Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der Präsident des Europäischen Rates, Herr Van Rompuy, heute in seiner neuen Funktion bei uns zum ersten Mal zu Gast ist. Er war bereits im letzten Jahr als belgischer Ministerpräsident hier.

Ich möchte zu Beginn allerdings ein Wort zu einem schrecklichen Unglück sagen, das passiert ist, nämlich zu dem schrecklichen Erdbeben in Haiti, und möchte auch meinerseits und seitens der gesamten Bundesregierung meine Solidarität mit den Menschen in Haiti, unsere Betroffenheit und unsere Schockiertheit über das Ausmaß der Schäden zum Ausdruck bringen. Deutschland wird, wo immer es kann, den Menschen in Haiti beistehen und versuchen, die schrecklichen Folgen dieses Unglücks und dieser Naturkatastrophe zu lindern.

Wir haben uns heute hier getroffen, um die Arbeit des Europäischen Rates in einer sehr entscheidenden Phase der Europäischen Union zu besprechen, nämlich in der Phase, in der es um den Weg aus der Krise geht und in der die Europäische Union eine neue Wirtschaftsstrategie erarbeiten wird: im Anschluss an die Lissabon-Strategie eine Agenda 2020, mit der wir auf die gestiegenen Herausforderungen der Globalisierung Antworten finden wollen. Genau über diese Agenda 2020 werden wir heute Abend miteinander diskutieren.

Wir werden aber auch miteinander besprechen, in welcher Art und Weise wir die Arbeit des Ratspräsidenten organisieren. Es ist ein neues Terrain, ein neues Feld, in dem wir als Mitglieder des Europäischen Rates unseren Präsidenten unterstützen wollen. Der Lissabonner Vertrag hat vorgesehen, einen solche Posten, eine solche Position des Ratspräsidenten zu schaffen. Jetzt müssen wir auch bereit sein, ihm die Möglichkeiten und Kompetenzen einzuräumen, die mit einer sinnvollen und mit einer effektiven Aufgabenwahrnehmung verbunden sind. Die Bundesrepublik Deutschland möchte dabei auch ihre Rolle spielen und dabei hilfreich sein und dem Ratspräsidenten zur Seite stehen.

Das bedeutet nicht, dass wir nicht manchmal auch einen Beitrag dazu liefern, dass 27 Mitgliedstaaten unterschiedliche Meinungen haben. Das kann passieren, aber dazu sind dann die Weisheit und auch die Fähigkeit des Ratspräsidenten gefragt. Ich darf Ihnen sagen: Deutschland hat sich vernünftigen Kompromissen nie widersetzt, denn wir wissen: Nur gemeinsam sind wir in der Europäischen Union stark, und auf diesem Weg möchte die Bundesrepublik Deutschland einen guten Beitrag leisten.

Wir bereiten den Sonderrat vor, der im Februar stattfinden wird, und stellen damit sozusagen die Weichen dafür, dass wir im Laufe der spanischen Präsidentschaft zu guten Schlussfolgerungen kommen werden. Herzlich Willkommen!

Präsident Herman van Rompuy: Ich freue mich sehr, dass ich heute Abend hier in Berlin sein kann. Das ist ganz sicherlich eine sehr wichtige Etappe auf meiner Tour durch die verschiedenen Hauptstädte. Ich bin in meiner Rolle als Präsident des Europäischen Rates hierher gekommen, und das, nachdem ich vor gerade mal einem Jahr als Premierminister von Belgien hier war.

Die Funktion dieses Europäischen Rates ist eine neue Funktion, die durch den Lissabonner Vertrag gestaltet worden ist, und jetzt muss das sozusagen auch im Detail gestaltet werden. Dadurch werden eine Kontinuität der Maßnahmen auf europäischer Ebene und eine Koordinierung der verschiedenen Aufgaben geschaffen. Diese Koordinierung muss natürlich auch durch die Staats- und Regierungschefs erfolgen. Ich werde das begleiten, und ich möchte gerne vertrauensvolle und konstruktive Beziehungen zu allen Mitgliedstaaten unterhalten.

Ich denke, wir sollten keinerlei Zeit verlieren, die Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, auch anzunehmen. Ich darf hier sagen, dass ich mich voll und ganz dem Ziel verpflichtet fühle, einen konstruktiven Beitrag dazu zu leisten, dass dieser neue Vertrag so reibungslos wie möglich in die Tat umgesetzt wird und dass er vor allen Dingen auch all seine Möglichkeiten zur Entfaltung bringt, die ja letztendlich dem Bürger zugutekommen. Dies ist schließlich das Ziel und der Zweck der Europäischen Union.

Den Einfluss der Union in der Welt zu stärken ist natürlich auch eine wichtige Rolle. Das braucht eine enge Zusammenarbeit, eine enge Koordinierung mit der Europäischen Kommission wie auch mit der rotierenden spanischen Präsidentschaft.

Es gibt zwei sehr große Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen. Das verlangt von der Union volles Engagement auf höchster Ebene. Ich werde meine Hauptenergie, den Großteil meiner Zeit darauf konzentrieren, der Wirtschaftskrise und natürlich dem Problem des Klimawandels zu begegnen. Dieses erfolgreich zu begleiten und dafür Lösungen zu finden, das ist von entscheidender Bedeutung für die nahe Zukunft unseres Kontinents. Deswegen habe ich zu einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs am 11. Februar eingeladen, damit wir uns vor allen Dingen auf diese beiden Themen konzentrieren können. Die Gespräche mit der Bundeskanzlerin hier heute Abend werden auch dem Zweck und Ziel dienen, dieses Treffen vorzubereiten und einmal Ideen auszuloten, wie man solchen Problemen begegnen kann.

Das Hauptziel eines solchen Treffens wird es sein, dafür zu sorgen, nach der Krise in der Union eine dauerhafte und vollständige Erholung im wirtschaftlichen Bereich zu ermöglichen. Wie können wir strukturelle Veränderungen anstoßen, die einfach notwendig sind, um weiteres strukturelles wirtschaftliches Wachstum anzustoßen?

Wir brauchen Wirtschaftswachstum, das nachhaltig ist ‑ das ist völlig klar ‑ und das sich zumindest auf etwa 2 Prozent hinbewegt und nicht nur auf das, was uns jetzt vorausgesagt worden ist, nämlich ein Wachstum von 1 Prozent. Das ist einfach notwendig, um auch unsere sozialen Ziele durchzusetzen und uns auf einer Ebene mit den anderen großen Wirtschaftsräumen in dieser Welt zu bewegen.

Das heißt, es muss eine neue europäische Wirtschaftsstrategie entwickelt werden, entworfen werden, und die einzelnen Mitgliedstaaten müssen dadurch in die Lage versetzt werden, ein höheres Wirtschaftswachstum zu erzielen.

Diese kontroversen Ideen werden natürlich auf den Tisch gelegt. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen, wie das erreicht werden kann. Aber wir wollen auch ausloten: Welches sind die besten Ideen, die besten Vorschläge, um nachhaltiges Wirtschaftswachstum, eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung zu erreichen?

Es ist absolut unverzichtbar, dass die Staats- und Regierungschefs von Anfang an in diesen Prozess eingebunden werden. Das bedeutet natürlich, dass auf diese Weise gesichert ist, dass sie diesen Prozess auch begleiten und unterstützen.

Ich werde nach dem Februar eine sehr ausführliche Diskussion führen, auch zu dem informellen Treffen eine sehr ausführliche Diskussion führen lassen. Dann werden wir später während des Frühjahrsrats noch eine etwas strukturiertere Debatte vor dem Hintergrund dessen, was wir im Februar erörtert haben, und auf der Grundlage des Berichts der Kommission führen. Dann soll die neue Strategie beim Juni-Rat des Europäischen Rates natürlich auch verabschiedet werden.

Das zweite Thema, das sehr wichtig ist und das wir bei dem Februar-Treffen ebenfalls erörtern werden, ist das Thema des Klimawandels. Das ist nicht einfach nur irgendein Thema, sondern das ist ein Thema, auf das sich die Öffentlichkeit sehr stark konzentriert und das auch Prüfstein werden wird für die Fähigkeiten derer, die für politische Entscheidungen verantwortlich sind, Antworten zu finden. Hier wird eine Grundlage für zukünftige Arbeit gelegt werden.

Die Union hat bei der Plenarsitzung in Kopenhagen für die verabschiedeten Texte ihre Unterstützung gegeben. Diese quantitativen Ziele der einzelnen Mitgliedstaaten müssen verwirklicht werden, um zu CO2-Reduktionen zu kommen. Es ist natürlich immer noch notwendig, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Ziel der maximalen globalen Erwärmung um 2 Grad auch wirklich in die Tat umzusetzen. Es ist in Kopenhagen sehr deutlich geworden, dass das ein Prozess ist, der wahrscheinlich viel komplexer, viel komplizierter ist, als wir ursprünglich erwartet haben.

Deswegen müssen wir uns in den nächsten Monaten ganz genau überlegen, welche Lehren wir aus Kopenhagen ziehen, und wir müssen uns auch strategische Fragen überlegen: Wie können wir die Union und ihren Einfluss auf internationaler Ebene verstärken? Wie können wir überzeugender wirken? Wie können wir diesen Prozess wirklich nach vorne bringen?

Deutschland wird in der Folge dieses Prozesses und auch in der Begleitung dieses Prozesses eine sehr wichtige Rolle spielen. Deutschland wird, wie Sie wissen, Ende Mai bzw. Anfang Juni ein sehr wichtiges Treffen in Bonn ausrichten ‑ daran wird sich dann die Klimakonferenz in Mexiko anschließen ‑, und ich bin absolut zuversichtlich, dass die Bundesregierung diese Rolle sehr gut und tatkräftig erfüllen wird. Ich darf der Bundesregierung hier noch einmal sehr herzlich dafür danken, dass sie gerade im Bereich des Klimawandels sehr stark engagiert ist, und natürlich auch der Bundeskanzlerin für ihr persönliches Engagement für dieses sehr wichtige Thema danken.

Noch ein letztes Wort zu dem, was in Haiti geschehen ist: Ich denke an die zahlreichen Opfer, die Familien und Verwandten der zahlreichen Opfer dieser Naturkatastrophe, die heute in Haiti stattgefunden hat. Ich darf dem haitianischen Volk und all denjenigen, die Opfer zu beklagen haben, versichern, dass wir sie auf jeden Fall dabei unterstützen werden, die Opfer zu finden und sie, wenn man sie gefunden hat, zu versorgen. Das ist im Moment das Allerwichtigste, und wir werden ihnen dabei helfen.

Frage: Herr Van Rompuy, der ehemalige belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt hat gesagt, dass die Klimakonferenz in Kopenhagen gezeigt habe, dass der europäische Einfluss in der Welt geringer geworden sei. Ist das eine Einschätzung, der Sie zustimmen? Wenn dem so sein sollte, was kann Europa dann überhaupt noch tun, um dem Klimawandel zu begegnen?

van Rompuy: Ich habe dem nichts hinzuzufügen, was ich gerade gesagt habe, nämlich dass wir während des informellen Treffens natürlich zu Mittag essen und eine Bewertung der Lehren, die wir aus dem Gipfel in Kopenhagen ziehen wollen, vornehmen werden. Zu diesem Zeitpunkt wird dann jeder die Möglichkeit haben, seine Kommentare abzugeben, seine Meinung deutlich zu äußern und natürlich auch zu sagen, was man in Zukunft tun sollte.

Merkel: Ich meine, die Lage hat sich natürlich in einer Hinsicht zum Positiven gewendet: Auch Länder wie China und Indien haben im Gegensatz zum Abkommen von Kyoto, nach dem sie gar keine Verpflichtungen hatten, inzwischen für die Zukunft angeboten, wenn auch nicht bindende, so doch Verpflichtungen anzunehmen. Damit ist der Kreis derer, die im Sinne der Bekämpfung des Klimawandels betroffen sind, größer geworden. Das können Sie so herum oder so herum sehen: Entweder sagen wir „Europa hat es noch nicht geschafft, diese Länder so in bindende Verpflichtungen einzubeziehen, wie wir uns das vorstellen“ oder wir sehen es positiv und sagen „Europa hat es durch sein starkes Engagement für den Klimaschutz immerhin geschafft, dass auch die aufstrebenden Ökonomien oder Länder jetzt bereit sind, sich mit dem Thema auch in Form zukünftiger Verpflichtungen auseinanderzusetzen“. Daran muss weitergearbeitet werden, aber ohne Europa wäre das mit Sicherheit nicht passiert.

Frage: Herr Van Rompuy, Ihre Nominierung ist in Deutschland und in anderen Ländern nicht mit großer Begeisterung und mit etwas Überraschung aufgenommen worden. Haben Sie das Gefühl, dass sich das bessern wird?

Merkel: Ich will vorweg sagen: Von mir ist sie mit großer Zustimmung aufgenommen worden!

van Rompuy: Es gibt im Französischen einen wunderbaren Ausdruck: Niemand muss unbedingt enthusiastisch sein! Ich muss sagen, dass ich nicht jemand bin, der immer nur von guten Absichten spricht. Ich bin auch nicht jemand, der sich von Emotionen leiten lässt, sondern ich bin daran interessiert, dass wirklich Ergebnisse auf den Tisch gebracht werden. Wer weiß, vielleicht werden Sie sehen, dass man am Ende dieser Zeit auch enthusiastischer in Bezug auf mich sein kann!