Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem irischen Premierminister Enda Kenny

(Hinweis: Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung.)

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, heute zum ersten Mal den irischen Premierminister Enda Kenny im Kanzleramt begrüßen zu können. Wir sind uns schon oft begegnet ‑ früher in der Europäischen Volkspartei und jetzt in der Regierungsverantwortung.

Wir haben höchst freundschaftliche bilaterale Beziehungen, über die wir gar nicht so lange sprechen mussten. Wir haben uns naturgemäß vorrangig mit der Situation in der Eurozone und in der Europäischen Union befasst. Ich möchte hier noch einmal drei Dinge ganz deutlich sagen:

Erstens. Deutschland möchte eine starke Europäische Union der 27 Mitgliedstaaten.

Zweitens. Deutschland möchte eine Eurozone mit 17 Mitgliedstaaten, die ebenso stark ist und sich wieder Vertrauen auf den internationalen Märkten erwirbt.

Drittens. Deutschland begrüßt und achtet sehr das, was Irland im Augenblick im Rahmen seines Programms tut.

Es ist beachtlich, dass die Troika bei den Überprüfungen, die stattgefunden haben, Irland immer total im Zeitrahmen bei der Erfüllung der Ziele gesehen hat. Wir erahnen, was es auch für die Menschen in Irland bedeutet, dieses harte Programm auf sich zu nehmen. Deshalb würdigen wir umso mehr, dass dieses gelingt. Alle Unterstützung, die wir geben können, geben wir. Ich glaube, Irland ist ein herausragendes Beispiel, um zu zeigen, dass in Zeiten, in denen es Liquiditätsprobleme gibt, ein solches Programm helfen kann, wieder auf den Weg zu kommen und aus eigener Kraft wirtschaften zu können.

Wir sind uns einig, dass wir die Eurozone insgesamt krisenfester machen müssen, dass die Dinge, die wir schon beschlossen haben ‑ einen verstärkten Stabilitäts- und Wachstumspakt, einen Euro-Plus-Pakt, der die Wettbewerbsfähigkeit erhöht ‑, genau die Methoden sind, mit denen wir die Zukunft meistern können.

Wir haben auch über das Thema Vertragsänderungen dahingehend besprochen, dass wir mehr Durchgriffsrechte, mehr Kraft für die europäischen Institutionen brauchen, um die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts überwachen zu können. Ich habe deutlich gemacht, dass Deutschland an dieser Stelle die Notwendigkeit sieht, um den Märkten und der Weltöffentlichkeit auch zu zeigen, dass (man innerhalb) der Eurozone zusammenstehen will, dass der Euro verteidigt werden muss, aber auch, dass wir bereit sind, ein Stück nationaler Souveränität abzugeben. Wir hatten darüber ein sehr offenes Gespräch, wofür ich mich auch bedanken möchte.

Insgesamt teilen wir die Einschätzung, dass wir nach wie vor Probleme im Bereich der Schulden, aber auch der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Eurozone haben. Aber wir teilen auch gemeinsam die Meinung, dass die Eurozone gewillt ist, diese Probleme zu überwinden und damit der Welt deutlich zu machen, dass wir zueinander stehen. Über diese Gemeinsamkeit freue ich mich sehr.

Herzlichen Dank für das Gespräch. Herzlichen Dank für den Besuch. Wir werden weiter auch ganz eng zusammenarbeiten.

PM Kenny: Danke schön! ‑ Ich darf bei der Gelegenheit der Bundeskanzlerin herzlich dafür danken, dass sie mich hier willkommen geheißen hat. Das ist mein erster offizieller Besuch in der Bundesrepublik Deutschland als irischer Premierminister. Es ist für mich wichtig gewesen, dass ich hierhergekommen bin, um persönlich ein bisschen etwas über die Fortschritte zu erzählen, die wir in Irland gemacht haben.

Ich freue mich, dass ich hierherkommen konnte und im Wesentlichen eine Botschaft des Erfolges mitteilen konnte. In diesem Jahr haben wir in unserem Land im Rahmen dieses sehr schwierigen Programms durch den Anstieg bei den Exporten Fortschritte im Bereich des Wachstums gemacht. 13 Prozent unserer Wirtschaft ist eingebrochen. Die Bevölkerung bringt große Opfer. Aber ich habe auch der Bundeskanzlerin sehr deutlich gemacht, dass die Regierung absolut entschlossen ist, diesen Reformprozess weiter voranzutreiben und dass wir bereit sind, die Verpflichtungen einzuhalten, die wir eingegangen sind. In einigen Wochen werden wir den Haushalt für das Jahr 2012 vorlegen. Der Finanzminister wird dann auf der Grundlage des „Memorandum of Understanding“ die Troika briefen, welches die einzelnen Details dieses Haushalts sind.

Wir werden in den nächsten drei Jahren auch weiterhin diese Haushaltsüberprüfung haben und werden dann deutlich machen, wie wir bis 2013 das Defizitziel erreichen wollen. Wir hoffen, dass wir so bald wie möglich wieder Geld auf den Finanzmärkten bekommen können. Wir hoffen, dass das Ende des nächsten Jahres schon der Fall sein wird und dass wir 2013 dieses Programm beenden können. Ich darf der Bundeskanzlerin herzlich dafür danken, dass sie uns immer unterstützt hat. Wir bleiben natürlich immer noch verletzlich, was die internationalen Entwicklungen angeht. Wir brauchen die Unterstützung und die Solidarität, derer uns die Bundeskanzlerin versichert hat.

Wir haben eine sehr offene Diskussion über die allgemeinen Themen in der Eurozone geführt, über das Durcheinander, die Unsicherheiten, die Krise, die wir im Moment zu bewältigen haben. Wir haben uns darauf geeinigt ‑ wir waren auch da einer Meinung ‑, dass es absolut notwendig ist, weiter ein Gesamtpaket voranzutreiben, auf das wir uns bei unserem letzten Gipfel in Brüssel geeinigt haben. Irland und die Bundesrepublik Deutschland haben immer die Wettbewerbsfähigkeit als Kernstück unserer wirtschaftlichen Bemühungen, unserer Wirtschaftspolitik betont. Unser eigenes Wirtschaftswachstum und unser Bruttosozialprodukt sind natürlich auch auf Exporte gegründet.

Wir haben gemeinsam eine Vision einer europäischen Zukunft, die bedeutet, dass wir unserer Bevölkerung Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und die Wirtschaftskraft stärken wollen, um dieses einzigartige Modell, das wir haben, aufrechtzuerhalten, aber gleichzeitig auf internationaler Ebene wettbewerbsfähig zu bleiben. Das ist absolut unverzichtbar.

Es bleibt noch einiges zu tun, um diese gemeinsamen Probleme Europas wirksam anzugehen. Das muss auch langfristig getan werden. Wir dürfen es nicht auf die lange Bank schieben, denn das sind Probleme, die sich uns jetzt stellen. Irland wird seinen Kurs halten, um das, was wir uns vorgenommen haben, zu erreichen. Wir haben uns auf bestimmte Verpflichtungen geeinigt. Wir werden diese Verpflichtungen einhalten. Wir sind absolut daran interessiert, dass die Europäische Union und die Eurozone weiterhin stark bleiben. Wir unterstützen voll und ganz die Bemühungen, den Euro zu sichern, die Zukunft des Euro zu sichern und zu vermeiden, dass es in Zukunft ähnliche Krisen wie die jetzige gibt.

Das heißt, Haushaltsdisziplin ist absolut unverzichtbar. Es ist absolut unverzichtbar, weiter vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitiken zu betreiben, um etwas zu vermeiden, was wir in den letzten Monaten erlebt haben. Wir werden dafür sorgen, dass es eine Schuldenbremse gibt. Wir haben bereits ein unabhängiges Haushaltsberatungsgremium bei uns geschaffen, das die Einhaltung des Haushalts überwacht.

Weitere Schritte hin zu einer Vertragsänderung sind natürlich eine große Herausforderung. Darüber haben wir mit der Bundeskanzlerin ganz offen gesprochen. Ich bin der Ansicht, dass diese Krise, in der wir uns jetzt befinden, kurzfristig auf jeden Fall mit den bereits vorhandenen Mitteln bekämpft werden muss.

Ich habe der Bundeskanzlerin gesagt ‑ wir kennen uns ja schon seit langem aus der EVP ‑, dass ich mich sehr darauf freue, dass ich mit ihr und ihren Mitarbeitern auch weiterhin sehr gerne zusammenarbeite, vor allen Dingen, weil wir uns auf die Präsidentschaft in den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 vorbereiten, die wir dann in der EU übernehmen werden.

Irland und die Bundesrepublik Deutschland werden auch weiterhin sehr starke wirtschaftliche Partner bleiben. Unsere Verbindungen zu Deutschland bestehen schon sehr lange. Es hat viele Austausche im Bereich der Ingenieurswissenschaften, im Bereich der Kultur gegeben. Diese Verbindungen und Beziehungen werden wir auch weiterhin stärken. Das heißt, wir sind sehr eng mit Deutschland verbunden, haben ähnliche Interessen. Wir wollen auch weiterhin die Europäische Union gemeinsam stärken. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlerin. ‑ Danke sehr!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, der CDU-Parteitag hat gestern beschlossen ‑ Zitat ‑: „Die Europapolitik der EU basiert grundsätzlich auf der Gemeinschaftsmethode.“ Stehen Sie immer noch dazu, dass auch in diesen schwierigen Zeiten die Gemeinschaftsmethode und die Europäische Kommission immer noch Vorrang vor intergouvernementalen Beschlüssen haben?

Taoiseach, Sie haben eine sehr harte Haushaltsdebatte vor sich. Glauben Sie, dass Sie es schaffen werden, dass Sie dieses Prinzip der Programmflexibilität auf europäischer Ebene durchsetzen können, damit die irische Bevölkerung auch weiterhin gegenüber möglichen Vertragsänderungen offen bleibt?

BK'in Merkel: Natürlich stehe ich erst einmal zu dem, was ich selbst mit beschlossen habe; das ist ja klar. Ich halte, ehrlich gesagt, die ganze Diskussion um die Frage „Gemeinschaftsmethode - Ja oder Nein“ für ein bisschen artifiziell. Immer dann, wenn wir eine Kompetenz in die europäische Ebene gegeben haben, ist die Methode der Arbeit die Gemeinschaftsmethode. Dann ist die Kommission dafür zuständig. Sie hat das Recht, die Richtlinien vorzuschlagen. Dann entscheidet das Europäische Parlament. Dann entscheidet der Rat. Dann setzen die Nationalstaaten das um.

Auf der anderen Seite sind die Mitgliedstaaten die Herren der Verträge. Das heißt: Wenn ich eine Kompetenz nach Brüssel gebe, brauche ich zuerst einmal die nationalen Parlamente, die bereit sind, diese Kompetenz aus der nationalen Verantwortung in die Gemeinschaftsmethode zu überführen. Bei den Fragen, die wir im Augenblick diskutieren, geht es im Zusammenhang mit dem Euro um höchst nationale Zuständigkeiten, nämlich die Budgetzuständigkeit. Wenn wir da in Europa zusammenarbeiten wollen, können wir nicht die Gemeinschaftsmethode anwenden, sondern dann müssen wir eine intergouvernementale Methode anwenden, die im Übrigen auch eine europäische Herangehensweise ist, aber noch nicht so integriert.

Es gibt viele Bereiche ‑ ich nenne zum Beispiel Schengen ‑, in denen wir in der intergouvernementalen Methode begonnen haben und sie Schritt für Schritt in die Gemeinschaftsmethode überführt haben. Deshalb würde ich diese Methoden nicht gegeneinanderstellen. Wir machen in den augenblicklichen Zuständigkeiten ohne eine Vertragsänderung das, was wir können, in Europa so gemeinsam, wie wir es können. Zum Beispiel ist der Euro-Plus-Pakt, bei dem es um Sozialsysteme und anderes geht, ein Pakt, der nur additiv zur Gemeinschaftsmethode erfolgen kann, weil das Rentenrecht nun einmal das Rentenrecht in den Nationalstaaten ist. Dennoch ist das keine Absage an die Gemeinschaftsmethode. Wir haben sogar gesagt: Wir wollen nach Brüssel mehr Zuständigkeiten geben. Ich möchte zum Beispiel ein Durchgriffsrecht von Brüssel, von der Kommission oder ein Klagerecht der Mitgliedstaaten beim EuGH, wenn der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht eingehalten wird, also eine Stärkung der europäischen Institutionen.

PM Kenny: Wir sind da in einer etwas anderen Situation. Wir können hier natürlich aus den Erfahrungen berichten, was es in dieser Bail-out-Situation bedeutet, wenn die Troika mitredet, wir sozusagen überprüft werden und mit der Kommission und der EZB unsere Gespräche führen.

Ich habe schon gesagt, dass es drei sehr gründliche Untersuchungen unserer Situation gegeben hat. Das Land hat jede einzelne dieser Prüfungen bestanden, wenn ich das einmal so nennen darf. Irland hat die Haushaltsdisziplin immer unterstützt, so auch eine disziplinierte Führung der Regierungsgeschäfte insgesamt. Wir waren immer sehr nachdrücklich für die Gemeinschaftsmethode. Insgesamt muss man sagen: Das Prinzip muss sein, das Europa der 27 zu unterstützen, innerhalb der Eurozone die 17 gegenseitig zu unterstützen und natürlich dann auch den Euro insgesamt zu unterstützen und die richtige Methode zu finden.

In dem Maße, in dem wir als kleines Land in dieser Bail-out-Situation weiter Fortschritte machen, indem wir unsere Bedingungen einhalten ‑ das ist ja auch anerkannt worden ‑, hat man auch gesagt, dass solche Länder allerdings klare Zeichen der Unterstützung seitens der anderen brauchen, damit klar gemacht wird, dass sie am Ende dieser Zeit wieder sozusagen die Oberherrschaft über ihr eigenes Wirtschaften bekommen. Wir befinden uns auf dieser Reise, haben aber immer noch einen ziemlichen Weg vor uns.

Ich habe der Bundeskanzlerin erklärt, dass das, was sich in einem Land vollzieht, das sich einem solchen Programm unterzieht, in dem die Troika diese Überprüfung über die Haushaltsführung anstellt und auch überprüft, ob die Bedingungen auch erfüllt werden, eine ziemliche Prüfung für dieses Land ist. Wir werden das aber natürlich voll und ganz erfüllen.

Was die Herausforderungen und das Sparprogramm angeht, das noch vor uns steht, habe ich mich sehr gefreut, dass unsere europäischen Kollegen uns ihre Unterstützung zugesichert haben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eine Frage zu den Risikoaufschlägen, die im Moment nicht nur für die Südstaaten in der Eurozone steigen, sondern sogar für Finnland und die Niederlande. Macht Sie das nicht nachdenklich, ob der deutsche eingeschlagene Kurs, auf nationale Reformen zu drängen, der falsche ist? Sehen Sie nicht doch die Notwendigkeit, dass möglicherweise die EZB als Hilfsinstrument einsteigen muss, weil die EFSF nicht ausreichend zur Verfügung steht?

BK'in Merkel: Natürlich ist die Situation so, dass man sie beobachten muss; das ist gar keine Frage. Ich glaube, dass wir bis jetzt keine ausreichende Antwort auf die Zukunft der Eurozone gegeben haben und dass das Vertrauen, dass durch Selbstverpflichtung der Länder die Probleme gelöst werden könnten, nicht ausreichend vorhanden ist. Deshalb plädieren wir auch für sehr schnelle politische Beschlüsse hinsichtlich mehr Europa und hinsichtlich mehr Durchgriffsrechte.

Gleichzeitig sind die Beschlüsse vom 27. Oktober nicht umgesetzt. Weder ist schon eine vollständige Klarheit über die Bankenrekapitalisierung erreicht noch ist das Hebeln der EFSF technisch umgesetzt. Beides muss sehr schnell erfolgen, damit eine Beruhigung der Märkte erfolgt.

PM Kenny: Die wirtschaftliche Situation ist so, dass Irland immer die Regeln der Mitgliedschaft befolgt hat. Wir haben den Stabilitäts- und Wachstumspakt nie verletzt. Normalerweise wäre es nicht notwendig gewesen, in ein solches Programm einzutreten, hätten wir nicht die Banken rekapitalisieren müssen. Das ist eine große Herausforderung.

Politisch gesehen ‑ das hat die Bundeskanzlerin gerade gesagt ‑ ist es so, dass die Staats- und Regierungschefs sich auf ein politisches Programm in Sachen EFSF geeinigt haben. Bisher ist das nicht so erfüllt worden, wie wir das eigentlich angenommen hatten. Das muss man jetzt auf jeden Fall tun. Wenn wir in einem Europa der Marktwirtschaft leben, muss man auch seitens der Politik überzeugende Antworten finden. Natürlich ist es so, dass die Länder unterschiedliche Ansichten und unterschiedliche Ansätze haben, was Wirtschaftspolitik und Markt- und Haushaltsdisziplin angeht. Wir wissen das. Wir denken, die Regeln sollten für alle Länder gelten.

BK'in Merkel: Ich will eines noch einmal klar hinzufügen: Wir sehen die Verträge so, dass die EZB nicht die Möglichkeit  hat, diese Probleme zu lösen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, was können Sie uns sagen, was Sie ganz spezifisch mit Ihrer Rede in Leipzig beabsichtigt haben? Was ist Ihr Ziel, was die Politische Union angeht, was die Vertragsveränderung angeht? Was möchten Sie in der Zukunft spezifisch erreichen?

Herr Premierminister, gibt es in diesem Zusammenhang so etwas wie eine rote Linie, die Sie nicht überschreiten würden, was diese verschiedenen Vorschläge zur Politischen Union angeht, von denen Sie denken, dass sie keine Unterstützung des irischen Volkes bekommen?

BK'in Merkel: Ich sage es ganz einfach: Wir sind der Meinung, dass auch beim Stabilitäts- und Wachstumspakt die Möglichkeiten gegeben sein müssten, die bei der Erfüllung jeder Richtlinie gegeben sind, nämlich dass die Kommission oder Mitgliedstaaten einen anderen Mitgliedstaat, der sich an den Stabilitäts- und Wachstumspakt permanent nicht hält, zum Beispiel beim Europäischen Gerichtshof verklagen kann. Das gilt für jede Richtlinie. Das kann man, aber nicht beim Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Das heißt nichts anderes, als dass es dann eine Zuständigkeit europäischer Institutionen für ein Budget gibt, aber nur insofern, als dieses Budget Gegenstand der Klage sein kann, wenn es nicht die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts erfüllt. Das heißt: Es ist keine Vorschrift, wie man den Haushalt ausgestalten kann, sondern es wäre eine Vorschrift, dass man sich an die Rahmenbedingungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts halten muss. Das ist eine sehr begrenzte und klare Vertragsänderung.

PM Kenny: Ich habe die Bundeskanzlerin ganz deutlich gefragt, was sie mit der Vertragsänderung meint. Sie hat mir das ganz klar erklärt, nämlich dass es sich um eine Intervention, aber auch um ein Überprüfungsrecht handelt, was nationale Haushalte angeht, aber auch mit Flexibilität einhergeht, dass die einzelnen Staaten innerhalb eines bestimmten Rahmens entscheiden können, wie sie ihre verschiedenen haushaltspolitischen Strategien festlegen wollen.

Wir sind im Moment in dieser Bail-out-Situation, wo der Finanzminister tatsächlich der Troika die Details der einzelnen Haushalttitel vortragen muss. Wir bereiten die Vorlage des Haushalts für den 6. Dezember vor. Wir haben uns mit Herman Van Rompuy getroffen. Er soll uns bis zum Rat im Dezember Vorschläge machen, wie die Vertragsänderungen aussehen können. Wir wissen natürlich, was die Bundeskanzlerin unter dieser Vertragsänderung versteht. Wir haben in Irland schon öfter Referenden abgehalten. In einzelnen Fällen mussten wir sogar zweimal über ein bestimmtes Thema abstimmen, was bedeutete, dass man vorher bestimmte Klärungen erzielen musste.

Deswegen möchte ich einfach jetzt erst einmal hören, was Herman Van Rompuy uns hinsichtlich seiner Vorschläge vorzutragen hat. Die Bundeskanzlerin hat mir ganz klar gesagt, dass es nicht etwa so ist, dass man sozusagen einen Schirm für jedes einzelne Land hat, vor allen Dingen nicht für ihr eigenes. Sie sagt, dass es natürlich notwendig ist, dass man diesen Punkt auch wirklich angeht. Wenn das Land sozusagen selber entscheidet, wie es das erfüllen will, könnte das schon ein bisschen Flexibilität einräumen. Da, wo es größere Kompetenzveränderungen gibt, wo vielleicht einzelne Staaten das Gefühl haben, jetzt könnten sie diese oder jene Vertragsänderung auch noch mit einbringen, müssen wir uns überlegen, ob das sinnvoll ist. Ich denke, wir sollten die gegenwärtigen Instrumente und Institutionen nutzen, um diese Krise zu lösen. Aber natürlich warten wir darauf, was Herr Van Rompuy vorschlägt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eine Verständnisfrage. Sie haben schon mehrfach gesagt, dass der Europäische Gerichtshof sozusagen als „last resort“ die Defizitsünder zur Disziplin rufen soll. Mir ist eines immer noch nicht ganz klar: Welche „enforcement“-Methoden soll der Gerichtshof bekommen? Wie kann er sich gegen ein Land durchsetzen, das gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstößt und damit die Märkte überzeugen, dass das Land wieder zurück auf den Kurs gebracht wird?

BK'in Merkel: Es ist unser tägliches Schicksal, dass wir beim Europäischen Gerichtshof verklagt werden und zum Teil auch nicht Recht bekommen. Wir in Deutschland mussten zum Beispiel schon einmal unsere Verfassung ändern, weil gesagt wurde, dass Frauen in die Bundeswehr aufgenommen werden müssen. Wir haben als Ergebnis dieser Entscheidung unsere Verfassung geändert. Das heißt: Die Grundlage des Vertrauens innerhalb des europäischen Miteinanders ist, dass ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von den Mitgliedstaaten auch umgesetzt wird.

Das heißt: Wenn ein Mitgliedstaat verklagt würde, dass er zum Beispiel das Drei-Prozent-Defizit, den Schuldenabbau von einem Zwanzigstel oder etwas in Sachen des „präventiven Arms“ nicht einhält und der Europäische Gerichtshof feststellt, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in diesem Land nicht umgesetzt wird, dann ist die Folge, dass er umgesetzt werden muss. Das heißt, die Folge ist, dass auch der Haushalt, das Budget verändert werden müsste. So machen wir das an anderen Stellen auch.

Diese Möglichkeit gibt es heute nicht. Wenn die Kommission der Meinung ist, dass wir irgendeine Umweltrichtlinie oder eine Justizrichtlinie nicht richtig erfüllen, dann werden wir verklagt und müssen das umsetzen. So muss das auch im Fall des Budgets sein.

PM Kenny: Wenn man europäische Regelungen nicht einhält, kann man natürlich mit Strafen belegt werden. Ich möchte eine Situation haben, in der jedes einzelne Land sich an die Regeln halten muss und dann natürlich auch das Recht hat, deutlich zu machen, dass es eine Politik verfolgen möchte, die allen im Land die gleichen Chancen einräumt, und dass man versucht, den Anschluss an die europäische Politik zu finden. Das ist auch aus globaler Sicht ganz wichtig. Im Moment haben wir ganz klar eine Krise, die wir angehen müssen. Ich möchte einfach, dass alle die Flexibilität, die wir jetzt im Moment auf der Grundlage der bestehenden Instrumente haben, voll und ganz ausnutzen und auch berücksichtigen, welche Regierungen das auch wirklich in die Tat umsetzen.

Wir sind als Bail-out-Land in einer solchen Situation. Wir halten uns an die Regeln. Das muss man einfach, denn sonst bekommt man keine Gelder. Das ist also nicht nur ein Anreiz, sondern es ist einfach auch etwas, was man tun muss. Es ist eine Bedingung. Das tun wir aber in Irland schon. Wir halten uns voll und ganz an unsere Verpflichtungen, um aus dieser Bail-out-Situation herauszukommen. Man ist in der Europäischen Union in der Lage, seine Persönlichkeit als europäisches Land auszuleben und seine Politik frei zu gestalten, wenn man sich an die Regeln hält, um allen in der Bevölkerung die Chancen auf die Zukunft zu eröffnen.

Der Rat hat seine Beschlüsse getroffen. Diese Beschlüsse sind im Grunde genommen nicht wirklich umgesetzt worden. Deswegen sollten wir jetzt erst einmal abwarten, ob diese dann umgesetzt werden und was uns Herr Van Rompuy beim Rat im Dezember vorschlägt.