Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Lula da Silva

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich möchte ganz herzlich den brasilianischen Staatspräsidenten Lula da Silva bei uns in Berlin begrüßen. Es ist sein erster Staatsbesuch hier in Berlin, obwohl wir uns schon sehr, sehr oft begegnet sind. Ich glaube, ich darf sagen: Wir sind während der internationalen Verhandlungen und während der Gespräche über die Verbesserung der bilateralen Beziehungen gute Freunde geworden. Ich möchte Brasilien danken, dass es als wichtiges Schwellenland seinen Beitrag zu vielen internationalen Verhandlungen und Abkommen leistet und gerade auch in dieser Zeit während des G20-Prozesses eine ganz, ganz wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise gespielt hat.

 

Wir sind heute hier mit einer großen brasilianischen Delegation zusammengekommen. Sie haben das eben an den Abkommen gesehen, die wir gemeinsam unterzeichnet haben. Das zeigt, auf welcher Breite wir international zusammenarbeiten, und zwar vom Umweltschutz über die Wissenschaft bis zum Ausbau der Infrastruktur.

 

Die Handelsbeziehungen haben sich in den letzten Jahren wieder gut entwickelt. Wir werden gleich beim Mittagessen noch einmal in Anwesenheit von Vertretern der Wirtschaft aus Brasilien und Deutschland darauf zurückkommen, wie wir unsere Beziehungen noch enger gestalten können.

 

Wir blicken im Grunde auf 40 Jahre Zusammenarbeit zurück. 2010 ist das Deutsch-Brasilianische Jahr der Wissenschaft, Technologie und Innovation. Wir werden dieses Jahr nutzen, um gerade in den Zukunftsfeldern hervorragende Ergebnisse zu erzielen.

 

Brasilien ist ein Land, das sehr zielstrebig seinen Wohlstand vergrößert. Dies ist unter Präsident Lula in guter Weise gelungen. Brasilien ist ein Land, das auch immer stärker auf die internationale Bühne tritt. Brasilien wird 2014 mit der Fußball-Weltmeisterschaft und 2016 mit den Olympischen Spielen noch viel mehr Menschen auf der Welt bekannt werden. Uns freut das. Wie Sie eben gesehen haben, wollen wir bei der Vorbereitung der Fußball-Weltmeisterschaft unseren Beitrag leisten. Deutschland hat hier in sehr umfassender Art und Weise gute Erfahrungen, und diese Erfahrungen werden wir Brasilien zur Verfügung stellen.

 

Wir wollen gerne wirtschaftlich kooperieren, so zum Beispiel beim Ausbau der Infrastruktur. Morgen wird eine Zugfahrt von Berlin nach Hamburg stattfinden. Wir hoffen natürlich, dass wir auf dieser Basis vielleicht auch unsere gute Infrastruktur präsentieren und damit zeigen können, welche technologischen Möglichkeiten Deutschland zur Verfügung stehen.

 

Wir setzen uns seit langem für den internationalen freien Handel ein und werden daran weiter gemeinsam arbeiten. Wir setzen uns für eine klare und starke Regulierung der Finanzmärkte ein. Ich bin Präsident Lula ganz besonders dankbar, dass er in der Gruppe der G77-Länder dafür wirbt, dass wir bei der Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen ein ehrgeiziges Abkommen zustande bringen, ein Abkommen, das zeigt, dass wir wirklich global kooperieren können. Wir haben heute einen großen Teil unseres Gesprächs darauf verwandt, wie wir gemeinsam agieren können, damit die Konferenz von Kopenhagen auch wirklich ein Erfolg wird. Ich möchte Brasilien dafür sehr danken. Wir werden uns in wenigen Tagen in Kopenhagen schon wieder sehen, wenn es um diese Klimakonferenz geht.

 

Wir wollen gemeinsam die Konferenz und die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Thema „20 Jahre Rio-Prozess“ im Jahr 2012 vorbereiten. Wenn man dann zurückblicken wird, wird man sehen, dass die Welt große Fortschritte bei der Verbesserung der Energieeffizienz, bei der Frage der erneuerbaren Energie und bei der Frage der Biokraftstoffe gemacht hat. Ich bin sehr dankbar, dass Brasilien seinen Umgang mit dem wertvollen Amazonas-Regenwald gesetzlich geregelt hat. Es ist natürlich für uns ein Punkt, der uns Sorge bereitet, wenn diese Wälder gerodet werden. Ich glaube, dass die brasilianische Regierung sehr entschiedene Schritte ergriffen hat, um dieses Problem zu bekämpfen.

 

Wir haben natürlich auch über die internationalen Herausforderungen gesprochen, über die Themen Iran, Nahost sowie über die Kooperationen des Mercosur mit der Europäischen Union. Wir hoffen, dass wir hier unter der spanischen Präsidentschaft Fortschritte erzielen können.

 

Insgesamt ist die Zeit immer eher zu knapp als zu üppig, wenn wir uns miteinander austauschen. Noch einmal herzlich willkommen! Deutschland freut sich, dass Du hier bist!

 

P Lula da Silva: Ich begrüße meine Freundin, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.

 

Ich beginne, indem ich ihr zu ihrem Wahlsieg, zu diesem zweiten Regierungsmandat in Deutschland gratuliere. Ich grüße auch die deutsche Bevölkerung, die in diesem Jahr den 60. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland und am 9. November das 20-jährige Jubiläum des Falls der Berliner Mauer begangen hat. Das sind zwei historische Eckdaten für Deutschland, für Europa und für die Menschheit.

 

Ich werde mich kurz fassen, denn worauf es bei einer Pressekonferenz ankommt, sind die Fragen.

 

Alle kennen die traditionsreichen deutsch-brasilianischen Beziehungen. Alle kennen die hohen Investitionen, die die deutsche Industrie in Brasilien Ende der 50er Jahre und in den 60er Jahren getätigt hat. Alle wissen, dass Deutschland wieder in Brasilien wichtige Investitionen tätigt. So hat ein Unternehmen, das gewissermaßen auch für das Antlitz der brasilianischen Industrie einsteht, nämlich VW, wieder große neue Investitionen angekündigt. Wir wollen der deutschen Bevölkerung, den Unternehmern, Bundespräsident Köhler, Frau Merkel und morgen den Unternehmern in Hamburg zeigen, welche Chancen es für neue Investitionen und neue Partnerschaften in Brasilien gibt.

 

Frau Bundeskanzlerin, wir sitzen an der Vorbereitung einer Sitzung mit dem französischen Präsidenten und dem argentinischen Präsidenten. Spanien wird die Präsidentschaft der EU übernehmen. Wir wollen im nächsten Jahr ein Abkommen zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union (schließen). Das wäre ein außerordentliches Ereignis für uns alle.

 

Zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass die Wirtschaftskrise im letzten Jahr ausgebrochen ist, und zwar zuerst wegen Subprime-Krise und dann wegen der Unverantwortlichkeit des internationalen Finanzsystems. Diese Krise hat eine neue Dynamik in der Welt freigesetzt und erfordert jetzt von den politischen Führungspersönlichkeiten viel mehr Mut und viel mehr Verwegenheit. Wir alle sind ausreichend reif, um zu wissen, dass der Markt bestimmte Probleme lösen kann, aber dass Probleme, die der Markt normalerweise nicht lösen kann, auf politischer Ebene gelöst werden müssen.

 

Obwohl wir die Krise hinter uns lassen und wissen, dass wir das Gröbste schon geschafft haben, wissen wir, dass wir sehr verantwortungsvoll handeln müssen und dass wir eine reife Position einnehmen müssen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Krise wieder ausbricht und alle Unbilden entstehen, die deutschen und brasilianischen Arbeitnehmern nur allzu vertraut sind.

 

Ich freue mich außerordentlich über diesen Staatsbesuch in Deutschland. Es ist eigentlich mein zweiter Besuch hier. Ich bin schon 2003, gleich zu Beginn meiner ersten Amtszeit, hier gewesen, als unser Freund Gerhard Schröder Bundeskanzler war. Die deutsche Bundeskanzlerin weiß, dass ich seit Jahrzehnten Freunde in Deutschland habe. Ich denke, vor allem in den 80er Jahren haben mir die deutschen Gewerkschaften sehr viel Solidarität entgegengebracht. Wenn ich in Deutschland bin, fühle ich mich wie zu Hause, obwohl ich nur einen deutschen Ausdruck verstehe, nämlich auf Wiedersehen. Trotzdem fühle ich mich wie zu Hause, wenn ich in Deutschland bin.

 

Ich bedanke mich noch einmal für die Freundlichkeit, mit der wir hier empfangen worden sind.

 

Frage: Meine Frage richtet sich an Staatspräsident Lula und an die Bundeskanzlerin. In einem gemeinsamen Kommuniqué, das gerade verteilt worden ist, sprechen Brasilien und Deutschland von einem Zeitplan für Anpassungen im Hinblick auf Kopenhagen, um zu einem bindenden Abkommen zu kommen. Meine Frage ist folgende: Bedeutet das, dass sowohl Brasilien als auch Deutschland nicht glauben, dass ein endgültiges Abkommen in Kopenhagen zustande kommt? Glaubt man, dass dieses Abkommen nur in der Zukunft möglich ist? Welches sind die wichtigsten Hürden, die genommen werden müssen, um jetzt zu einem endgültigen Abkommen zu kommen?

 

P Lula da Silva: Wie immer in meinem Leben arbeite ich mit einer wohl überlegten Dosierung von Optimismus. Ich bin optimistischer als die meisten Menschen, die ich kenne. Ich glaube nicht, dass wir in Kopenhagen zu einem Abkommen kommen, von dem wir alle träumen, weil wir die Diskussion qualitativ nicht so vertieft haben, wie wir es hätten tun sollen.

 

Es wird immer so sein, dass jeder Präsident seine innenpolitischen Zwänge und auch die Koalitionen beachten muss. Ich zweifle nicht im geringsten daran. Wenn es von Präsident Obama persönlich abhinge, würde er bessere Zahlen und Vorschläge als die machen, die er seinem Parlament vorgelegt hat.

 

Die Chinesen haben Vorschläge, die sich nach der chinesischen politischen Wirklichkeit bemessen. Wir haben die größten Fortschritte in der Europäischen Union und in Brasilien zu verzeichnen. Alle wissen, dass wir in Brasilien eine Entscheidung getroffen haben. Wir denken nicht nur an ehrgeizige und messbare Ziele. Wir wollen die Entwaldung im Amazonas-Gebiet bis 2020 um 80 Prozent senken. Im letzten Jahr hatten wir die niedrigste Entwaldungsrate der letzten 20 Jahre im Amazonas-Gebiet.

 

Wir werden einen Teil des Stils der brasilianischen Wirtschaft ändern. Wir werden im Gießerei- und Hüttenwesen und auch im Energiebereich Fortschritte erzielen. 85 Prozent der brasilianischen Energie und 47 Prozent der brasilianischen Energiematrix kommt von sauberen Energieträgern. Wir haben 36,1 bis 38,9 Prozent vorgeschlagen. Zum Glück hat das brasilianische Parlament dies akzeptiert und daraus ein Gesetz gemacht. Wer in Brasilien bis 2020 Präsident ist, muss sich an diese Zielvorgaben halten. Mit diesen Zielvorgaben werde ich zusammen mit Angela Merkel nach Kopenhagen reisen. Ich werde versuchen, mit anderen Akteuren zu sprechen, um minimale Ziele zu vereinbaren, die der Menschheit die Gewissheit geben, dass wir uns stark dafür einsetzen, um die Erwärmung der Erdoberfläche zu verhindern.

 

BK'in Merkel: Ich möchte genauso wie der brasilianische Präsident, dass wir ein politisches Abkommen schließen, das in den folgenden Monaten noch in einen juristischen Text umgewandelt werden muss, aber dass die politischen Eckpunkte völlig klar sind. Das heißt, wir brauchen zum Schluss in dem Abkommen, das juristisch ausgearbeitet werden muss, bindende Regeln. Wir brauchen eine Regelung unter dem Dach der Vereinten Nationen, die auch international überwacht wird. Wir brauchen Beiträge aller Länder, natürlich unterschiedlich differenziert, und zwar je nachdem, wie die Zuordnung ist: Industrieländer, Schwellenländer, Entwicklungsländer.

 

Wir brauchen Reduktionsziele der Industrieländer. Wir brauchen eine klare Verpflichtung, dass wir insgesamt bis 2050 das Zwei-Grad-Ziel erreichen. Das heißt: keine Erwärmung höher als zwei Grad, weil das die Menschheit unglaublich schädigen würde. Wir brauchen finanzielle Zusagen, damit sich die Entwicklungsländer auf die Schäden, die auftreten, einstellen können. Wir brauchen aber auch einen Technologietransfer, damit sich die Umwelttechnologien weltweit verbreiten können.

 

Darin stimmen wir vollkommen überein. Wir werden im Vorfeld von Kopenhagen sehr intensiv daran arbeiten, dass das möglich ist. Auch ich bin optimistisch. Jedenfalls werde ich alle Kraft daran setzen, dass Kopenhagen nicht ideal - das ist schon abzusehen -, aber doch ein deutlicher Schritt nach vorn sein wird.

 

Frage: Ich möchte auch auf den Klimagipfel in Kopenhagen zu sprechen kommen. Frau Bundeskanzlerin, Herr Präsident, es gibt bei den Schwellenländern nach wie vor große Vorbehalte gegen allgemein global verbindliche Vorgaben, unter anderem in Bezug auf das Zwei-Prozent-Ziel, das Sie hier heute noch einmal in einem gemeinsamen Abkommen implementiert haben.

 

Herr Präsident, sehen Sie es sowohl für Brasilien als auch für wichtige Schwellenländer tatsächlich schon als Konsens an, dass das Zwei-Grad-Ziel in Kopenhagen Konsens sein wird? Inwieweit sollten die Industrieländer, die von den Schwellenländern in der Vergangenheit für den Klimawandel oft als Hauptverursacher angesehen werden, jetzt bei der Reduzierung in Vorleistung gehen?

 

Frau Bundeskanzlerin, wie sehen Sie die Frage der Vorleistung der Industrieländer und eine stärkere Inanspruchnahme der Industrieländer beim Klimaschutz?

 

P Lula da Silva: Falls ich die idealen Zahlen hätte, die die entwickelten Länder vorlegen sollen, würde ich sie hier nicht nennen, damit wir in Kopenhagen zu einem Abschluss kämen. Wie dem auch sei - die reichen Länder sind sicher, wenn wir das Zwei-Prozent-Ziel festlegen. Wenn jedes Land jeweils seine nationalen Ziele zur Senkung der Treibstoffgase festlegt, müssen wir verstehen, dass Technologietransfer und Finanzierungsinstrumente gefragt sind, damit arme Länder wachsen können, ohne die Welt so zu verschmutzen, wie die reichen Länder es getan haben, als sie - und wir ebenfalls - vor 100 Jahren damit begonnen haben.

 

Ich bin sicher, dass wir in Kopenhagen nicht zu dem Abkommen unserer Träume kommen werden. Wir werden nicht zu dem Abkommen kommen, von dem ich träume und von dem Angela Merkel träumt. Aber ich bin sicher, dass wir einen wichtigen Fortschritt erzielen, um uns im Jahr 2015 wieder zu treffen, einige weitere Justierungen vorzunehmen und die Verantwortlichkeiten eines jedes festzulegen.

 

China ist ein wichtiger Partner. Wir müssen die Chinesen davon überzeugen, dass sie einen Schritt tun. Indien ist auch ein wichtiger Partner. Wir müssen auch Indien davon überzeugen. Es gibt sehr viele afrikanische Länder, die auf bestimmte Finanzierungen angewiesen sind, damit Afrika sich so entwickeln kann, ohne dass es die Fehler begeht, die die Europäer zu Beginn der industriellen Revolution begangen haben. Das ist ein neues Thema. Wie es bei neuen Themen so ist: Eigentlich ist alles offen.

 

Wenn man früher über Sozialismus oder Nicht-Sozialismus diskutierte, musste man mit den Leuten sprechen, die das Manifest gelesen hatten, mit denen, die das Manifest nicht gelesen hatten, und denen, die nichts gelesen hatten und dagegen waren. Jetzt ist es anders. Jetzt diskutieren wir über ein Thema. Alle müssen erst einmal lernen. Es gibt noch sehr viele wissenschaftliche Unklarheiten. Aber eine Sache ist schon klar: Wir wissen, dass die Erde rund ist und dass wir alle Opfer der Erwärmung der Erdoberfläche werden. Deswegen müssen wir uns dieser Sache annehmen. Wir dürfen hier keine Risiken eingehen. Wir müssen das tun, was zu tun ist, um in einer besseren Welt zu leben, einer Welt, die wir unseren Urenkeln vererben können. Wir hoffen, dass sie ein besseres Klima haben werden als unsere Generation.

 

BK'in Merkel: Wir sind uns natürlich der besonderen Bedeutung und Verantwortung der Industrieländer beim Kampf gegen den Klimaschutz bewusst, und zwar in mehreren Richtungen:

 

Zum einen schlagen wir selber ambitionierte Ziele vor. Wir gehen ja inzwischen fast gemeinsam zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, wenn ich das Waxman-Markey-Gesetz nehme, und der Europäischen Union davon aus, dass wir bis 2050 Reduktionsraten von mindestens 80 beziehungsweise 85 Prozent erreichen müssen. Aber wir wissen eben auch, dass, wenn nur die Industrienationen CO2 reduzieren, das Zwei-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen ist. Da setzt natürlich auch die Verantwortung der Schwellenländer an. Ich bin sehr dankbar, dass Brasilien diese Herausforderung annimmt.

 

Damit die Entwicklungsländer und Schwellenländer in die Lage kommen, dies zu schaffen, müssen wir natürlich finanziell und technologisch helfen. Auch dazu sind Deutschland und die Europäische Union bereit. Deshalb, glaube ich, fahren wir recht gut vorbereitet nach Kopenhagen.

 

Frage: Herr Präsident, Frau Bundeskanzlerin, da ich aus Rio komme, habe ich natürlich sehr gut zugehört, als von den Olympiaden 2016 die Rede war. Ich würde gern wissen, wie sich diese Partnerschaften entwickeln werden. Ich denke vor allem an die Reform der öffentlichen Sicherheitskräfte in Rio. Vielleicht könnte Frau Merkel uns näher erklären, wie uns die Deutschen unter die Arme greifen können. Ich war bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Das war eine großartige Fußball-Weltmeisterschaft. Es war sehr sicher. Es war alles wunderbar organisiert. Was könnt ihr uns beibringen?

 

BK'in Merkel: Wir bringen natürlich nur das bei, was Brasilien sich auch wünscht. Also der Gastgeber kann sagen, welche Ratschläge er gern von uns haben möchte.

 

Aber was wir geschafft haben, das ist eigentlich etwas sehr Interessantes, nämlich eine gute Kooperation zwischen den Fans und der Polizei. Man weiß ja, dass die Emotionen hochgehen und es auch Fangruppen gibt, die manchmal zur Gewalt neigen. Wir haben sehr gute Erfahrungen - und wir sollten auch schnell damit anfangen -, wie Polizei mit den Jugendgruppen zusammenarbeiten kann und man sozusagen das Feindbild abbaut, dass Polizei für den Staat steht, der hart zugreift und die Fans dadurch einschränkt.

 

Wir haben eine zweite gute Erfahrung bei der Fußball-Weltmeisterschaft gemacht, die wir auch weitergeben könnten. Wir haben nämlich alle Teilnehmerstaaten an der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland gebeten, Polizisten aus ihren Ländern nach Deutschland zu schicken. Immer, wenn bestimmte Spiele waren, gab es eine Kooperation der deutschen Polizei mit meinetwegen der britischen oder der brasilianischen Polizei, weil sie natürlich mit ihren Fans viel besser sprechen können, als das die deutsche Polizei kann. Das waren wunderbare Erfahrungen.

 

Wir haben eine dritte Erfahrung gemacht: Bei uns gab es eine riesige Diskussion, ob man diese Fußballspiele hier in Berlin über Videoleinwände auf die Straße des 17. Juni überträgt. Man hat gesagt, wenn dort Millionen von Menschen sind, dann ist das doch ein großer Unsicherheitsfaktor. Aber das Gegenteil war der Fall. Die meisten waren ganz friedliche Freunde des Fußballs, und die wenigen, die vielleicht auf der Fanmeile Gewalt angewendet hätten, sind untergegangen und haben sich so wie die friedlichen Fußballzuschauer verhalten.

 

Ich glaube, das sind drei Bereiche, in denen wir gut zusammenarbeiten könnten und Deutschland auch sehr bereit wäre, seine Erfahrungen einzubringen.

 

P Lula da Silva: Wichtig ist es, sich Klarheit über Folgendes zu verschaffen: In Brasilien besteht seitens aller Institutionen - seitens des brasilianischen Fußballverbands und auch der Landesregierung von Rio und der Bundesregierung – ein großes Interesse, von Deutschland zu lernen. Alle haben sich vorab dazu verpflichtet. Wir wollen natürlich auch von Südafrika lernen, und dann werden wir die drei letzten Fußball-Weltmeisterschaften übereinanderlegen und den Durchschnitt ermitteln.

 

Wir wollen auch Peking an den Tisch holen und sie fragen: Wie habt ihr die Olympiaden damals gemacht? – Wir wollen also den Durchschnitt der guten und der schlechten Erfahrungen an anderen Orten ermitteln. Das haben wir uns schon vorgenommen.

 

In Bezug auf die Sicherheit zweifle ich nicht im Geringsten daran, dass Brasilien eine großartige Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten wird. Wer nach Brasilien kommt, wird sehen, wie friedfertig die brasilianische Bevölkerung ist. Natürlich gibt es Rassenprobleme. Es gibt auch Probleme mit dem Drogenhandel. Aber wir hatten schon die panamerikanischen Spiele, und das hat gut funktioniert.

 

Wenn Brasilien die Fußball-Weltmeisterschaft, die in Brasilien ausgerichtet wird, nicht gewinnt, dann wird es Probleme geben. 1950 haben wir alle an die Wand gespielt. Im Endspiel gegen Uruguay war Brasilien Favorit, und wir haben 2:0 verloren. Sollten wir in einer guten Situation sein, ins Endspiel kommen und dann verlieren, dann weiß ich nicht, wie du, der gerade die Frage gestellt hat, dich dann verhalten wirst. Wir wollen jedenfalls eine exemplarische Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten. Brasilien befindet sich in einer schönen Phase. Wir wollen jeden Tag, den uns der Herrgott schenkt, zeigen, wozu wir angetreten sind. Wir wollen eine große Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten. Wir wollen eine große Olympiade ausrichten. Mit Sicherheit werden wir nicht auf die Erfahrungen verzichten, die Deutschland und andere Länder gesammelt haben.

 

BK'in Merkel: Selbst beim Verlieren können wir noch Erfahrungen beisteuern. Denn bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland hat sich ganz Deutschland sogar über den dritten Platz richtig gefreut.

 

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben erwähnt, dass Sie auch über das Thema Iran gesprochen haben. Ich hätte gern von Ihnen gewusst, ob Sie glauben, dass Brasilien, die europäischen Staaten und die USA wirklich an demselben Strang ziehen oder dieselbe Perspektive auf den Atomstreit haben.

 

Herr Präsident, ich hätte gern von Ihnen gewusst, wie Sie den Besuch des iranischen Präsidenten in Brasilien beurteilen, der in vielen europäischen Ländern für etwas Kopfschütteln gesorgt hat. Hat Ihrer Meinung nach der Westen die falsche Strategie im Umgang mit Iran?

 

BK'in Merkel: Also wir haben darüber gesprochen. Ich habe mich natürlich auch nach diesem Besuch erkundigt. Der Präsident wird gleich etwas dazu sagen.

 

Ich glaube, im Grundsatz haben wir das gleiche Ziel, nämlich absolute Transparenz und Kooperation mit der internationalen Atomenergiebehörde. Hier hat der Iran die Dinge verletzt. Deshalb gehen wir ja auch einen doppelten Weg, einerseits dem Iran Angebote für eine gute gemeinschaftliche Entwicklung zu machen und ihm andererseits aber auch zu sagen: Wenn das nicht der Fall ist - unsere Geduld ist ja schon auf eine harte Probe gestellt -, dann müssen neue Sanktionen in Betracht gezogen werden.

 

Ich glaube, dass es in der Herangehensweise durchaus auch kleinere Differenzen gibt. Ich habe dafür geworben, dass wir dem Iran sehr, sehr viele Angebote gemacht haben. Auch ich bin der Meinung, man darf niemanden in die Ecke stellen. Aber es ist so, dass wir nun schon lange Zeit - wenn ich allein auf meine Amtszeit zurückblicke, dann sind es mehr als vier Jahre; aber Gespräche gab es auch schon davor - mit dem Iran diskutieren und wir leider keinen Fortschritt erkennen. Deshalb würde ich mich freuen - und Brasilien hat das auch gesagt -, wenn möglichst viele Länder mit dem Iran in einem gemeinsamen Gespräch wären, um deutlich zu machen: Es ist nicht das Ansinnen, ein Land auf der Welt in die Ecke zu stellen und zu isolieren, sondern es geht darum, dass wir gemeinsame Prinzipien auch weltweit verwirklichen.

 

P Lula da Silva: Das Beste und das Billigste für uns alle ist, wenn wir auf Verhandlungen setzen und uns mit viel Geduld wappnen. Nach meiner Meinung ist es nicht angebracht, den Iran zu behandeln, als ob es ein unbedeutendes Land wäre und jeden Tag den Druck auf den Iran zu verstärken. Ich glaube, das wird nicht zu guten Ergebnissen führen.

 

Da der Iran ein Land mit einer sehr eigenständigen Kultur mit 80 Millionen Einwohnern und gravierenden innenpolitischen Problemen ist, müssen wir uns noch mit mehr Geduld wappnen, um mit der iranischen Regierung zu sprechen.

 

Ich hatte das Glück, in einer Woche den israelischen Präsidenten, den Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde und den iranischen Präsidenten zu empfangen. Ich habe mit jedem ausführlich gesprochen. Ich glaube, dass es immer einen Spalt gibt, in dem man den Leuten klar machen kann, dass der Friede viel effizienter und vor allem viel billiger ist als der Krieg. Mit meiner sehr geschätzten Freundin Angela Merkel habe ich heute schon darüber gesprochen. Ich habe mit Obama in Pittsburgh darüber gesprochen. Ich habe mit Sarkozy und mit Gordon Brown darüber gesprochen. Wir brauchen einen neuen Konversationsstil, um zu sehen, wie wir das wechselseitige Misstrauen abbauen, das es heute allerorten gibt. Wir müssen ein Vertrauensklima schaffen, um von Verhandlungen und guten Verhandlungsergebnissen träumen zu können.

 

Meine eigene Position ist hier sehr klar: Der brasilianischen Verfassung ist eingeschrieben - es ist übrigens keine Regierungsentscheidung -, dass Kernwaffen verboten sind. Sie sind verfassungswidrig. Wir haben aber in Brasilien Urananreicherung, um Strom herzustellen.

 

Und was wollen wir mit dem Iran? Wir wollen, dass der Iran sich zu denselben Verpflichtungen bekennt, die Brasilien übernommen hat. Das, was Brasilien für sich akzeptiert, verlangen wir auch vom Iran. Nur über Gespräche kann man zu einer konzertierten Politik und zu einem wechselseitigen Einverständnis im mittleren Osten kommen.

 

Ich weiß nicht, ob ich naiv bin. Ich weiß nicht, ob ich zu optimistisch bin. Aber ich setze doch sehr auf die Fähigkeit der Überzeugung und auf die Dialogfähigkeit der Menschen. Wir versuchen, unseren Beitrag zu liefern. Ich erhoffe mir das Beste, also keine Kernwaffen im Iran, keine Kernwaffen in keinem Land der Welt und dass die USA und Russland ihre Kernwaffen abbauen. Wenn man von anderen verlangt, dass sie keine Kernwaffen haben, dann muss man sich erst einmal die moralische Autorität erwerben. Wir haben uns zur Nichtverbreitung von Kernwaffen bekannt, und das steht auch in der Verfassung. Deswegen kann ich das hier guten Gewissens sagen. Aber diejenigen, die Kernwaffen haben, sollten ihre Arsenale abrüsten. Dann hätten sie nämlich bessere Argumente, um andere zu überzeugen.

 

BK'in Merkel: Vielen Dank, Herr Staatspräsident.