Pressestatement der Bundeskanzlerin nach dem EU-Sonderrat

BK'in Merkel: Guten Abend. Ich darf Ihnen die Entscheidung des heutigen Tages verkünden: erstens, dass wir uns geeinigt haben auf den ersten Präsidenten des Europäischen Rates – das wird der belgische Premierminister Herman Van Rompuy sein – und (zweitens) auf eine Hohe Beauftragte für die Außenpolitik. Das wird Catherine Ashton oder Lady Ashton, je nach Lust, den Namen auszusprechen, sein.

Es war eine gelungene Vorbereitung der schwedischen Präsidentschaft. Es waren Konsensentscheidungen, und es hat sicherlich in Europa ein Prinzip heute Abend gesiegt, das mir persönlich sehr wichtig ist: dass bei sehr unterschiedlichen Meinungen und Überzeugungen zum Schluss die Suche nach einem Konsens wirklich die treibende Kraft ist. In diesem Sinne konnten wir einstimmige Entscheidungen fällen.

 

Deshalb bin ich sehr froh, dass nicht nur der Lissaboner Vertrag in Kraft ist, sondern dass wir auch die Repräsentanten dieses Lissaboner Vertrages jetzt gewählt haben, bestätigt haben. Ich glaube, wir haben dies auch in einem Geist getan, der es der Kommission und dem Europäischen Parlament ermöglicht, diese Entscheidungen mitzutragen.

 

Man sieht an diesen Entscheidungssituationen, dass Europa ein sehr vielfältiges Gebilde ist und dass wir in den verschiedenen Institutionen aufeinander Rücksicht zu nehmen haben – Rat, Kommission, Parlament. Es war, glaube ich, relativ wichtig, dass bei der ersten Entscheidung dieser Art es möglich war, in einem Konsensverfahren zu entscheiden. Das hat für mich zum Schluss die entscheidende Rolle gespielt.

 

Frage: Frau Bundeskanzlerin, könnten Sie erläutern, welche besonderen Fähigkeiten Herr Van Rompuy und Lady Ashton für ihre Ämter mitbringen und wie gut Sie Lady Ashton kennen?

 

BK'in Merkel: Ich habe die Arbeit von Lady Ashton in der Aufgabe als Handelskommissarin verfolgt, nachdem ich mich unglaublich gefreut habe, dass sie im Oberhaus Großbritanniens den Lissaboner Vertrag durchgebracht hat. Die Tatsache, dass Großbritannien es in einem ziemlich mutigen Schritt sowohl im Unterhaus als auch im Oberhaus geschafft hat, den Lissaboner Vertrag zu akzeptieren und auch zu ratifizieren, ist die Voraussetzung dafür gewesen, dass wir heute hier so entscheiden können.

 

Sie ist dann Handelskommissarin geworden und hat in kurzer Zeit Verträge abgeschlossen – gerade auch mit afrikanischen Ländern, aber auch das Handelsabkommen mit Südkorea –, die sehr strittig waren. Und wie es manchmal so ist: Zum Schluss zählt, was das Ergebnis ist. Und das hat mich sehr überzeugt, dass sie eine fähige und für diese Aufgabe sehr geeignete Persönlichkeit ist.

 

Was Herman Van Rompuy anbelangt, ist es so: Natürlich haben wir sehr exponierte Kandidaten gehabt, für die es auch jeweils gute Gründe gab, dass sie hätten Präsident des Europäischen Rates sein können. Aber zum Schluss mussten wir uns entscheiden: eine knappe oder vielleicht sogar fehlgeleitete Entscheidung mit blockierenden Minderheiten oder aber einen Kandidaten, der einen Konsens mit sich bringt und seine Fähigkeiten in einer langen politischen Karriere auch gezeigt hat.

 

Ich weiß, dass in den Beneluxstaaten – in denen es ja nicht nur einen Bewerber gab oder eine Möglichkeit gab, eine Benennung vorzunehmen – für denjenigen, für den wir uns heute entschieden haben, eine sehr hohe Hochachtung existiert. Auch das hat für mich einen Ausschlag gegeben, obwohl ich weiß, dass mit einer solchen Entscheidung immer auch Enttäuschungen verbunden sind. Ich glaube, Europa tut gut daran, auf einer breiten Plattform heute in eine neue Ära zu starten. Nichts anderes ist der Beginn des Lissaboner Vertrages.

 

Frage: Frau Bundeskanzlerin, nun hat Europa zwei Telefonnummern, wo man anrufen kann. Glauben Sie, dass Obama es nicht vorzieht angesichts der Personalien, die gewählt worden sind, dann doch lieber in den Hauptstädten anzurufen – sprich bei Ihnen oder vielleicht bei Herrn Sarkozy? Dass für den einen oder anderen die gewählten Persönlichkeiten eine Kragenweite zu klein sind?

 

BK'in Merkel: Ich gehöre zu den Menschen, die wissen, dass Persönlichkeiten in Aufgaben auch hineinwachsen können. Angerufen wird der, von dem man erwartet, dass er für Europa spricht – und nicht der, der vielleicht heute der Bekannteste ist, und man glaubt, dass es ein Europäer ist.

 

Die Frage, die die Entscheidung bringen wird auf Ihre Frage, wird die Frage sein, ob die Person, die man anruft, zum Schluss für Europa spricht. Und da werden schon die beiden heute benannten Personen angerufen werden. Ich habe ein hohes Vertrauen, dass sie zum Schluss nichts Falsches sagen über das, was Europa zum Schluss entscheidet. Und das ist entscheidend. Wir haben heute Abend eine Diskussion gehabt, wobei alle einverstanden waren mit den Vorschlägen. Aber wir haben halt zum Beispiel bei der Erweiterung der Europäischen Union sehr auseinanderfallende Meinungen.

 

Und wenn Sie dann jemanden haben, der vielleicht für eine Meinung besonders gut spricht und damit vielleicht sogar Freude in einem anderen Kontinent erzeugt, aber anschließend muss derjenige, der angerufen hat, feststellen, dass da gar nicht alle dahinterstehen, dann ist genauso wenig gewonnen, als wenn man es mal versucht und keine Antwort bekommt und erst etwas später die Antwort (bekommt), die dann aber trägt. Das ist der Widerspruch bei 27 Mitgliedstaaten. Der ist immanent. Ich sage Ihnen ganz klar, ich habe mich heute Abend für das Prinzip höchstmöglicher Konsens entschieden – ganz eindeutig.

 

Frage: Frau Merkel, ist denn auch über den Posten des Generalsekretärs gesprochen worden?

 

BK'in Merkel: Es ist gesprochen worden, aber es ist für die Zukunft noch nicht entschieden worden. Die Position von de Boissieu wird verlängert um, wenn ich das richtig sehe, anderthalb Jahre. Und in der Zwischenzeit wird über den Posten des Generalsekretärs entschieden werden.

 

Danke schön!