Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble beim G20-Gipfel

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich glaube, es war gut, dass die G20 gerade in diesen Tagen hier in Cannes zusammenkamen. Ich möchte gern zu Beginn der französischen Präsidentschaft ganz herzlich danken, die alles wunderbar organisiert hatte. Wir haben natürlich zuvörderst über die Situation der Weltwirtschaft gesprochen. In den Diskussionen wurde deutlich, dass sich alle Teilnehmer der G20 der Verantwortung bewusst sind, was das Wirtschaftswachstum anbelangt, was die Wohlstandsentwicklung anbelangt, aber auch, was die Arbeitsplätze und die Beschäftigung anbelangt.

Wir haben uns auf einen Cannes-Aktionsplan verständigt, der deutlich macht, wie wir das Wachstum stärken können. Von deutscher Seite haben wir hier vor allen Dingen eingebracht, dass wir zu unseren Beschlüssen von Toronto stehen sollten, was die Haushaltskonsolidierung und natürlich auch weitere Strukturreformen anbelangt.

Es ist oft ein Missverständnis, dass der Eindruck entsteht, Wachstum könne man nur durch staatliche Mittel, durch Konjunkturprogramme, befördern. Wir vertreten hier sehr stark die Auffassung, dass dies ganz besonders durch Strukturreformen möglich ist. Wir haben auch das Thema „freien Handel“ hier eingebracht. Denn wir haben dem Bericht der OECD entnehmen müssen, dass es im letzten Jahr doch eine Reihe von protektionistischen Tendenzen gab. Deshalb ist die Selbstverpflichtung von Toronto, solchen protektionistischen Tendenzen nicht Raum zu geben, aktueller denn je.

Wir haben hier sehr offen darüber gesprochen, dass wir die Methode, wie die DOHA-Runde beendet werden soll, verändern müssen. Wir haben jetzt über einen langen Zeitraum wenig Erfolg auf dem Gebiet gehabt, und deshalb werden die Minister noch einmal gebeten zu überlegen, wie man sich dem Abschluss der DOHA-Runde vielleicht in einer neuen Form nähern könnte.

Die Frage der Schuldenproblematik innerhalb der Eurozone und zum Teil auch das mangelnde Vertrauen waren natürlich ein wesentlicher Gegenstand der Diskussionen. Alle Teilnehmer haben hier ein hohes Interesse an einer stabilen Eurozone ausgedrückt und die Brüsseler Beschlüsse ausdrücklich gelobt. Es ist hier von der europäischen Seite noch einmal deutlich geworden, dass wir die Umsetzbarkeit schneller vorantreiben wollen. Die Finanzminister werden ja schon am Montag beraten und dann weiter im Laufe des November.

Deutschland hat für diesen G20-Gipfel in ganz besonderer Weise die Arbeitsgruppe geführt, die sich mit der Zukunft des Weltwährungssystems befasst. Hier möchte ich dem Sherpa Herrn Asmussen ganz besonders danken. Wir haben das gemeinsam mit Mexiko gemacht. Wir haben erreichen können, dass die Überzeugung, dass freier Kapitalverkehr das Richtige für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung der Welt ist, in das Dokument aufgenommen wurde.

Es wurde ein Aktionsplan zur Unterstützung lokaler Anleihemärkte beschlossen, und es ist noch einmal hervorgehoben worden, dass es wichtig ist, dass die Währungskurse die objektive ökonomische Lage eines Landes widerspiegeln. Ich glaube, das ist auch auf dem Weg in ein multipolareres Weltwährungssystem ganz wesentlich.

Sehr zufrieden kann man, glaube ich, mit den Ergebnissen der Finanzmarktregulierung sein. Das Financial Stability Board hat hier die notwendigen Beschlüsse gefasst, was die Regulierung der Banken angeht, die systemrelevant sind. Sie wissen, dass wir jahrelang darüber gesprochen haben. Solche Banken sind „too big to fail“, also so systemrelevant, dass man den Zusammenbruch einer solchen Bank nicht riskieren kann. Für diese Banken ist jetzt eine Prozedur der Restrukturierung vereinbart, die dazu führt, dass in Zukunft nicht mehr der Steuerzahler dafür eintreten muss. Das ist ein großer Gewinn. Die 29 Banken, die als systemrelevant eingestuft wurden, werden veröffentlicht werden. Von deutscher Seite gehören jetzt unsere beiden größten Banken dazu, die Deutsche Bank und die Commerzbank.

Wir haben jetzt die Aufgabe für das Financial Stability Board ausgegeben, dies auch für die Schattenbanken zu tun. Die Arbeiten hierzu haben begonnen. Wir werden Druck machen, dass das möglichst schnell auch beendet wird. Denn wir haben schon eine Tendenz, dass desto mehr Ausweichbewegungen in dem noch nicht so stark regulierten Markt stattfinden, je mehr und stärker die Banken reguliert werden. Deshalb müssen auch die Schattenbanken reguliert werden getreu unserem Ansatz aus dem ersten G20-Treffen: Jeder Akteur, jeder Platz und jedes Instrument muss einer Regulierung unterworfen werden.

In dem Zusammenhang ist auch erfreulich, dass die Überwachung der landläufig Steueroasen genannten Plätze weiter voranschreitet. Jetzt wurden noch einmal elf solcher Plätze identifiziert, die nicht die notwendigen Fortschritte gemacht haben; an einigen Stellen ist aber auch einiges passiert.

Wir werden eine Reform des Financial Stability Board haben; das ist ja die Regulierungsbehörde. Mario Draghi hat jetzt seine Arbeit als Chef der Regulierungsbehörde beendet, weil er ja der Präsident der Europäischen Zentralbank geworden ist. Als Nachfolger wird der Kanadier Mark Carney benannt, der Notenbanker Kanadas, und als sein Stellvertreter Philipp Hildebrand, der Schweizer Notenbanker. Beide werden dann eine wichtige Rolle spielen, wenn es um die weitere Regulierung geht. Wir ermutigen das Financial Stability Board außerordentlich weiter zu arbeiten. Die politische Einflussnahme auf diese Regulierungsarbeiten wird auch durch die Reform des FSB gestärkt.

Insofern kann ich sagen, dass wir hier an vielen Stellen Fortschritte erzielt haben. Wir werden die nächste Sitzung der G20 in Mexiko haben, die übernächste in Russland. Wir haben in der Arbeit der G20 jetzt der sogenannten Troika eine stärkere Bedeutung beigemessen, damit die Kontinuität der Arbeitsaufgaben besser gewährleistet ist. Das heißt, es werden im Falle von Mexiko in Zukunft Frankreich und Russland stark zusammenarbeiten, damit der Themenbogen auch gut gespannt werden kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gibt eine Diskussion, wie der IWF mit dem EFSF zusammenarbeiten soll, und zwar über die SDRs von IWF. Die Diskussion ist, dass Sie dagegen sind und dass alle diese ... (akustisch unverständlich) benutzen wollen. Können Sie dazu Stellung nehmen?

BK’in Merkel: Ich kann selbstverständlich dazu Stellung nehmen. Ich bin erst einmal sehr froh, dass die EFSF jetzt sozusagen institutionell mit dem IWF zusammenarbeiten kann. Das ist für viele, die sich an den Instrumenten der Hebelung beteiligen wollen, sehr wichtig.

Wir haben dann darüber gesprochen, dass wir sicherstellen wollen, dass der IWF insgesamt die notwendige Ausstattung hat. Das beinhaltet bilaterale Kreditlinien; das beinhaltet die sogenannten SZRs, die Sonderziehungsrechte ‑ hier hatten wir ja in London schon einmal eine Erhöhung vorgenommen ‑, und das beinhaltet auch neue Instrumente, diese Liquiditätslinien zum Beispiel des IWF.

Wir werden in der nächsten Zeit erst einmal erarbeiten, wie die Leitlinien für die EFSF sind, und dann sind alle IWF-Mitglieder aufgefordert oder es wird ihnen die Möglichkeit eingeräumt, sich freiwillig in der ihnen geeigneten Weise an den Dingen zu beteiligen. Insofern, glaube ich, haben wir einen interessanten Prozess vor uns. Die Diskussion hierzu ist aber noch abgeschlossen. Es gibt hier kaum Länder, die jetzt bereits gesagt haben: Wir machen bei der EFSF mit. – Alle haben sich sehr erkundigt. Ich glaube, es hängt jetzt unheimlich viel von den Leitlinien ab.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, man hatte das Gefühl, dass vor anderthalb Tagen der französische Staatspräsident Sarkozy und Sie nicht nur mit Griechenland ein bisschen die Geduld verloren hatten, sondern auch mit Italien. Wie hat das G20-Mitglied Berlusconi darauf in den letzten anderthalb Tagen reagiert?

BK’in Merkel: Nun, wir hatten eine Vielzahl von Gesprächen sowohl unter den Finanzministern als auch mit den Ministerpräsidenten. Es hat sich hier als sehr positiv herausgestellt, dass nicht nur die Kommission, die ja von Italien gebeten wurde, das Reformprogramm, das von Italien vorgelegt wurde, zu überwachen, das in Zukunft tun wird, sondern auch der IWF. Es ist heute noch einmal explizit vereinbart worden, dass solche Berichte vierteljährlich von IWF und Kommission angefertigt werden. Das ist auf sehr positive Resonanz gestoßen.

Frage: Gab es vom amerikanischen Präsidenten die Klage, dass die Europäer die Euro-Krise zu zaghaft angehen? Ist der Eindruck richtig, dass der amerikanische Präsident möglicherweise bei diesem Gipfel eine Nebenrolle gespielt hat?

BK’in Merkel: Den Eindruck hatte ich nicht. Also ich hatte den Eindruck, dass der amerikanische Präsident zum Teil sehr intensiv in viele Facetten unserer europäischen Arbeit eingebunden war und das auch mit sehr viel Interesse getan hat.

Nein, das Klima hier ‑ wenn ich das zusammenfassen darf ‑ war so, dass jeder weiß, dass alle miteinander aufs Engste verwoben sind und der Erfolg einer Region der Erfolg aller Regionen und der Misserfolg einer Region der Misserfolg aller Regionen ist. In dem Geist haben wir diese Diskusionen geführt, ob das jetzt die Vereinigten Staaten von Amerika waren, die sich auch sehr für die europäischen Beschlüsse interessiert haben, oder die Teilnehmer aus Asien oder Lateinamerika. Selten ist diese gemeinschaftliche Abhängigkeit so hervorgetreten, auch im Blick auf die europäischen Entscheidungen. Sie sind gelobt worden. Es ist natürlich immer wieder darauf hingewiesen worden, dass Vertrauen das Allerwichtigste ist. Deshalb ist auch die Nachricht, dass Italien mit dem Monitoring bereit ist, Kommission und IWF einzubeziehen, von allergrößter Bedeutung. Der Eindruck täuscht. Das muss ich ganz ausdrücklich sagen.

BM Schäuble: Er hat auch ausdrücklich die Beschlüsse gelobt, vor dem Gipfel und hier wieder.

BK’in Merkel: Eben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Minister, Sie sagten ja, dass Sie die Strukturreformen, die Konjunktur, auf Trab halten wollen. Aber besteht angesichts der Steuerschätzung vielleicht nicht dennoch die Neigung, mehr Geld in die Hand zu nehmen, um so die Binnennachfrage anzukurbeln und auch dem Amerikaner in die Hände zu spielen?

Und ist das angesichts jüngster Umfragen, wonach 62 Prozent der Bevölkerung Steuersenkungen ablehnen und lieber Schulden abbauen würden, überhaupt eine Form der Politik, die im Moment angesichts der Schuldenkrise angesagt ist?

BM Schäuble: Also wir haben ja heute das Ergebnis der Steuerschätzung erhalten. Ich weiß gar nicht, ob das im Moment schon veröffentlicht worden ist. – Das wird um 14 Uhr in Berlin und zeitgleich von der Schätzkommission geschehen. Es wird nicht so furchtbar überraschend sein, weil man die Ergebnisse ja meistens schon kennt.

Ich will zu dem Ergebnis der Steuerschätzung zwei Dinge sagen: Wir haben in diesem Jahr 2011 noch einmal eine wesentlich stärkere Zunahme der Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden, als wir beziehungsweise die Steuerschätzer das im Mai erwartet hatten. Das entspricht aber dem Verlauf der Konjunktur; im ersten Halbjahr waren ja von Woche zu Woche die Prognosen über die Wachstumsentwicklungen angestiegen. Seit dem dritten Quartal haben wir den umgekehrten Prozess. Infolgedessen verlangsamt sich das auch sehr bei den Steuereinnahmen im Jahre 2012. Dort ist die Differenz der Schätzung gegenüber der Steuerschätzung im Mai nur noch die Hälfte. Wenn man hinzufügt, dass wir im Bundeshaushalt, im Haushaltsentwurf für 2012, von den 3 bis 3 ½ Milliarden Euro Mehreinnahmen bereits 2 Milliarden Euro eingeplant haben, weil wir zum Zeitpunkt Juli schon mit Sicherheit davon ausgehen konnten, ist der Spielraum eher gering. Im Übrigen ist die weitere Perspektive eher eine begrenzte, d. h. die Steuerschätzungen bestätigen gut, dass wir seit Beginn dieser Legislaturperiode sehr konsequent eine Finanzpolitik der Konsolidierung betrieben haben. Wir werden diesen Kurs fortsetzen.

Die Umfragen, die Sie zitieren, zeigen nur, dass unsere Bevölkerung insgesamt viel klüger ist als gelegentlich die Schwankungen in der veröffentlichten Meinung von einem Tag zum anderen.