Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Europäischen Rat am 13. und 14. Dezember (12:45 Uhr)

StS Seibert: Guten Tag, meine Damen und Herren! Der letzte Europäische Rat dieses Jahres ist vorbei. Die Bundeskanzlerin berichtet Ihnen über die Ergebnisse.

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, das Jahr 2012 war im Rahmen dessen, was wir zu tun hatten, arbeitsreich. Ich glaube, wir können auch sagen, dass wir in diesem Jahr sehr viel erreicht haben.

Wir haben zum einen erreicht, dass wir mit unserem dauerhaften Solidaritätsmechanismus ESM die Gefahren für die Eurozone abwehren können. Wir haben mit einem Fiskalvertrag große Fortschritte bei der Stärkung der Haushaltsdisziplin gemacht. Wir haben jetzt, vor wenigen Tagen, durch die Finanzminister eine Einigung auf die Grundzüge einer gemeinsamen Bankenaufsicht erreicht. Wir haben die Zustimmung des Europäischen Parlaments, dass eine verstärkte Zusammenarbeit zum Zwecke der Schaffung einer Finanztransaktionssteuer stattfinden kann. Außerdem sehen wir, dass sich die Reformanstrengungen der Mitgliedstaaten - zumindest, was die Reduzierung der Haushaltsdefizite anbelangt - auswirken; denn seit 2009/2010 hat eine Halbierung der Staatsdefizite stattgefunden.

Wir haben hier an zwei Bereichen der Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion gearbeitet. Der erste Bereich waren die nächsten Schritte, die eine Bankenaufsicht überhaupt operabel machen. Dazu sind praktisch Aufträge erteilt worden, die parallel zum Aufbau einer Bankenaufsicht - einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht - stattfinden müssen, damit diese Bankenaufsicht dann überhaupt tätig sein kann. Das sind zum einen die Rechtssetzungen, die notwendig sind, um die direkte Rekapitalisierung aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus möglich zu machen. Zum anderen geht es darum, dass, wenn die Aufsicht zu der Überzeugung kommt, dass eine Bank abgewickelt werden muss, dann natürlich ein Rechtsrahmen existieren muss, damit diese Abwicklung überhaupt vollzogen werden kann. Zu beiden Themen haben wir jetzt sozusagen die Finanzminister gebeten, die Rechtssetzung so voranzutreiben, dass mit Inkrafttreten der Arbeit einer Bankenaufsicht die notwendigen Instrumente für diejenigen, die die Bankenaufsicht durchführen, dann auch vorhanden sind.

Zweitens haben wir uns mit der Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Wirtschaftskoordinierung beschäftigt. Ich habe schon seit Monaten gesagt: Es ist auf der einen Seite wichtig, dass wir Fiskaldisziplin haben. Es ist wichtig, dass wir die Banken gut überwachen, es ist aber genauso wichtig, dass wir eine wirtschaftspolitische Koordinierung haben. Jacques Delors hat in einem Bericht, den er 1989, vor Einführung der gemeinsamen Währung, fertigte, bereits darauf hingewiesen, dass ohne eine solche wirtschaftspolitische Koordinierung eine Kohärenz mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb eines Währungsraumes nicht gegeben ist. Wir sehen jetzt, zehn Jahre nach Einführung der gemeinsamen Währung, dass dies dringend notwendig ist.

Hierfür haben wir einen Fahrplan erarbeitet - einen Fahrplan, der bis Juni des 2013 zwei wesentliche Punkte umfasst. Das ist erstens, dass es in Zukunft differenzierte - je nach der wirtschaftlichen Situation eines Mitgliedstaates - Vereinbarungen zwischen der Kommission und dem jeweiligen Mitgliedstaat geben soll. Auf dem Weg bis Juni müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir die Parameter, die die Wettbewerbsfähigkeit überhaupt beschreiben, auswählen. Das heißt, solche Parameter sind dann Inhalt der Vereinbarungen, die zwischen Kommission und Mitgliedstaat vereinbart werden. Der zweite wesentliche Punkt ist - wie ich es auch schon vor geraumer Zeit einmal vorgeschlagen habe - ein Solidaritätsfonds, also ein solidarisches Mittel, das hilft, diese Vereinbarungen - die ja zeitlich befristet auf bestimmte Ziele ausgerichtet sind - dann auch umsetzen zu können. Das heißt, das ist ein finanzieller Anreiz oder eine finanzielle Unterstützung insbesondere für Länder, die von Haus aus noch sehr stark mit der Haushaltskonsolidierung befasst sind.

Ich bin deshalb mit dem Schritt, den wir hier in Richtung der wirtschaftspolitischen Koordinierung ins Auge fassen, sehr zufrieden. Der Fahrplan ist klar: Im Juni 2013 muss das Ganze Form angenommen haben. Daher werden wir sicherlich im März-Rat auch über die Parameter sprechen. Das Ganze muss natürlich in den nächsten Monaten, nachdem die vier Präsidenten sehr intensiv gearbeitet haben, auch sehr eng mit den Mitgliedstaaten konsultiert werden.

Unsere verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der wirtschaftspolitischen Koordinierung gilt für die Euro-Mitgliedstaaten, ist aber offen für alle, die sich daran beteiligen wollen. Für einige Nicht-Euro-Mitgliedstaaten ist es von allergrößter Wichtigkeit, dass diese Offenheit auch wirklich besteht. Wir kennen das vom Euro-Plus-Pakt, wir kennen das vom Fiskalpakt, und so wird das auch in diesem Falle sein.

Den heutigen Vormittag haben wir im Wesentlichen mit Themen zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik und mit einer ausführlichen Diskussion zu Syrien verbracht. Hier möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass wir alle überzeugt sind, dass es einen politischen Übergang in Syrien geben muss und dass die Zukunft Syriens ohne Assad stattfinden muss. Wir begrüßen das, was die Außenminister und die Gruppe der Freunde Syriens in Marrakesch beschlossen haben, und erkennen die syrische Opposition als den Vertreter Syriens an. Wir weisen allerdings darauf hin, dass, wenn es einmal zu einem Übergang und einer Ablösung von Assad kommen wird, dann die Arbeit auf der Grundlage der Menschenrechte und auch des Schutzes der Minderheiten stattfinden muss.

Insgesamt ist dies also ein weiterer Baustein, ein weiterer Schritt. Sie kennen mich, Sie wissen, dass ich dafür bin, dass man die Dinge gründlich macht und dass wir sie sehr überlegt tun. Eine wirtschaftspolitische Koordinierung zusätzlich zu den Verpflichtungen, die wir schon im Haushaltsbereich eingegangen sind, ist ein weiterer Integrationsschritt; es ist klar, dass sich da nicht jeder ganz leicht tut. Es ist auch klar: Wenn es zu solchen Vereinbarungen zu Kommission und Mitgliedstaaten kommt, dann müssen diese durch die Beschlüsse der nationalen Parlamente legitimiert sein. Das, was sich in unseren Diskussionen eben und auch gestern gezeigt hat, ist, dass alles, was mit Wettbewerbsfähigkeit zusammenhängt, natürlich auch sehr stark in der nationalen Kompetenz verankert ist - teilweise auch in der Vollendung des Binnenmarktes, aber teilweise eben auch in der nationalen Kompetenz. Deshalb brauchen wir hier auch eine sehr enge Konsultation mit unseren nationalen Parlamenten.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie sprachen gestern oder in der Nacht davon, dass über Sanktionen bezüglich der Verbindlichkeit solcher Reformen nicht gesprochen worden ist. Ist das denn überhaupt noch intendiert, oder soll es mehr dahin gehen, dass diejenigen belohnt werden, die auf diesem Weg voranschreiten, also aus diesem Fonds dann Geld bekommen können?

Zweite Frage: Sie haben heute Morgen offensichtlich auch über eine Waffenlieferung an die Opposition gesprochen. Wie waren da die Fronten und was ist da ganz konkret entschieden worden?

BK’in Merkel: Es ist - um mit der zweiten Frage zu beginnen - gesagt worden, dass wir die Außenminister bitten, daran zu arbeiten, wie man der Opposition helfen kann. Es ist explizit nicht von einer Aufweichung des Waffenembargos gesprochen worden, sondern es sollen alle Optionen betrachtet werden, wie man der Opposition helfen kann und wie man die Zivilbevölkerung besser schützen kann. Es ist nichts über eine Aufweichung des Waffenembargos geschrieben; vielmehr sollen sich die Außenminister weiter mit dem Thema beschäftigen.

Zweitens. Wir sind jetzt ja nicht in einem Bereich, wo sozusagen - wie bei der Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes - Verletzungen von Verabredungen stattfinden. Vielmehr sprechen wir, wenn wir über die wirtschaftspolitische Koordinierung sprechen, darüber, dass wir uns an den wettbewerbsfähigsten Ländern orientieren und versuchen, alle Länder möglichst in diese Richtung zu entwickeln. Das heißt, das ist qualitativ schon etwas anderes. Deshalb geht es hier auch nicht um Bestrafungen, sondern es geht darum, das Verständnis zu fördern, dass wir in einem Währungsgebiet umso stärker sind, je kohärenter unsere wirtschaftliche Stärke ist. Deshalb arbeiten wir hier eher über das Thema der Anreize. Außerdem ist auch vollkommen klar: Wer wettbewerbsfähiger ist, hat auch mehr Jobs, hat mehr Arbeitsplätze, kann seine Arbeitslosigkeit besser bekämpfen. Damit ist der Anreiz auch gegeben, ohne dass man in jedem Falle Geld in Anspruch nehmen muss.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gerade noch einmal Ihren Schritt-für-Schritt-Ansatz erklärt. Vor wenigen Wochen haben Sie im Europa-Parlament aber eigentlich einen sehr großen Schritt angekündigt gehabt. Daher wollte ich einfach noch einmal fragen, ob Sie uns erklären könnten, warum Sie doch sehr kurzfristig zu diesem Schritt-für-Schritt-Ansatz zurückgekehrt sind - wenn ich das einmal so ausdrücken darf.

BK’in Merkel: Ich glaube, dass ich im Europaparlament zwei Dinge gemacht habe: Ich habe über die nächsten Schritte gesprochen, und dann wurde ich gefragt, wie ich mir eine Vision für eine vollendete Europäische Union vorstelle. Da habe ich gesagt, dass meine Endpunkte sozusagen so sind, dass man Kompetenzen von den Mitgliedstaaten überträgt, dass sich die Kommission im Rahmen dieser Kompetenzen immer mehr wie eine Regierung entwickelt, dass dazu das Europäische Parlament gehört und dass der Rat so etwas wie eine zweite Kammer ist. Das wird ja durch das, was wir jetzt gemacht haben, nicht infrage gestellt.

Hier geht es jetzt ja darum, dass man sozusagen alle Dimensionen ausfüllt, die für eine gemeinsame Währungsunion notwendig sind. Eine Dimension ist die Dimension der Finanzmarktregulierung. Diesbezüglich habe ich über die Finanztransaktionssteuer gesprochen, und jetzt befinden sich ja andere Richtlinien in der Umsetzung, zum Beispiel die zur Umsetzung von Basel III und Ähnlichem.

Der zweite Bereich ist die Frage der Banken und ihrer Aufsicht. Das ist ein Problem, das sich zum Beispiel aus deutscher Sicht gar nicht so stark gestellt hat, weil wir glauben, dass wir eine sehr gute Bankenaufsicht haben, die auch eine sehr hohe internationale Reputation hat. Aber es gibt einige Euro-Mitgliedstaaten, in denen die Glaubwürdigkeit der nationalen Aufsicht nicht so groß gewesen ist. Deshalb haben wir uns entschieden, für die großen systemischen Banken eine gemeinsame, eigene Aufsicht für die Banken in der Eurozone zu schaffen. Daran arbeiten wir jetzt weiter.

Dann gibt es den Bereich der Fiskaldisziplin, des Fiskalvertrags. Da könnte man sich in späteren Jahren auch noch einmal weiter gehende Schritte vorstellen. Die Bereitschaft dafür ist im Augenblick bei den allermeisten Mitgliedstaaten nicht vorhanden. Wir wollen jetzt erst einmal den Fiskalvertrag anwenden.

Dann gibt es den vierten Bereich, und das ist die wirtschaftspolitische Koordinierung. Damit hatten wir einmal sehr unverbindlich begonnen, nämlich mit dem Euro-Plus-Pakt; das war wahrscheinlich vor drei Jahren. Das setzen wir jetzt in verbindlicherer Form fort. So formt sich, für mich sehr sichtbar, Schritt für Schritt eine Währungsunion aus, die, glaube ich, in Zukunft auch einfach fester, verbindlicher sowie für die, die innerhalb dieser Währungsunion investieren wollen, vertrauenserweckender sein wird.

Frage: Ich habe das mit diesem Solidaritätsfonds noch nicht richtig verstanden. Wer verwaltet den? Wer zahlt darin ein? Unter welchen Bedingungen kann ein Staat für welche Zwecke Geld daraus erhalten?

Ich habe noch etwas nicht verstanden. In den Schlussfolgerungen findet sich in Ziffer 2 so eine kryptische Formulierung über die Frage der Investitionen in ihrem Verhältnis zu der Einhaltung der Defizitgrenzen. Heißt das nun, dass Investitionen herausgerechnet werden können, wenn es um die Einhaltung der Defizitgrenzen geht, oder heißt es genau das nicht?

BK’in Merkel: Nein. Ich kann Ihnen das sagen. Es wird in Punkt 2 ganz klar gesagt, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt eingehalten werden muss. Das heißt, die Investitionen werden nicht herausgerechnet.

Wenn hier von einem haushaltspolitischen Rahmen der Union die Rede ist, dann gibt es ja bei der Verletzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes verschiedene Stufen. Eine besagt, dass, wenn sich mein Defizit oberhalb von 3 Prozent befindet, ich selbstverständlich überhaupt keine zusätzlichen Ausgaben mehr vornehmen darf, sondern schauen muss, dass ich unter die 3 Prozent komme. Dann gibt es aber für Länder, die ein Defizit von weniger als 3 Prozent haben, den sogenannten präventiven Arm, der schon einmal vorsorglich eine Warnung seitens der Kommission ausgibt. Wenn man unter diesem präventiven Arm ist, also ein Defizit von weniger als 3 Prozent hat, dann macht die Kommission bereits Vorschriften dazu, in welcher Art und Weise man wieder zu einem aus Sicht der Kommission verträglichen Defizit kommt, also vorzugsweise dadurch, gar keine Verschuldung mehr zu haben. Der Weg dorthin, wie man es schafft, von einem Defizit in Höhe von meinetwegen 2 Prozent oder 1,5 Prozent, das entstanden ist, wieder auf eines in Höhe von 1 Prozent oder 0,5 Prozent zu kommen, wird also vonseiten der Kommission beschrieben. Dabei wird jeder Ausgabeposten im Haushalt mit dem Mitgliedsland durchgegangen. Dabei kann es dann sein, dass zum Beispiel eine Investition, die das Land aber nie zu einem Defizit von mehr als 3 Prozent bringt, anders als eine konsumtive Ausgabe gesehen wird. Man sagt also: Durch die Investition wird es morgen eine größere Wahrscheinlichkeit geben, diesen Pfad einzuhalten. Die Kommission hat also leichte Spielräume in Bezug darauf, was sie als gut und was sie als schlecht deklarieren kann. Ansonsten gilt: Alle Ausgaben zählen, um den Stabilitäts- und Wachstumspakt einzuhalten.

Das Zweite, das Sie nicht verstanden hatten, ist ja auch noch gar nicht abschließend beschrieben. Ich hatte einmal den Vorschlag gemacht - darüber ist aber noch nicht befunden worden -, dass in einen solchen Fonds die Einnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer eingezahlt werden könnten. Die Mitgliedstaaten, die keine Finanztransaktionssteuer erheben, könnten dort zum Beispiel einen äquivalenten Betrag einzahlen. Es gibt allerdings auch Länder, die fragen: Können wir nicht auch einen Teil der Strukturfonds für diese Dinge verwenden? Das ist noch Gegenstand der Beratungen, und deshalb sind wir auch noch nicht fertig.

Wer verwaltet das? – Das muss natürlich die Eurogruppe gemeinsam mit der Kommission machen, und dann muss man Kriterien festlegen. Man könnte Ländern, die sehr stark mit der Haushaltskonsolidierung beschäftigt sind - ich könnte mir das zum Beispiel für ein Land wie Spanien vorstellen - und denen man sagt „Ihr müsst aber gleichzeitig auch ein Berufsausbildungssystem aufbauen“ oder sagt „Ihr müsst mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben“, dann für eine bestimmte Zeit sagen: Damit ihr das könnt, damit ihr vorankommt und damit trotzdem eure Haushaltskonsolidierung nicht unterbrochen wird, könnte es - zeitlich befristet und für ein ganz bestimmtes Projekt - dann Geld aus diesem Topf geben. Aber das muss alles noch geklärt werden.

Das hängt natürlich ganz eng von den Verträgen ab, die man mit der Kommission abschließt. Wenn ein Land einen Vertrag darüber abschließt, dass es mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben muss, dann könnte das ein Gegenstand der Unterstützung sein. Wenn ein Land einen Vertrag darüber abschließt, dass es mehr für seine Berufsausbildung tun muss, dann könnte das ein Gegenstand sein. All das muss in den nächsten sechs Monaten noch im Detail geklärt und ausgearbeitet werden.

Frage: Heute Morgen hat Herr Hollande gesagt, diese Verträge seien nur freiwillige Verträge. Aber wie können sie verbindlich sein, wenn sie für Mitgliedstaaten der Eurozone nur freiwillig sind?

BK’in Merkel: Es wird in diesem Text, von dem wir gesprochen haben, geschrieben, dass je nach der wirtschaftlichen Lage ein differenziertes Verfahren angewandt wird. Es wird vielleicht Fälle geben, in denen man verpflichtet wird, eine solche Abmachung zu treffen, und in anderen Fällen kann das Land sagen: Ich mache das, oder ich finde andere Wege, meine Pflichten zu erfüllen.

Wenn man den Vertrag abgeschlossen hat, dann ist er verbindlich. Aber ob alle - auch diejenigen, die sich jetzt sehr gut darstellen und all ihre Hausaufgaben schon gemacht haben - immer wieder mit der Kommission einen Vertrag abschließen müssen, das haben wir noch nicht geklärt, also die Frage, unter welchen Bedingungen der Vertrag zwingender ist und unter welcher Bedingung nicht. Wenn man aber einmal einen Vertrag geschlossen hat, dann muss man ihn einhalten.

Frage: Ich habe eine Frage zu dem Fonds. Wenn Sie sagen, dass dieser bei der Eurozone angesiedelt werden soll, ist mir nicht ganz klar, wie die Nicht-Euroländer mit ins Spiel kommen können. Ich habe Sie so verstanden, dass er im Prinzip allen Ländern offenstehen soll, also die Möglichkeit, verbindliche Verträge mit der Kommission zu schaffen. Oder sollte es für Nicht-Euroländer keine finanziellen Anreize geben?

BK’in Merkel: Ich habe mir, ehrlich gesagt, über die rechtliche Frage, wo wir diesen Fonds ansiedeln, noch keine Gedanken gemacht. Er muss für alle zur Verfügung stehen, die bei dieser stärkeren wirtschaftspolitischen Koordinierung mitmachen. Sind es nur Euroländer, kann man ihn bei der Eurozone ansiedeln. Sind es mehr Länder, muss man schauen, ob ihn die Kommission verwaltet, und zwar unter Mitsprache der Mitgliedstaaten, die bei dieser verstärkten Kooperation, wenn Sie so wollen, mitmachen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eine deutsch-französische Verständigung hat offensichtlich den Weg für die Einigung beim Thema Bankenaufsicht geebnet. Haben Sie mit der französischen Seite auch über die Nachfolge von Jean-Claude Juncker in dieser Hinsicht gesprochen? Ist in dem Zusammenhang der holländische Kandidat erwähnt worden?

BK’in Merkel: Was die Erstellung der Texte und die Ergebnisse, die wir zur wirtschaftspolitischen Koordinierung erzielt haben, angeht, haben Deutschland und Frankreich sehr eng zusammengearbeitet. Was die zukünftigen Personalentscheidungen anbelangt, möchte ich mich hier heute nicht äußern.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, heute früh haben Sie gesagt, die Abwicklung von Banken dürfe nicht auf Kosten der Steuerzahler passieren, sondern diejenigen müssten bezahlen, die für die Fehlentwicklung Verantwortung tragen. Meinen Sie damit nur die Eigentümer und Gläubiger der Banken oder auch die Länder, unter deren nationaler Aufsicht die Fehlentwicklungen aufgetreten sind?

BK’in Merkel: Das wird der Rechtssetzung vorbehalten bleiben. Erst einmal meine ich natürlich, dass die privaten Gläubiger mit den Kosten belangt werden müssen. Es wird immer gefragt werden müssen, in welcher Zeiteinheit man sozusagen die Kosten einsammeln kann. Wir wollen auch Fonds aufbauen, die eines Tages einmal die Rekapitalisierung und Ähnliches ermöglichen. Wie die Einzelheiten ausgestaltet werden, überlassen wir einmal der Rechtssetzung.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, im kommenden Jahr finden Bundestagswahlen statt. Es wird allgemein befürchtet, dass Deutschland nicht mehr ganz so reformbereit sein könnte. Wird das der Fall sein? Muss man davon ausgehen, dass Deutschland nicht mehr ganz so auf das Gas steigen und eher bremsen wird?

BK’in Merkel: Die Situation erfordert es, dass wir weiter sehr zielstrebig arbeiten, um unsere Hausaufgaben zu machen, um die Gründungsfehler und Gründungsmängel des Euro zu beheben. Dabei wird Deutschland seine Arbeit kontinuierlich fortsetzen. Sie sehen, was wir alles gerade in den letzen Tagen und Wochen geschafft haben und was wir uns wieder bis Juni vornehmen. Das sind intensive Arbeiten. Zum Beispiel ist es nicht simpel, sich politisch über die Frage zu einigen, welche Parameter über die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes Auskunft geben. Insofern werden wir sehr ambitioniert weiterarbeiten.

Frage: Meine Frage schließt da an und zielt auf eine generelle Bewertung. Frau Bundeskanzlerin, Herr Van Rompuy hat zu Beginn des Gipfels gesagt, nach seinem Eindruck sei das Schlimmste der Krise überstanden. Ich wollte Sie fragen, ob Sie diesen Eindruck teilen und ob Sie das teilen, was ich von manchen Beobachtern als Sorge wahrgenommen habe, dass sich manche Mitglieder des Rates schon etwas zurücklehnen und in ihrem Engagement nachlassen, weil sie meinen, man habe doch den größten Teil der Wegstrecke zurückgelegt.

BK’in Merkel: Ich glaube, dass in den vergangenen Monaten deutlich geworden ist, dass es wirklich einen gemeinsamen Willen gibt, den Euro als Währung nicht nur zu erhalten, sondern seine Fundamente, seine Grundlagen auch zu stärken. Das hat, glaube ich, die internationale Gemeinschaft jetzt erkannt. Das wissen die Investoren. Das hat sich an vielen Beispielen gezeigt, nicht zuletzt an unserem Umgang mit Griechenland.

Zweitens glaube ich, dass wir deutlich gemacht haben, dass die Mitgliedstaaten, aber auch die Europäische Union als Ganze bereit sind, tiefgreifende Reformen durchzuführen.

Drittens ist - und deshalb bin ich mit meinen Prognosen vorsichtig - der Anpassungs- und Veränderungsprozess, den wir durchlaufen müssen, ein sehr, sehr schwieriger und auch schmerzhafter. Die sehr lasche Haushaltsdisziplin über manche Jahre und der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit sind nicht in kurzer Zeit aufzuholen. Man kann zwar Rechtssetzungsakte durchführen, aber die Wirkungen bestimmter Maßnahmen - Flexibilisierung im Arbeitsrecht, Strukturreformen insgesamt, Mehrausgaben für Forschung und Entwicklung - werden erst in einigen Jahren deutlich werden.

Das heißt: Wir müssen auch für das nächste Jahr - das hat uns der Präsident der Europäischen Zentralbank noch einmal gesagt - eher mit sehr kleinen Wachstumsraten, in manchen Ländern sogar mit negativen Wachstumsraten rechnen. Wir müssen mit einer weiterhin sehr, sehr hohen Arbeitslosigkeit rechnen. Das heißt: Die politische Bürde, die aus diesem Umwandlungs- und Veränderungsprozess erwächst, wird im nächsten Jahr und vielleicht in den Jahren darüber hinaus spürbar sein. Deshalb sage ich auf der einen Seite: Ja, es ist einiges geschafft. Aber ich glaube, dass nach wie vor noch eine schwere Zeit vor uns liegt, die wir nicht allein mit einem Federstrich oder der einen Maßnahme beheben können. Das ist ja auch immer wieder klar geworden.

Wie viele Maßnahmen gab es schon, bei denen man gedacht hat: Das ist es. Ich denke an einen Schuldenschnitt, an Eurobonds oder an irgendeine andere Maßnahme, wo man sagt: Jetzt haben wir es aber geschafft. - Das wird nicht der Fall sein. Diese Dinge sind über eine sehr lange Zeit aufgetreten. Sie müssen erst wieder über eine sehr lange Zeit abgebaut werden. Da dürfen wir in unserem Reformeifer noch nicht nachlassen.

StS Seibert: Vielen Dank für das Interesse und bis nächstes Jahr.

BK’in Merkel: Dann wünsche ich denjenigen, die ich nicht mehr sehe, ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in das neue Jahr.