Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem britischen Premierminister David Cameron

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich möchte David Cameron erst einmal danken, dass er bereit war, heute an der Diskussion mit den Studenten teilzunehmen. Dort haben wir ganz wesentlich auch über die Zukunft unseres europäischen Projekts gesprochen. Wir werden jetzt in unserem bilateralen Gespräch noch einmal die aktuellen Fragen der europäischen Themen besprechen.

Ich möchte erstens sagen: Wir haben in ganz Europa gemeinsame Interessen. Wir wollen solide Haushalte und wir wollen Wachstum, damit wir für die Menschen Arbeitsplätze schaffen und den Wohlstand verbessern beziehungsweise Wohlstand generieren können. Dabei geht es um Wettbewerbsfähigkeit. Das sind Dinge, die Großbritannien und Deutschland vollkommen gemeinsam teilen. Vor allen Dingen sind wir der festen Überzeugung, dass der gemeinsame Markt für uns die Basis ist, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, und dass wir das gemeinsam besser können als alleine. Wir sind auch Länder, die für freien Handel auf der Welt eintreten, weil wir glauben, dass das ein wesentlicher Wachstumsfaktor ist.

Gleichzeitig sind wir natürlich der Meinung, dass wir die Schwierigkeiten, die wir in den Ländern mit einer gemeinsamen Währung haben ‑ durch eine hohe Staatsverschuldung, durch Probleme in der Wettbewerbsfähigkeit ‑, im Geiste ganz Europas lösen müssen; denn davon hängt das Wachstum für uns alle ab. Ich glaube, dass dafür notwendig ist, dass die Länder, die eine gemeinsame Währung haben, ihre Zusammenarbeit zum Teil auch vertiefen, so wie wir das jetzt im Fiskalpakt tun und wie wir das auch in Zukunft durch weitere Schritte tun müssen. Wir müssen dabei immer im Kopf haben, dass der gemeinsame Markt das Band ist, das uns vereint. Ich glaube zum Beispiel, dass wir im Bereich der Eurozone einen noch sehr viel tiefer integrierten Arbeitsmarkt und mehr Mobilität brauchen. Das kann aber auch diejenigen Länder umfassen, die nicht die gemeinsame Währung teilen.

Angesichts der aktuellen Schwierigkeiten ist es wichtig, noch einmal zu betonen, dass wir die Instrumente für Unterstützungen in der Eurozone geschaffen haben, dass Deutschland bereit ist, mit diesen Instrumenten auch zu arbeiten, wann immer das notwendig ist, und dass dies Ausdruck unseres festen politischen Willens ist, die Eurozone stabil zu halten, damit die Eurozone ihren Beitrag zu einem weltweiten Wirtschaftswachstum leisten kann.

Herzlich willkommen noch einmal! Wir werden das gleich noch einmal vertiefen.

PM Cameron: Herzlichen Dank, Angela, für die warmherzige Gastfreundschaft, mit der du mich heute in Berlin willkommen geheißen hast. Es ist schön, dass ich wieder hier sein darf.

Wie du gesagt hast, sind wir sehr enge Verbündete und unterstützen uns gegenseitig, um ganz klar zu machen, dass wir mit dem auskommen müssen, was wir haben, dass wir strukturelle Reformen durchführen müssen, damit Europa auf diese Weise wieder wachsen kann, und dass wir auch starke Partner in der Nato und in vielen anderen Fragen der Außenpolitik sind, die wir ja heute beim Mittagessen besprochen haben.

Ich fand es auch sehr schön, dass wir dieses Treffen mit Studenten hatten. Das war ein sehr interessantes und gutes Forum.

Wir haben natürlich über Probleme in den europäischen Wirtschaftssystemen gesprochen. Darüber werden wir auch noch etwas genauer sprechen. Wir alle sind ja davon betroffen. Was die Eurozonen-Krise angeht, so ist natürlich ganz klar, dass schnelle und nachhaltige Maßnahmen notwendig sind ‑ zum Beispiel Firewalls oder die Rekapitalisierung von Banken ‑, um der Unsicherheit auf dem Markt entgegenzugehen. Es ist aber natürlich auch wichtig, wie Angela gesagt hat, dass man glaubwürdige Pläne für die Schuldenproblematik und für die Vervollständigung des gemeinsamen Marktes hat, damit eine wettbewerbsfähige und starke Europäische Union geschaffen wird ‑ einschließlich der Währung.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Länder, die in der Eurozone sind, engere Integration haben wollen. Das wird in den nächsten Monaten und Jahren auch so geschaffen werden. Großbritannien ist nicht in der gemeinsamen Währung und wir werden uns auch nicht anschließen; wir werden also an diesem Integrationsprozess nicht teilnehmen. Natürlich wissen wir aber, dass es wichtig und notwendig ist, dass sich der einheitliche Währungsraum in dieser Beziehung so aufstellt, dass auch die Probleme in der Zukunft bewältigt werden können.

Wir werden natürlich unsere Interessen in der Europäischen Union weiter aufrechterhalten und dafür sorgen, dass der Binnenmarkt fair ist, dass er funktioniert und dass jeder in Europa davon profitieren kann. Wir werden außerdem natürlich auch bestimmte Sicherheiten verlangen, damit der Binnenmarkt auf diese Weise funktionieren kann.

Ich freue mich sehr auf die gemeinsamen Gespräche. Wie immer wird es so sein, dass die Briten und die Deutschen enge Verbündete sein werden. Es gibt keinen Konflikt zwischen der Tatsache, dass alle unsere Wirtschaften Wachstum brauchen, und der Tatsache, dass wir unsere Defizite beherrschen und deutlich machen müssen, dass wir mit dem auskommen, was wir haben. Diese beiden Ziele gehen Hand in Hand, und wir beide sind da völlig einer Meinung.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wie sehen Sie Europa? Sie sind ja sicherlich ganz klar für mehr Integration. Wird das nicht unter Umständen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten schaffen?

Premierminister Cameron, wenn es zu diesem Europa der zwei Geschwindigkeiten kommt, wie kann man dann dafür sorgen, dass Großbritannien nicht zurückbleibt?

BK’in Merkel: In Europa hat es immer verschiedene Formen der Integration gegeben; das ist für uns keine neue Entwicklung. Mit der Entscheidung einiger Länder ‑ insbesondere von Großbritannien und Dänemark, die ja schon zu Beginn der gemeinsamen Währung gesagt haben „Wir werden daran nicht teilnehmen“ ‑ war ja klar, dass man auch gut in einem Europa zusammenleben kann, das nicht alle Vergemeinschaftungsschritte gemeinsam geht.

Umso wichtiger ist es, und ich bin dafür auch dankbar, dass der Premierminister gesagt hat: Das führt dann dazu, dass ein solcher Schritt natürlich auch andere Schritte nach sich ziehen kann. Aber ich betone auch: Ohne dass wir, die wir zusammenarbeiten, uns abschotten und ohne dass wir jetzt anfangen, zum Beispiel den gemeinsamen Markt infrage zu stellen! Wir können also aufbauen auf dem, was wir gemeinsam haben, aber wir dürfen das nicht infrage stellen.

Ich bin dafür, dass wir mehr von dieser Gemeinsamkeit in der Eurozone haben, weil ich glaube, dass Wettbewerbsfähigkeit, Haushaltskonsolidierung und Wachstum in einer einheitlichen Währung nur dann zu schaffen und zu generieren sind, wenn bestimmte Parameter auch vergleichbar sind. Wenn ein Land für Forschung gar nichts ausgibt und ein anderes Land mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, dann wird das auf Dauer nicht gut gehen. Das heißt, die Verpflichtung für eine gemeinsame Währung bringt auch andere Verpflichtungen mit sich ‑ das drückt sich zum Beispiel im Fiskalpakt aus ‑, aber das stellt die Gemeinsamkeit aller 27 EU-Länder nicht infrage.

PM Cameron: Ich denke, das ist richtig. Europa hat ja, denke ich, immer Zusammenarbeit auf unterschiedlichsten Ebenen angestrebt, und Großbritannien ist eine führende Nation in der Nato und im Binnenmarkt. Wir sind wohl die größten Enthusiasten in Bezug auf den Binnenmarkt und auch auf die Vervollständigung des Binnenmarkts. Aber wir sind nicht Teil des Schengen-Prozesses. Wir haben unsere eigenen Grenzen und unsere eigene Grenzüberwachung. Das Gleiche gilt für die gemeinsame Währung. Es gibt auch andere Staaten, die dabei nicht mitmachen wollen. Aber natürlich werden wir unsere Interessen auf entsprechende Weise wahren; das werde ich auf jeden Fall tun.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es wird gemeldet, es habe einen Durchbruch bei den Gesprächen zur Finanztransaktionssteuer gegeben. Können Sie das bestätigen? Ist das für Sie dann auch der Durchbruch auf dem Weg zu einer Einigung in Deutschland, was den Fiskalpakt betrifft?

Herr Premierminister, glauben Sie, dass der Fiskalpakt, wenn er denn so durchgehen sollte, die Rettung des Euro ist?

BK’in Merkel: Ich will die Frage an den Premierminister auch gleich beantworten: Der Fiskalpakt kann eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung dafür sein. Wir brauchen in der akuten Krise Instrumente der Solidarität. Die haben wir, zum Beispiel zur Rekapitalisierung von Banken und zum Beispiel zur Errichtung von Firewalls, um auch eine Abschottung zu erreichen. Gleichzeitig, wenn wir die mittlere und lange Sicht betrachten, brauchen wir mehr Kohärenz, und zwar nicht nur in der Fiskalpolitik, sondern auch in anderen Bereichen. Das heißt also, das ist ein notwendiger Schritt, aber noch kein hinreichender.

Was die Gespräche mit der Opposition anbelangt, so weiß ich, dass sie intensiv geführt werden. Wir werden dann am nächsten Mittwoch sehen, wie weit wir gekommen sind. Ich kann jetzt nichts bestätigen und nichts dementieren, sondern ich sage einfach: Ich freue mich, dass diese Gespräche von allen Seiten konstruktiv geführt werden, und ich glaube, das ist ein guter Beitrag für Europa.

PM Cameron: Zunächst einmal möchte ich zu der Frage nach der Finanztransaktionssteuer nur ganz klar und deutlich sagen: Wir sind der Ansicht, dass die Banken und die Finanzinstitutionen natürlich vernünftig besteuert werden sollen. Das tun wir - sogar mehr, als viele andere europäische Staaten es bei sich im Hinblick auf ihren Finanzsektor machen. Wir haben eine Bankenabgabe. Wir haben eine sogenannte „Stamp Duty“, bei der jede einzelne Aktientransaktionen besteuert wird. Wir gehen gegen das Defizit vor und Ähnliches.

Ich möchte eine Finanztransaktionssteuer überall in Europa allerdings deswegen nicht, weil ich der Ansicht bin, dass solche Geschäfte dann in andere Länder abwandern würden, und das natürlich nicht die richtigen Anreize schaffen würde. Aber wenn man Bankenabgaben oder etwas Ähnliches einführt, dann halte ich das natürlich für vollkommen vernünftig.

Was den Fiskalpakt angeht, muss man, wenn man eine gemeinsame Währung hat, natürlich auf jeden Fall Regeln haben, was zum Beispiel die Schuldenaufnahme, das Aufnehmen von Anleihen oder die Haushaltspolitik angeht. Darum geht es ja beim Fiskalpakt. Ein Fiskalpakt alleine kann natürlich ein wichtiger Baustein sein, aber er wird nicht ausreichen. Es gibt bestimmte andere Maßnahmen, die die Eurozone noch ergreifen muss, damit die gemeinsame Währung auch wirklich funktionieren kann, zum Beispiel Elemente einer Bankenunion, die man sich vielleicht noch einmal anschauen muss. Ich verstehe, warum sich die Länder der Eurozone bestimmte Elemente zum Beispiel einer solchen Bankenunion ansehen wollen. Wir haben die gemeinsame Währung ja nicht eingeführt und würden also an einer vertieften Bankenunion nicht teilnehmen. Ich würde die britischen Steuerzahler zum Beispiel nicht dazu aufrufen, etwa griechische Anleihen oder etwas Ähnliches zu gewährleisten und zu garantieren, weil es ja nicht unsere Währung ist. Aber natürlich sind wir der Ansicht: Eine engere Integration ist wichtig für die Länder der gemeinsamen Währung.

Ich werde dann dafür sorgen, dass die britischen Interessen vor allen Dingen auf dem Binnenmarkt und hinsichtlich der Offenheit und Fairness des Binnenmarkts auch geschützt werden. Das ist für uns in Großbritannien ein Schlüssel. Natürlich wollen wir, dass die Eurozone ein Erfolg wird und dass die Eurozone ihre Probleme lösen kann, damit alle in Europa wieder gemeinsam gesundes Wachstum haben können.