Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Premierminister von Rumänien, Emil Boc

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

PM Boc: Frau Kanzlerin Angela Merkel, verehrte Damen und Herren, es ist eine Ehre für uns, Sie hier in Rumänien als Gast zu haben. Ihr Besuch erfolgt in dem Jahr, in dem wir 130 Jahre seit der Gründung der diplomatischen Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland feiern. Wir begrüßen Ihre Anwesenheit hier in Rumänien; es ist Ihr erster Besuch seit dem Beitritt Rumäniens zur EU. Gleichzeitig bin ich froh, dass wir hier in Bukarest feststellen können, dass gute wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern bestehen. Die politischen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern erfreuen sich einer außerordentlichen Tradition. In diesem Rahmen möchte ich die wichtige Rolle der deutschen Minderheit in der Dynamik der Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland hervorheben.

Deutschland ist der erste wirtschaftliche Handelspartner Rumäniens und der drittgrößte Investor in Rumänien. Ende Juni 2010 wuchsen die Handelsbeziehungen zwischen Rumänien und Deutschland um 19 Prozent und betrugen 15,8 Milliarden Euro. Diese Daten sind höchst erfreulich. Davon ausgehend erklärten wir unser Interesse daran, dass weitere deutsche Investitionen in Rumänien getätigt werden. Wir hoffen, dass der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands den deutschen Unternehmern einen neuen Impuls geben wird, damit sie auch in Rumänien investieren.

Wir haben auch verschiedene Punkte besprochen, was die Möglichkeit der Ausdehnung der Beziehungen in puncto EU betrifft. Wir haben diesbezüglich über die Themen Energie, Umwelt und soziale Angelegenheiten gesprochen. Wir schätzen Deutschlands Unterstützung des deutschen Patrimoniums hier in Rumänien. Wir sind der Ansicht, dass dieses Vermögen hier weiter unterstützt werden muss, damit die Denkmäler, Sehenswürdigkeiten usw. der hiesigen deutschen Minderheit hervorgehoben und verbessert werden.

In politischer Hinsicht haben wir verschiedene Aspekte besprochen, zum Beispiel die Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum und Kontrollmechanismen im Justizbereich. Hier sind wir davon ausgegangen, dass sich Rumänien vollkommen bewusst ist, was seine Verpflichtungen bezüglich des Schutzes der Außengrenzen der EU sind, wenn Rumänien einmal Schengen-Mitglied wird. Darüber hinaus haben wir unseren festen Entschluss erörtert, im März 2011 in den Schengen-Raum aufgenommen zu werden ‑ selbstverständlich unter Einhaltung sämtlicher von der EU geforderten Bedingungen. Gleichzeitig habe ich angeführt, dass die Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum nicht aus politischen Gründen blockiert werden sollte, wenn die technischen Bedingungen als erfüllt gelten.

Für Rumänien ist Deutschlands Unterstützung der verschiedenen regionalen Politiken und Projekte sehr wichtig. Die Politik bezüglich des Schwarzen Meeres ist nur eines der Projekte, die wir entwickeln wollen und bei denen wir die Unterstützung Deutschlands brauchen.

Im Rahmen unserer Diskussion haben wir noch weitere Themen angesprochen, die auf der europäischen Tagesordnung stehen, wie zum Beispiel das Thema Energiesicherheit. Wir haben uns entschlossen, verschiedene Maßnahmen zu treffen, damit wir zur Sicherheit des Balkans und der gesamten Gegend beitragen. Nicht zuletzt begrüßen wir den Entschluss Deutschlands, angefangen mit dem 1. Januar 2011 den deutschen Arbeitsmarkt für die Rumänen zu öffnen.

Ich bedanke mich nochmals für die Anwesenheit der Frau Bundeskanzlerin hier in Bukarest und für den hier erwiesenen Pragmatismus in unserer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Mitarbeit. Ich bin mir sicher, dass unsere heutigen Diskussionen einen guten Hintergrund zur Konsolidierung unserer Zusammenarbeit darstellen werden.

BK´in Merkel: Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Boc, ganz herzlich für den freundlichen und freundschaftlichen Empfang bedanken, den Sie und Ihre Minister uns hier heute gegeben haben. Wir haben diesen Besuch, der mein erster ausschließlich bilateraler Besuch in Rumänien ist, genutzt, um unsere guten und intensiven Beziehungen noch weiter zu entwickeln und neue Felder der Kooperation abzustecken. Mein letzter Besuch hatte mit dem NATO-Gipfel im April 2008 zu tun. Ich freue mich natürlich, jetzt gut zwei Jahre später wieder in Bukarest zu sein.

Auch Rumänien ist durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise sehr stark getroffen gewesen und tut alles, um aus dieser Krise herauszukommen. Wir haben auch über die Abhängigkeiten der jeweiligen Entwicklung innerhalb des europäischen Binnenmarkts gesprochen. Deutschland hat durch seine Konjunkturmaßnahmen ‑ zum Beispiel durch die Abwrackprämie im vergangenen Jahr ‑ auch die Automobilproduktion in Rumänien sehr stark stabilisieren können. Das zeigt, dass wir in einer gegenseitigen Win-win-Situation sind.

Wir sind uns kulturell sehr verbunden. Es gibt diesbezüglich viele Aktivitäten. Ein Beispiel für eine feste Brücke zwischen Rumänien und Deutschland ist natürlich die deutsche Minderheit. Ich möchte mich beim rumänischen Staat ganz herzlich für die Unterstützung der deutschen Minderheit bedanken. Ich werde heute auch nach Klausenburg, nach Cluj fahren und dort an der Universität über die Rolle dieser Brücke sprechen. Ich werde gleich auch hier in Bukarest noch Vertreter der deutschen Minderheit empfangen.

Wir sind der Meinung, dass Rumänien seine Reformagenda weiter durchsetzen sollte. Das ist sicherlich nicht immer ganz einfach. Es gibt aber keine Alternative ‑ jedenfalls keine vernünftige Alternative ‑ zu transparenten, klaren Investitionsbedingungen und Rechtsbedingungen in Ihrem Land. Das wird den Handel und die Investitionen fördern. Deutschland hat daran ein massives Interesse, einfach auch weil wir zum Teil der wichtigste Handelspartner von Rumänien sind.

Die Reformen im Bereich von Justiz und Innerem werden zum Teil sehr mutig in Angriff genommen. Ich glaube, man ist noch nicht am Ende des Weges. Das EU-Monitoring ist dabei eine Hilfestellung, um zu wissen, an welcher Stelle sich Rumänien gerade befindet.

Wir unterstützen die Arbeiten zur Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum. Es wird dazu in der Europäischen Union im November eine Konsultation und eine Bewertung geben. Ich darf Ihnen zusagen, dass wir dies streng nach sachlichen Kriterien machen werden und uns dabei natürlich auf die Analysen der Europäischen Kommission verlassen.

Wir haben, was die Erwartungen deutscher Staatsbürger bezüglich der Restitutionsanträge anbelangt, noch einmal darüber gesprochen, dass dies möglichst zügig durchgeführt werden soll, wenngleich dabei zum Teil auch sehr schwierige Rechtsmaterien zu bearbeiten sind.

Was die unmittelbare Nachbarschaft anbelangt, so eint uns das Ziel, den Moldau-Transnistrien-Konflikt zu lösen. Ich glaube, dass Rumänien hierbei eine sehr wichtige Rolle spielen kann. Es sind auch schon erhebliche Arbeiten für die Unterzeichnung eines Grenzvertrages zwischen Moldawien und Rumänien vonstattengegangen. Ich glaube, auf diesem Weg sollte man weiter voranschreiten.

Insgesamt war dies also ein wichtiger Besuch, der auch dazu diente, uns gegenseitig näher kennenzulernen. Wir arbeiten in der Europäischen Union sehr intensiv in den verschiedenen Bereichen zusammen. Um diese Zusammenarbeit noch besser ausgestalten zu können, ist ein solcher bilateraler Besuch sehr hilfreich. Danke für Ihre Gastfreundschaft!

Frage: Frau Kanzlerin Merkel, glauben Sie, dass das Problem der Eingliederung der Roma-Minderheit und die Erfüllung der Bedingungen bezüglich der Korruption im Kontrollmechanismus der EU die Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum im März nächsten Jahres beeinträchtigen können?

Herr Boc, eine Frage im rumänischen wirtschaftlichen Kontext: Ist das Geschäftsklima in Rumänien weiterhin anziehend für die Deutschen? Haben Sie diesbezüglich irgendwelche Anzeichen seitens der deutschen Delegation bekommen?

BK´in Merkel: Die Frage, ob ein Land in den Schengen-Raum aufgenommen wird, richtet sich ja nach ganz klaren Kriterien. Dabei ist für uns der Angelpunkt: Sind wir uns sicher, dass die Vergabe von Schengen-Visa an den Außengrenzen Rumäniens ohne Korruption, ohne Illegalität erfolgt, geschieht das also alles nach Recht und Gesetz? Das ist eigentlich die wichtigste Frage, die wir stellen müssen, damit sichergestellt ist, dass nicht der gesamte Schengen-Raum von Illegalität betroffen sein könnte. Das ist unsere Betrachtung. Deshalb spielt die Frage der Integration der Roma in Rumänien keine Rolle bei der Frage: Wie sieht es aus mit der Eignung für Schengen? Hier geht es vielmehr wirklich um die Frage: Kann man sich sicher sein, dass an den Grenzen die notwendigen technischen und die personellen Voraussetzungen erfüllt sind, damit garantiert ist, dass dort alles nach Recht und Gesetz geschieht, so wie wir uns das für den Schengen-Raum vorgestellt haben? Das ist die einzige Frage, nach der das beurteilt wird.

PM Boc: Bezüglich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern sehen wir eine sehr gute Lage. Ich beziehe mich jetzt darauf, dass Deutschland unser hauptsächlicher Handelspartner und der drittgrößte Investor in Rumänien ist. Das ist unsere Ausgangslage. Was das Geschäftsklima und die Entwicklungen in diesem Bereich anbelangt, so wird Rumänien weiterhin verschiedene Projekte abwickeln, damit wir deutsche Investoren nach Rumänien bringen.

Ich möchte hier drei wichtige Maßnahmen nennen, die diesbezüglich eine Unterstützung darstellen: erstens die Beibehaltung der einheitlichen Einkommenssteuer von 16 Prozent, zweitens die Nichtversteuerung des neu investierten Profits und drittens die Einführung der staatlich-privaten Partnerschaften im Infrastrukturbereich, die die Verbesserung der Infrastruktur in Rumänien ermöglichen werden. Wir haben heute auch die Erweiterung dieser Bereiche besprochen, was Felder wie Energieinfrastruktur usw. anbelangt. Hier könnten wir private Investitionen von deutscher Seite in Rumänien sehen. Das könnten auch derartige Partnerschaften zwischen Staat und privaten Unternehmen sein. Wir haben gleichzeitig diskutiert, dass der rumänische Staat alles tut, um seinen Verpflichtungen nachzukommen, zum Beispiel was Schulden gegenüber deutschen Unternehmen anbelangt, die abgeglichen werden sollen, damit sie nicht zu einer Blockade führen.

Frage: Wenn ich genau an diesem letzten Punkt einhaken dürfte: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das Interesse der deutschen Seite an Investitionen in Rumänien unterstrichen und der Ministerpräsident hat das eindrucksvolle Volumen beschrieben; die öffentliche Hand hat aber Schulden in Höhe von rund 143 Millionen Euro bei deutschen Firmen ‑ auch im Infrastrukturbereich. Haben Sie diesbezüglich positive Signale an die Unternehmen, die davon betroffen sind ‑ viele davon sind ja Mittelständler ‑, aus den Gesprächen mitgenommen?

BK´in Merkel: Wir haben das besprochen, wie auch schon angedeutet wurde. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass sich solche Vorfälle natürlich auch immer herumsprechen und das Investitionsklima nicht positiv beeinflussen. Deshalb hat der Premierminister ‑ natürlich auch unter Betrachtung der Restriktionen der öffentlichen Finanzen ‑ zugesagt, dass man diese Fälle im Sinne eines zukünftig besseren Investitionsklimas Schritt für Schritt abarbeiten wird. Wichtig ist nur, dass das wirklich Altfälle bleiben und dass wir in Zukunft zu so viel Rechtssicherheit kommen, dass solche Fälle gar nicht mehr auftreten.

Frage: Frau Merkel, Rumänien ist in der EU auf den letzten Plätzen, was die EU-Gelder anbelangt. Wo, glauben Sie, begeht der rumänische Staat einen Fehler?

Herr Boc, ist es wahr, dass ein wichtiges deutsches Unternehmen hier in Rumänien investieren wird?

BK´in Merkel: Ich nehme an, Sie meinen die Inanspruchnahme der EU-Gelder. Wir haben darüber gesprochen, dass die Beantragung zum Teil nicht ganz einfach gemacht wird. Es ist, glaube ich, immer wieder wichtig ‑ da kann Deutschland hilfreich sein ‑, zu wissen, wie man einen Antrag auf diese Gelder stellen kann. Oft sind es ja lokale Ebenen, die das tun müssen. Wir kennen aus der Zeit der deutschen Einheit die Schwierigkeiten, die am Anfang bestehen, wenn es darum geht, all die Mechanismen, die Brüssel anwendet, überhaupt durchzusetzen. Ich kann trotzdem nur sagen: Gerade in einer solchen angespannten finanziellen Situation wie derjenigen, in der Rumänien sich befindet, sind die Kohäsionsfonds das Mittel, mit dem Rumänien seinen wirtschaftlichen Aufholprozess gestalten kann. Falls es dabei irgendwelche Schwierigkeiten gibt, sind wir gerne bereit, Rumänien zu unterstützen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe zwei internationale Fragen. Erste Frage: Welche Reformbedarfe sehen Sie ‑ auch mit Blick auf die heute Nachmittag stattfindende Abstimmung über den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat ‑ in den nächsten zwei Jahren in den Vereinten Nationen?

Zweite Frage: Gibt es neue Informationen zu den beiden in Iran festgenommenen deutschen Staatsbürgern, deutschen Reportern? Erwartet man von deutscher Seite eventuell ein schnelles Vorgehen des iranischen Staats?

BK´in Merkel: Wir haben natürlich ein großes Interesse daran, dass die beiden Staatsbürger wieder freikommen. Das Auswärtige Amt unternimmt alles, was in unseren Möglichkeiten steht. Wir haben leider noch keinen neuen Sachstand.

Was die Kandidatur Deutschlands auf einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat anbelangt, so wird heute ja die Entscheidung fallen. Zum einen wollen wir diesen Sitz dazu nutzen, unseren Einfluss auf die UN-Reformen, die ja schon sehr lange in Arbeit sind, zu erhöhen, und wollen dafür mit dem Präsidenten der Vollversammlung, der dafür natürlich zuallererst verantwortlich ist, kreativ und konstruktiv zusammenarbeiten. Zweitens glauben wir als Bundesrepublik Deutschland, dass wir in der Lage sind, auf viele Prozesse der Konfliktlösung und der Friedensschaffung besser Einfluss zu nehmen, wenn wir die zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat als nichtständiges Mitglied arbeiten können. Wir haben in vielen Bereichen gezeigt, dass wir dazu bereit sind. Deutschland ist ein wichtiger Beitragszahler im Rahmen der Vereinten Nationen und möchte auch sein politisches Gewicht für mehr Frieden und Sicherheit auf der Welt einbringen.

PM Boc: Was die Antwort auf die vorherige Frage angeht: Wichtige deutsche Unternehmen haben bereits in Rumänien investiert, und ich mir sicher, dass sie das weiterhin tun werden.

Ich danke Ihnen