Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und der Bundespräsidentin der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Micheline Calmy-Rey

BK’IN DR. MERKEL: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Bundespräsidentin Calmy-Rey heute bei uns zu Besuch und zu Gast ist. Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Deutschland ist von Freundschaft und einem guten nachbarschaftlichen Verhältnis geprägt. Umso mehr freuen wir uns, wenn auch auftretende Probleme Schritt für Schritt gelöst werden können.

 

Ich möchte sagen: Wir vertreten in vielem die gleichen Werte und Überzeugungen, was sich zum Beispiel auch in der gesamten internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise immer wieder gezeigt hat. Die Schweiz ist sehr aktiv in der Arbeit im Financial Stability Board, also auch, was die Regulierung der Finanzmärkte anbelangt. Zwischen uns besteht in diesen Fragen eben auch eine sehr große Übereinstimmung, was die Regulierung des wichtigen Finanzplatzes Schweiz anbelangt. Wir unterstützen auch gemeinsam das Basel-III-Abkommen als eine wichtige Wegmarke bei der Frage, wie wir solche internationalen Finanzkrisen in Zukunft verhindern können und was dafür getan werden muss.

 

Wir sind in den Steuerangelegenheiten beträchtliche Schritte vorangekommen. Das Revisionsprotokoll zum Doppelbesteuerungsabkommen ist im letzten Oktober unterzeichnet worden. Das hat viele überrascht und war eine ausgesprochen positive Meldung. Jetzt, glaube ich, werden wir auch zuversichtlich an die Arbeit gehen   das werden unsere Finanzministerien tun  , um die noch bestehenden Probleme zu lösen und vor allen Dingen auch das Protokoll zum Doppelbesteuerungsabkommen zu ratifizieren.

 

Wir haben auch sehr freundschaftlich über die Aufgaben im Zusammenhang mit dem Flughafen Zürich gesprochen. Diese Arbeiten sind auf technischer Ebene durchaus sehr weit vorangeschritten, und die jeweiligen Verkehrsminister   Frau Leuthard auf der Schweizer Seite und Peter Ramsauer auf der deutschen Seite   haben sich jetzt Anfang des Jahres auch über den Sachstand ausgetauscht.

 

Wir haben heute noch einmal festgestellt, dass wir im Rahmen der transeuropäischen Netze, was die Verkehrsverbindungen anbelangt, sehr eng zusammenhängen. Insbesondere haben wir über die Rheintalstrecke gesprochen. Wir alle haben verfolgt, wie man beim Gotthardtunnel, dem längsten Tunnel der Welt, vorangekommen ist. Die Frau Bundespräsidentin hat mir natürlich noch einmal vor Augen geführt, dass die Strecke Rotterdam-Italien, also insbesondere Genua, nicht vom Gotthardtunnel allein leben kann, sondern auch (die Bahn) irgendwie entlang des Rheintals fahren muss. Darin liegt eine Aufgabe für Deutschland, wenn wir unseren internationalen oder europäischen Verpflichtungen entgegenkommen wollen.

 

Wir haben darüber gesprochen, dass die Schweiz sehr eng an die Europäische Union gekoppelt ist. Wir hoffen auch, dass die Gespräche über institutionelle Fragen gut vorankommen. Die Frau Bundespräsidentin hat mir gesagt, dass dazu Anfang Februar mit der Kommission beziehungsweise mit dem Kommissionspräsidenten Gespräche stattfinden werden. Wir wünschen und wollen, dass die Schweiz möglichst fest in den Europäischen Binnenmarkt integriert ist. Das ist im Sinne unserer guten Nachbarschaft für uns von deutscher Seite aus sehr erleichternd.

 

Insofern hat sich in unserem Gespräch gezeigt, dass wir nicht nur geographische Nachbarn sind, sondern dass gute Nachbarschaft auch gut für beide Länder ist. – Noch einmal herzlich willkommen!

 

P CALMY-REY: Guten Abend, meine Damen und Herren! Liebe Kanzlerin, ich bedanke mich für Ihre Einladung. Es ist kein Zufall, dass meine erste offizielle Auslandsreise als Bundespräsidentin Deutschland gilt. Deutschland ist für uns ein naher und guter Nachbar. Wir haben menschliche Beziehungen. Die Schweiz ist das erste Einwanderungsland für die Deutschen geworden. Mehr als 200.000 Deutsche wohnen in der Schweiz, außerdem gibt es 40.000 Grenzgänger. Diese Zahlen verdeutlichen wirklich die menschlichen Beziehungen. Das zeigen auch die intensiven Wirtschaftsbeziehungen, die wir mit Deutschland haben, und zwar, liebe Kanzlerin, mit einem Handelsdefizit zu Gunsten von Deutschland in Höhe von 20 Milliarden Schweizer Franken. Das zeigen auch die regelmäßigen Besuche auf hoher Ebene wie der Staatsbesuch von Präsident Wulff letztes Jahr in der Schweiz.

 

Das zeigen auch die letzte Woche im Steuerbereich begonnenen Verhandlungen über einen verbesserten Zugang für Schweizer Finanzdienstleister. Die Schweizer Regierung will kein Schwarzgeld auf dem Schweizer Finanzplatz haben. Wir verfolgen eine, wie wir es nennen, Weißgeld-Strategie. Wir verfolgen diese Strategie wirklich mit Ernst und mit Doppelbesteuerungsabkommen nach den OECD-Standards. Wir verfolgen sie auch mit dem Modell einer Abgeltungssteuer. Wir führen jetzt nicht nur konstruktive Diskussionen, sondern auch Verhandlungen mit Deutschland und Großbritannien. Wir wollen zügige, gründliche und lösungsorientierte Verhandlungen.

 

Die Eurokrise ist selbstverständlich eines der zentralen Besorgnisse der EU-Staaten. Die Schweiz als Exportland verfolgt diese Situation mit wirklich großer Aufmerksamkeit. Ich konnte in unseren Gesprächen versichern, dass die Schweiz ihren Beitrag zur Stützung und zur Stabilität der Eurozone leistet. Mit Devisenkäufen von Dutzenden Milliarden Euro hat sich die Schweizer Nationalbank für die Stabilisierung des Euro eingesetzt. Der Euro ist jetzt zu ungefähr 70 Prozent die Währung unserer Reserven. Als IWF-Mitglied hat die Schweiz die finanziellen Beiträge am Euro-Schutzschirm mitgetragen. Im Rahmen der geplanten Aufstockung der neuen IWF-Kreditvereinbarung werden wir das auch weiterhin tun.

 

Wir haben ebenfalls über die Beziehungen zwischen Schweiz und der EU gesprochen und über die Möglichkeit einer institutionellen Verbesserung der bilateralen Zusammenarbeit der Schweiz diskutiert. Wir wollen einen bilateralen Weg, der effizienter und dynamischer ist. Darum war es mir ein großes Anliegen, dass ich auch diese Frage mit der Bundeskanzlerin besprechen könnte.

 

Wir haben also sehr enge Beziehungen mit Deutschland. Wir haben auch einige Probleme, so wie es zwischen Nachbarn normal ist. Das Wichtigste ist, dass wir über diese Probleme sprechen können. Die Bundeskanzlerin hat die Probleme, die den Flughafen Zürich und die Nordanschlüsse an die Neue Eisenbahn-Alpentransversale betreffen, erwähnt. Diesbezüglich sind Diskussionen auf der Ebene der Fachminister vorgesehen. Wir hoffen, dass diese Diskussionen zügig vorangehen können, sodass wir diese Probleme konstruktiv lösen können.

 

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

 

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die Bundespräsidentin hat Sie vom dynamischen und bilateralen Weg der Schweiz nach Europa zu überzeugen versucht. Erste Frage: Hat sie Sie überzeugt? Zweite Frage: Werden Sie das in Brüssel auch so vertreten und unterstützen können?

 

BK’IN DR. MERKEL: Ich habe ja gesagt, dass wir eine enge Anbindung möchten. Ich habe Verständnis für die Auffassung, dass die Schweiz ihre Souveränität nicht einfach verlieren darf. Das war, glaube ich, auch der Grund, aus dem man sich nicht zu einer Vollmitgliedschaft entschieden hat. Ich glaube aber, dass man bei einem guten Willen   und dafür will ich mich einsetzen   Wege finden kann, um die institutionellen Vereinbarungen zu verbessern, zu festigen und damit auch mehr Rechtssicherheit herzustellen. Das heißt also, ich wünsche diesen Gesprächen Erfolg. Wir werden uns von unserer Seite danach erkundigen, denn Deutschland hat ein elementares Interesse daran, dass diese Gespräche gut vorangehen. Wir werden uns sicherlich regelmäßig darüber austauschen, welche Fortschritte das macht.

 

Frage: Frau Bundeskanzlerin, in der Schweiz ist die Migration der Deutschen in die Schweiz ein großes Thema. Ich habe gehört, in den heutigen Gesprächen wurde auch von deutscher Seite Bedauern geäußert, dass so viele gut ausgebildete Deutsche in die Schweiz ziehen, um dort zu leben und zu arbeiten   und dort bleiben. Ist das auch eine Sorge für Sie?

 

BK’IN DR. MERKEL: Wir sind ja freie Länder, und wenn die Deutschen zum Teil sehr gerne in der Schweiz arbeiten, dann spricht das ja erst einmal nicht gegen die Schweiz. Wir müssen vielmehr selber schauen, dass wir attraktiv sind. Mein Wahlkreis liegt zum Beispiel am östlichen Teil der Ostseeküste. Dort sagen wir unseren Unternehmern immer wieder   gerade auch in den Hotels und Gaststätten  , dass sie auch vernünftige Arbeitsbedingungen bieten müssen. Wenn das nicht geschieht, darf man sich nicht wundern, dass gerade auch junge Menschen aus den neuen Bundesländern ihre Chance in der Schweiz suchen. Das heißt also, wir müssen selber als Arbeitsmarkt attraktiv sein. Insofern gibt es da nichts zu jammern, sondern das ist eher ein Ansporn für uns, attraktive Arbeitsbedingungen für unsere Menschen zu schaffen.

 

P CALMY-REY: Aber Sie wissen genau, dass auch die Schweiz Arbeitskräfte braucht. Insofern sind wir sehr dankbar dafür, dass diese gut ausgebildeten Arbeitskräfte aus Deutschland in die Schweiz kommen und dort arbeiten können.

 

BK’IN DR. MERKEL: Es gibt eben Wettbewerb, und da muss man sich bewähren. Es ist ja erst einmal gut, dass unsere guten Leute aus Deutschland sowohl in dem einen Land geschätzt sind als auch bei uns zu Hause manchmal gebraucht werden. Ansonsten ist es ja auch so, dass es schön ist, wenn jemand auch einmal andere Erfahrungen macht; das muss ich auch immer wieder sagen. Es ist eine gute Erfahrung, wenn junge Leute heute für ein paar Jahre in Europa herumkommen. Dazu gehört die Schweiz als ein hochattraktives Land natürlich auch.

 

P CALMY-REY: Dass die Leute im europäischen Raum so mobil sein können, ist ja auch der Sinn der Freizügigkeitsabkommen.

 

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie erlauben, eine Frage zu den Vorgängen in der Bundeswehr: Der Schritt des Verteidigungsministers, den Kapitän der „Gorch Fock“ von seinen Pflichten zu entbinden, wird jetzt als voreilig kritisiert. Warum sehen Sie diesen Widerspruch zwischen der Devise „Erst aufklären, dann handeln“ nicht, und wie bewerten Sie insgesamt die Vorgänge, soweit sie bis jetzt bekannt sind?

 

BK’IN DR. MERKEL: Der Verteidigungsminister hat in dem, was er tut, meine volle Unterstützung. Ich halte die Maßnahmen, die er ergriffen hat, und auch diejenigen, die er in seiner Planung hat, für absolut angemessen. Ich werde ihn auch bei den weiteren Schritten weiter unterstützen.