Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Selensky anlässlich des Besuchs der Bundeskanzlerin in Kiew am 22. August 2021

P Selensky: (Die ersten Worte wurden nicht übersetzt) - - - Frau Angela Merkel in der Ukraine begrüßen zu dürfen. Ich möchte gleich für die eineinhalb Millionen Impfdosen danken. Wir haben darüber gesprochen; das ist für uns sehr wichtig. Aber auch so, im Vorfeld der Maßnahmen - ich meine 30 Jahre Unabhängigkeit der Ukraine und ich meine den Start der Krim-Plattform -, danke ich dafür, dass Deutschland unsere Initiativen auf einem hohen Niveau unterstützt.

Heute haben wir mit der Frau Bundeskanzlerin viele Fragen besprochen, und zwar den Durchbruch, auf welchen wir reagieren sollen. Wir rechnen mit Deutschland; denn es ist unser Schlüsselverbündeter in Europa. Wir danken der deutschen Seite für die Unterstützung unserer Souveränität, der territorialen Integrität und der friedlichen Regelung im Donbass und auf der Krim.

Ein prioritäres Thema war heute der Prozess der friedlichen Regelung im Donbass. Wichtig ist, dass im Rahmen von N4 die vier Staaten eine einheitliche Position zur Regelung der Situation haben, gegründet auf den Clustern. Auch die Pariser Vereinbarungen sind wichtig. Wir sollen einen Waffenstillstand erreichen und gewährleisten. Wir sollen die Passierpunkte an den Grenzen öffnen, und Vertreter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes sollen auch Zugang bekommen. Unsere Meinung zum Normandie-Format bleibt nach wie vor dieselbe. Der Druck auf die Russische Föderation soll weiterhin fortgesetzt werden. Dann rechnen wir mit Anstrengungen unserer Partner.

Eine wichtige Frage waren auch die Energiesicherheit und Nord Stream 2. Wir betrachten dieses Projekt durch das Prisma der Sicherheit. Für uns ist es eine geopolitische Waffe vonseiten des Kreml. Wir haben auch Beratungen mit der Regierung der Bundesregierung vereinbart. Wir haben auch einen Plan der grünen Transformation. Wir haben die deutsche Seite dazu eingeladen, sich der Umsetzung dieses Plans anzuschließen. Die Ukraine unterstützt die neutrale Entwicklung bis zum Jahr 2050.

Wir haben auch Gedanken über die Situation in Afghanistan ausgetauscht. Heute evakuiert die Ukraine ihre Bürger. Die Ukraine hilft auch unseren Verbündeten. Es wurden 162 Personen evakuiert, darunter 36 Bürgerinnen der Ukraine. Heute ist noch ein Flugzeug gelandet. Vielen Dank für diese Arbeit.

Zum Abschluss möchte ich Frau Bundeskanzlerin Merkel noch einmal für die Unterstützung der Ukraine in allen Schlüsselfragen danken, die für uns wichtig sind. Für uns bleibt Deutschland. Wir wissen, dass Deutschland einen neuen Kanzler wählen wird, und ich bin sicher, dass Frau Merkel eine aktive Teilnehmerin des politischen Lebens in Deutschland und in Europa bleiben wird. Egal wann, egal mit welchem Status – Sie sind auch bei uns in der Ukraine sehr herzlich willkommen! Ich danke Ihnen!

BK’in Merkel: Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Wolodymyr, meine Damen und Herren, ich freue mich, hier in Kiew zu sein und bedanke mich für die Einladung.

Die Zeit, in der dieses Treffen stattfindet, ist eine sehr wichtige für die Ukraine. Wir haben im Juni telefoniert, als es um den 80. Jahrestag des Überfalls von Hitlerdeutschland auf die Sowjetunion und damit auch auf die Ukraine ging, und ich habe heute einen Kranz am Grabmal des Unbekannten Soldaten niedergelegt, um dessen noch einmal zu gedenken. Heute sind wir uns freundschaftlich verbunden, und in zwei Tagen wird die Ukraine den 30. Jahrestag der Unabhängigkeit begehen. Das ist ein wichtiges und erfreuliches Datum, aber eben ein Datum, das auch die Probleme zeigt. Deshalb ist das Krim-Forum ja auch vorgeschaltet. Wir verurteilen die Annexion der Krim, und wir finden es richtig, dass darüber auch mit der Krim-Plattform gesprochen wird und dass daran gearbeitet wird, dass das nicht in Vergessenheit gerät.

Leider kann unser Außenminister nicht da sein. Das hat aber rein den Grund, dass die Lage in Afghanistan sehr, sehr kompliziert ist. Wir haben uns darüber ausgetauscht sowie darüber, dass wir in jeder Stunde daran denken, dass möglichst viele Menschen noch evakuiert werden können. Das ist sowohl ein Problem für die Ukraine, wie der Präsident dargestellt hat, als aber eben auch für uns.

Aber der Energieminister Peter Altmaier wird kommen, und dann werden morgen wichtige Gespräche stattfinden, die am Rande durchgeführt werden und die auch etwas mit der Energiefrage zu tun haben.

Vorher will ich aber noch deutlich machen, dass Deutschland in der Ukraine bilateral sehr breit engagiert ist, weil wir den mutigen und reformorientierten Weg unterstützen wollen. Ich will meine Hochachtung für das ausdrücken, was der Präsident unternimmt, gerade auch im Justizbereich, aber auch in vielen anderen Bereichen, um die Ukraine zu reformieren, zu einem transparenten Rechtsstaat zu machen und die Korruption zu bekämpfen. Das alles sind wichtige Aufgaben, die natürlich auch für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihren Staat eine große Bedeutung haben. Wir sind auch bereit zu helfen, wo immer es möglich ist. Denn wir wissen, dass zum Beispiel sehr, sehr viele Richterstellen besetzt werden müssen, dass die Ausbildung erfolgen muss. Wir haben bereits eine sehr enge Kooperation im Bereich der Dezentralisierung, und wir haben eine enge Kooperation im Bereich der Energie.

Diese Energiepartnerschaft wurde schon vor einiger Zeit beschlossen, aber sie wird jetzt durch die Gespräche im Zusammenhang mit dem weiteren Transit von Gas aus Russland durch die Ukraine nach Europa noch einmal erweitert. Ich habe mit dem russischen Präsidenten darüber gesprochen, dass wir den Vertrag, der nur bis 2024 gilt, möglichst schnell verlängern. Auch die Ukraine hat hierzu Vorstellungen. Wir werden auch mit dem Unternehmen sprechen. Wir werden vor allen Dingen auch mit den Partnern in Europa sprechen. Wir haben den Sonderbeauftragten Graf Waldersee, der hier schon bekannt ist, für diese Gespräche benannt.

Wir sind uns mit den Amerikanern über die Erklärung einig, dass Gas nicht als geopolitische Waffe benutzt werden soll. Das wird sich auch in der Frage niederschlagen, ob es zu einer Verlängerung des Vertrages über den Transit durch die Ukraine kommt. Je schneller das geschieht, umso besser ist es.

Wir unterstützen die Ukraine auch bei der Bekämpfung der Pandemie, haben das auch in letzter Zeit getan und werden das gern fortsetzen.

Wir haben dann natürlich über das Normandie-Format gesprochen. Man muss ehrlich sagen, dass wir nicht so vorankommen, wie wir es uns wünschen. Leider finden die Treffen mit der Kontaktgruppe nicht in der entsprechenden Art und Weise statt. Ich plädiere dafür, daran zu arbeiten, noch einmal ein Treffen auf der politischen Führungsebene, mit mir, dem französischen Präsidenten und natürlich dem russischen und dem ukrainischen Präsidenten, zu haben. Das würde uns nach meiner Auffassung Fortschritte bringen, wenn wir eine gute Agenda ausarbeiten können. Das sollen die Berater tun. Ich freue mich, dass auch Präsident Selensky dazu bereit ist. Darüber haben wir gesprochen.

Leider sind Dinge, die von Präsident Selensky genannt wurden, zum Beispiel die Eröffnung weiterer Übergänge an der Kontaktlinie oder andere humanitäre Fragen, bis jetzt nicht umgesetzt worden. Das belastet den Prozess sehr. Allerdings muss man auch immer wieder sagen, dass wir im Augenblick kein anderes Format haben, in dem wir diese Dinge besprechen könnten. Deshalb sollte die Arbeit hier fortgesetzt werden.

Wir werden beim Mittagessen noch weitere Themen besprechen, auch Themen der bilateralen Zusammenarbeit. Aber so weit möchte ich mich schon einmal für die Gastfreundschaft bedanken. Mir ist es sehr wichtig, in diesen Tagen in der Ukraine zu sein. Ich denke, dass auch jede weitere deutsche Bundesregierung - das zeigt ja auch das amerikanisch-deutsche Papier zur Frage des Gases - in dem gleichen Geist weiterarbeiten und sich dafür einsetzen wird, dass die Ukraine ihre territoriale Souveränität zurückgewinnt und ihren Reformweg weiter fortsetzen kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Selensky hat vor der Reise gefragt, ob Deutschland bereit wäre, der Ukraine zu helfen, die Marine auszubauen. Sehen Sie dafür irgendwelche Möglichkeiten?

Eine grundsätzliche Frage zu Ihrer Bilanz: Sie haben das Normandie-Format angesprochen. Für wie konkret halten Sie die Möglichkeit, dass man sich tatsächlich noch einmal trifft? Können Sie überhaupt noch etwas erreichen, oder haben Sie den Eindruck, dass man dabei auf die nächste Bundesregierung setzt, wie er es ja auch gesagt hat?

Herr Präsident, Sie haben der Kanzlerin direkt vor ihrem Besuch eine nicht zielführende Russlandpolitik vorgeworfen. Warum dieser Ton, und vor allem, warum diese Kritik? Hoffen Sie, dass eine künftige Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen oder der SPD Ihnen bei Waffenlieferungen vielleicht mehr entgegenkommen würde?

BK’in Merkel: Ich denke, dass die Probleme der Umsetzung des Minsker Abkommens struktureller Natur sind. Denn wir sehen gemeinsam mit der Ukraine, dass Russland in diesen Konflikt natürlich intensiv involviert ist. Deshalb werden Direktgespräche mit den nicht legitimierten Autoritäten der Separatisten von der Ukraine richtigerweise abgelehnt.

In den Gesprächen, die geführt werden, drehen wir uns immer wieder um diesen Kreis. Das ist aber nicht neu und hängt, denke ich, nicht damit zusammen, dass ich bald aus dem Amt gehe, sondern mit strukturellen Fragen. Trotzdem hat das Minsker Abkommen zu einem zwar nicht zufriedenstellenden Ergebnis, aber zu einer gewissen Ruhe geführt. Diese ist aber überhaupt nicht dauerhaft und nachhaltig. Deshalb muss man meiner Meinung nach daran arbeiten, und zwar täglich, auch in einem Übergang von politisch Handelnden. Aber auch wenn ich denke, dass es insgesamt schwierig ist und auch nicht ganz einfach wird, auch nicht mit einer neuen Bundesregierung, stehe ich trotzdem zu diesem Format, weil wir es doch immer wieder als Gesprächsforum nutzen können - sonst hätten wir überhaupt keine Kontakte, und das wäre aus meiner Sicht auch nicht gut -, selbst wenn - das muss ich ganz einfach sagen - die Bilanz nicht zufriedenstellend ist.

P Selensky: Bitte noch einmal den ersten Teil Ihrer Frage!

Zusatz: Ich hatte gefragt: Nachdem Sie der Bundeskanzlerin eine nicht zielführende Russlandpolitik vorgehalten haben: Warum diese Kritik? Und damit verbunden - - –

P Selensky: (ohne Dolmetschung)

Zusatz: Die erste Frage war nach der Unterstützung für den Aufbau der Marine.

BK’in Merkel: An wen war das?

Zusatz: Ich hatte Sie, Frau Bundeskanzlerin, gefragt, ob Sie eine Möglichkeit sehen, den Präsidenten bei dem Ausbau seiner Marine zu unterstützen.

BK’in Merkel: Ich habe mich nicht im Detail mit der Frage befasst. Was Lieferungen von Waffen anbelangt, so sind wir restriktiv. Das ist ja bekannt. Aber wenn es um Kooperation geht, auch innerhalb der Nato - es gibt ja eine ganze Reihe von gemeinsamen Sitzungen von Nato und Ukraine -, dann sind wir natürlich auch bereit, als Deutsche und als Teil der Nato. Wenn es um Ausbildung, Training oder Ähnliches geht, kann man darüber reden. Aber ich habe jetzt keine konkreten Angebote gemacht.

P Selensky: Zum ersten Teil Ihrer Frage, was den Ausbau unserer Marine betrifft: Das brauchen wir, um die Schwarzmeer- und Asowregion zu entsperren. Deswegen wurde auf der Ebene des Nationalrats beschlossen, die ukrainische Marine genauso stark zu machen, wie sie vor 30 Jahren war. Die Marine soll so stark sein, dass die russische Flotte unsere ukrainische Halbinsel nicht erobern kann.

Wir sollen - wie soll ich das sagen - einen Flugzeugträger für die Ukraine herstellen. Was in Bezug auf die Marine geschieht, brauchen wir eine Konsolidierung aller Partner. Gerade in dieser Richtung arbeiten wir. Wir arbeiten daran. Wir haben mit Großbritannien und mit den USA darüber gesprochen. Ich möchte am 30. September ganz sachlich darüber mit Herrn Biden sprechen.

Was die Lieferung von Waffen von der deutschen Bundesregierung angeht, haben wir eine Ablehnung bekommen. Ich wollte, ich möchte sehr - - - Denn wir arbeiten ja zusammen. Frau Merkel hat schon gesagt: im Rahmen der Manöver, im Rahmen der Ausbildung unterstützt uns Deutschland und Europa. Aber wir brauchen ganz konkrete Sachen. Wir wissen ganz genau, wo Deutschland uns unterstützen könnte. Wir rechnen mit Hilfe und erwarten diese. Ich möchte jetzt nicht alle Punkte aufzählen. Was die Zusammenarbeit mit der Nato angeht, bräuchten wir zum Beispiel Scharfschützengewehre usw. Wir möchten also noch einiges von unseren Partnern bekommen. Aber das ist ein langes Gespräch. Tête-à-Tête haben wir darüber nicht gesprochen; vielleicht während des Mittagessens.

Nun zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ich bin ein Präsident eines Landes, das im Krieg steht. Ich möchte mich noch einmal bei der Frau Bundeskanzlerin für die Unterstützung der Ukraine in diesem Krieg danken. Ich bin der Meinung, dass diese Worte, die Sie erwähnt haben - - - Da habe ich über Nord Stream 2 gesprochen. Ich bin der Meinung, dass dies eine Waffe ist. Das ist eine gefährliche Waffe für die Ukraine, aber auch für ganz Europa. Ich glaube, es ist falsch, nicht einzusehen, dass dies eine Waffe ist. Ich bin der Meinung, dass dies sehr gefährlich ist, auch wo Nord Stream 2 nicht fertiggestellt worden ist. Wir sehen, wer das Ganze kontrolliert. Das ist also eine politische Frage, eine Sicherheitsfrage, und diese Meinung habe ich auch geäußert. Noch einmal: Das ist nicht nur eine wirtschaftliche Frage. Was diesen Bau, seine Umsetzung und dann die Nutzung angeht, so führt das Ganze zu großen Risiken. Das ist nur für die Russische Föderation gut. Das habe ich gemeint.

Frage: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Präsident Selensky, ich möchte auch noch einmal eine Frage zu Nord Stream 2 stellen. In der Ukraine und in den Gesprächen hier mit den Partnern fiel sogar jetzt das Wort „Verrat“. Frau Bundeskanzlerin, was würden Sie diesen enttäuschten Menschen sagen?

Herr Präsident, Sie haben Ihre Hoffnung geäußert, dass Nord Stream 2 womöglich doch nicht in Betrieb geht. Worauf stützen Sie Ihre Hoffnung? Setzen Sie dabei auch auf den amerikanischen Präsidenten Biden? - Danke schön.

BK’in Merkel: Von meiner Seite will ich deutlich machen, dass ich das deutsch-amerikanische Papier als eine Verpflichtung der Bundesregierung sehe, eben genau dem vorzubeugen, was die Sorge von Präsident Selensky, ist, dass nämlich Energie als Waffe eingesetzt wird. Genau das ist in diesem Papier auch dargestellt.

Abgesehen davon, dass es ja kein deutsch-russisches Projekt ist – es sind Firmen aus den Niederlanden, Frankreich, Österreich und Deutschland mit diesem Projekt verbunden -, haben wir doch eine besondere Verantwortung für dieses Projekt übernommen. Es unterliegt der Regulierung des europäischen Binnenmarktes, also dem dritten Energiebinnenmarktpaket. Insofern sind wir in unserer Regulierung gar nicht frei, sondern müssen die europäischen Regulierungen beachten. Deshalb haben wir auch die Verhandlungen über den Transit nicht auf deutscher Seite geführt, sondern nur flankiert. Sie wurden von europäischer Seite damals durch Kommissar Ŝefcovic geführt.

Dennoch fühlen wir uns verantwortlich, weil es natürlich eine große Sorge ist, die ich sehr ernst nehme. Deshalb hat das in meinen Gesprächen in Russland auch einen breiten Raum eingenommen, und deshalb haben wir dieses deutsch-amerikanische Papier auch gemacht. Wir haben deutlich gemacht, dass wir uns im europäischen Rahmen für weitere Sanktionen einsetzen werden, wenn sich dieser Verdacht erhärtet, dass die Pipeline als Waffe eingesetzt wird. Wir haben deutlich gemacht – deshalb ist auch Graf Waldersee beauftragt worden -, dass wir jetzt schon mit einem Sondergesandten die Verhandlungen darüber beginnen, dass der Vertrag bis 2024 verlängert werden kann, damit hier auch für die Ukraine eine Sicherheit gegeben ist.

Über die Imponderabilien, was man mit den Unternehmen besprechen muss und was die ukrainischen Erwartungen sind, haben wir uns eben schon ausgetauscht. Insofern ist aus meiner Perspektive das deutsch-amerikanische Papier ein Mehr an Verpflichtung Deutschlands, als es vor diesem Papier bestand. Wenn man das Projekt gar nicht will, dann reicht auch dieses Papier nicht aus. Aber es bindet auch zukünftige Bundesregierungen, sich diesem Thema Energie/Sicherheit zuzuwenden.

Zusätzlich verpflichtet sich Deutschland noch, für die Erneuerung des Energiemixes in der Ukraine durch 175 Millionen Euro einen Beitrag zu leisten, die dann auf eine Milliarde Euro gehebelt werden, also bilaterale Projekte. Auch hierzu wird es noch im September mit der Ukraine Gespräche mit Staatssekretär Feicht aus dem Bundeswirtschafts-, also Energieministerium, geben.

P Selensky: Ich glaube, heute kann niemand sagen, dass die wichtigsten Risiken beim endgültigen Bau von Nord Stream 2 die Ukraine tragen wird. Wir haben darüber mit der Bundeskanzlerin gesprochen. Wir haben über die Verlängerung des Gastransits nach dem Jahre 2024 gesprochen. Aber das sind ja jetzt allgemeine Fragen. Es ist wichtig, dass sich drei Energieminister treffen - der ukrainische, der deutsche und der amerikanische - und irgendwelche konkreten Dinge erreicht werden.

Die grüne Energie ist auch wichtig. Ich habe das auch der Bundeskanzlerin gesagt. Dafür brauchen wir große Mittel. Die Frage ist, welche die Ukraine erhalten wird, was unser Staat nach dem Jahre 2024 verliert und welche Garantien die Ukraine bekommen kann.

Frage: Guten Tag, Frau Bundeskanzlerin, Herr Präsident! Die Frage bezieht sich auf Nord Stream 2. Welche Perspektiven für die Ukraine gibt es da? Sie sprachen von grüner Energie. Ist das vielleicht eine Kompensierung? Welche Alternativen gibt es?

Herr Präsident, Sie haben gesagt, dass Sie nach dem Start von Nord Stream 2 Garantien für die Ukraine erhalten möchten. Haben Sie diese Garantien bekommen?

BK’in Merkel: Ich glaube, man darf die beiden Dinge nicht vermischen. Das Eine ist, dass der Transitvertrag verlängert werden soll. Denn wir werden ja über 2024 hinaus noch Gas aus der Russischen Föderation nach Europa exportieren. Da ist es wichtig, dass auch die Ukraine ein Transitland bleibt - deshalb die Verhandlungen zur Verlängerung dieses Vertrages über 2024 hinaus.

Dann wird sich Europa - das ist ja auch ein Problem der Russischen Föderation - Schritt für Schritt in Richtung 2050 klimaneutral aufstellen müssen. Deutschland wird das schon 2045 tun. Das heißt also, spätestens in 25 Jahren wird man kein oder sehr viel weniger Erdgas von Russland nach Europa exportieren.

Auf diesen Fall, wenn also weder durch Nord Stream 1 noch durch Nord Stream 2 noch durch irgendeine andere der vielen Leitungen Gas nach Europa geht, weil wir einfach viel unabhängiger vom Gas sind, muss sich die Ukraine schon vorbereiten - wie alle Länder - und überlegen, was man dann tun kann. Dann könnte man eben eine Wasserstoffpartnerschaft eingehen. Das ist jetzt aber ein Projekt, das noch schrittweise entwickelt werden muss und nicht schon 2024 den Gastransit ersetzen kann.

Aber diese Vorbereitungen dauern Zeit. Dann könnte man sich überlegen, wenn die erneuerbaren Energien hier in der Ukraine aufgebaut sind - dafür will Deutschland der Ukraine mit einer Milliarde helfen; Europa wird da auch noch helfen -, dass man dann aus dem Strom der erneuerbaren Energien durch Hydrolyse Wasserstoff produziert und die Leitungen zum Beispiel auch zum Transport nutzt, um Wasserstoff nach Europa zu bringen. Das heißt also, dass man dann eine Anschlussverwendung hätte.

P Selensky: Zur Frage zu Nord Stream 2 und Wasserstoff: Was Wasserstoff angeht, weiß ich, dass der Leiter von Naftogaz ein oder mehrere Treffen hatte. Er hat darüber mit dem deutschen Partner gesprochen. Ich kenne einige Details. Aber darin geht es um die Perspektive. Nord Stream 2 - das ist keine Perspektive, das ist schon heute eine gefährliche Sache.

Noch einmal: Es geht darum, wie das Transportsystem ersetzt werden kann. Die Antwortet darauf lautet: mit grüner Infrastruktur. Wir brauchen auf jeden Fall ein Weiter nach 2024. Da gibt es große Risiken für die Ukraine.

Frage: Meine Frage an die Bundeskanzlerin: Sie haben die Fragen genannt, welche zu lösen sind, damit ein Treffen im Normandie-Format stattfindet. Aber wir wissen, dass in erster Linie Russland die Minsker Vereinbarungen nicht erfüllt. Das ist abhängig von Russland. Kann Deutschland nicht Druck auf Russland ausüben, damit Russland auch diese Fragen erfüllt?

Noch eine Frage an Sie: Warum möchten Sie persönlich am Gipfel Krim-Plattform nicht teilnehmen? Zeugt das davon, dass Sie vielleicht mit Russland einverstanden sind?

BK’in Merkel: Ich habe da eben sehr klar gesagt, dass die Annexion der Krim auch von deutscher Seite aus als völkerrechtswidrig betrachtet wird. Daran hat sich überhaupt nichts geändert.

Mir ging es bei meinem Besuch, der ja jetzt in zeitlicher Nähe stattfindet, darum, auch den Raum zu haben, die Fragen des Minsker Formats und des Gases intensiv zu diskutieren. Deshalb bin ich hier zum bilateralen Abschiedsbesuch, wenn Sie so wollen. Wahrscheinlich komme ich als Bundeskanzlerin nicht noch einmal nach Kiew. Deshalb hatten wir uns darauf geeinigt, dass der Außenminister zu dem Format der Krim-Plattform hierherkommt und ich einen Tag vorher. Damit zeige ich ja auch, dass wir diese Tage, die jetzt für die Ukraine kommen, sehr ernst nehmen. Dass der Außenminister nicht da ist, hat nichts mit den Umständen in der Ukraine und Russland zu tun, sondern einzig und allein mit der sehr, sehr komplizierten Situation in Afghanistan, wo auch ich als Bundeskanzlerin unterstütze, dass er zuhause sein muss. Wir haben jetzt sozusagen den Energieminister geschickt, der genauso die Haltung der Bundesregierung vertritt und der morgen wichtige Gespräche mit dem amerikanischen Energieminister und dem ukrainischen Energieminister dazu führen kann.