Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel nach dem achten Westbalkangipfel im Rahmen des Berliner Prozesses

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren! Wir haben heute im virtuellen Format die Konferenz des Berliner Prozesses abgehalten, die inzwischen viele Akteure hat, natürlich die Staaten des westlichen Balkans, aber seit 2014, als wir diesen Prozess begonnen haben, auch verschiedene Gastgeber, Freunde und Partner des Prozesses, die Europäische Kommission mit der Kommissionspräsidentin und auch die regionalen und internationalen Organisationen, die heute mit dabei waren.

Dieser Prozess macht deutlich, dass uns neben dem Annäherungsprozess an die Europäische Union mit dem Ziel der Mitgliedschaft in der Europäischen Union vor allen Dingen etwas daran liegt, dass die Region in einer Phase zusammenarbeitet, in der jedes einzelne Land noch an seinem Beitrittsweg arbeitet.

Es geht um die Zukunft dieser Region. Ich möchte betonen, dass das nicht nur eine Zukunft aus der Perspektive der Länder des westlichen Balkans ist, sondern dass es auch im ureigenen Interesse der Europäischen Union liegt, den Prozess voranzutreiben und Versöhnung, Kooperationen sowie die Überwindung von Teilung und Spaltung möglich zu machen. Es gibt viele Gründe, unter anderem geostrategische Gründe, warum dies ein Teil Europas ist und warum wir die Mitgliedschaft in der Europäischen Union wollen.

Wir haben jenseits aller Schwierigkeiten, die es noch gibt, auch im Zusammenhang mit der Überwindung der Kriegsvergangenheit, schon in den vergangenen Jahren eine große Zahl von praktischen Erfolgen erlebt, aber auch in den letzten zwölf Monaten.

Am 1. Juli beispielsweise ist das regionale Roamingabkommen in Kraft getreten, das den Menschen in der Region ermöglicht, ohne Zusatzkosten zu telefonieren, wenn sie sich in einem anderen Staat des westlichen Balkans aufhalten. Wir wissen aus eigener Erfahrung innerhalb der Europäischen Union, welche Bedeutung das für die Bürgerinnen und Bürger hat.

Wir haben die sogenannten Green Lanes, die die beschleunigte Abfertigung von bestimmten notwendigen Waren während der Pandemie an den Grenzen ermöglichen. Hierbei hat sich insbesondere Griechenland engagiert.

Ich nenne den Start eines Schüleraustauschs, der zusammen mit dem regionalen Jugendwerk, RYCO, das es schon eine ganze Weile gibt, und der GIZ organisiert wird.

Wir arbeiten an einem gemeinsamen regionalen Markt. Hier sind einige Teile schon gelungen. Andere Teile wie die Anerkennung von Berufs- und Hochschulabschlüssen sowie freies Reisen mit einer ID-Card sind bis heute leider noch nicht abgeschlossen worden. Wir arbeiten jetzt mit Hochdruck daran, dass das möglichst schnell passiert.

Wir haben natürlich auch über die Auswirkungen der Pandemie gesprochen. Hilfeleistungen, insbesondere auch in Form von Impfstoffen, werden die Länder des westlichen Balkans bald erreichen.

Wir wissen, dass es noch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten zu überwinden gibt, auf der einen Seite im Dialog zwischen Serbien und Kosovo und auf der anderen Seite in Bosnien und Herzegowina. Christian Schmidt als zukünftiger Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina hat heute schon daran teilgenommen. Er wird seine Arbeit zum 1. August aufnehmen.

Wir haben leider noch eine Reihe von Diskussionen zwischen Bulgarien und Nordmazedonien, um die Beitrittskonferenz abzuhalten. Wir brauchen viel Geduld und viel Engagement. Das ist heute von allen Beteiligten dargestellt worden.

Ich darf in diesem Zusammenhang noch sagen, dass Deutschland von den 30 Millionen Impfdosen, die wir im Wesentlichen an COVAX, an die Impfsäule, geben werden, 3 Millionen direkt an die Länder des westlichen Balkans geben wird, und das so bald wie möglich.

Alles in allem ist das ein Prozess, bei dem alle gesagt haben, dass er zu viel praktischem Fortschritt geführt hat, dass er die Regionen näher zusammengebracht hat und dass er in den letzten sieben Jahren zu einer Normalität der Treffen von Regierungschefs auch ohne Mitgliedstaaten der Europäischen Union geführt hat, bei dem aber noch viel zu tun bleibt und der deshalb auch fortgesetzt werden muss.

Janez Janša für die rotierende slowenische Ratspräsidentschaft hat heute teilgenommen. Er wird am 6. Oktober zu einem Treffen mit den Ländern des westlichen Balkans einladen, bei dem es dann um die Beitrittsprozesse geht. Wir hoffen, dass wir bis zum 6. Oktober vielleicht noch einige ausstehende praktische Regelungen mit Blick auf den gemeinsamen Markt der westlichen Balkanstaaten erreichen können.

Herzlichen Dank!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eben die Probleme in der Region erwähnt, auch Bulgarien. Frankreich haben Sie nicht erwähnt. Es gibt ja auch deutsch-französische Diskussionen über das Tempo zumindest des Annäherungskurses der Westbalkanstaaten.

Fürchten Sie, dass mit Blick auf die französische Präsidentschaftswahl in den nächsten Monaten keine Zustimmung aus Paris zu weiteren Annäherungsschritten kommen wird?

BK’in Merkel: Der französische Präsident hat heute als einer der früheren Gastgeber eines solchen Berliner Prozesstreffens teilgenommen und sich ganz klar zu der Beitrittsperspektive bekannt. Die Länder des westlichen Balkans haben auch gesagt, dass ihnen vieles zu langsam gehe. Aber es gibt auch in Deutschland immer schwierige Diskussionen ‑ Sie wissen das ‑, wenn es um die Eröffnung neuer Kapitel geht. Es geht auch um die innere Verfasstheit der Europäischen Union. Ich habe gerade neulich mit Emmanuel Macron darüber gesprochen, dass die Konferenz zur Zukunft Europas ein Thema haben sollte, nämlich das Thema, wie wir wieder aufnahmefähig werden und was innerhalb der Europäischen Union dafür geregelt werden muss.

Es ist nicht richtig, nur ein Land zu nennen. Auch wir stellen oft sehr strenge Anforderungen. Die Niederlande haben eine Reihe von Einwendungen. Es ist also nicht so, dass die Schwierigkeiten auf ein Land zu konzentrieren wären.

Emmanuel Macron hat sehr viele Treffen auch bilateraler Art gemacht. Wir haben gemeinsame Treffen mit Aleksandar Vučić und dem jeweiligen kosovarischen Präsidenten gemacht, damals noch mit Herrn Thaçi. Jetzt ist Herr Kurti dort Premierminister. Wir sind also sehr, sehr engagiert, die Schwierigkeiten zu überwinden und damit auch die Voraussetzungen für einen Beitritt zu schaffen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte zu Ihrem Gespräch mit Herrn Macron und Herrn Xi von vorhin fragen. Xi hat wohl eine gemeinsame Viererplattform zusammen mit Deutschland, Frankreich und Afrika zur Entwicklung des afrikanischen Kontinents vorgeschlagen. Ist das für Sie eine Chance? Könnten Sie dabei mitmachen, oder ist das für Sie möglicherweise ein weiterer Versuch der Chinesen, die EU zu spalten, indem man Deutschland und Frankreich so in den Vordergrund schiebt?

BK’in Merkel: Ich sehe erst einmal positiv, dass die chinesische Seite bereit ist ‑ das hat Präsident Xi heute auch gesagt ‑, im Zusammenhang mit trilateralen oder auch multilateralen Projekten in Afrika zusammenzuarbeiten. Es kann nur gut sein, wenn wir dort über unsere jeweiligen Standards und unsere jeweiligen Herangehensweisen sprechen.

Ich habe darauf hingewiesen, dass wir von deutscher Seite in unserer G20-Präsidentschaft das Thema „Compact with Africa“ auf die Tagesordnung gesetzt haben und dass es auch ein guter Anknüpfungspunkt wäre, dass sich China als Mitglied der G20 hierbei einbringt und Offenheit dafür bekundet. China seinerseits hat auch ein langjähriges Engagement in Afrika und hat seine Initiative vorgestellt. Wir werden die Gespräche jetzt weiterführen, inwieweit man dabei kooperieren kann und inwieweit es Unterschiede gibt.

Für die Empfängerländer in Afrika ist es natürlich immer gut, wenn nicht viele Akteure mit völlig unterschiedlichen Herangehensweisen dabei sind. Wir sind da also offen. Ich verweise noch einmal auf das G20-Format „Compact with Africa“, das ja auch von der Weltbank und vom IWF unterstützt wird.

Frage: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, eine Rekapitulation: Sie haben die Probleme zum Beispiel zwischen Belgrad und Pristina und in Bosnien selbst erwähnt. Wie würden Sie die Veränderungen in der Region während ihrer Amtszeit bezeichnen? War das ein Erfolg, oder muss dort noch genauso viel gemacht werden wie vor 16 Jahren?

BK’in Merkel: Wenn ich jetzt auf die letzten sieben Jahre schaue, dann kann ich sagen, dass einiges gelungen ist. Wir haben in einigen Staaten ja durchaus eine ganze Menge von Beitrittskapiteln eröffnen können. Wir haben den Beitrittsprozess jetzt mit dem sogenannten Clustermodell innerhalb der Europäischen Union auch noch einmal neugestaltet, sodass es nicht immer nur um ein Kapitel geht, sondern auch um Gruppen von Kapiteln, die geöffnet werden können.

Für viele der Staaten des westlichen Balkans ist das Tempo viel zu langsam. Man muss sagen, dass auch die Europäische Union ‑ wir haben eben bei der anderen Frage darüber gesprochen ‑ immer vielerlei Bedenken vorgebracht hat, berechtigt, manchmal aus der Sicht der Betroffenen vielleicht auch nicht so berechtigt. Es ist viel passiert.

Trotzdem bleibt auch viel zu tun, was zum Beispiel die Bekämpfung von Korruption angeht. Aber wenn ich sehe, in welcher Form auch Gerichte neu besetzt werden, zum Beispiel der Vetting-Prozess in Albanien, dann kann ich sagen, dass das ein gutes Beispiel für wirklich vorangehende Bemühungen ist.

Weil dieser Beitrittsprozess ja länger dauert und langsamer vorangeht, als sich das viele erhofft haben, war es, denke ich, richtig, dass wir 2014 den Berliner Prozess begonnen haben. Denn er hat eine ganz neue Qualität von Kooperation in der Region ermöglicht, unter Zuhilfenahme auch der Unterstützungsprogramme der Europäischen Kommission, der Europäischen Entwicklungsbank, der IBRD und vieler anderer.

Dann gibt es immer wieder Schwierigkeiten, die man gar nicht voraussehen kann. Wir haben sehr lange gesehen, wie Griechenland und Nordmazedonien über die Frage des Namens verhandelt haben. Nordmazedonien ist jetzt Mitglied der NATO, und plötzlich stockt es mit Bulgarien bei der Beitrittskonferenz. Jetzt muss man das wieder mit viel Mühe überwinden.

Die Situation in Bosnien und Herzegowina ist nicht zufriedenstellend. Hier muss neuer Elan für ein Wahlgesetz her. Ich hoffe, dass Christian Schmidt bei der schwierigen Arbeit hinreichend Unterstützung von allen Seiten für diese Arbeit bekommt.

Also, mit einem Wort: Licht und Schatten in den letzten Jahren. Es ist noch viel zu tun, aber es ist doch einiges vorangekommen.

Danke schön und noch einen schönen Abend!