Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsidentin Kallas

BK’in Merkel: Ich freue mich, die estnische Kollegin Kaja Kallas bei uns zu Gast zu haben. Dieser Besuch hätte schon lange als Antrittsbesuch stattfinden sollen. Aber durch die Pandemie und andere terminliche Dinge ist dies jetzt ein nachgeholter Antrittsbesuch. Wir haben uns schon vielfach in Brüssel und bei virtuellen Konferenzen gesehen, und wir können sagen, dass unsere kontinuierlich gute und sehr gute Zusammenarbeit mit Estland mit Kaja Kallas fortgesetzt wird.

Wir wissen, dass unsere Kooperation auf sehr guten Beziehungen unserer beiden Länder fußt. In diesem Jahr jährt sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Estland und Deutschland zum hundertsten Mal. Wir haben auch am Freitag ein wichtiges Jubiläum für Estland, nämlich 30 Jahre Unabhängigkeit. Dazu habe ich Kaja Kallas natürlich sehr herzlich gratuliert. Jeder kann sich vorstellen, dass das ein sehr wichtiger Tag für Estland ist.

Wir haben angesichts der aktuellen Entwicklung natürlich über unsere Zusammenarbeit in der Nato und hierbei über das Thema Afghanistans gesprochen. Wir wissen, dass die Situation extrem schwierig ist. Ich habe darüber berichtet, dass Deutschland natürlich noch sehr vielen Menschen helfen möchte, die uns geholfen haben. Auch für Estland gilt das, wenn auch in etwas Kleinerem Umfang. Wir sehen natürlich mit Sorge, dass Dinge, die in Afghanistan erreicht wurden - denken wir etwa an Mädchen, an Frauen, an Bildung, an Entwicklung -, dass das alles jetzt zurückgedreht werden kann, weil sich die Situation so entwickelt hat, wie sie sich entwickelt hat, und die Taliban die Macht übernommen haben.

Deshalb ist es für uns natürlich ganz wichtig, alles zu tun, um möglichst viele Menschen außer Landes zu bringen. Sie wissen - ich habe darüber gestern berichtet und werde heute die Fraktionsvorsitzenden noch einmal unterrichten -, dass die Bundesregierung alles tut, um hierbei erfolgreich zu sein oder zumindest das zu erreichen, was unter den schwierigen Bedingungen möglich ist. Es ist eine gute Nachricht, dass jetzt eine zweite Maschine nach der Landung heute Nacht in Kabul eingetroffen ist.


Deutschland und Estland arbeiten sehr vertrauensvoll in der Nato zusammen, auch über den Einsatz in Afghanistan hinaus, und werden das auch weiterhin tun. Wir stimmen uns natürlich auch in allem, was jetzt im Hinblick auf Afghanistan zu tun ist, mit unseren europäischen Partnern aufs Engste ab.

Wir haben natürlich auch über die Fragen der Flüchtlinge gesprochen, wobei man sagen muss, dass wir mit Blick auf Litauen sehen - das bedrückt ja gerade die baltischen Staaten gemeinsam, aber Litauen in besonderer Weise -, dass Menschen auch als Mittel zur hybriden Auseinandersetzung genutzt werden. Präsident Lukaschenko nutzt Flüchtlinge zum Beispiel aus dem Irak in hybrider Form, um Sicherheit infrage zu stellen. Das Verurteilen wir natürlich auf das Schärfste. Morgen wird es eine Innenministerkonferenz der Europäischen Union geben. Dort werden wir versuchen, eine gemeinsame Position zu beziehen. Denn diese hybride Art der Auseinandersetzung, wie sie von Belarus genutzt wird, ist eine Attacke auf uns alle in der Europäischen Union und nicht nur auf ein Land. Darin stimmen wir sehr stark überein. Wir zeigen auch unsere Solidarität mit Litauen und versuchen zu helfen, wo immer wir können.

Wir haben auch über die vielen Herausforderungen in den Beziehungen mit Russland gesprochen und in dem Zusammenhang auch über die Tatsache, dass ich am Freitag nach Russland fahren werde. Wir haben unsere Positionen abgestimmt, was gerade auch die Frage der Ukraine und die Fortschritte einer diplomatischen Lösung des Konfliktes anbelangt, obwohl das äußerst schwierig ist.

Ich habe noch einmal deutlich gemacht, wie sehr wir Estland für die Fortschritte, die im digitalen Bereich in Estland erreicht wurden, bewundern. Das darf ich von meiner Seite aus wirklich sagen. Da hat Deutschland noch sehr viel zu tun. Wir arbeiten in der Digitalen Agenda sehr intensiv zusammen. Wir haben uns auch dahingehend abgesprochen, dass wir bei der Verabschiedung des Klimapakets, das im Herbst in der Europäischen Union verhandelt werden wird, eng zusammenarbeiten.

Wir haben über die pandemische Lage gesprochen. Hierbei stehen wir vor ähnlichen Herausforderungen. Wir haben große Fortschritte durch die Impfung erreicht. Aber es sind noch längst nicht alle geimpft. Das ermöglicht natürlich immer wieder eine Gefährdung in der Form, dass die Fallzahlen doch noch einmal ansteigen und infolge der Fallzahlen dann auch die Zahl der Hospitalisierungen und der schweren Verläufe. Wir werden gemeinsam alles dafür tun, um das zu verhindern und vor allen Dingen den Geimpften natürlich die Freiheitsrechte zu geben, die sie auch in Anspruch nehmen können, solange der Impfstoff gut wirkt.

Es war gut, dass wir die Gelegenheit zum Austausch hatten. Unsere bilateralen Beziehungen sind im Wesentlichen spannungsfrei. Insofern konnten wir uns sehr stark auf internationale und europäische Fragen konzentrieren.

MP’in Kallas: Vielen Dank, liebe Angela. Verehrte Journalisten! Vielen Dank für die Einladung und auch für den freundlichen Empfang. Zu Beginn ist es mir eine große Ehre, im Namen Estlands zu sagen: Vielen Dank, Frau Merkel, für die lange Zusammenarbeit! Sie haben sich in diesen 16 Jahren nicht nur der Europäischen Union gewidmet, sondern der Einheit. Sie waren sehr ambitioniert und auch sehr fordernd, sowohl multilateral als auch in der globalen Arena. Für uns ist Deutschland eine Verkörperung der europäischen Verantwortung. Sie haben Europa durch mehrere Krisen gebracht, durch die Eurokrise, haben 2015 die Flüchtlingskrise miterlebt und geleitet und nun auch die Gesundheitskrise durchgemacht. Das zeigt Ihre Entschlossenheit und Ihren Fleiß, gemeinsame Konflikte und Probleme zu lösen.

Ich bin heute auch hier, um mich bei Deutschland für die Unterstützung und für die Freundschaft zu bedanken. Diesen Freitag werden es 30 Jahre seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Estlands sein, als Estland ein freies Land wurde und als auch unsere diplomatischen Beziehungen mit Deutschland wiederaufgenommen wurden. Wir sind stolz darauf, dass Estland ein demokratisches und freies Land aufbauen konnte. Deutschland hat uns dabei immer begleitet. Wir arbeiten in der Nato und in der EU zusammen, aber auch gemeinsam auf internationaler Ebene. Vergangenes Jahr waren wir auch im UN-Sicherheitsrat nicht ständige Mitglieder.

Das Sicherheitsumfeld um uns herum ist leider sehr wechselhaft. Natürlich fokussierten wir uns in unserem heutigen Gespräch auch auf diese Themen. Sehr besorgniserregend sind die Ereignisse in Afghanistan. Das wichtigste Ziel dabei ist, wie man Menschenrechtsverletzungen und auch Gewalt vermeiden kann. Natürlich müssen wir auch vermeiden, dass ein Land isoliert und zu einer Fläche wird, auf der sich der Terrorismus ausbreitet. Die Rechte der Frauen und Mädchen dürfen nicht in Gefahr gebracht werden. Hierbei haben die Staaten, die Regierungen, aber auch freie Organisationen eine sehr große Rolle zu spielen. Es ist klar, dass wir niemanden beiseitelassen, der uns geholfen hat. Unsere moralische Pflicht ist es, ihnen zu helfen.

Wir haben etwas länger auch über das aggressive Handeln von Herrn Lukaschenko berichtet. Wie Frau Merkel gesagt hat, ist es keine Flüchtlingskrise, sondern ein hybrider Angriff auf die Europäische Union. Das Ziel dieser Operation ist es, die Regierungen zu bestrafen, die sich gegen Massenrepressionen gewehrt und den Menschen in Weißrussland, die unter diesem Regime gelitten haben, geholfen haben, und zwar durch mehrere Sanktionen. Die Situation erfordert es, dass die EU-Länder auch über neue Sanktionen nachdenken. Wir wissen, dass den Diktator die gemeinsame Haltung abschrecken kann und dass die Sanktionen auch einen konkreten Einfluss auf dieses Regime haben.

Es gibt aber auch noch weitere wichtige Sicherheitsfragen. Die Machtpolitik Russlands zeigt, dass wir eine gemeinsame Verteidigungspolitik an der Ostflanke der Nato brauchen, und Deutschland spielt dabei eine wichtige Rolle. Deutschland ist einer der längerfristigen Partner im Air Policing im baltischen Luftraum, sowohl in Litauen als aber auch breiter. Wir freuen uns auch sehr, dass die deutschen Kollegen im Nato Cyber Defence Center in Tallinn arbeiten. Wir teilen die Meinung, dass man Russland abschrecken muss, damit die Energie nicht als Waffe eingesetzt wird. Deutschland spielt auch hierbei eine zentrale Rolle. Es ist wichtig, dass in der gemeinsamen Erklärung der USA mit Deutschland auch die Verpflichtungen ganz klar festgeschrieben sind.

Natürlich haben wir auch über die Klimakrise gesprochen. Laut dem Bericht des Klimapanels in der letzten Woche ist ganz klar, dass die Klimaveränderungen durch Menschen hervorgebracht werden. Das zeigen auch die letzten Ereignisse wie die Überflutungen in Deutschland. Man muss sich darum kümmern. Nochmals mein Beileid allen Opfern, die in dieser Region davon betroffen waren. Es ist der letztmögliche Zeitpunkt, um Maßnahmen anzugehen, bevor alles unumkehrbar wird. Die Zukunft von uns allen hängt davon ab, wie schnell wir welche Maßnahmen jetzt ergreifen können. Deutschland hat in dieser Hinsicht immer auch eine Leitrolle innegehabt.

Auch in Estland sind wir verpflichtet, diese Klimaziele zu erreichen. Die grüne Wende garantiert unseren Kindern eine bessere Zukunft, und das ist auch eine Möglichkeit, neue, nachhaltige Wege in der Wirtschaft einzuleiten und herzustellen. Gleichzeitig versuchen wir oder haben wir den Plan, einen Wildpark in der Ostsee aufzubauen. Auch hier sehe ich konkrete Berührungspunkte zwischen Estland und Deutschland.

Uns verbindet auch der Wunsch, eine digitale Revolution zu nutzen, um mehr Schwung in die europäische Wirtschaft zu bekommen. Die Vorbedingung dafür ist, sichere Datenlösungen, Datenbanken und auch Cybersecurity zu haben. Das bedeutet auch transparente und konkret geleistete Investitionen. Diese Themen werden wir am 7. September beim Tallinn Digital Summit ansprechen und hoffen, dass wir sowohl mit Deutschland als auch mit anderen Ländern konkrete Vereinbarungen eingehen können.

Liebe Angela, ich danke Ihnen nochmals! Vielen Dank für diese Kooperation und die Freundschaft. Vielen Dank!

Frage: Frau Merkel, werden Sie bei Ihrer Russlandvisite auch das Thema Lukaschenko im Gespräch aufgreifen? Wie sollte man mit diesen Leuten umgehen, die von diesem Regime für diese Politik ausgenutzt werden?

BK’in Merkel: Ich will jetzt nicht meine Gespräche mit Präsident Putin vorwegnehmen. Aber wir haben natürlich darüber gesprochen, dass wir uns einig sind, dass das eine hybride Aggressivität ist, die Menschen benutzt. Deshalb ist es natürlich auch richtig, mit den Herkunftsstaaten zu sprechen; denn es ist nicht gut, Menschen sozusagen als Gegenstand von aggressivem Handeln einzusetzen. Das verurteilen wir, und das werde ich natürlich - egal wo ich bin, ob ich jetzt mit meiner Kollegin aus Estland oder mit Russland spreche - auch immer wieder deutlich machen. Wir haben natürlich auch darüber gesprochen, wie man mit den Herkunftsländern der Migranten - die Flüge sind ja im Moment ausgesetzt - sprechen kann, weil auch diese Länder ein Interesse daran haben sollten, Menschen jetzt nicht sozusagen als Waffen einzusetzen, um Unsicherheit zu schüren.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Frau Ministerpräsidenten, die Fragen gehen an beide. Der UNHCR hat heute mit Blick auf Afghanistan offene Grenzen gefordert. Sind Sie dafür, dass sich die EU in nächster Zeit auf Flüchtlingskontingente einigt?

Zweite Frage, weil Sie auch sehr viel über die Nato gesprochen haben und nachdem die Nato da ja in weiten Teilen versagt hat: Welche Konsequenzen müssen daraus für die Nato gezogen werden? Haben Sie darüber auch gesprochen?

BK’in Merkel: Von meiner Seite aus kann ich sagen, dass wir das Gespräch mit dem UNHCR suchen werden. Ich werde heute selbst noch mit Herrn Grandi sprechen. Bevor man über Kontingente spricht, muss man erst einmal über sichere Möglichkeiten für Flüchtlinge in der Nachbarschaft von Afghanistan reden. Das werde ich auch mit dem UNHCR tun. Dann kann man in einem zweiten Schritt darüber nachdenken, ob besonders betroffene Personen kontrolliert und auch unterstützt nach Europa und in die europäischen Länder kommen.

Dass hierbei eine gemeinsame europäische Position nicht ganz einfach zu erreichen ist, weiß man. Wir wissen ja, dass viele Länder von Flüchtlingen aufgesucht werden. Wir haben über Litauen gesprochen. Ich kann über Spanien, Italien und Griechenland sprechen. Es ist ja nicht so, dass hierbei nur Deutschland im Zentrum steht. Immer wieder kann ich nur sagen: Es ist eine Schwachstelle unserer Europäischen Union, dass wir bis heute keine europäische Asylpolitik geschaffen haben, und daran muss weiter mit Nachdruck gearbeitet werden.

Was die Frage nach der Nato und der Mission in Afghanistan anbelangt, so habe ich ja schon darauf hingewiesen, dass auf der einen Seite im Augenblick eine akute terroristische Gefährdung von Afghanistan nach außen nicht ausgeht. Der Einsatz wurde vor 20 Jahren, also 2001, begonnen. Damals lag dem nach den Angriffen auf das Welthandelszentrum und andere Objekte in den Vereinigten Staaten ein Ersuchen der Vereinigten Staaten von Amerika auf eine Artikel-5-Mission zugrunde, also darauf, einen Beistand der Nato durch den Einsatz in Afghanistan zu erreichen. Es ist dann in der Folge natürlich versucht worden, nicht nur die akute terroristische Gefährdung zu bekämpfen, sondern auch ein nachhaltiges politisches System aufzubauen, das mehr Freiheiten und mehr Entwicklungsmöglichkeiten für Afghanistan bietet. An dieser Stelle müssen wir einfach konstatieren, dass wir unsere Ziele nicht erreicht haben, und wir müssen darüber sprechen, was die Lehren für die Zukunft daraus sind. Aber in den folgenden Tagen haben jetzt erst einmal die Rettungsoperationen den absoluten Vorrang. Aber wir sind uns einig, dass wir das miteinander diskutieren müssen und daraus auch die Lehren für die Zukunft ziehen müssen.

MP’in Kallas: Vielen Dank. - Für uns ist es wichtig und ganz klar, auch eine Zusammenarbeit mit den Nachbarländern von Afghanistan voranzubringen, die diesen Menschen am schnellsten bei dem zur Seite stehen können, was genau sie brauchen und wo es auch mehr kulturelle Ähnlichkeiten gibt. Das ist die eine Sache.

Zu der Frage, welche Konsequenzen das für die Nato bedeutet: Natürlich müssen wir mit unseren Verbündeten darüber sprechen, was die nächsten konkreten Schritte sind. Ich bin der gleichen Meinung wie Frau Merkel. Wir müssen uns genau anschauen, was wir für die Zukunft aus Afghanistan mitnehmen.

Frage: Ich habe eine Frage an Sie beide. Wie kann Estland in der jetzigen Afghanistankrise Deutschland zur Seite stehen? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, wie Estland Ihnen zur Seite stehen kann?

BK’in Merkel: Erst einmal sind schon einmal gemeinsames Handeln und gemeinsame Ansichten und Anschauungen innerhalb der Nato-Mitgliedstaaten wichtig. Estland hat ja auch seinen Beitrag geleistet. Das heißt also, wir haben das gleiche Ziel. Auch wenn die Zahl der Personen geringer ist - das ergibt sich ja ganz natürlich -, die zum Beispiel Estland unterstützt haben, die uns unterstützt haben, haben wir das gleiche Anliegen.

Zweitens haben wir das gleiche Anliegen, wie Kaja Kallas es eben gesagt hat, Flüchtlingen in der Nachbarschaft ein gutes, ein sicheres Auskommen zu geben und gemeinsam daran zu arbeiten.

Drittens wollen wir natürlich alles tun, wenn sich dafür Möglichkeiten ergeben, die Rechte von Frauen und jungen Mädchen im Rahmen der Möglichkeiten, die jetzt natürlich extrem erschwert sind, weiter zu nutzen, das heißt, die Menschen in Afghanistan nicht zu vergessen. Das eint uns.

MP’in Kallas: Da Estland selbst momentan in Afghanistan keine Menschen vor Ort hat, die Hilfe leisten könnten, können wir uns damit behelfen, dass wir unsere Beziehungen einsetzen, die wir mit den Nachbarländern von Afghanistan haben, auch mit den ehemaligen SU-Ländern. Diese Verbindungen können wir wieder schnell reaktivieren und nutzen, damit man innerhalb der EU einen gemeinsamen Plan zusammenstellen kann, um diesen Ländern zu helfen.

Natürlich können wir alle Informationen, die wir auch von unseren Geheimdiensten bekommen können, gut austauschen. Was sind die Risiken? Was für Probleme gibt es noch zusätzlich? Auch hier stehen natürlich unsere Dienste Deutschland zur Seite. Wir sind sehr dankbar und stehen zur Verfügung.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie sprachen davon, man wolle möglichst vielen Menschen helfen, die uns geholfen haben. Herrscht denn innerhalb der Bundesregierung Einigkeit über die Anzahl der afghanischen Ortskräfte, denen man eine Ausreise nach Deutschland ermöglichen will?

Gibt es einen Überblick, wie viele dieser Menschen man über die nun begonnenen Maßnahmen der Bundesregierung nicht nur aus Kabul, sondern auch aus den anderen Standorten herausholen kann?

BK’in Merkel: Im Wesentlichen ist es ja so, dass wir, was die Ortskräfte der Bundeswehr und der Bundespolizei anbelangt, schon seit Längerem eine Übersicht haben und sehr viele Menschen aus diesem Kreis in Deutschland angekommen sind. Bei einigen müssen wir noch schauen, ob sie bereits in sicheren Drittstaaten sind oder nicht. Wir haben auf jeden Fall gesagt, dass hier sehr unbürokratisch Visa erteilt oder Ausreise ermöglicht werden.

Hinzugekommen sind jetzt die vielen afghanischen Ortskräfte aus dem Bereich der Entwicklungspolitik. Denn wir hatten ausdrücklich beim Abzug der Truppen, also unserer Soldaten, gesagt: Wir stellen nicht sofort die Entwicklungshilfe ein. Unter den jetzt gegebenen Umständen – das hat Entwicklungsminister Müller heute noch einmal deutlich gemacht – können wir keine Entwicklungshilfe leisten.

Die Ortskräfte aus dem Bereich - das sind über 1000 - und die Kräfte, die den Nichtregierungsorganisationen geholfen haben - zum Beispiel dem Welternährungsprogramm -, wollen wir jetzt natürlich auch noch erreichen. Das BMZ hat alle angeschrieben. Sie sind aber eben nicht alle in Kabul. Da müssen wir uns noch weiter und ständig eine aktuelle Übersicht verschaffen. Aber wir wollen keinen davon vergessen. Dieser Kreis ist auch sehr klar definiert.

Dann gibt es noch eine Zahl von Menschenrechtsaktivistinnen und anderen, die uns im Rahmen der Zusammenarbeit immer geholfen haben, die jetzt nicht Ortskräfte im engeren Sinne sind. Auch hier muss geguckt werden, zu wie vielen wir Kontakt bekommen und vor allen Dingen, wie viele den Flughafen in Kabul erreichen können. Das wird die Aufgabe der nächsten Tage sein, an der der Krisenstab und gerade das Auswärtige Amt natürlich mit Hochdruck arbeiten.

Zusatzfrage: Wenn ich darf, noch eine Frage an Frau Kallas, was Belarus und die Flüchtlingssituation angeht. Was erwarten Sie konkret von der Europäischen Union an Sanktionen und auch möglicherweise an Hilfe beim Grenzschutz für die baltischen Staaten?

MP’in Kallas: Als allererstes, dass es als hybrider Angriff von Weißrussland anerkannt wird und nicht als eine Flüchtlingskrise, wo Menschen instrumentalisiert und als Waffe gegen die EU eingesetzt werden.

Zweitens, dass man, was die Sanktionen angeht, die die EU und auch die USA verhängt haben, auch daran festhält und nicht lockerlässt, weil wir sehen, dass die Sanktionen auch eine Wirkung haben und eine Druckmaßnahme sind, damit diese Repressionen ein Ende finden.

Der dritte Punkt ist die Unterstützung für Litauen. In absoluten Zahlen ist die Zahl dieser Menschen nicht allzu groß. Aber da Litauen ein Kleines Land ist, ist diese Zahl für dieses Land schon sehr groß. Wir haben als Land schon Manneskraft nach Litauen geschickt, damit es eine konkrete Unterstützung an der Grenze gibt, und auch zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt, um an der Grenze mit dieser Lage besser zurechtzukommen.

Ein vierter Punkt ist, auch mit den Nachbarländern zu sprechen. Aus Bagdad kommen weitere Leute. Die Flüge sind zwar eingestellt, aber wenn wir die Lage in Afghanistan anschauen, gibt es schon die Tendenz, dass, wenn die Flüge aus Pakistan hierherkommen, auch von dieser Seite der Druck größer wird. Es ist wichtig, dass diese Menschen auch selbst verstehen, dass sie vom weißrussischen Regime nicht als Instrument eingesetzt werden.

BK’in Merkel: Danke schön!