Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Rutte

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsident Mark Rutte

(Hinweis: Die Ausschrift des niederländischen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren! Wir haben heute die deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen hier am Niederrhein, in Kleve, durchgeführt. Ich begrüße ganz herzlich meinen Kollegen Mark Rutte. Ich freue mich, dass wir eine sehr erfolgreiche Diskussion hatten. Ich möchte mich aber zuerst bei all denen bedanken, die das hier vor Ort so gut vorbereitet haben. Denn man spürt, dass wir hier mit viel Liebe willkommen geheißen wurden. Das ist ein sehr schönes Gefühl.

Dies ist eine klassisch europäische Region, eine Grenzregion, die durch einen Fluss, den Rhein, verbunden ist.

Die Gespräche, die wir hatten, haben auch eine ganz enge Verbindung zwischen unseren beiden Ländern gezeigt. Wir haben uns über die verschiedenen Aspekte unserer Politik unterhalten. Bilateral haben wir im Grunde keine Probleme oder kaum Probleme. Wenn ich sage „kaum“, dann hört sich das schon so geheimnisvoll an.

Wir diskutieren zum Beispiel über den Ausbau erneuerbarer Energien, über die Frage, wie viele Interkonnektoren wir zwischen unseren Ländern brauchen. Wir haben gute Lösungen mit dem niederländischen Betreiber Tennet gefunden, der beim Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland tätig ist.

Durch alle unsere Gespräche hat sich heute eigentlich gezogen, dass wir sehr viele gemeinsame Projekte in Europa haben. Das ging von den Außenministern über die Finanzminister. Der niederländische Finanzminister Dijsselbloem ist ja der Eurogruppen-Chef. Das hat sich fortgesetzt über die Wirtschaftsminister, die Umweltminister und dann auch die Innovations- und Forschungsminister.

Wir setzen darauf, dass wir eine nachhaltige und erfolgreiche Entwicklung haben. Wir setzen auf eine Kombination von soliden Finanzen und Wachstum, was natürlich zu Beschäftigung führen soll. Wir spüren gemeinsam, dass eine Lage in Europa, in der das Wirtschaftswachstum nicht so ist, wie wir uns das wünschen, zur Folge hat, dass es auch unseren Ländern nicht so gut geht. Deutschland und die Niederlande sind aufs Engste voneinander abhängig, was Wirtschaftsinvestitionen anbelangt. Man kann sagen: Rotterdam ist ein wichtiger Hafen auch für Produkte, die nach Deutschland gehen.

So haben wir heute auch gemeinsam darüber geredet: Wie können wir jetzt in Europa vorankommen - bei der Bankenaufsicht, bei all den Fragen, die zu mehr Akzeptanz der europäischen Bankenlandschaft führen, bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, bei der mittelfristigen finanziellen Vorausschau und der Zukunftsvorsorge, sei es durch Strukturreformen im sozialen Bereich, sei es durch solide Haushaltspolitik oder durch Investitionen in die Zukunft?

Hier sind die Niederlande und Deutschland geradezu äquivalent. Wir haben in dieser Legislaturperiode pro Jahr 4 Milliarden Euro mehr in Forschung und Innovation gegeben. Ähnlich agieren die Niederlande.

Insofern waren das sehr fruchtbringende Diskussionen. Wir werden natürlich auch in den europäischen Aufgaben weiter sehr eng zusammenarbeiten.

Ich danke noch einmal ganz herzlich, lieber Mark, dass wir heute hier zusammenkommen konnten. Es waren gute Gespräche in einer sehr schönen Umgebung.

MP Rutte: Damit bin ich voll und ganz einverstanden, liebe Angela. Vielen Dank für diesen Empfang. Es ist sehr nützlich, das so zu arrangieren. Wir haben sehr vergleichbare Positionen zu vielen Themen. Der bilaterale Handel beträgt 160 Milliarden Euro, nach Deutschland geht ein Viertel des niederländischen Exportes, und gleichzeitig sind die Niederlande der größte Direktinvestor hier in Deutschland. Also wir haben ganz starke Verbindungen. Das gilt auf allerlei Gebieten - kulturell, auf dem Gebiet der europäischen Politik, Unterricht und Forschung.

Wir haben heute auch über Jugendarbeitslosigkeit gesprochen. Das ist ein großes Problem. Ich freue mich sehr über die Initiative der deutschen Bundeskanzlerin, dieses Thema in Europa ganz oben auf die Agenda zu bringen. Dabei unterstützen wir sie aus ganzem Herzen.

Wir haben auch darüber gesprochen, wie wichtig Haushaltskonsolidierung, Einsparungen und Reformen für zukünftiges Wachstum sind, und dass wir darauf achten müssen, dass das in Europa weitergeht. Die Zinsen gehen jetzt ein bisschen herunter. Es ist also sehr wichtig, dass dieser Druck aufrecht bleibt.

Wir haben konkrete Sachen besprochen, zum Beispiel weniger Verwaltungsaufwand für deutsche Unternehmen in den Niederlanden und anders herum. Wir haben auch über die Anerkennung von Berufsqualifikationen geredet und darüber, wie wir Hindernisse gegenseitig ausräumen können.

Wir haben darüber gesprochen, wie nachhaltiges Wachstum beschleunigt werden kann, wie Innovation verwendet werden kann, um die Wirtschaft auszubauen.

Es war ein sehr angenehmes Gespräch in einer sehr angenehmen Atmosphäre. Ich bedanke mich bei allen Leuten für die Organisation, auch hier beim Bürgermeister. Es ist ein wunderschönes Gebäude, in dem wir uns aufhalten. Alle sind hier sehr freundlich, auch alle Leute auf der Straße, die wir gesprochen haben. Wir wissen es sehr zu schätzen, und wir bedanken uns aufs Herzlichste.

Frage: Eine Frage an Bundeskanzlerin Merkel: Die Niederlande bekommen - nicht nur in Deutschland - einen schlechten Ruf als Steueroase. Frau Bundeskanzlerin Merkel, das kann doch auch Ihnen nicht gefallen?

BK’in Merkel: Ich habe jetzt die Niederlande als Steueroase noch nicht in meinem Gehirn gespeichert. Ich glaube, dass wir natürlich bestimmte wettbewerbliche Fragen haben. Wir wissen, dass auch deutsche Unternehmen nach niederländischem Recht zugelassen sind. Aber aus meiner Sicht ist das alles im Rahmen dessen, was Wettbewerb ermöglicht und was Wettbewerb zwischen Ländern in Europa weiter haben soll. Wenn ich mich um Steueroasen kümmere, dann muss ich sagen: Da haben wir eigentlich noch ganz andere Probleme. Der Ruf der Niederlande an dieser Stelle ist aus meiner Sicht okay.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, heute gab es in Leipzig den Schulterschluss der SPD mit dem französischen Präsidenten. Sie stehen hier mit Mark Rutte. Suchen Sie neue Verbündete in Europa, nachdem es mit Frankreich nicht mehr so richtig rund läuft?

BK’in Merkel: Sie werden sicherlich verfolgt haben, dass wir gestern zwischen Deutschland und Frankreich verabredet haben, dass ich schon in der nächsten Woche in Paris sein werde. Der französische Präsident hat heute eine Rede gehalten, in der er darauf hingewiesen hat, dass es natürlich Parteienfamilien gibt, aber dass gerade auch die deutsch-französische Freundschaft darauf aufbaut und wir als Kollegen unterschiedlicher Parteienherkunft die historische Aufgabe haben, diese Freundschaft weiter zu entwickeln und gemeinsam zu arbeiten. Das ist völlig selbstverständlich.

Wenn ich darauf hinweisen darf: Mark Rutte gehört auch einer anderen Parteienfamilie an als ich. Insofern arbeiten wir gut zusammen.

Aber Europa entwickelt sich nicht nur auf der Basis von Parteienfamilien, sondern insgesamt. Es gehört zum guten Ton, dass wir mit unseren Nachbarn, aber auch mit anderen Ländern in Europa - egal wer gerade regiert -, gute Beziehungen haben. Also nächste Woche ist dann wieder ein deutsch-französisches Treffen an der Reihe.

Ich will einmal darauf hinweisen: Dafür, dass wir so eng zusammenarbeiten, treffen wir uns eigentlich sehr selten. Man muss in dieser Zeit aufpassen, dass man sich nicht da, wo viele Probleme sind, sehr häufig spricht und man sich da, wo man fast keine Probleme hat - wir haben das auch mit anderen schon beredet -, überhaupt einmal trifft.

Es sind die ersten deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen, die wir - seit ewigen Zeiten jedenfalls - machen. Ich weiß nicht, ob es die Allerersten sind. Ich glaube, dass es eine der ganz wenigen Konsultationen sind. Wenn man einmal überlegt, wie eng unsere Länder verflochten sind – die Niederlande sind der zweitgrößte Handelspartner Deutschlands nach Frankreich -, dann ist das wirklich eines solchen Treffens wert.

Frage: Eine Frage an Ministerpräsident Rutte: Herr Rutte, können Sie uns sagen, ob die Niederlande auch von Deutschland lernen kann? Also es gibt in Deutschland keine Rezession. Es läuft wirtschaftlich ein bisschen besser in Deutschland, und man sieht auch zwei deutsche Teams in Champions-League-Finale. Darüber hinaus kam noch die Bemerkung, dass Deutschland – laut „BBC“ - das populärste Land der Welt ist. Also was können die Niederlande lernen?

Und noch eine Frage an die Bundeskanzlerin: Frau Merkel, was kann Deutschland von Holland lernen?

MP Rutte: Also an so einem schönen Tag fangen Sie jetzt mit Fußball an. - Gut.

Also, was Fußball betrifft, können wir sicher noch etwas lernen, obwohl wir in den Niederlanden natürlich auch sehr schön spielen und immer besser. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir noch vor ein paar Jahren zweiter bei der Weltmeisterschaft geworden sind. Also so schlimm ist es in den Niederlanden auch wieder nicht.

Was die Wirtschaft betrifft, so blicken wir voller Bewunderung auf viele Aspekte der deutschen Wirtschaft. Da muss man wirklich ehrlich sein: Deutschland ist zurzeit besser als die Niederlande. Was man in Deutschland zum Bespiel wirklich gut macht, ist diese enge Zusammenarbeit zwischen den Kenntnisinstituten der Wirtschaft und den Behörden.

Vor ein paar Jahren habe ich eine Mission nach Bayern geführt und habe in der Praxis gesehen, was geschieht. Wir haben daraus eine Lehre in den Niederlanden gezogen. Was wir jetzt mit den Aktivitäten in Bezug auf Kenntniskunde machen – ich meine also, diese Sachen zusammenzubringen -, das haben wir zum großen Teil hier in Deutschland gelernt.

Das ist ein Beispiel, in dem Deutschland eine Vorreiterrolle spielt, und wir versuchen daraus, Lehren zu ziehen. Das gilt auch für andere Gebiete. Also in diesem Sinne ist es nicht nur politisch nützlich miteinander zu sprechen. Es ist auch gut, Erfahrungen auszutauschen.

Ich weiß, dass die Bundeskanzlerin ein großer Fußballfan ist. Wir fahren gleich noch miteinander nach Nimwegen. Ich hatte eine ganze Liste mit Gesprächspunkten, aber ich glaube, wir werden nur über Fußball sprechen.

BK’in Merkel: Ich glaube, dass wir von den Niederlanden schon lernen können, dass immer wieder Veränderungen notwendig sind. Die niederländische Regierung - in diesem Falle jetzt eine Koalition aus der liberalen Partei und der Sozialdemokratie – hat, wenn man die Regierungsarbeitet betrachtet, in einem sehr guten Stil verschiedene Veränderungen vereinbart und setzt sie jetzt auch um. In Deutschland ist die Arbeitsmarktsituation im Moment sehr gut. Aber wir wissen, dass wir auch immer wieder auf Veränderungen vorbereitet sein müssen. Hier sind die Niederlande zumindest ein sehr guter Partner.

Zweitens. Wenn ich mir den Hafen Rotterdam anschaue, dann muss ich sagen, dass wir noch Sorgen haben, mit Hamburg zum Beispiel. Hamburg braucht eine Elbvertiefung. Wir möchten natürlich, dass die deutschen Häfen auch eine gute Rolle spielen. Insofern hat man uns schon oft gesagt: Wenn ihr in Hamburg nicht schnell vorankommt, dann wird Rotterdam noch wichtiger werden.

Also wir leben auch immer wieder in einem sehr klugen Wettbewerb. Gerade einige Rahmenbedingungen sind für die Wirtschaft in den Niederlanden so, dass wir darauf achten müssen, dass sich unsere Unternehmen auch bei uns in Deutschland wohlfühlen. Das ist immer wieder ein Ansporn zu sagen: Wir wollen uns anstrengen.

Wir haben dann darüber gesprochen, dass sehr viele deutsche Studenten gern in die Niederlanden gehen. Ich persönlich kenne das studentische Leben in den Niederlanden naturgemäß nicht so. Aber es scheint sehr attraktiv zu sein. Das heißt, Leistung und guter Lebensstil scheinen sich gut zu vereinbaren. Insofern ist das für viele junge Leute aus Deutschland ein sympathisches Land.

Frage: Eine Frage an Ministerpräsident Rutte: Wann, glauben Sie, werden Sie die Defizitgrenze von 3 Prozent, die Brüssel vorschreibt, erreichen, und verlangen Sie mehr Zeit von Brüssel zur Konsolidierung des Defizitabbaus?

MP Rutte: Nein, wir sind bestrebt – und das ist die Politik des Kabinetts -, im Jahr 2014 die Defizitgrenze von 3 Prozent zu erreichen. Aber es gibt jetzt auch einen Zwischenstand, und danach wollen wir 0 Prozent erreichen. Dazu brauchen wir Zeit. Es ist, wie gesagt, ein Zwischenstand. 2014 wollen wir 3 Prozent erreichen. Wir bitten nicht mehr um Aufschub, übrigens aus einem bestimmten Ziel. Wir haben nicht nur vor Augen, die Regierungsausgaben unter Kontrolle zu haben, sondern wollen auch nicht die Rechnungen für die Krise an die nächsten Generationen unserer Kinder und Enkelkinder weiterreichen.

Zweitens machen wir das, weil das Kabinett davon überzeugt ist, dass die Regierung nicht im Weg stehen muss und nur dort sein soll, wo man sie braucht. In den Niederlanden ist dieses Wachstum der Regierungsbehörden in den letzten 30 Jahren zu viel geworden. Wir sehen das als Teil der Reformen. Es ist nicht Ziel an sich; es ist Teil der Reformen. Aber wie gesagt: 2014 wollen wir den Haushalt wieder auf die 3 Prozent bekommen, und danach soll das Defizit noch weiter nach unten.