Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Li Keqiang nach der gemeinsamen Videokonferenz am 18. Oktober 2021

(Die Protokollierung erfolgte auf Grundlage einer Tonaufzeichnung. Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


MP Li: Guten Tag! Es ist mir eine große Freude, dass wir uns mit Ihnen, Frau Merkel, nach sechs Monaten wieder zu einer Videokonferenz zusammenfinden. Wir sind Kollegen, und zugleich sind wir auch Freunde.

Vor Kurzem habe ich auf Einladung der deutschen Wochenzeitschrift „Die Zeit“ auch etwas über Sie, Frau Merkel, mit einem ganz kurzen Rückblick auf unsere Kontakte geschrieben. Bald werden Sie das Amt der deutschen Bundeskanzlerin niederlegen. Ich möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie sich seit so vielen Jahren für die Förderung der konkreten Zusammenarbeit und der freundschaftlichen Kontakte auf allen Gebieten zwischen China, Deutschland und Europa eingesetzt haben. Ich weiß Ihre Anstrengungen sehr zu schätzen.

16 Jahre sind Sie Bundeskanzlerin. Sie waren Dutzende Male zu Besuch in China. Als ich 2013 chinesischer Ministerpräsident wurde, führte mich bereits meine erste Auslandsreise nach Deutschland. Wir haben viermal die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen geleitet. In der Geschichte der Kontakte zwischen China und Deutschland sind diese Regierungskonsultationen besonders breit ausgelegt und finden sogar besonders häufig statt. Hinzu kommt, dass wir uns fast im Jahresrhythmus im bilateralen, aber auch multilateralen Rahmen treffen.

Gemeinsam haben wir viele ganz konkrete Ergebnisse der Zusammenarbeit zustande gebracht. Wir haben auch viele Schwierigkeiten und Probleme in der Zusammenarbeit überwunden. Damit haben wir uns Mühe gegeben für eine stabile und gesunde Entwicklung der Beziehungen zwischen China und Deutschland.

Seit vergangenem Jahr gibt es die Pandemie. Trotzdem hatten wir einen Handel in einem Volumen von fast 200 Milliarden US-Dollar. Das ist eine Verdopplung verglichen mit der Zeit kurz nach Ihrem Amtsantritt. Das muss man anerkennen. Wenn man das vergleicht, dann stellt man fest, dass das fast eine Verdreifachung ist. Unsere gegenseitigen Investitionen haben sich vervielfacht. Gemeinsam waren wir Augenzeugen der Unterzeichnung von über 70 Regierungskooperationsvereinbarungen und Unternehmenskooperationen. Das ist auch ein Zeichen für die guten Ergebnisse der ganz konkreten Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland.

Natürlich bestehen viele Unterschiede zwischen China und Deutschland in Bezug auf Geschichte und Kultur. In manchen Fragen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das ist eine objektive Tatsache. Aber ich denke, solange wir uns gleich behandeln, uns gegenseitig respektieren, wenn wir Kerninteressen und Hauptanliegen respektieren, wenn wir auf dieser Grundlage kommunizieren und uns austauschen, dann können wir für mehr Vertrauen und für weniger Misstrauen und weniger Differenzen sorgen. Dann können wir uns auf die Zusammenarbeit fokussieren, damit wir günstige Bedingungen für zügige Dialoge und eine zügige Zusammenarbeit schaffen.

Nächstes Jahr begehen wir den 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Wir sind gern bereit, gemeinsam mit Ihnen das Win-win-Potenzial auszuschöpfen, damit wir stabile Beziehungen haben, die von Bestand sind. Das ist für beide Seiten gut. Wir hoffen, dass wir zusammen daran arbeiten. Wenn uns das gelingt, dann ist das für beide Seiten, für China und für Deutschland, aber auch im Format von China und EU sowie darüber hinaus für die ganze Welt von großer Bedeutung. Das ist dann auch von großem Nutzen für die ganze Welt.

Soweit zunächst einmal die Einführung von mir. Jetzt haben Sie das Mikrofon, Frau Merkel.

BK‘in Merkel: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Li Keqiang, ich freue mich, dass wir heute diese Möglichkeit haben. Es ist ja so etwas wie eine virtuelle Reise nach China. Ich hatte vergangene Woche schon mit Staatspräsident Xi eine Videokonferenz. Heute sehen wir uns und werden im Anschluss auch noch mit Wirtschaftsvertretern sprechen.

Ich möchte mich für viele Treffen, die wir hatten, und einen sehr aufrichtigen und immer auch konstruktiv weiterführenden Dialog bedanken. Zuletzt haben wir uns bei den virtuellen Regierungskonsultationen im April dieses Jahres gesprochen. Dies waren die sechsten Regierungskonsultationen. Wir haben unsere Beziehungen immer in der gesamten Bandbreite unserer Regierungsarbeit ausgebaut. Das hat mit Sicherheit auch zu einem besseren gegenseitigen Verständnis unserer beider Seiten beigetragen. Gerade auch angesichts der Unterschiedlichkeit unserer politischen Systeme haben wir damit doch immer wieder einige Probleme lösen können.

In der jüngsten Zeit sind die globalen Herausforderungen noch einmal größer geworden, gerade auch durch die Pandemie. Die Kontakte sind im Augenblick nur über virtuelle Möglichkeiten denkbar. Deshalb müssen und können wir uns auf diese Art und Weise austauschen.

Wir stehen vor einer ganzen Reihe von globalen Herausforderungen. Ich will hier nur den Klimawandel nennen. Bei diesem Thema geht China natürlich auch erhebliche Schritte voran, aber auch wir in Deutschland und Europa haben sehr ambitionierte Pläne. Wir können heute im weiteren Gespräch auch noch einmal darüber reden.

Die Wirtschaftsbeziehungen sind sehr dynamisch. Sie haben eben darauf hingewiesen. Als ich Bundeskanzlerin wurde, war das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland noch etwas höher als das in China; heute hat China ein mehr als dreimal so hohes Bruttoinlandsprodukt. Das zeigt, welches sehr dynamische Wachstum China hat. Trotzdem gibt es mit Blick auf das Pro-Kopf-Einkommen natürlich noch Unterschiede. Das heißt, China ist auf der einen Seite ein sehr dynamischer und fortschrittlicher Wirtschaftsakteur, aber auf der anderen Seite immer noch auch ein Land der Entwicklung. Diese Tatsache hat in unseren Beziehungen auch immer eine Rolle gespielt.

Wir schauen natürlich genau auf Ihre Pläne und hoffen, dass der Marktzugang für deutsche Unternehmen auch in den nächsten Jahren fair und gut bleibt. Wir haben während der deutschen Ratspräsidentschaft das Investitionsabkommen verhandelt. Hierbei haben sich beide Seiten sehr stark aufeinander zubewegt. Ich hoffe, dass wir, beide Seiten, die europäische und die chinesische, die Voraussetzungen dafür schaffen können, dass dieses Abkommen ratifiziert werden kann. Denn wenn es in Kraft träte, wäre es sicherlich sehr wichtig für beide Seiten.

Wir haben auch immer wieder über den Austausch zwischen unseren Gesellschaften gesprochen. Ich sehe, dass das in den letzten Jahren nicht einfacher geworden ist. Ich hoffe, dass wir auch auf der Basis der Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaften einen Austausch zwischen unseren Gesellschaften hinbekommen. Das ist für uns von sehr großer Bedeutung.

Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung das Instrument der Regierungskonsultationen fortsetzen kann. Diese neue Regierung wird ja demnächst im Amt sein. Die strategische Bedeutung der deutsch-chinesischen Beziehungen wird, so denke ich, auch in Zukunft eine große Rolle spielen.

Wir müssen ‑ das haben wir ja auch praktiziert ‑ immer wieder Meinungsverschiedenheiten aushalten und schwierige Themen miteinander besprechen. Deshalb habe ich den Wunsch, dass wir die Formate auch in den Bereichen von Justiz und Menschenrechtsdialog wieder weiterführen können. Das ist für uns von sehr großer Bedeutung.

Sie haben darauf hingewiesen, dass wir im nächsten Jahr 50 Jahre diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China haben werden. Das sollte ein Ansatz dafür sein, noch einmal zu überlegen, ob wir unsere umfassende strategische Zusammenarbeit noch erweitern können. Das wird dann die neue Regierung tun.

Ich sage heute einfach Danke dafür, dass ich auch eine ganze Reihe von chinesischen Städten kennenlernen und einmal sogar ein chinesisches Dorf besuchen konnte. Die Vielfalt der Lebensbedingungen in China, die unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten zwischen Ost und West, ganz umgekehrt zum Bild in Deutschland, haben mich immer wieder sehr beeindruckt. Auch heute werden wir ja noch einige Themen miteinander besprechen, die für die gemeinsamen Anstrengungen und die gemeinsame Arbeit wichtig sind.

So weit erst einmal von meiner Seite. Schön, dass wir diese Gelegenheit noch einmal haben!