Rede der Bundeskanzlerin anlässlich Eröffnung des Neubaus für die Kulturstiftung des Bundes

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Reiner Haseloff,
sehr geehrter Herr Staatsminister,
sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Frau Pieper,
sehr geehrte Frau Völckers,
sehr geehrter Herr Farenholtz,
liebe Architekten,
meine Damen und Herren,

ich bin sehr gerne hierhergekommen. Ich teile all das, was der Ministerpräsident über die Bundeshauptstadt, den Regierungssitz und auch über die föderale Komponente unseres Landes und über die Frage „Wo ist Kultur angesiedelt?“ – überall vor Ort – gesagt hat. Deutschland insgesamt ist ein Land der Kultur. Deren Vielfalt wird eben auch in den verschiedenen Einrichtungen repräsentiert.

Hier in Halle ist etwas sehr Spannendes entstanden: die altehrwürdigen Franckeschen Stiftungen waren gekoppelt an eine inzwischen zehn Jahre alte Stiftung des Bundes, die bei den Ländern jetzt so akzeptiert ist, wie man es vor zehn Jahren noch nicht hätte glauben wollen. Aber es hat eben das gut zusammengelebt, was auch zusammengehören kann, da jeder den anderen respektiert.

Die Einweihung dieses Neubaus bietet eine sehr gute Gelegenheit, noch einmal an die Grundsätze dieser Kulturstiftung zu erinnern. Dazu gehört auf der einen Seite ein tiefes Bewusstsein für die kulturellen Wurzeln, aber eben auch die Öffnung gegenüber Neuem und Innovativem. Denn auch an uns und unsere Generation richtet sich die Frage: Es ist schön, dass wir das, was frühere Generationen geschaffen haben, erhalten und pflegen; aber was ist eigentlich der Beitrag unserer Zeit zu dem, was man sich in 100, 200 oder 300 Jahren anschauen könnte? – Ich glaube, diese Schlacht haben wir noch nicht gewonnen, wenn ich mir manches anschaue, das heutzutage schon nach kurzem repariert werden muss.

Auf der anderen Seite sind die Wertschätzung der Vielfalt und die Pflege eines umfassenden Dialogs – und zwar über disziplinäre und auch über föderale Grenzen hinweg – genauso wichtig. Es geht auch darum, immer wieder die vernetzte Welt darstellen zu können. Ich glaube, gerade in Zeiten der Globalisierung, aber auch in Zeiten, in denen wir nach einer sehr großen Spezialisierung mehr und mehr die Ansicht gewinnen, dass uns Netzwerke eigentlich viel mehr Erkenntnisse bringen, ist diese Stiftung ein sehr interessantes und permanentes Experiment.

Die Entscheidung für Halle an der Saale als Stiftungssitz ist ein Bekenntnis des Bundes zum kooperativen Kulturföderalismus. Es ist eine Stadt, die sich mit ihrer großen kulturellen Tradition – angefangen bei Händel über Thomasius, Wolff bis zu Lyonel Feininger – empfiehlt. Ich glaube, die Franckeschen Stiftungen sprechen für sich; darüber braucht man nicht weiter zu reden. Die Franckeschen Stiftungen waren zehn Jahre lang ein guter Gastgeber für die Kulturstiftung. Nun ist sozusagen in Folge der Bemühungen, eine große weltwirtschaftliche Krise zu bewältigen, hier letztlich auch ein neues Bauwerk entstanden. Dahinter steht – im Übrigen noch zu Zeiten der Großen Koalition, wobei die christlich-liberale Koalition das genauso entschieden hätte; ich will nur auf den Zeitpunkt abstellen – auch wieder der Gedanke, dass nicht alles von einer Zentrale aus gemanagt werden soll. Wir haben vielmehr ganz bewusst den Kommunen Geld gegeben und gesagt: Macht vor Ort etwas damit. Dass auch dieses schöne Haus daraus entstanden ist, ist eine sehr gute Sache.

Das Themenjahr der EKD „Reformation und Musik“, an dem sich auch die Franckeschen Stiftungen beteiligt haben, endet gerade. Morgen ist Reformationstag. Die Präsentation protestantischer Musikkultur stand unter dem Lutherzitat: „Weil sie die Seelen fröhlich macht.“ Ich glaube, wir sollten wissen: Fröhlichkeit hat auch ihren Preis. Es ist wichtig, dass ein Land nicht nur in Wissenschaften etwa im klassischen naturwissenschaftlichen Sinne investiert, sondern auch genauso in Fröhlichkeit investiert, in die Seelen investiert, und darin, dass sich Wissenschaft und Kunst gegenseitig ergänzen können, was wie hier in Halle sehr gut gelingen kann.

Soeben im Vorgespräch, Frau Völckers, wurde auch darauf hingewiesen, dass wir als eine hochentwickelte Industrienation aufgefordert sind, noch mehr darüber nachzudenken, welche Art von Wachstum wir haben wollen. Die Bevölkerungszahl wird nicht mehr unbedingt anwachsen. Wir werden auch bei bestimmten Fragen an unsere Grenzen kommen, was das Bruttoinlandsprodukt anbelangt. Dann stellt sich die Frage: Wo liegen eigentlich noch Wachstumsmöglichkeiten einer solchen Nation? Dabei ist Kultur mit Sicherheit eine ganz wichtige Komponente.

Die Stiftung hat in ihren zehn Jahren mit mehr als 250 Millionen Euro schon rund 2.000 Projekte gefördert. Das zeigt wieder: Vielfalt ist gewünscht. Durch diese Stiftung bekommt Vielfalt Kraft und Anregung. Wenn man sich einmal überlegt, wie viel Ermutigung und wie viele neue Möglichkeiten daraus entstanden sind, dann kann man, um wieder in die Sprache der Naturwissenschaft zurückzufallen, sagen: Das ist auch ein Katalysator für weitere Entwicklungen im Bereich der Kunst, und zwar auch der künstlerischen Aktivitäten in der gesamten Breite.

Ich will jetzt nicht noch einmal auf die Skepsis zu sprechen kommen, die es am Anfang der Kulturstiftung gab. Ich will nur sagen: Die Praxis hat gezeigt, dass Skepsis auf ihre Weise sicherlich auch berechtigt ist. Wir Deutschen sind ja eigentlich immer erst einmal skeptisch, bevor wir etwas anfangen; und dennoch fangen wir an. Meistens zeigt sich dann, dass die alte Skepsis einer neuen Skepsis weicht und sich daraus dann auch wieder Fortschritt und zwischendurch sogar einmal glückliche Momente ergeben. Ich habe in vielen europäischen Diskussionen immer wieder erlebt – die kulturelle Vielfalt Europas ist ja mindestens so groß wie die kulturelle Vielfalt Deutschlands –, dass schon die Art, wie bestimmte Fragen gestellt werden, sich in den verschiedenen kulturellen Bereichen extrem unterscheidet. Viele Fragen, die uns Deutschen einfallen, fallen anderen nicht ein, die aber zwischendurch auch wieder etwas zustande gebracht haben. Insofern wirkt die jeweilige Vielfalt auch ergänzend. Deshalb glaube ich, eine unserer Stärken ist eben auch, zwischendurch immer wieder einmal skeptisch zu sein, um dann etwas Neues zu schaffen.

Wir wissen, dass Kunst und Kultur auf Dialog ausgerichtet sind. Das ist hier, in dieser Kulturstiftung des Bundes, auch täglich gelebte Realität. Dieser Dialog erstreckt sich über viele Bereiche, in denen Menschen künstlerisch tätig sein wollen. Wir alle kennen das große Projekt „Jedem Kind ein Instrument“, das inzwischen in die Landeshoheit übergegangen ist. Es geht also nicht nur darum, sozusagen professionelle Kunst zu fördern, sondern eben auch darum, die Breitenbildung im künstlerischen Bereich voranzubringen. In dieser Hinsicht hapert es bei uns ja sicherlich noch in vielen Bereichen. Ich darf allerdings nichts dazu sagen, weil die Schulen in der Hoheit der Länder liegen. Wir sind noch nicht ganz so weit, dass wir darüber gütig miteinander sprechen, weshalb ich sehr vorsichtig sein muss.

Aber ich wollte mich auf einen anderen Dialog konzentrieren, und zwar auf den mit der Leopoldina. Denn es ist in den letzten zehn Jahren auch etwas gelungen – die Leopoldina ist hinsichtlich ihrer großen Aufgabe als Nationale Akademie etwas jünger –, das in Deutschland sehr schwierig zu erreichen war, nämlich eine Institution zu finden, von der man im Ausland sagen kann: Dies ist die Institution, an die ich mich wende, wenn es um wissenschaftliche Fragen geht. Ich war sehr froh, als es in dem Jahr, als wir die G8-Präsidentschaft und die EU-Ratspräsidentschaft innehatten, nämlich 2007, der Bundesbildungsministerin mithilfe der Landesminister gelungen ist, aus den vielen Akademien, die in der Vielfalt alle ihre Berechtigung haben, eine herauszusuchen, die Deutschland als Nationale Akademie präsentieren kann. So kam es, dass hier in Halle mit der Leopoldina die Nationale Akademie und die Kulturstiftung des Bundes gemeinsam zu Hause sind.

Ich hoffe, dass der Dialog von Kunst und Wissenschaft noch manches erbringen kann, zumal er doch Herz und Verstand zusammenbringt. Ich will dazu Raymond Chandler zitieren: „Die Wahrheit der Kunst verhindert, dass die Wissenschaft unmenschlich wird, und die Wahrheit der Wissenschaften verhindert, dass die Kunst sich lächerlich macht.“ Ich bin jedenfalls froh, dass es gelungen ist, dieses Haus an dieser Stelle zu errichten. Ich habe den Eindruck, dass die, die in ihm arbeiten können, ziemlich glücklich sind.

Ich danke dem Land Sachsen-Anhalt dafür, dass es wirklich ein Herz für kulturelle Aktivitäten hat. Ich bitte die Staatsministerin Pieper, auch viele ausländische Gäste hierherzuführen, damit sie sehen, was kulturelle Vielfalt bedeuten kann. Ich danke auch ganz herzlich den Architekten dafür, dass sie die Chance ergriffen haben, ein so schönes Projekt in dieser historischen Umgebung zu realisieren. Aber ich denke, wer so einen Auftrag bekommt, der hat auch wenig zu klagen.

Für mich ist dies heute ein sehr gelungener Vormittag, da ich auch um ein Stück Erfahrung reicher geworden bin. Denn wenn man das alles hier vor Ort sehen kann, dann ist das doch etwas ganz anderes, als nur davon zu hören. Alles Gute für Ihre gemeinsame Arbeit! Gute Nachbarschaft mit den Franckeschen Stiftungen! Gute Heimat im Land Sachsen-Anhalt und in der Stadt Halle! Viel Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst!

Herzlichen Dank!