Pressestatement von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des G20-Gipfels

BK’in Merkel: Am ersten Tag des G20-Gipfels hat das Thema Weltwirtschaftswachstum im Zentrum der Beratungen gestanden, und wir haben eine sehr intensive Diskussion über die verschiedenen Risiken für ein nachhaltiges Wachstum geführt. Es ist deutlich geworden, dass es verschiedene Ansatzpunkte gibt, die im Hinblick auf ein weltweites Wachstum Sorgen bereiten ‑ angefangen bei Protektionismus über Themen der Haushaltskonsolidierung in den Vereinigten Staaten von Amerika bis hin zu der Frage der Wirtschaftspolitik der Schwellenländer. Natürlich hat aber, wie auch abzusehen gewesen ist, das Thema der Euro-Schuldenkrise eine große Rolle gespielt.

Es ist eine Diskussion im Geiste der Kameradschaft und der gegenseitigen Abhängigkeit geführt worden. Das zeigt sich auch daran, dass sehr viele Partner Zusagen zur Verstärkung der IWF-Mittel gemacht haben und damit die Erwartungen, die wir an die Aufstockung der IWF-Mittel hatten, noch einmal übertroffen wurden ‑ von Südafrika angefangen bis hin zu Brasilien und vielen Schwellenländern, China und Japan. Das war also eine wirklich globale Anstrengung und damit auch eine Stärkung des IWF, die wir ja schon in den letzten Jahren beobachten konnten.

Vonseiten der Europäischen Union haben wir hier sehr einheitlich und gemeinsam argumentiert, dass wir entschlossen sind, die Krise zu lösen, und zwar in einer Mixtur aus fiskalischer Konsolidierung, Wachstumsinitiativen und Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit. Dies ist hier auch auf sehr aufmerksame Ohren gestoßen. Die Diskussion verlief, wie gesagt, in dem Geiste, dass wir gegenseitig hilfreich sein wollen und dass jeder natürlich auch eine Verantwortung hat, seine Probleme zu lösen.

Ich habe von meiner Seite aus noch einmal deutlich gemacht, dass wir mehr Europa brauchen, eine Vertiefung unserer Zusammenarbeit, weil die Märkte erwarten, dass wir zusammenrücken. Ich habe auch deutlich gemacht, dass bei mehr Europa immer die Balance von Kontrolle und Haftung, die zusammengehören, gehalten werden muss. Auch das ist hier gut aufgenommen worden.

Heute stehen im Mittelpunkt der Beratungen das Thema Handel, das Thema Finanzmarktregulierung und, korrespondierend zu den Bemühungen in Rio, auch das grüne Wachstum. Ich werde hier noch einmal deutlich machen, dass wir uns von der deutschen Seite ‑ und ich bin hier zum Beispiel mit meinem Kollegen David Cameron sehr einer Meinung ‑ wünschen, dass mehr für den freien Handel getan wird und dass schärfer gegen Protektionismus vorgegangen wird. Diese Diskussion wird aber sicherlich noch kontrovers geführt werden.

Bei der Finanzmarktregulierung ist es jetzt wichtig, dass wir schnell die Einigung zu den Schattenbanken bekommen. Diesbezüglich erwarten wir in den nächsten Monaten die Ergebnisse des Financial Stability Board, das dafür zuständig ist. Ich werde noch einmal deutlich machen, dass, je schneller wir die Ergebnisse haben, desto besser das Ganze ist.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass es auch heute intensive Beratungen gibt, aber über andere Themen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, hatten Sie hier das Gefühl, dass von den Europäern und insbesondere von Ihnen beziehungsweise Deutschland erwartet wird, mehr zu tun, um ein Abgleiten der Weltkonjunktur aufzuhalten?

BK’in Merkel: Es ist ja offensichtlich, dass wir im Euroraum Probleme haben und dass hier gehandelt werden muss. Wir haben aber ‑ und das war das Gute ‑ als Europäer, bis hin zu José Manuel Barroso und auch Herman Van Rompuy und den anwesenden Mitgliedstaaten, deutlich gemacht, dass wir entschlossen sind, diese Probleme anzugehen. Wir haben deutlich gemacht, dass der Euroraum sicherlich etwas Einzigartiges in der Welt ist und nicht einfach mit einem Nationalstaat zu vergleichen ist, und dass hier deshalb auch eine historische Entwicklung zu begleiten ist. Ich nehme aus Los Cabos den Eindruck mit, dass die Weltgemeinschaft möchte, dass diese Aufgabe uns Europäern gelingt. In diesem Geist sind die Diskussionen geführt worden; das finde ich wichtig. Was die Teilnehmer hier von uns wissen wollten, ist: Stehen wir politisch hinter dem Euro, wollen wir, dass er eine gute Zukunft hat? Ich glaube, diese Frage konnten wir mit einem klaren Ja beantworten.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie sagten, dass Sie sich für mehr Europa stark gemacht haben. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang jetzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts?

BK’in Merkel: Wenn ich „mehr Europa“ gesagt habe, dann meine ich zum Beispiel, dass wir über eine europäische Institution gesprochen haben, die eine Bankenaufsicht verkörpern könnte, dass wir über mehr Maßnahmen für Wachstum gesprochen haben und dass wir über die Verabschiedung von Richtlinien gesprochen haben, die sich mit gleichen Standards für Einlagensicherung oder mit der Restrukturierung von Banken beschäftigen. Das sind solche Rahmenbedingungen. Natürlich haben wir aber auch gesagt, dass wir politisch enger zusammenrücken müssen.

Was das Urteil des Bundesverfassungsgerichts anbelangt, so werden wir das umsetzen und haben dafür jetzt klare Maßstäbe. Ich glaube, dass die Informationen, die wir jetzt auch in der Diskussion über ESM und Fiskalpakt haben, sehr intensiv sind. Das Urteil ist dann aber die Leitlinie für die Regierung.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die Troika dürfte feststellen, dass Griechenland seine Verpflichtungen nicht eingehalten hat ‑ mitten im Wahlkampf wurden praktisch alle Reformbemühungen eingestellt. Denken Sie, es wäre eine Lösung, dass man den Griechen auf der Zeitachse, wie es so schön heißt, entgegenkommt?

BK’in Merkel: Ich habe gestern mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, gesprochen und habe sie gebeten, dass die nächste Troika-Mission sehr schnell nach Regierungsbildung nach Griechenland fährt. Wir werden das Ergebnis dann abwarten. Es hat jetzt keinen Sinn, zu spekulieren. Ich glaube, wir sollten uns ganz klar an die Regeln halten. Ansonsten ist es ganz offensichtlich, dass die Reformen, die in der Vergangenheit schon vereinbart wurden, richtige Schritte sind und dass sie deshalb auch umgesetzt werden müssen. Jetzt warte ich auf den Troika-Bericht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ist die Diskussion, mehr für die Konjunktur zu tun, also mehr Geld in die Hand zu nehmen, damit jetzt eigentlich vom Tisch. Sehen Sie, dass der Druck da jetzt raus ist, oder fühlen Sie sich unter Umständen weiter unter Druck, ist das nur eine Zwischenetappe?

BK’in Merkel: Die Diskussion war hier sehr ausgewogen, so wie man hier überhaupt immer über ausgewogenes Wachstum ‑ „balanced growth“ ‑ spricht. Da ist völlig klar ‑ und das haben auch alle Diskussionsteilnehmer, auch aus den Ländern außerhalb Europas, gesagt ‑, dass man einen richtigen Mix aus Konsolidierung der Haushalte ‑ deshalb wird im Abschlusskommuniqué auch der Fiskalpakt als ein wichtiger Schritt hin zu mehr Europa gewürdigt ‑ und gleichzeitig Anstrengungen für Wachstum braucht. Beim Wachstum geht es nicht nur um Geld. Es bestand hier eine große Einigkeit darüber, dass wir die Konjunkturprogramme, die wir direkt nach der Krise der internationalen Finanzmärkte aufgelegt haben, nicht einfach wiederholen können. Das hat der amerikanische Präsident gesagt und das haben wir von europäischer Seite gesagt ‑ das geht nicht, dazu sind die Verschuldungen zu hoch. Wir erinnern auch an die Toronto-Ziele, dass wir bis 2013 unsere Defizite halbieren wollten.

Jetzt geht es darum, dass die Mittel, die wir für Wachstum haben, so eingesetzt werden, dass daraus auch Effekte erzielt werden; denn letztlich geht es um Arbeitsplätze, um die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Wachstum als solches ist wichtig, aber es geht zum Schluss und ganz wesentlich immer um Menschen, für die wir diese Arbeit tun.

Frage: Haben Sie das Gefühl, am Ende des Gipfels wieder näher zu sein als vor dem Gipfel?

BK’in Merkel: Diese G20-Gipfel sind deshalb so wichtig, weil sie uns geradezu auch physisch ‑ weil man sich trifft, sieht, spricht ‑ vor Augen führen, inwieweit wir in einer Welt von gegenseitigen Abhängigkeiten leben und wie die Entwicklungen in einem Teil der Welt in einem anderen Teil auch bestimmen. Wir als Europäer sind ja in dem festen Wissen hierhergefahren, dass wir noch nicht alle unsere Probleme gelöst haben, aber auch mit der Überzeugung ‑ und die konnten wir hier deutlich machen ‑, dass wir sie lösen wollen. Gleichzeitig haben andere Teilnehmer uns gesagt, dass sie zu Hause bei sich auch Probleme haben. Ich glaube, das hat die Diskussion erleichtert. Insofern glaube ich, dass es ein wichtiger Gipfel war, der im Übrigen vom Gastgeber, Präsident Calderón, sehr verständnisvoll, sehr direkt, sehr ehrlich und sehr schwungvoll geleitet wird. Das hat der Diskussionsatmosphäre, gerade auch gestern beim Abendessen, sehr gut getan; denn dort hat eine ganz ehrliche Aussprache über die Probleme aller Länder stattgefunden, und das waren nicht nur Europäer.

Frage: Was war der Grund dafür, dass die anschließende Zusammenkunft von Obama mit den EU-Ländern ausgefallen ist?

BK’in Merkel: Der Grund war genau das intensive Abendessen, weil wir all das, was wir hätten besprechen können, eigentlich schon in dieser sehr kleinen Runde, in der nur Staats- und Regierungschefs waren, bereits besprochen hatten. Insofern werden wir heute noch über manche Formulierung reden, aber wir sind gestern fertig gewesen ‑ und zwar im guten Sinne fertig. Deshalb haben wir uns darauf geeinigt, dass ein weiteres Treffen nicht nötig ist, sondern alles schon abgearbeitet war.

Frage: Ist der Druck auf den EU-Gipfel Ende des Monats noch einmal erhöht worden?

BK’in Merkel: Nein, ich glaube nicht, dass er erhöht wurde. Wir sind schon in dem Bewusstsein hierhergefahren, dass auf dem EU-Gipfel einerseits natürlich das Thema Wachstum auf der Tagesordnung steht, andererseits aber auch eine Arbeitsmethode entwickelt werden muss, wie wir die Kooperation im europäischen Bereich verbessern können. Hinzu kommt, dass auch Spanien bald seinen Antrag stellen wird; darüber ist natürlich auch gesprochen worden. Es ist jetzt ganz wichtig, möglichst schnell Klarheit zu bekommen, wie der spanische Antrag aussieht und was dann die Folgerungen für die spanischen Banken sein werden? Denn wir alle wissen: Banken, die nicht richtig kapitalisiert sind, sind eine wirkliche Quelle von Unruhe und Gefährdung für die Wirtschaftslage. Deshalb gab es ganz breite Übereinstimmung, dass, sobald die Ergebnisse der Bewertung vorliegen, die spanische Regierung den Antrag stellen wird.

Frage: Hatten Sie Gefühl, dass die Amerikaner hier als Lehrmeister auftreten, so wie Barroso sich gestern geäußert hat?

BK’in Merkel: Ich habe das Gefühl, dass wir hier eine intensive Aussprache über die verschiedenen Probleme geführt haben, und ich habe das Gefühl, dass dies in einer Atmosphäre der Partnerschaft stattgefunden hat, und in dem Wissen, dass eigentlich jeder, der hier anwesend ist, zu Hause für sich noch etwas zu tun hat. Wir Europäer haben ganz besonders viel zu tun, aber wir sind auch sehr entschlossen, das zu schaffen.

Herzlichen Dank!