegen. Bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit haben die Menschen, die in Staatsanleihen investiert haben, sich plötzlich gefragt: Bekomme ich eigentlich mein Geld wieder? Haben die Länder die Kraft, diese Staatsschulden irgendwann wieder zurückzuzahlen? Da ist eine große Unsicherheit entstanden. Diese Unsicherheit hat dazu geführt, dass plötzlich Länder, die eigentlich als Länder eines nachhaltigen Wirtschaftens betrachtet worden waren, in die Kritik geraten sind und dass sich Vertrauen in Misstrauen verwandelt hat.

Wir haben im Europäischen Rat, bei uns im Deutschen Bundestag und anderswo oft darüber gesprochen: Wie kann man in einer solchen Situation reagieren? Ein weiteres Mal einfach staatliche Konjunkturprogramme aufzulegen, war natürlich völlig unmöglich. Diesen Weg hatten wir gerade beschritten; das hatte uns gerade in diese große Unsicherheit hineingebracht. Also heißt die Antwort und kann die Antwort ja nur heißen: Man muss die Ursachen von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit und zu hoher Verschuldung an der Wurzel packen und versuchen, besser zu werden.

Meine Damen und Herren, dieser Weg ist schmerzlich. Wir wissen auch in Deutschland, in dem wir im Jahre 2005 immerhin fast fünf Millionen Arbeitslose hatten, dass die Probleme nicht über Nacht zu lösen sind, dass das ohne Veränderung, ohne Flexibilisierung des Arbeitsrechts, ohne den Abbau von Bürokratie und ohne Einsparungen im staatlichen Bereich nicht möglich ist. Dieser Prozess findet jetzt in einigen europäischen Ländern in sehr starkem Maße statt. Wir sehen, wenn wir uns zum Beispiel die irischen Reformen anschauen, dass diese durchaus Erfolge zeitigen. Wir sehen aber auch, dass dies mit erheblichen Anstrengungen und erheblichen Zumutungen für die Menschen in Portugal, in Griechenland, in Spanien und in anderen Ländern verbunden ist.

Dennoch: Wenn wir Interesse an Europa haben, wenn wir ein Interesse daran haben, dass Europa auch in 20, in 30, in 40 Jahren ein Kontinent des Wohlstands ist, ein Kontinent, auf dem man nicht nur Museen anschaut, sondern auch moderne Produkte herstellt und moderne Forschung betreibt, ein Kontinent, der auf der Welt anerkannt ist und der unter den Besten mitmischt, dann müssen wir unsere Hausaufgaben jetzt machen, sonst werden wir dauerhaft zurückfallen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Und ich bin auch davon überzeugt, dass es richtig ist, dass wir, die Deutschen, diesen Prozess in dem Sinne begleiten, dass es dort, wo Reformen zum Wohle der Menschen, zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, zur Verbesserung der finanziellen Situation der Länder vorangebracht werden, auch geboten ist, solidarisch zu helfen. Das heißt, es geht darum, die Bedingung, die eigenen Hausaufgaben zu machen, mit europäischer Solidarität zu verknüpfen.

Ich habe immer wieder gesagt: Ganz wichtig ist, dass in Europa nicht der Gedanke aufkommt: Wenn einige, denen es heute vielleicht besser geht, nur immer alles solidarisch zur Verfügung stellen, was andere für notwendig halten, dann werde die Sache schon gutgehen. Genau das wird aber nicht funktionieren. Ich habe immer wieder dargestellt: Auch Deutschland darf nicht überfordert werden; denn Europa wird es zum Schluss nicht gutgehen, wenn die Besten überfordert werden und die, die heute nicht so gut sind, auch nicht besser geworden sind. Ich glaube, dass sich dieser Gedanke durchgesetzt hat.

Wir hatten aber auch sehr harte Diskussionen mit unseren Freunden jenseits des Atlantiks. Denn dort hat man zum Teil gesagt: Ihr müsst sehr viel schneller agieren, ihr müsst sehr viel mehr Vergemeinschaftung machen, ihr müsst sehr viel mehr in einen Topf tun. Man hat uns Deutschen auch schwere Vorwürfe gemacht und gesagt: Ihr setzt viel zu sehr auf Exporte, ihr kümmert euch zu wenig um euer Binnenwachstum, ihr müsst die Löhne erhöhen, ihr müsst die Steuern senken und den Menschen mehr Möglichkeiten des Konsums geben – und dann wird alles gut; denn weil zum Beispiel die Anpassung der Lohnstückkosten oder der Wettbewerbsfähigkeit von den nicht so wettbewerbsfähigen Ländern nicht so schnell erbracht werden kann, müsst ihr euch in Europa also in der Mitte treffen.

Auch dieser These bin ich immer wieder entgegengetreten. Das deutsche Parlament hat mich dabei glücklicherweise immer wieder unterstützt. Denn wenn wir in Europa Mittelmaß werden, dann wird genau das eintreten, was nicht eintreten darf. Dann werden wir nämlich erheblich weniger Exportfähigkeiten haben und Wohlstand verlieren. Viele von Ihnen hier im Raum wissen, wie schmal die Margen sind und wie schnell man Wettbewerbsfähigkeit verlieren kann. Wenn wir wissen, dass mindestens 90 Prozent des weltweiten Wachstums außerhalb von Europa stattfinden, dann ist das A und O für unsere Zukunft, dass wir auf den Weltmärkten konkurrieren können und unsere Produkte dort verkaufen können. Das ist der Punkt, weshalb die Bewältigung der europäischen Schuldenkrise eine so mühevolle Arbeit ist. Wenn wir uns aber heute den Schwierigkeiten nicht stellen, werden wir morgen in Europa alle darunter leiden. Dies ist meine tiefe Überzeugung.

Hinzu kommt, dass jedenfalls die Älteren unter Ihnen wissen, was für ein Friedenswerk Europa ist, das für uns heute ganz selbstverständlich ist. Zwar haben wir uns daran gewöhnt, dass die Generationen heute in Frieden aufwachsen können, aber ein Blick in andere Regionen der Welt, zum Beispiel Syrien, zeigt doch, dass dies auf gar keinen Fall selbstverständlich ist. Deshalb gilt es nach jahrhundertelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, dieses europäische Werk, das uns nun über 67 Jahre hintereinander Frieden bescherte, auch weiterhin zu schützen.

Wir haben mit dem französischen Präsidenten François Hollande in Ludwigsburg noch einmal daran gedacht, dass Charles de Gaulle vor 50 Jahren dort eine Rede an die deutsche Jugend – im Übrigen auf Deutsch – gehalten hat. Er hat damals sinngemäß gesagt: Das deutsche Volk habe große Fehler gemacht, aber der Welt auch viel Großartiges gebracht. Das war ein Angebot der ausgestreckten Hand. Glücklicherweise ist Konrad Adenauer auf dieses Angebot eingegangen. In wenigen Tagen, am 22. Januar, werden wir den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages begehen.

Wir brauchen Europa einerseits als großes Friedenswerk, aber auch aus anderen Gründen, wenn wir uns die Welt anschauen. Als Konrad Adenauer Bundeskanzler war, Anfang der 50er Jahre, gab es auf der Welt rund 2,5 Milliarden Menschen. Heute leben mehr als sieben Milliarden auf der Welt. Die Zahl der Europäer aber hat sich in derselben Zeit nicht sehr verändert. Wir haben es heute mit Wettbewerbern wie China mit 1,3 Milliarden Menschen und Indien mit 1,2 Milliarden Menschen zu tun. Das heißt, wir Europäer werden unsere Interessen weltweit überhaupt nur vertreten können, wenn wir zusammenhalten. Wir produzieren zwar noch fast 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Welt – wir haben im Übrigen fast 50 Prozent der Sozialleistungen der Welt –, aber wir Europäer sind eben nur noch sieben Prozent der Weltbevölkerung; Tendenz weiter abnehmend.

Das heißt, wenn wir den Rest der Welt von etwas überzeugen wollen – von Demokratie, von Meinungsfreiheit, von Pressefreiheit, von Religionsfreiheit, von all dem, was unsere Werte, unser Leben, unsere Lebensqualität ausmacht –, dann werden wir alleine, selbst wenn wir 80 Millionen sind, wenig ausrichten. So mühevoll der Prozess in Europa auch sein mag, zumindest müssen wir uns unter den 27 Mitgliedstaaten nicht über die Frage streiten, ob man demonstrieren darf, ob man frei seine Meinung sagen darf, ob man reisen darf, ob man die Religion ausüben darf, die man ausüben möchte. Das ist für uns selbstverständlich und deshalb oft gar kein Gegenstand unserer Betrachtung mehr. Aber außerhalb Europas erlebt man sehr schnell, welchen Grenzen man an dieser Stelle begegnet.

Wenn ich nur daran denke, was Volker Kauder, um auf die Verfolgung von Christen auf der Welt aufmerksam zu machen, an Engagement zeigt, aber auch zeigen muss, weil eben Christen an vielen Stellen der Welt verfolgt werden, dann wird noch einmal klar, welcher Schatz dieses Europa ist und welche Sicherheit es für uns bietet, unsere Freiheiten auch wirklich leben zu können. Deshalb, meine Damen und Herren, so schwierig die Sache auch ist, aber wir müssen darauf achten, dass wir in Deutschland weiter erfolgreich sind und ein starkes und gut funktionierendes Europa haben.

Ich freue mich, dass ich heute zu Ihnen sprechen konnte; angefangen bei den Bedingungen, zu denen Sie hier in Ihrer Region wirtschaften. Danke dafür, dass Sie das so tun. Man kann hier auch Urlaub machen; das ist schön. Vergessen Sie aber den Norden nicht. Bei uns ist es auch schön. Ich lade Sie alle ein, auf der schönen Insel Rügen oder auf dem Darß Urlaub zu machen; das empfiehlt sich auch. Im Übrigen können Sie dann sehen, wo die Handlungen Ihrer Solidarität hingegangen sind. Wir haben etwas Anständiges daraus gemacht, meine Damen und Herren – das möchte ich dann auch sagen. Aber ich verspreche Ihnen: Wir werden alles dafür tun, dass Ihre Rahmenbedingungen so sind, dass Sie weiter erfolgreich für Deutschland wirtschaften können.

Herzlichen Dank, Herr Teufel, dass Sie mich eingeladen haben. Ihnen allen noch einmal alles Gute im Jahr 2013, viel Erfolg, vor allen Dingen Gesundheit; und Ihren Familien auch alle guten Wünsche.