Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann

Unkorrigiertes Protokoll*

GRAUMANN: Meine Damen und Herren, ich darf Sie sehr herzlich begrüßen. Ich freue mich, dass die Ratstagung des Zentralrats auf so großes Interesse stößt. Ich bin zwar nicht geneigt, den Zentralrat je zu unterschätzen. Dass er aber so wichtig ist, dass Sie alle herkommen, wusste ich noch nicht. Aber das könnte natürlich an unserem heutigen Gast liegen. Wir sind ganz glücklich, die Bundeskanzlerin heute bei uns begrüßen zu können.

Ich darf Ihnen kurz erklären: Die Ratstagung des Zentralrats ist unser höchstes Gremium. Sie tagt überhaupt nur einmal im Jahr. In ihr sind all unsere jüdischen Spitzenvertreter, all unsere Gemeinden und Landesverbände vertreten.

Dieser Besuch ist jetzt gerade für uns besonders wichtig. Wir haben als Gemeinschaft einen schwierigen Sommer hinter uns. Wir haben die Übergriffe gehabt. Wir haben die Debatte um das Thema Beschneidung gehabt. Das war für uns kein Sommermärchen. Das war mehr ein Sommer des Missvergnügens. Wir haben hässliche, heftige zigtausendfache Einträge im Internet erlebt, die uns alle schockieren. Wir haben viele besessene Belehrungen, Verwunderungen und Verwundungen zuhauf erlebt. Vieles hat uns sehr verletzt.

Umso wichtiger aber ist, dass die deutsche Politik gehandelt hat und jetzt ein Gesetz beschließen wird, mit dem wir leben können. Das Signal ist wichtig. Das heißt, jüdisches und muslimisches Leben sind hier willkommen. Dafür bedanken wir uns sehr.

Unser Dank gilt ganz, ganz besonders der Bundeskanzlerin. Sie hat uns immer in so vielen Fragen Unterstützung zukommen lassen. Ich habe all die Fälle im Kopf und im Herzen, in denen sie sich für uns engagiert hat – auch dann, wenn es nicht immer ganz leicht für sie und politisch schwierig war. Sie hat es oft mit einer kolossalen Courage gemacht, die mich immer sehr, sehr beeindruckt hat.

Frau Bundeskanzlerin, keine Angst: Ich bewerbe mich jetzt nicht als Pressesprecher bei Ihnen. Sie haben ja schon einen. Herr Seibert, Sie können ganz ruhig sein. Wissen müssen Sie: Den Zentralrat der Juden gibt es schon ganz lange. Wir sind zwar voller Elan, Energie, Lebendigkeit und Temperament, aber uns gibt es schon seit über sechs Jahrzehnten. Noch nie in dieser langen Zeit war je ein Bundeskanzler bei uns zu Gast. Das ist das erste Mal – Premiere pur. Dieser Besuch ist deshalb jetzt gerade für uns wichtig. Die Bundeskanzlerin ist von unseren Delegierten mit Wärme, mit Herzlichkeit, ja für unsere Verhältnisse mit Begeisterung und fast schon mit Ekstase empfangen worden.

Das gibt es nicht jeden Tag bei uns. Aber das ist ein Engagement – das haben wir bei ihr gespürt, das aus dem Herzen kommt. Der Kompass des Herzens hat Sie, Frau Bundeskanzlerin, heute hier nach Frankfurt/Main zum Zentralrat geführt. Freundschaft zeigt sich eben doch besonders in schwerer Zeit. Für dieses Zeichen der Freundschaft, der Nähe danken wir Ihnen. Es hat uns sehr, sehr gut getan in einer Zeit, die für uns schwierig ist, die aber ganz sicher bald sehr viel besser werden wird. Danke schön!

BK’IN MERKEL: Danke schön, Herr Präsident, lieber Herr Graumann. Ich bin gerne der Einladung gefolgt, heute hier dabei zu sein und zu den Vertretern, den Repräsentanten der jüdischen Gemeinden zu sprechen.

Ich freue mich das drückt mein Besuch auch aus, dass es wieder ein lebendiges jüdisches Leben in Deutschland gibt. Ich möchte, dass die jüdischen Bürgerinnen und Bürger unter uns genauso unbeschwert und genauso gut hier in diesem Land leben können, wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger auch – egal, ob sie zu der Mehrheit oder zu Minderheiten gehören. Das ist Teil dessen, was unser Grundgesetz ausmacht. Das ist Teil dessen, was Artikel 1 unseres Grundgesetzes sagt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Das gilt für jeden hier und im Übrigen auch für jeden außerhalb unseres Landes.

Dass wir in diesem Jahr 2012 über sehr viele komplizierte Fragen sprechen mussten, hält uns nicht davon ab, dieses Gespräch zu suchen und auch Lösungen für diese Fragen zu finden. Es gibt ein großes Maß an Antisemitismus, was sich leider an bestimmten Vorfällen immer wieder zeigt – sei es in Angriffen auf Rabbiner, sei es in vielen Stellungnahmen im Zusammenhang mit dem Thema Beschneidung. Gerade auch im Internet bekommt man ja davon einen Eindruck.

Es bringt uns alle auch noch einmal dazu, darüber nachzudenken, was es bedeutet, Toleranz gegenüber Religionen zu zeigen. Es ist das habe ich eben auch gesagt natürlich ganz selbstverständlich, dass wir alle Grundrechte gegeneinander abwägen müssen. Da ist das Recht des Kindeswohls für die jüdische Gemeinschaft genauso wichtig wie für die anderen in unserer Gesellschaft.

Aber der Respekt und die Lebbarkeit religiöser Rituale sind eben auch ein hohes Gut, denn Religionsfreiheit drückt sich natürlich auch darin aus, dass Religion ausgeübt und praktiziert werden kann. Deshalb haben wir uns in der Bundesregierung und das auf Aufforderung des Deutschen Bundestages damit beschäftigt, wie wir auf das Urteil des Landgerichts Köln reagieren sollten und haben ein Gesetz vorgelegt, das sich mit dem Thema der Beschneidung befasst. Ich glaube, dass es ein ausgewogener Gesetzestext ist, der jetzt durch die Beratungen geht. Am letzten Donnerstag war die erste Lesung dieses Gesetzes. Ich hoffe, dass es im Deutschen Bundestag auch vor Weihnachten verabschiedet werden kann.

Wir haben natürlich auch die internationale Lage diskutiert. Ich habe hier noch einmal deutlich gemacht, dass jedes Land das Recht auf Selbstverteidigung und den Schutz der eigenen Bürgerinnen und Bürger hat. Es hat nicht nur das Recht, sondern es ist sogar die Pflicht jeder Regierung. Das wäre auch die Pflicht einer deutschen Regierung.

Insofern hatten wir einen spannenden Meinungsaustausch und auch eine Diskussion. Ich bedanke mich dafür. Ich glaube, dass es unglaublich wichtig ist, dass gerade in schwierigen Zeiten das Gespräch und der Austausch gesucht wird und dass diejenigen, die die jüdischen Gemeinden repräsentieren, nach Hause fahren und darüber berichten können, wie die Bundesregierung über das Zusammenleben in unserem Lande auch mit der jüdischen Gemeinschaft denkt.

Danke schön für diese Gelegenheit. Ansonsten auf gute weitere Zusammenarbeit!

GRAUMANN: Wir danken Ihnen. Vielen, vielen Dank! Es war eine ganz große Freude. Sie haben uns aus dem Herzen gesprochen. Ich danke Ihnen ganz herzlich!