Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Anders Fogh Rasmussen heute in Berlin ist. Er ist nicht zum ersten Mal hier, wird bei uns heute aber als Nato-Generalsekretär begrüßt. Wir kennen uns bereits aus der früheren Zusammenarbeit in seiner Eigenschaft als dänischer Ministerpräsident. Deshalb waren die Gespräche heute auch sehr direkt und sehr konstruktiv.

 

Zuerst möchte ich Anders Fogh Rasmussen zu seinem guten Start in das neue Amt gratulieren und möchte auch deutlich machen, dass wir seinen Ansatz, als starke, energische, umsichtige Führungspersönlichkeit die Allianz der Nato voranzubringen, unterstützen wollen und auch unterstützen werden.

 

Wir haben uns über die wesentlichen sicherheitspolitischen Fragen ausgetauscht. Natürlich war im Zentrum unseres Gesprächs das Thema Afghanistan. Wir laufen sozusagen auf eine neue Phase des Engagements der Nato, aber auch der Isaf-Truppen insgesamt in Afghanistan hin. Wir wissen, dass die amerikanische Seite neue Anstrengungen unternehmen will, was Präsident Obama in der nächsten Woche in einer Rede ankündigen wird. Sie wissen, dass Deutschland, Frankreich und Großbritannien den Wunsch geäußert haben, dass wir eine Afghanistan-Konferenz UN-seitig und auch unter Beteiligung der afghanischen Regierung durchführen. Diese Konferenz soll am 28. Januar in London stattfinden.

 

Das sind sozusagen Schritte in eine neue Phase, die wir in Deutschland gerne als eine Strategie der Übergabe in Verantwortung bezeichnen. Das heißt, es soll eine schrittweise Übertragung von Verantwortlichkeiten auf die afghanische Regierung stattfinden, und zwar natürlich unter Anwendung des Konzepts der vernetzten Sicherheit, also in dem Bewusstsein, dass militärische Maßnahmen notwendig sind, aber mitnichten ausreichen, um Afghanistan wirklich zu einer selbsttragenden Sicherheit zu verhelfen. Hier gibt es eine große Einigkeit zwischen uns, dass dies der richtige Ansatz ist.

 

Wir werden in Deutschland über die Frage, ob und welche zusätzlichen Aktivitäten wir übernehmen - insbesondere auch im Blick auf Ausbildung -, nach der Afghanistan-Konferenz entscheiden. Dennoch werden wir in der nächsten Woche natürlich auch zu dem, was andere Partner vielleicht schon zu einem früheren Zeitpunkt festlegen, Stellung nehmen. Wir haben darüber gesprochen, dass wir in den nächsten Wochen - von dem Außenministertreffen der Nato in der nächsten Woche bis hin zu der Afghanistan-Konferenz - intensiv zusammenarbeiten werden und uns beständig austauschen werden.

 

Wir haben natürlich auch über das strategische Konzept gesprochen, das die Nato ausarbeitet. Ich wünsche dem Generalsekretär hier eine gute Hand; denn dieses strategische Konzept, das wir im Herbst 2010 in Lissabon verabschieden wollen, wird die Richtung für den Ansatz der Nato in der Zukunft vorgeben. Wir sind uns natürlich bewusst, dass der Afghanistan-Einsatz so etwas wie ein Beweis für die Handlungsfähigkeit der Nato ist. Deshalb wird Deutschland mit großer Verantwortlichkeit seine Entscheidung fällen.

 

GS Rasmussen: Vielen Dank! - Die Bundeskanzlerin und ich haben ein sehr positives, sehr konstruktives Treffen gehabt. Es ist mir eine große Freude, heute wieder einmal in Berlin zu sein, und zwar jetzt in meiner neuen Eigenschaft als Generalsekretär der Nato. Ich habe mich schon immer - auch in meiner alten Eigenschaft als Ministerpräsident Dänemarks - sehr gerne mit der Bundeskanzlerin zusammengearbeitet. Ich freue mich darauf, diese positive Zusammenarbeit mit ihr jetzt als Generalsekretär der Nato fortsetzen zu können.

 

Zunächst möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um Ihnen gegenüber deutlich zu machen, wie dankbar ich bin für die nachdrückliche Unterstützung, die Deutschland der Nato, dem Atlantischen Bündnis, zukommen lässt. Wir wissen, dass Deutschland, dass das deutsche Volk einen wichtigen Beitrag, einen deutlichen Beitrag zur Arbeit und zu den Missionen und den Operationen des Bündnisses im Balkan leistet. Last, but not least ist auch der wesentliche Beitrag zu unserer Mission in Afghanistan zu nennen. Der Norden Afghanistans ist ein strategisch bedeutsamer Bereich. Ich begrüße auch die Tatsache, dass die Bundesrepublik so viel im Bereich des Lufttransport leistet - im Auftrag aller und für alle Bündnispartner. Auch das ist Ausdruck der Solidarität im Bündnis.

 

Unser Einsatz, unsere Mission in Afghanistan ist natürlich im Moment die höchste Priorität. Nächste Woche werden wir eine neue Phase hinsichtlich unseres Einsatzes in Afghanistan einleiten. Wichtige Entscheidungen werden gefällt werden. Der amerikanische Präsident wird zusätzliche Beiträge seitens der Vereinigten Staaten von Amerika ankündigen. Wir werden dann Ende der Woche ein Außenministertreffen auf Nato-Ebene abhalten. Natürlich wird dieses Thema dann das Hauptthema auf unserer Tagesordnung sein.

 

Unser Ziel bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte ist, dass wir die Führungsverantwortlichkeit schrittweise an die Afghanen übergeben können. Deshalb müssen wir noch mehr Soldaten und Polizisten in Afghanistan ausbilden, und deshalb ist es auch so wichtig, dass unsere Trainingsmission, unsere Ausbildungsmission vorankommt und Fortschritte macht. Ich möchte dringend an alle Bündnispartner appellieren, einen Beitrag zu unserer Ausbildungsmission in Afghanistan zu leisten. Das ist letztendlich das, was unsere Menschen sehen wollen. Sie wollen Fortschritte vor Ort sehen. Fortschritte vor Ort würde bedeuten, dass man Provinz für Provinz, Distrikt für Distrikt Verantwortung an die Afghanen übergibt, und zwar in dem Maße, in dem sie ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln.

 

Oft werde ich von den Menschen gefragt: Wann ist eigentlich die Mission in Afghanistan zu Ende? Auf diese Frage gibt es nur eine klare Antwort: Die Mission ist zu Ende, wenn die Afghanen in der Lage sind, ihre eigene Sicherheitslage zu kontrollieren und ihr Land zu regieren. Deshalb sollten wir jetzt mehr in den Übergang investieren, damit wir zunehmend Verantwortung an die Afghanen übergeben können. Ich hoffe sehr, dass alle Bündnispartner ihren Teil dazu beitragen werden und dass alle zusätzliche Truppen und zusätzliche Mittel für die Mission in Afghanistan bereitstellen.

 

Wir werden sicherlich neue Bewegung erleben, was diese Mission anbetrifft: mehr Soldaten, ein neuer Ansatz; der Übergang zu einer Übernahme der Verantwortung durch die Afghanen; eine Verpflichtung seitens Präsident Karsais, die Korruption zu bekämpfen und die gute Regierungsführung zu verbessern. Das soll dann auf der Konferenz im nächsten Jahr bekräftigt werden. Wir haben auch gesehen, dass einzelne Staaten bereit sind, mehr Entwicklungshilfe zu leisten - Japan ist ein Beispiel, die EU ein weiteres. Insgesamt also werden wir den Anfang einer neuen Phase erleben, wir werden neuen Schwung erfahren.

 

Instabilität in Afghanistan - das müssen wir alle anerkennen - bedeutet aufgrund der Bedrohung durch den Terrorismus auch Instabilität für uns alle. Ich weiß, dass wir einen hohen Preis für diesen Einsatz in Afghanistan zahlen. Aber wenn wir nichts täten, dann hätten wir einen viel höheren Preis zu zahlen. Deshalb begrüße ich ausdrücklich die klare, entschlossene Haltung seitens der deutschen Regierung, ihren Teil beizutragen.

 

Frage: Frau Bundeskanzlerin, stehen Sie nach den Ereignissen des heutigen Tages noch zu Ihrem Minister Jung oder haben Sie ihm den Rücktritt nahegelegt?

 

Herr Generalsekretär, in welchem Maße betrifft die Diskussion über zivile Opfer die Nato insgesamt?

 

BK'in Merkel: Sie wissen, dass ich von Anfang an - auch in der Regierungserklärung Anfang September - gesagt habe, dass wir, wenn wir Vertrauen wollen, volle Transparenz haben müssen. Ich habe immer dafür Sorge getragen oder darauf gedrungen, dass es volle Aufklärung gibt. Insofern hat der jetzige Bundesverteidigungsminister natürlich meine volle Unterstützung, wenn er sozusagen das aufklärt, was vielleicht noch aufzuklären ist, und auch die notwendigen Konsequenzen trägt und vollzieht.

 

Der frühere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung wird noch heute Abend eine Erklärung abgeben. Ich habe natürlich volles Vertrauen zu ihm, dass er dies genau in dem gleichen Geiste machen wird, also in dem Geiste, dass Verantwortung in Afghanistan auch bedeutet, dass wir auf volle Transparenz dringen.

 

GS Rasmussen: Natürlich bin ich sehr beunruhigt angesichts der Zahl der zivilen Opfer. Ich weiß auch, dass unsere Truppen in Afghanistan alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um die Anzahl der zivilen Opfer so gering wie möglich zu halten. Dennoch muss ich unterstreichen, dass die große Mehrheit der zivilen Opfer durch die Taliban verursacht wird. Ich möchte unterstreichen, dass wir in Afghanistan sind, um die afghanische Bevölkerung zu schützen. Natürlich werden wir alles in unserer Macht stehende tun, um sicherzustellen, dass so wenig zivile Opfer wie möglich auftreten.

 

Frage: Eine Frage an Herrn Rasmussen: In der „New York Times“ stand heute, dass die Amerikaner 10.000 zusätzliche Truppen seitens der Verbündeten einfordern werden. Können Sie dazu etwas sagen? Ist Ihnen diese Zahl bekannt?

 

Eine weitere Frage: Das Weiße Haus hat gestern bekanntgegeben, dass die USA bis 2017 alle Truppen aus dem Land herausgeholt haben wollen. Glauben Sie, dass es sinnvoll ist, ein Datum zu setzen? Glauben Sie, dass bis 2017 alle ausländischen Truppen aus Afghanistan heraus sind?

 

GS Rasmussen: Lassen Sie mich zunächst sagen, dass es verfrüht wäre, zum jetzigen Zeitpunkt endgültige Entscheidungen hinsichtlich der konkreten Truppenzahl zu treffen. Ich kann aber bestätigen, dass ich zurzeit reise und mit Bündnispartnern im Kontakt bin, mit dem Ziel, sie zu drängen, ihren Beitrag zu unserer Mission in Afghanistan zu erhöhen. Meiner Meinung nach ist es von größter Bedeutung, dass eine Ankündigung seitens der Amerikaner, dass sie ihre Truppenzahl vor Ort in Afghanistan erhöhen wollen, von zusätzlichen Truppenbeiträgen seitens anderer Bündnispartner begleitet wird. Ich glaube aber, heute ist es noch ein bisschen zu früh, um über konkrete Zahlen zu sprechen.

 

Zu den Rückzugsterminen, den sogenannten „exit dates“: Davon sprechen wir nicht. Wir sprechen von einem Übergang, einer Übergabe der Verantwortung an die Afghanen. Sie sollen die die Verantwortung übernehmen können und in die Lage versetzt werden, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Wir werden so lange in Afghanistan bleiben, wie das nötig ist, bis wir unseren Auftrag erfüllt haben. Wir sind in Afghanistan, um uns vor dem Terrorismus zu schützen und um dafür zu sorgen, dass das Land nicht wieder zu einer Schutzzone für Terroristen wird. Wenn wir Afghanistan alleine ließen, dann könnte sich der Terrorismus sehr weit ausbreiten - über Zentralasien hinaus und bis zu uns. Das könnte auch Nachbarstaaten wie Pakistan - das eine Nuklearmacht ist - destabilisieren, was für uns alle sehr gefährlich wäre. Das ist der Grund, warum wir weiterhin entschlossen und engagiert bleiben, bis wir unseren Auftrag erfüllt haben.

 

Das heißt natürlich auch, dass wir nicht ewig dort bleiben werden. Wir wollen den Weg in die Zukunft aufzeigen. Das bedeutet, dass wir in zunehmendem Maße die Verantwortung an die Afghanen übertragen - in dem Maße, wie sie ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln. Ich bin nicht in der Lage, zu sagen, wann genau das der Fall sein wird. Das sollte sicherlich an Bedingungen geknüpft werden. Ich weiß auch: Je mehr wir jetzt in dieses Land investieren, umso früher werden wir diesen Zeitpunkt erreicht haben. Wir müssen also jetzt mehr tun, um später weniger tun zu können.

 

Frage: Frau Bundeskanzlerin, noch eine Frage zu den Vorfällen, die heute diskutiert werden: Haben Sie denn das Gefühl, dass Sie in der Vergangenheit immer ausreichend informiert worden sind?

 

BK'in Merkel: Ich sage es noch einmal: (Angesichts der) Informationen, die wir jetzt bekommen haben - das hat der Bundesverteidigungsminister heute auch gesagt -, wird man sich die Dinge sicherlich noch einmal anschauen müssen. Ich habe jedenfalls politisch das gesagt, was mir wichtig ist, nämlich dass volle Transparenz gegeben sein muss, damit Vertrauen in diesen Einsatz besteht. An diesem Satz bleibt alles richtig und er wird auch in der Zukunft genauso richtig sein wie in der Vergangenheit.