Pressestatements Bundeskanzlerin Merkel und Prof. Dr. Wolfgang Franz zum Jahresgutachten 2010/2011 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Pressestatements Bundeskanzlerin Merkel und Prof. Dr. Wolfgang Franz zum Jahresgutachten 2010/2011 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

in Berlin

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Mittwoch, 10. November 2010

PROF. DR. FRANZ: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, der Sachverständigenrat übergibt Ihnen heute sein 47. Jahresgutachten. Der Titel lautet „Chancen für einen stabilen Aufschwung“.

Damit wollen wir zweierlei zum Ausdruck bringen. Zum einen: Die erfreuliche Aufwärtstendenz der deutschen Volkswirtschaft bietet Chancen für einen stabilen, wenngleich eher flachen Wachstumspfad. Zum anderen: Die Bundesregierung kann durch ihre Wirtschaftspolitik die Chancen tatkräftig unterstützen, und zwar auf verschiedenen Handlungsfeldern. Lassen Sie mich vielleicht drei nennen: Erstens ein zielführendes institutionelles Regelwerk für den Euroraum, zweitens die Reform der nationalen und internationalen Finanzmarktarchitektur und drittens die konsequente Fortführung des Konsolidierungskurses der öffentlichen Haushalte.

Frau Bundeskanzlerin, ich darf Ihnen hiermit das Gutachten übergeben.

BK'IN DR. MERKEL: Herr Professor Franz, sehr geehrte Mitglieder des Sachverständigenrates, wir freuen uns über die Übergabe des Gutachtens. Ich glaube, wir freuen uns gemeinsam, dass die Lage in diesem Jahr sehr viel optimistischer ausschaut als im vergangenen Jahr um diese Zeit und dass wir einem ‑ wenn auch, wie Sie sagten, nicht überbordenden ‑ Wachstumspfad, der dieses Jahr besonders stark ausgeprägt ist, entgegensehen können. Ich glaube, Sie haben uns für dieses Jahr eine recht hohe Wachstumsprognose gegeben.

Wir wissen, dass wir weiter an den verschiedensten Reformen arbeiten müssen. Ich glaube, wir stimmen überein, dass wir zumindest in Europa auf einem ganz guten Pfad sind, wenn es jetzt gelingt, durch eine begrenzte Vertragsänderung eine dauerhafte Sicherung für die Stabilität des Euro einzubauen. Wir sind sehr gut vorangekommen bei der Regulierung der Finanzmärkte ‑ ich fliege heute ja gemeinsam mit dem Finanzminister nach Südkorea zum G20-Gipfel. Dabei ist gerade im europäischen Bereich, aber auch im nationalen Bereich einiges, was wir dringend brauchen, gelungen ‑ von Insolvenzverfahren für Banken und die Bankenabgabe über die Regulierung von Hedgefonds bis zur neuen Finanzmarktaufsicht und ähnliches mehr.

Wir müssen den Haushaltskonsolidierungskurs fortsetzen. Man könnte mit Blick auf die Sanktionen beim Euro sagen: Das haben wir insofern, als wir uns das ins Grundgesetz hineingeschrieben haben, und da eine permanente Pflicht besteht, den Vorgaben des Grundgesetzes zu entsprechen, quasi automatisiert. Wir alle lernen in diesen Wochen und Monaten, was die Unterschiede zwischen strukturellen und konjunkturellen Defiziten sind. Die Festlegung, dass auch strukturell gespart werden muss, ist natürlich die wirkliche Hürde an der Sache und erfordert dann auch die entsprechenden Anstrengungen.

Was die Wirksamkeit der Hartz-IV-Reformen insgesamt anbelangt, scheinen Sie ja darauf Bezug zu nehmen, dass sich das sehr gut auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Wir dürfen Ihnen sagen, dass diese Bundesregierung keine Tendenzen verspürt, das, was an Gutem gemacht wurde, wieder wegzunehmen, sondern dass wir auf diesem Pfad weitermachen wollen. Wir haben auch alle Vorruhestandsregelungen und alles, was einer verlängerten Lebensarbeitszeit im Wege stehen könnte, nicht verlängert, sondern wollen uns dem Thema Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit mit aller Kraft widmen.

Wenn wir überlegen, dass im Bundeshaushalt jedes Jahr 40 Milliarden Euro und zusätzlich noch einmal 10 Milliarden Euro bei den Kommunen für Langzeitarbeitslosigkeit ausgegeben werden, sehen wir, dass der strukturelle Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit einen unglaublich guten Effekt für Möglichkeiten, in die Zukunft zu investieren, hat. Insofern ist das eine Anstrengung wert, und zwar nicht nur, weil wir Menschen helfen ‑ was angesichts der Arbeitslosenzahlen natürlich sehr erfreulich ist ‑, sondern auch, weil wir wieder Spielräume für die Zukunft bekommen. Uns ist durchaus bewusst, dass eine Haushaltstruktur mit über 50 Prozent Sozialausgaben, wie wir sie zum Beispiel in diesem Jahr als Antwort auf die Krise haben, angesichts einer alternden Gesellschaft keine zukunftsfähige Struktur ist.

Wir werden uns das Gutachten natürlich gut anschauen. Wir werden in dieser Woche eine Gesundheitsreform verabschieden, die zum ersten Mal eine stärkere Entkopplung der Arbeitskosten und der Sozialversicherungsbeiträge beinhaltet. Wir brauchen auf diesem Pfad Ermutigung. Dieser Pfad scheint für Sie ein kleiner Schritt zu sein, aber für uns ist es ein politisch schon recht großer. Wenn Sie uns bei den aus Ihrer Sicht immer zaghaften Ansätzen in die richtige Richtung tatkräftig unterstützen können, dann sind wir ganz zufrieden.

Danke schön! Sie werden das Gutachten an anderer Stelle sicherlich noch umfassend vorstellen.

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