Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Ministerpräsidenten der Slowakei, Robert Fico

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Robert Fico heute seinen Antrittsbesuch in Deutschland gemacht hat, nachdem seine Partei die Wahlen gewonnen hat und er eine Regierung gebildet hat. Wir sind uns zwar schon bei EU-Ereignissen begegnet, aber ich habe ihn trotzdem heute herzlich willkommen geheißen.

Wir können sagen, dass wir heute, zwanzig Jahre nach Abschluss des Nachbarschaftsvertrages, sehr gute Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Slowakei haben. Wir sind enge Partner, und zwar nicht nur in der Europäischen Union, sondern auch in der Nato. Wir sind natürlich auch dadurch enge Partner, dass die Slowakei dem Eurogebiet angehört und wir auch gemeinsam dafür arbeiten, dass die Integration gerade der Eurostaaten voranschreitet. Wir sind uns vollkommen einig, dass wir uns an gemeinsam gegebene Regeln halten müssen und dass in diesem Zusammenhang auf der einen Seite Solidarität und auf der anderen Seite Solidität ganz eng zusammengehören. Insofern war unsere Unterhaltung, unser Austausch hier von einem großen Maß an Übereinstimmung geprägt.

Es gibt rund 400 deutsche Unternehmen in der Slowakei, die etwa 90.000 Arbeitsplätze geschaffen haben. Die Slowakei ist sehr interessant für deutsche Investoren, insbesondere im Bereich der Automobilindustrie. Wir wünschen uns natürlich, dass die Slowakei auf dem auch nicht einfachen Weg der Konsolidierung und der Schaffung von Arbeitsplätzen erfolgreich vorankommt. Wir tun alles, damit auch die Wachstumsraten wirklich genutzt werden können, und wir sehen auch, dass mit Hilfe europäischer Mittel wichtige und sinnvolle Investitionen in der Slowakei durchgeführt werden. Das ist, glaube ich, eine sehr gute und wichtige Entwicklung.

Wir sind uns einig, dass wir in Zukunft eher mehr Europa als weniger Europa brauchen, insbesondere in der Eurozone. Die Slowakei ist hier wie Deutschland auch sehr offen für weitere Integrationsschritte.

Wir haben uns auch über das außenpolitische Umfeld ausgetauscht, insbesondere über die Situation auf dem westlichen Balkan, speziell auch über die Situation in Montenegro, in Moldawien und in Mazedonien, was die schwierige Namensfrage mit Blick auf Griechenland betrifft, und ähnliche Aufgaben gesprochen. Die Slowakei ist genauso wie die Bundesrepublik Deutschland sehr daran interessiert, dass wir in diesem Teil Europas Frieden, Stabilität und Sicherheit bekommen. Wir sind uns auch einig, dass die europäische Perspektive dieser Länder eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass diese friedliche Entwicklung fortgesetzt werden kann.

Insgesamt war es ein interessanter Besuch, und wir werden weiter sehr eng zusammenarbeiten.

MP Fico: Ich bedanke mich für die Möglichkeit, sich zu treffen, und für ein sehr interessantes Arbeitsgespräch, das wir über mehrere Themen geführt haben.

Ich möchte hervorheben, dass es zwischen Deutschland und der Slowakei keine offenen politischen Fragen gibt. Ganz im Gegenteil: Das heutige Gespräch hat bestätigt, dass die Positionen beider Länder zu den wichtigen bilateralen und multilateralen Fragen sehr nahe beieinander liegen.

Beim heutigen Treffen habe ich verdeutlicht, wie lebenswichtig für die slowakische Wirtschaft und das slowakische Wirtschaftswachstum die Partnerschaft mit Deutschland ist, und dass die Slowakei positive Voraussetzungen für ein Wirtschaftswachstum in den Jahren 2012 und 2013 hat. Ich muss aber auch sagen, dass dieses Wirtschaftswachstum ohne ausländische Investoren, die in der Slowakei tätig sind, nicht möglich wäre. Aus dieser Sicht ist auch die Beteiligung deutscher Investoren in der Slowakei eine sehr wichtige Tatsache für die Schaffung und Bildung des slowakischen Bruttoinlandsprodukts.

Nur zur Veranschaulichung: In der Slowakei werden zurzeit pro Kopf die meisten Automobile in der Welt produziert. VW hat im Jahre 2011 mehr als 210.000 Fahrzeuge in der Slowakei gebaut und plant, in diesem Jahr 400.000 Fahrzeuge zu bauen. Auch aus diesem Grunde halten wir die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen für absolut wichtig und erwarten einen solchen verantwortungsvollen Umgang auch von anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union. Wir sind bei dem Umgang mit diesen Maßnahmen sehr behutsam, damit die Investoren dadurch nicht berührt werden, und wir gehen sehr sensibel mit den Maßnahmen um, die die Investoren treffen könnten. Wenn die Lage für die Auslandsinvestoren in der Slowakei nicht mehr haltbar wäre, dann würden wir natürlich in Kontakt bleiben und miteinander darüber sprechen.

Was die Außenpolitik und die Integration angeht, so haben wir ähnliche Meinungen.

Wir sind für ein strengeres Einhalten der Regeln. Die Slowakei hat sich klar verpflichtet, in diesem Jahr die Defizitgrenze von 4,6 Prozent einzuhalten; wir haben zugesagt, dass dieses Defizit im Jahre 2013 niedriger als 3 Prozent sein wird, und auch danach werden wir mit dieser Konsolidierung natürlich weitermachen.

Wir haben auch die gleiche Meinung, was die Zukunft der Europäischen Union angeht; denn die Europäische Union ist ein Raum, der für die Slowakei ein strategischer Spielraum ist. Die Slowakei ist ein pro-europäisch orientiertes Land, und ich glaube fest daran, dass in einem Dialog mit solchen starken Ländern wie Deutschland auch die Slowakei ein wichtiger und guter Mitspieler im Rahmen der Europäischen Union sein wird.

Ich möchte mich nochmals bedanken für die Möglichkeit und Gelegenheit, miteinander zu sprechen. Ich hoffe, dass wir auch in den schweren Nächten in Brüssel weiterhin sehr gut zusammenarbeiten werden. Vielen Dank nochmals.

Frage: Eine Frage an Frau Merkel: Immer häufiger spricht man unter den Wirtschaftsexperten und Politikern davon, dass die Eurozone in dieser Form nicht mehr lange Jahre halten kann. Die slowakische Regierung hat mehrfach bestätigt, dass sie im Falle eines Zerreißens der Eurozone bei Deutschland bleiben will. Was muss die Slowakei dafür tun?

BK’in Merkel: Wir arbeiten daran und das war auch der Geist unserer Gespräche , dass wir die Eurozone, so wie sie heute ist, stabilisieren; denn wir wollen deren Erfolg. Dafür arbeiten wir, andere Dinge haben wir nicht besprochen, und dabei wird es auch bleiben.

Frage: Her Ministerpräsident, Ihr Parlament hat den ESM bereits ratifiziert. Welche größten Gefahren sehen Sie in der Finanz- und Eurokrise in den nächsten Monaten?

Frau Bundeskanzlerin, CSU-Chef Seehofer droht indirekt mit Koalitionsbruch. Er sagt, die Beschlüsse in Brüssel seien grenzwertig und er könne weitere Zusagen an Krisenstaaten nicht mehr machen. Wie bewerten Sie diese Position? Wie stabil ist der Koalitionspartner? Werden Sie künftig bei allen ESM-Beschlüssen im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit anstreben?

MP Fico: Die Regierung der Slowakischen Republik möchte ein berechenbarer Partner sein. Wir haben klar deklariert, dass wir die Ratifizierung des permanenten Euro-Rettungsschirms sicherstellen werden, und das hat sich auch ereignet. Dieser dauerhafte Rettungsschirm wurde vor einigen Tagen von einer überwältigenden Mehrheit der slowakischen Abgeordneten im slowakischen Parlament ratifiziert.

Wenn Sie nach den Risiken fragen, wie wir sie für die künftige Entwicklung der Europäischen Union aus der Sicht kleinerer Länder wahrnehmen, erlauben Sie mir, ein Beispiel zu nennen, das ich auch der Frau Bundeskanzlerin genannt habe: Die Slowakei erwartet im Jahre 2013 ein Wirtschaftswachstum, das höher als 2,6 Prozent sein wird. Wenn es zu einem Kollaps von Griechenland kommen würde, das nur 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union darstellt, dann hätte die Slowakei kein Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent, sondern eine Rezession von 4 Prozent. Das heißt, wenn wir vor etwas Angst haben, dann vor Faktoren, die von außen kommen und die die Wirtschaften von solchen Ländern wie der Slowakei beeinflussen können. Das sind Faktoren, die wir in der Slowakei nur schwer beeinflussen können. Wir sind klar dazu bereit, unsere Hausaufgaben zu machen, das heißt, die öffentlichen Finanzen zu sanieren. Das wollen wir aber so machen, dass die Sanierung der öffentlichen Finanzen nicht das Wirtschaftswachstum beeinflusst. Ich glaube, das gelingt uns auch.

Frau Redakteurin, in der Slowakei leben die Menschen von einer Rente von 280 Euro pro Monat, und das Gehalt beträgt ungefähr 400 Euro pro Monat. Es ist schwer, diesen Menschen zu erklären, warum die Slowakei an Hilfe für solche Länder teilnehmen soll, wo die Renten 2.000 oder 3.000 Euro und die Löhne 3.500 Euro betragen. Aus diesem Grunde ist die Slowakei nicht bereit, weitere finanzielle Beihilfen zu gewähren, wenn wir nicht die Garantie haben werden, dass jene Länder, die dieses Geld empfangen sollen, auch erst ihre Hausaufgaben machen. Diese Länder müssen also zuerst deklarieren, dass sie auch bereit sein, Sanierungsmaßnahmen zu verabschieden. Wenn das geschehen ist, können wir weiter darüber sprechen, ob es möglich sein wird, eine weitere Beihilfe zu verabschieden. Die Geduld der Öffentlichkeit ist aber ausgeschöpft, und es wird für alle Politiker in der Europäischen Union und vor allem in der Eurozone sehr kompliziert sein, zu erklären, dass wir bereit sind, noch mehr Geld freizumachen und zu gewähren.

BK’in Merkel: Ich habe mit Horst Seehofer sehr ausführlich über die Beschlüsse in Brüssel gesprochen, und wir waren uns einig, dass Solidarität auf der einen Seite und natürlich die Erfüllung der Hausaufgaben sowie die vereinbarten Regeln auf der anderen Seite eng zusammengehören. Deshalb glaube ich auch, dass es innerhalb der Koalition eine gute Zusammenarbeit nicht nur im europapolitischen Bereich geben wird.

Was den ESM anbelangt, so werden wir die Mehrheiten immer so wählen, wie sie rechtlich geboten sind. Sie wissen, dass wir in der Abwägung, sollte man den ESM jetzt mit einer Zweidrittelmehrheit als Gesamtschirm ratifizieren, zu der Überzeugung gekommen sind: Um Risiken zu vermeiden, sollten wir diese Zweidrittelmehrheit wählen. So werden wir uns die rechtlichen Begutachtungen auch jedes Mal wieder anschauen. Das kann von Entscheidung zur Entscheidung variieren, auch in Bezug auf einzelne Programme im ESM. Ich lasse mich da von den Juristen beraten. Wir wollen da keine Risiken eingehen. Es geht um die Mehrheit, die jeweils notwendig ist.

Frage: Ich habe eine Frage an den slowakischen Premierminister bezüglich des Verkaufs von 49 Prozent des Anteils an der Slovak Telekom und bezüglich der Deutschen Telekom.

Diese Frage geht an die Bundeskanzlerin: Warum ist E.ON Ruhrgas am Verkauf seines Anteils an der slowakischen Gasindustrie interessiert?

MP Fico: Was den Verkauf des Anteils der Deutschen Telekom angeht, haben wir bei unserem Gespräch keine Stellung bezüglich dieses Themas genommen.

BK’in Merkel: Das Gleiche gilt für die wirtschaftlichen Interessen von E.ON Ruhrgas. Das sind wirtschaftliche Entscheidungen. Die müssen von den entsprechenden Partnern getroffen werden. Die Bundesregierung mischt sich darin nicht ein.

Frage: Ich habe eine Frage an beide. Die finnische Regierung hat gestern bekannt gegeben, dass sie ein Veto gegen Anleihenkäufe am Sekundärmarkt abgeben werde, wenn südliche Euroländer das beantragen sollten. Deswegen habe ich die Frage an Sie beide, Frau Bundeskanzlerin und Herr Ministerpräsident, ob Sie diese Haltung teilen und ob Sie es für einen guten Stil halten, dass wenige Tage nach dem EU-Gipfel Interpretationen unterschiedlicher Art über die gemeinsamen Ergebnisse abgegeben werden.

MP Fico: Ich glaube nicht, dass das nur die finnische Regierung ist, sondern auch ein weiteres Land hat eine ähnliche Einstellung. Im Moment muss ich sagen, dass wir die Entscheidungen der souveränen Staaten und souveränen Regierungen einfach respektieren müssen. Natürlich hängt das auch mit der Funktionsfähigkeit des dauerhaften Rettungsschirms und der EU als solches zusammen.

BK’in Merkel: Die Diskussionen in Brüssel waren allgemeinerer Art. Dabei ging es sowohl um Sekundärmarktankäufe als auch um Primärmarktinterventionen. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann geht es jetzt um die Frage, wie effizient welches Mittel ist, um etwas zu erreichen. Wir haben, wie der slowakische Ministerpräsident es gesagt hat, die Entscheidung jedes einzelnen Landes zu respektieren. Ich hatte jetzt auch noch keine Gelegenheit, mit der finnischen Regierung darüber zu sprechen.

Ich glaube, wir sollten uns jetzt erst noch einmal die Beschlüsse vor Augen führen. In dieser Hinsicht ist klar nach den Regeln der EFSF und des ESM verhandelt worden. Es geht um Konditionalität; dann können Programme auch in Anspruch genommen werden. Die Konditionalität muss jeweils in Hinsicht darauf definiert werden, ob das ein Vollprogramm oder ein Programm ist, das nur Teilaspekte berücksichtigt. Dafür gibt es Richtlinien der jeweiligen Fonds. Die von der EFSF sind verabschiedet, und die vom ESM werden im Augenblick noch im deutschen Parlament beraten. Entsprechend dieser Richtlinien wird alles vor sich gehen. Konkrete Anträge liegen nicht vor. Insofern gibt es im Augenblick auch keinen Handlungsbedarf.