Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel, Bundesfinanzminister Schäuble und Professor Issing nach dem Gespräch mit der Expertengruppe "Neue Finanzmarktarchitektur"

Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel, Bundesfinanzminister Schäuble und Professor Issing nach dem Gespräch mit der Expertengruppe "Neue Finanzmarktarchitektur"

in Berlin

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Donnerstag, 4. November 2010

BK'IN MERKEL: Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich möchte mich ganz herzlich bei Herrn Professor Issing und seinen Mitstreitern dafür bedanken, dass sie uns nun, glaube ich, schon zum fünften Mal im Vorfeld der jeweiligen G20-Treffen mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Sie werden sich erinnern, dass wir jedes Mal mit guten Hinweisen, Ratschlägen und Bewertungen zu den jeweiligen G20-Treffen gereist sind, und so ist es auch dieses Mal wieder. So haben Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und ich heute mit der Gruppe „Neue Finanzmarktarchitektur“ über die wichtigen Themen des anstehenden G20-Gipfels gesprochen.

Die Gruppe hat einen Bericht verfasst, den Herr Professor Issing gleich auch noch einmal vorstellen wird, und hat sich vor allem mit der Frage befasst, wie Risiken auf den Finanzmärkten effektiv eingedämmt werden können und ‑ das war von Anfang an auch immer die gemeinsame Devise ‑ wie der Steuerzahler möglichst wenig einbezogen werden kann, sondern die Risiken von den Akteuren selbst getragen werden können.

Wir haben, glaube ich, und das können wir gemeinsam sagen, etliche Fortschritte erreicht. Wenn in Südkorea in Form von Basel III gerade auch die besseren Eigenkapitalanforderungen für die wichtigen Banken beschlossen werden, dann ist dies ein großer Fortschritt, der Risiken für die Zukunft auch geringer erscheinen lässt.

Wir haben seitens der Europäer und auch national in wichtigen Regulierungsfragen Fortschritte erzielt. Ich glaube, das, was noch aussteht, nämlich die Regulierung auch der Derivatemärkte, ist in der Europäischen Union auf einem guten Weg. Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe unterstützen diesen Weg auch ganz eindeutig.

Wir haben an einigen Stellen noch nicht die Fortschritte erreicht, die wir uns einmal gemeinsam vorgestellt hatten, wenn ich an den Risikoatlas denke, an die Landkarte möglicher Risiken. Diesbezüglich werden wir noch weiter arbeiten müssen, wenngleich sich das relativ schwierig darstellt.

Wir haben miteinander auch das Thema der sogenannten globalen Sicherheitsnetze diskutiert, die vor allem Schwellenländern bei einem plötzlichen Kapitalabfluss helfen sollen. Im Grundsatz wird die (Meinung in Bezug auf die) Entwicklung solcher Netze von der Expertengruppe geteilt. Allerdings wird darauf hingewiesen, was ich auch als einen wichtigen Hinweis empfinde, dass man nicht zu viele Risiken sozusagen „abpuffern“ darf, sondern dass immer wieder auch eigene Anstrengungen vorhanden sein müssen, um überhaupt nicht erst in so krisenhafte Situationen zu kommen.

Ich glaube, wir können sagen, wir sind bei der Schaffung einer globalen Finanzmarktarchitektur einige wichtige Schritte vorangekommen, aber es ist noch nicht die gesamte Arbeit getan. Ein Thema bleibt noch zu lösen, das wahrscheinlich auch in Korea noch nicht abschließend gelöst werden kann, nämlich wie wir mit systemischen Banken ‑ Sie kennen das Thema „too big to fail“ ‑ umgehen. Auch hieran muss weiter gearbeitet werden. Diesbezüglich sind wichtige Schritte gemacht worden, aber wir sind noch nicht am Ende.

Ich bedanke mich bei Professor Issing und den anderen Mitgliedern der Arbeitsgruppe ganz herzlich dafür, dass sie uns immer wieder sagen, wo wir stehen, und uns mit Sachverstand die Ratschläge geben, die sie mit ihrer eigenen Erfahrung verbinden. Das lässt uns motivierter nach Südkorea fahren und unsere Vorschläge dann auch noch intensiver durchsetzen. Herzlichen Dank!

PROF. ISSING: Es ist jetzt in der Tat zwei Jahre her, dass der erste G20-Gipfel ‑ damals in Washington ‑ stattgefunden hat. Auf Wunsch der Bundesregierung haben wir vor diesem ersten Gipfel die Beratertätigkeit aufgenommen und heute zum fünften Mal einen Bericht vorgelegt. Ich will uns jetzt nicht allzu sehr selbst loben, aber in dieser Zusammenarbeit ist, wenn man zurückblickt, doch vieles erreicht worden ‑ mehr, als man vielleicht zuerst in diesem Zeitraum für möglich gehalten hat. Aber wie die Bundeskanzlerin sagte, ist auch noch eine ganze Menge zu tun.

In diesem neuen Bericht, dem fünftem, haben wir uns auf zwei Aspekte konzentriert, zum einen auf den Vorschlag, ein globales Sicherheitsnetz zu errichten. Wir sehen eine ganze Reihe von positiven Ansätzen, weisen aber auch darauf hin, dass es in der Welt keinen Liquiditätsmangel gibt und dass es keinen Grund gibt, sozusagen immer neue Töpfe aufzumachen und noch mehr Liquidität zur Verfügung zu stellen. Der Vorschlag ist in der Hinsicht zu begrüßen, als er klarmacht, dass Stabilität zuhause mit guter Wirtschaftspolitik und einem stabilen Finanzsystem auf der Basis entsprechender Regulierung und strenger Aufsicht beginnt.

Bezüglich der systemischen Risiken haben wir im ersten Teil unseres Berichts noch einmal dargelegt, dass es das größte Versäumnis war, das in der Finanzmarktkrise offenbar geworden ist, dass über das systemischen Risiko ‑ das heißt, den Beitrag eines einzelnen Instituts aufgrund seiner Größe oder seiner Vernetzung ‑ Risiken für das Gesamtsystem geschaffen werden können. Dieser Punkt muss überwunden werden, indem Einzelinstitute gezwungen werden, einen Beitrag zum systemischen Risiko in ihr eigenes Kalkül aufzunehmen. Dazu diente der Vorschlag einer Bankenabgabe. Er ist in dieses Restrukturierungsgesetz aufgenommen worden und geht auf dem Gesetzeswege voran.

Dazu gehört auch die Frage, wie man systemisch relevante Banken vernünftig abwickelt, indem man zum einen im Krisenfall Geschäfte, die für das System wichtig sind, in eine weiter zu führende Bank ‑ eine „good bank“ ‑ auslagert, und auf der anderen Seite den Rest der Bank abwickelt, indem Kreditgeber bzw. Eigenkapitaleigner zunächst einmal zur Kasse gebeten werden und der Steuerzahler nach Möglichkeit verschont bleibt. Aber dieses Problem des „too big to fail“ ist sicherlich noch nicht befriedigend angegangen worden, weil das ein Problem ist, das im Grunde nur durch die Kooperation der wichtigsten Finanzzentren zu lösen ist.

Wir haben noch einmal betont, und das wird wohl in Seoul aufgegriffen und wohl auch verabschiedet werden ‑ das befindet sich in den großen Zentren auch schon im Gesetzgebungsverfahren ‑, dass (es darum geht, dass) Transparenz auf den Märkten geschaffen wird, die bisher vor allem „over the counter“ gingen, dass die Derivate soweit wie möglich über zentrale Clearingstellen abgewickelt werden und dass dort, wo es nicht möglich oder vernünftig ist, zumindest eine Registrierungspflicht, eine Berichtspflicht, eingeführt wird, damit man einen Überblick darüber hat, wo diese Geschäfte getätigt werden, wie hoch der Umfang ist und wo die Papiere letztlich landen.

Wichtig ist natürlich ‑ die Kanzlerin hat es schon angesprochen ‑, dass man auch über die entsprechenden Daten verfügen muss. Das stellt nach wie vor eine große Lücke dar. Das ist technisch sehr schwierig und ein sehr mühseliger Weg. Es geht dann weiter darum, die Daten auch auszuwerten. Hierbei hat man in Europa große Fortschritte gemacht. Zum einen wird ja in der Beurteilung des makroökonomischen Risikos im Januar des nächsten Jahres das europäische systemische „Risk Board“, das unter der Ägide der Europäischen Zentralbank arbeiten wird, seine Arbeit aufnehmen. Davon ist zu erwarten, dass wir einen wesentlich besseren Überblick über makroökonomische Risiken bekommen werden. Außerdem werden im Januar des nächsten Jahres diese drei Agenturen ihre Arbeit aufnehmen, sodass auch die Aufsicht in Europa besser koordiniert werden wird. Das sind, denke ich, im Augenblick die wichtigsten Dinge, die alles in allem auf gutem Wege sind.

BM SCHÄUBLE: Ich will vielleicht, wenn ich darf, nur die Bemerkung hinzufügen ‑ ich habe es heute schon einmal in anderem Zusammenhang vor Journalisten gesagt ‑, dass wir in der öffentlichen Debatte immer das Problem haben, dass wir uns kaum noch mit Ereignissen beschäftigen, sondern nur noch spekulativ mit künftigen Ereignissen beschäftigen. Deswegen gilt: Der G20-Gipfel hat eine Menge bewirkt.

Wir dürfen über das Problem der systemischen Banken, das noch nicht zur Zufriedenheit gelöst ist, nicht übersehen, dass wir mit Basel III im Kern dieser Bereiche natürlich größere Fortschritte erzielt haben, als die allermeisten vor zwei Jahren für denkbar gehalten hätten. Ohne den Druck, dass man zum G20-Gipfel in Seoul Ergebnisse vorlegen muss, wäre das nicht erreicht worden. Wir erzielen auch im europäischen Bereich ‑ auch bei den Finanzministern, in der Taskforce oder ähnlichen Runden ‑ gelegentlich Ergebnisse, weil wir wissen: Es kommt ein Europäischer Rat auf uns zu, und dafür brauchen wir entsprechende Ergebnisse. Basel III ist also ein Riesenschritt, und Basel III wäre ohne den Druck, die Ergebnisse zu benötigen ‑ sie werden letzten Endes auch erst auf dem Gipfel verbindlich beschlossen werden ‑, nicht erreicht worden.

Um nur ein kleineres Beispiel zu nennen: Wir hatten in Europa eine ziemlich intensive Debatte ‑ auch im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens zwischen Rat, Kommission und Parlament ‑ über die Frage der Regulierung der alternativen Finanzinvestoren, die sogenannte AIFM-Richtlinie. Es war klar: Wir können die Staats- und Regierungschefs nicht nach Seoul fahren lassen, ohne vorher eine Lösung zu haben. Deswegen haben wir im Ecofin-Rat vor drei Wochen ‑ das war am Rande dieser Tagung, und ein Tag zuvor waren in Deauville die großen Fortschritte für die Taskforce und, dann im Ergebnis, für den Europäischen Rat erzielt worden ‑ auch danach gefragt: Wann wollen wir denn ein Ergebnis erzielen, wenn wir einig sind, dass wir in Seoul als Europäer eine Position haben müssen?

Das heißt, der Gipfel hat sich durch das, was er bewirkt hat, schon jetzt als ein wichtiger Schritt zur Lösung der Probleme erwiesen. Dieser Prozess wird weitergehen. Es ist aber nicht so, dass in den zwei Jahren, die wir diesen G20-Prozess nun haben, nicht eine Menge an Konsequenzen aus dem Desaster vor zwei Jahren gezogen worden ist.

FRAGE: Frau Merkel, wird das Problem der großen, systemisch relevanten Banken in Seoul wenigstens auf globaler Ebene andiskutiert? Gibt es da inzwischen Modelle? Wann wird man mit diesem Thema letztendlich eine Lösung auf multilateraler Ebene in der G20 finden können? Ist man schon so weit, auch die Versicherungen dezidiert in die Problembenennung und die Problemlösung einzubeziehen?

BK'IN MERKEL: Es gibt dazu einen Bericht des FSB, der sozusagen noch einen ganzen Kranz von Möglichkeiten eröffnet. Wir werden hier, denke ich, im Laufe des Jahres 2011, also während der französischen Präsidentschaft, noch weiterkommen. Andiskutiert wird dieses Thema also, und es wird auch auf der Tagesordnung stehen ‑ insbesondere auf der Tagesordnung der Finanzminister, weil diese den FSB-Bericht natürlich noch sehr viel intensiver auswerten werden. Wir gehören sozusagen zu denen, die da immer etwas Druck machen. In Toronto ist dieser FSB-Bericht avisiert worden und er kommt auch; es ist aber noch nicht so, dass man daraus unmittelbar die eineindeutigen politischen Schlussfolgerungen ziehen kann. Wir werden also weiter daran arbeiten, ich bin da aber optimistisch.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, Herr Professor Issing hat von der Kooperation der Finanzzentren gesprochen, die nötig sein wird. Was ist denn Ihr Eindruck, speziell auch nach den Wahlen in den USA? Werden Regelungen wie Basel III dort umgesetzt werden und reicht Ihnen die Kooperation aus?

Wenn ich noch eine zweite Frage stellen darf, die angesichts der neuen Zahlen der Steuerschätzung viele Kollegen interessiert: Bleiben Sie bei Ihrer Position, dass im Moment kein Platz für Steuersenkungen ist?

BK'IN MERKEL: Was die Kooperation der Finanzzentren anbelangt, so ist vieles sehr viel besser geworden. Ich habe auch den Eindruck, dass es beim amerikanischen Präsidenten und beim amerikanischen Finanzminister den festen politischen Willen gibt, die Basel-III-Richtlinie umzusetzen. Das waren harte Verhandlungen, bei denen wir nie den Eindruck hatten, dass sie geführt werden, damit das nicht umgesetzt; vielmehr liegt das in der Verantwortung aller. Man darf auch nicht vergessen: Die amerikanische Regierung, der amerikanische Präsident hat ‑ nicht immer unter lautem Beifall der Finanzinstitutionen ‑ doch ein wichtiges Regelwerk auf den Weg gebracht. Das war, glaube ich, eine gewaltige Kraftanstrengung. Daher können wir, glaube ich, sagen, dass das, was auf den G20-Gipfeln versprochen wird, auch politisch umsetzbar ist.

Was die Steuerschätzung anbelangt ‑ der Bundesfinanzminister hat dazu bereits Stellung genommen, ich heute an anderer Stelle auch schon ‑, will ich Folgendes sagen: Was wir jetzt haben, sind Werte, die über dem liegen, was sehr kritische Prognosen in Zeiten einer dramatischen Wirtschaftskrise gesagt haben. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir im Jahre 2012 schon wieder die Niveaus von 2008 erreicht haben werden ‑ der Bund jedenfalls nicht. Das heißt also, wir haben erst einmal weiterhin die massive Aufgabe, die Schuldenbremse einzuhalten. Ich beteilige mich ja im Augenblick an den Haushaltsberatungen des Jahres 2011. Da haben wir doch erhebliche Anstrengungen zu unternehmen; wir werden es aber schaffen, die Schuldenbremse einzuhalten, genauso wie in der mittelfristigen Finanzplanung. Die Aufgaben werden also große Aufgaben bleiben.

Wir haben dann vor, die Steuervereinfachung ‑ also die Erleichterung des Umgangs mit dem deutschen Steuerrecht ‑ in einigen Bereichen voranzutreiben. Ich glaube, das ist eine gute Nachricht. Auch hierzu werden wir erste Schritte auf den Weg bringen. Insofern sind wir, glaube ich, im Augenblick ausreichend gefordert. Dabei habe ich noch nicht davon gesprochen, welche Erwartungen mir und dem Finanzminister entgegenschlagen, wenn wir uns die Situation der Kommunalfinanzen anschauen.

Ich sage also: Bei der Steuervereinfachung werden wir einige Schritte gehen. Haushaltskonsolidierung ist aber die absolute Priorität. Das wird uns auch im Jahre 2011 begleiten.

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