Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten der Republik Lettland, Valdis Dombrovskis

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

Präsident Dombrovskis: Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte mich zuerst bedanken: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie hier in Lettland sind. Ich denke, das ist ein sehr wichtiges Zeichen und ein Signal für die Beziehungen zwischen Lettland und Deutschland. Wir hatten sehr viele Fragen angesprochen, und zwar bezüglich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern, mögliche Investitionen in Lettland wurden angeschnitten und der Frau Bundeskanzlerin ist eine Übersicht über mögliche Investitionsmaßnahmen gegeben worden.

Es sind auch verschiedene Themen bezüglich der EU angesprochen worden, darunter auch die Fragen der Agrarwirtschaft und der Direktzahlungen. Auch die Kohäsionspolitik und die Zukunft der Kohäsionspolitik wurde angesprochen. Desweiteren hat auch das Thema Energiewirtschaft eine Rolle gespielt. In diesem Zusammenhang haben wir über die Möglichkeit diskutiert, die energetische Abhängigkeit der baltischen Länder zu mindern, zu einer größeren Unabhängigkeit zu kommen und zur Integration des Energiemarktes hier im Baltikum beizutragen.

Letztlich haben wir auch noch lettisch-russische und europäisch-russische Themen angesprochen.

Bundeskanzlerin Merkel: Ich möchte mich für die herzliche Begrüßung und den herzlichen Empfang hier in Lettland im Namen der ganzen Delegation ganz besonders bedanken. Wir sind sehr gerne hierhergekommen. Riga ist eine wunderschöne Stadt, was man an einem Tag wie heute besonders gut sieht. Ich freue mich, dass ich nachher auch noch den Dom und einiges andere besichtigen und somit auch noch einen persönlichen Eindruck mit nach Hause nehmen kann. Ich war das letzte Mal in Riga, als hier NATO-Gipfel war; da hat man eher Zäune gesehen als die schönen Denkmäler. Insofern ist das jetzt eine gute Gelegenheit.

Wir haben hier heute über die bilateralen Beziehungen gesprochen, die sehr gut und sehr freundschaftlich sind. Wir arbeiten sehr eng zusammen. Wir sind aber zu der gemeinsamen Überzeugung gekommen, dass gerade die wirtschaftlichen Kontakte noch intensiviert werden könnten. Ich habe die angesprochene Liste mit Vorschlägen für Kooperationsprojekte in der Tat gerne aufgenommen. Wir haben heute Nachmittag ja noch ein Wirtschaftsforum, auf dem wir auch dafür werben werden. Wir haben auch gesagt, dass der Wirtschaftsminister herzlich eingeladen ist, nach Deutschland zu kommen, um mit unserem Wirtschaftsminister über wirtschaftliche Kooperation zu sprechen ‑ gegebenenfalls auch mit der Forschungsministerin über Kooperationen im Wissenschaftsbereich, denn das ist ja auch die Grundlage für die weitere wirtschaftliche Entwicklung.

Ich möchte der lettischen Regierung meine Hochachtung aussprechen, was die Bewältigung der Krise und die Umsetzung der verschiedenen Reformschritte, um wieder zu einem geringeren Staatsdefizit zu kommen, anbelangt. Lettland und Deutschland sind der gemeinsamen Auffassung, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Europäischen Union die richtige Grundlage ist, um eine enge wirtschaftliche Kooperation in der Europäischen Union zu haben, um die Chancen des Binnenmarktes auszunutzen und um vor allen Dingen auch die Weichen in die Zukunft unserer Länder richtig zu stellen.

Wir haben sehr intensiv über die Energiezusammenarbeit gesprochen. Hier ist es so, dass die einseitigen Abhängigkeiten sicherlich nicht gut sind. Vor allen Dingen ist es aber auch so, dass Lettland genauso wie andere baltische Staaten noch sehr schlecht in den europäischen Energiemarkt integriert ist. Deutschland stellt den Kommissar für Energiefragen in der Europäischen Kommission, der sich genau dieser Integration und der Schaffung eines Energiebinnenmarktes angenommen hat. Wir werden außerdem im Februar 2011 einen Energierat auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs haben. Dieser Energierat muss sehr gut vorbereitet werden. Dort muss dann klar werden, wie die Zukunft einer höheren Integration und Vernetzung der europäischen Stromnetze, aber auch der Gaspipelines und ähnlicher Dinge aussieht.

Wir haben natürlich auch über das Verhältnis zu Russland gesprochen. Deutschland ist immer daran interessiert, dass wir auf der einen Seite als die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eng zusammenarbeiten und dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen. Wir sind aber auch daran interessiert, dass wir gute, verlässliche Beziehungen zu Russland aufbauen. Wie ich gelernt habe, kümmert man sich in Lettland in der Grenzregion sehr intensiv darum.

Wir werden auch in der nächsten Zeit sehr eng miteinander zusammenarbeiten. Ich bedanke mich noch einmal ganz herzlich, dass wir hier sein können und dass wir uns hier wohlfühlen dürfen.

Frage: Frau Merkel, wie sehen Sie die Frage der Eurozone und der Erweiterung der Eurozone im Kontext der Griechenland-Krise?

Merkel: Ich sehe das so, dass die Griechenland-Krise damit nichts direkt zu tun hat. Ein Land, das der Eurozone beitreten möchte und die Kriterien erfüllt, kann das tun. Entscheidend ist also die Erfüllung der Kriterien. Sie haben am Beispiel von Estland, das ab 2011 Mitglied der Eurozone sein wird, gesehen, dass wir genau nach diesen Vorgaben verfahren. Der Beitrittsantrag Estlands ist ja entschieden worden, nachdem wir schon von der Griechenland-Krise wussten. Die Überprüfung der Kriterien durch die Europäische Zentralbank und danach der Beschluss des Ecofin-Rates geschehen also völlig unabhängig. Das ist ein ganz transparentes Verfahren, das rein auf wirtschaftlichen Fakten basiert.

Frage: Frau Merkel, Sie haben gesagt, dass die EU-Länder in ihrer Wirtschaftsleistung sehr unterschiedlich seien. Wie ist das mit Lettland? Sehen Sie im Fall von Lettland als einem kleineren Land, das im Moment relativ arm ist, die Möglichkeit, dass die Zahlungen an die Landwirte erhöht werden?

Merkel: Wir leben ja in der augenblicklichen finanziellen Vorausschau, die bis 2013 reicht. Wir haben über dieses Thema gesprochen. Der Ministerpräsident hat deutlich gemacht, dass die lettischen Landwirte und auch Lettland insgesamt nicht zufrieden sind mit der Aufteilung der Agrarmittel und insbesondere der Aufteilung der Direktzahlungen zwischen denjenigen Ländern, die schon länger Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, und solchen, die das noch nicht so lange sind. Ich glaube, dass wir in Richtung der nächsten finanziellen Vorausschau, also für die Zeit nach 2013, dieses Thema natürlich besprechen werden müssen. Wenn ich lettischer Premierminister wäre, würde ich genauso argumentieren wie Herr Dombrovskis das tut. Das wird einer der Gegenstände sein, über die wir eine Diskussion führen werden. Die Verhandlungen über die finanzielle Vorausschau ab 2014 müssen in der nächsten Zeit geführt werden und sie werden sehr kompliziert werden. Wir wissen aber um das Interesse nicht nur Lettlands, sondern auch Polens und anderer neuer Mitgliedstaaten. Hier kommen also harte Verhandlungen auf uns zu.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gibt im deutschen Blätterwald und vonseiten der Opposition sehr viel Kritik an dem Kompromiss über die Laufzeiten von Atomkraftwerken. Es heißt, ein zu großer Teil der Gewinne würde in den Kassen der Betreiber verbleiben. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Auf der anderen Seite erheben die Stadtwerke heute die Forderung auf Ausgleichszahlungen und sagen, sie bräuchten 4,5 Milliarden Euro, um die Verluste, die dadurch entstehen, dass sie investiert haben, auszugleichen. Was sagen Sie zu diesen Forderungen?

Merkel: Wir haben uns ja sehr genau mit den Fragen befasst, wie wir Zahlungen aus den Gewinnen der EVUs für erneuerbare Energie abschöpfen. Die Zahlen, die jetzt in Umlauf sind, werden von uns so nicht bestätigt. Wir werden Ihnen die richtigen Zahlen noch einmal in entsprechender Weise nachliefern. Ich glaube, dass mit den Elektrizitätsversorgungsunternehmen wir einen Kompromiss gefunden haben, der deutlich macht, dass sie einen großen Teil ihrer Gewinne entweder als Steuern zahlen müssen oder aber für die (Förderung der) erneuerbaren Energien abgeben. Das ist nach unserer Einschätzung mehr als die Hälfte.

Was den zweiten Punkt betrifft: Wir werden mit den Stadtwerken natürlich im Gespräch bleiben. Ich glaube, wenn sich die Stadtwerke das Gesamtenergiekonzept anschauen, das zurzeit viel zu stark aus dem Blickwinkel der Kernenergie und viel zu wenig aus dem Blickwinkel der Förderung von erneuerbaren Energien diskutiert wird, dann werden sie sehen, dass es da eine faire Lastenverteilung gibt. Ich glaube, dass wir da sehr gut vorankommen werden.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Lettland hat ja einen Sparkurs wie eigentlich kein anderes Land in Europa hingelegt. Sind konkrete Schritte vereinbart worden, wie man diesem Land jetzt helfen kann, wirtschaftlich wieder nach vorne zu kommen? Ist in den Gesprächen auch ein Aspekt gewesen, dass diese Regierung sehr mutig darin war, was sie ihrem Volk auch zugemutet hat? Schaut man auch ein bisschen, ob man davon etwas auf Deutschland übertragen kann?

Merkel: Ich habe dem Ministerpräsidenten immer wieder meine Hochachtung für den sehr stringenten, klaren Kurs ausgesprochen, den Lettland in den letzten Monaten gegangen ist. Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon, was das für die Menschen in diesem Land bedeutet. Ich glaube, dass die Regierung es geschafft hat, mit den Menschen auch ein Stück weit zu besprechen, dass es für Lettland keine vernünftige Alternative dazu gibt, diesen Weg miteinander zu gehen.

Genau deshalb haben wir auch darüber gesprochen, wie wir sowohl im Energiebereich, was ja sozusagen die Grundlage für eine wirtschaftliche Entwicklung ist, als auch in der Kooperation von Wissenschaft und Unternehmen die Beziehungen noch enger gestalten können. Das ist der Grund, warum wir hier heute ein Wirtschaftsforum haben; denn hier sind vielleicht noch nicht ausreichend viele deutsche Unternehmen präsent. Wir können das als Regierung natürlich nicht befehlen, aber wir können das durch eine gute politische Rahmensetzung deutlich machen. Das hat auch einen großen Teil unserer Gespräche ausgemacht. Wenn der lettische Wirtschaftsminister jetzt noch einmal nach Deutschland kommt und wenn die Wissenschaftskooperation gestärkt wird, dann sind das, glaube ich, wichtige deutsche Hilfen, die wir leisten.

Ansonsten möchte ich wirklich alle Hochachtung für das aussprechen, was hier in Lettland von der Regierung geleistet wurde. Wir sind froh, dass die Talsohle durchschritten ist und dass es jetzt auch erste Anzeichen für Wachstum gibt. Das wird sich natürlich auch auf den Arbeitsmarkt auswirken.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie fragen, ob Sie eigentlich wissen, dass der Name Merkel in Lettland ein ganz besonderer Name ist. (Garlieb Helwig Merkel) war nämlich im 18. und 19. Jahrhundert der größte deutsche Aufklärer in Lettland, der Lettland mit dem Buch „Die Letten“ als erster in ganz Europa bekanntgemacht hat. Ich glaube, die Letten sollten (wissen), dass Sie den Namen des großen Aufklärers tragen. Das sollte bei der Entwicklung der bilateralen Beziehungen auch eine große Hilfe sein.

Merkel: Danke schön, das habe ich bislang noch nicht gewusst. Dann werde ich mich einmal für das Buch „Die Letten“ interessieren.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, was die deutsch-russische Zusammenarbeit auf dem Energiesektor angeht, hat es ‑ gerade aus dem Baltikum ‑ immer wieder sehr kritische Stimmen gegeben. Spüren Sie das heute noch in Ihren Gesprächen mit den Vertretern hier, oder sind diese Irritationen mittlerweile ausgeräumt?

Merkel: Ich bin inzwischen so lange Bundeskanzlerin, dass ich das nicht mehr spüre. Wir haben viel dafür getan, dass wir Irritationen abbauen konnten, die vor meiner Zeit entstanden sind. Ich glaube, dass das Vertrauen gewachsen ist, dass wir wirklich eine gemeinsame Energiepolitik machen wollen, die nicht über irgendwelche Länder hinweggeht. Eine Entscheidung, die ich sehr befördert habe, nämlich dass Deutschland den Energiekommissar stellt, hat auch genau damit etwas zu tun; denn ich glaube, dass Deutschland sehr wichtig sein kann, wenn es darum geht, Vertrauen (zu schaffen) ‑ gerade mit Blick auf die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten und die Beziehungen Russland. Das wollen wir durch unsere Arbeit einfach auch deutlich machen.

Dombrovskis: Das möchte ich gern von meiner Seite aus ergänzen. Es war wirklich eines der wichtigsten Themen, die wir in unserem heutigen Gespräch angeschnitten hatten, wie wir die Abhängigkeit in der Energieversorgung mindern können und wie wir die Querverbindungen nach Schweden und zu anderen EU-Ländern verbessern können. Das Paket zur Bewältigung der Krise war ja eine der finanziellen Quellen für die Stromleitung nach Schweden, für die wir sehr dankbar sind. Das ist eine der Möglichkeiten, wie man diese Themen behandeln kann. Wir hatten letzte Woche auch Herrn Oettinger hier in Riga zu Besuch und haben uns mit ihm darüber unterhalten, wie wir die Abhängigkeit im Gasbereich mindern können; denn im Moment sind wir zu 100 Prozent von Gazprom abhängig. Auch darüber laufen Gespräche mit der EU und mit einzelnen europäischen Staaten. Das Hauptproblem ist bei diesen Themen natürlich immer die Finanzierung der Projekte. Da ist die EU-Unterstützung natürlich immer wichtig.