Pressekonferenz nach dem informellen Treffen des Europäischen Rats und EU-Indien-Gipfel in Porto

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie und möchte Sie informieren über den informellen Europäischen Rat und den EU-Indien-Gipfel. 

Ich möchte mich zuallererst bei der portugiesischen Präsidentschaft und bei dem Ministerpräsidenten António Costa ganz herzlich für die Organisation bedanken. Obwohl ich nicht persönlich anwesend war, hat es wunderbar geklappt, bei den Sitzungen virtuell dabei zu sein. Insofern haben wir einen guten gemeinsamen Gipfel gehabt. Auch der indische Premierminister war ja virtuell mit dabei, und trotzdem hatten wir eine sehr enge, dichte und intensive Diskussion.

Bevor ich gleich zum EU-Indien-Gipfel und dem informellen Europäischen Rat komme, möchte ich noch ein Wort zu dem heutigen Tag sagen. Es ist der 8. Mai. Vor 76 Jahren endete die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, die ja unendlich viel Leid, Tod und Terror über die ganze Welt, Europa und natürlich auch Deutschland gebracht hat. Es ist natürlich ein Tag, an dem noch einmal spürbar wird, was sich in diesen 76 Jahren ereignet hat, dass uns die Hand zur Versöhnung gereicht wurde und dass wir heute innerhalb der Europäischen Union eng zusammenarbeiten. Wir sind zu unserem Glück vereint, wie wir es in der Berliner Erklärung gesagt haben, und das ist das Glück der europäischen Integration, für das wir Deutsche in besonderer Weise dankbar sein sollten.

Nun zu unseren Treffen gestern und heute: Eben fand also der EU-Indien-Gipfel statt. Es war der erste Vollgipfel, also mit allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Indien. Wir haben noch einmal unsere Freundschaft und unsere strategische Partnerschaft zwischen zwei großen Räumen der Demokratie unterstrichen. Natürlich stand angesichts der Situation bezüglich der Coronapandemie die Pandemie auch sehr stark im Vordergrund unserer Diskussionen, und alle europäischen Mitgliedstaaten   so ja auch Deutschland   haben mit Hilfsleistungen für Indien versucht, das Leid, das dieses Land im Augenblick durchmacht, zu mildern. Wir haben eine Sauerstoffanlage und andere medizinische Gerätschaften exportiert, und der Premierminister hat sich dafür auch bedankt.

Wir haben in diesem Zusammenhang die gemeinsame Überzeugung vertreten   ich habe das auch noch einmal persönlich zum Ausdruck gebracht  , dass das Impfen natürlich der Weg aus der Pandemie ist. Indien hat Impfstoffe exportiert   genauso wie die Europäische Union  , obwohl Indien natürlich einen riesigen Eigenbedarf hat. Deshalb haben wir auch über die Kooperation in diesem Bereich gesprochen, und ich könnte mir sehr gut eine noch engere Kooperation zwischen der Europäischen Union und Indien in der Produktion von Impfstoffen vorstellen; denn diese Produktion wird ja noch über Jahre anhalten, um das Virus wirklich zu besiegen. Wir werden auch bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen, die demnächst stattfinden werden, noch einmal über dieses Thema sprechen.

Wir haben dann einen zweiten wichtigen Schwerpunkt dem Thema Klimaschutz gewidmet. Wir bereiten gemeinsam die COP26 in Glasgow mit vor, und Indien hat eine Vielzahl von doch recht gigantischen Initiativen zum Ausbau der Energieversorgung mit erneuerbaren Energien, vor allen Dingen auch mit Sonnenenergie, auf den Weg gebracht.

Die Vorbereitung dieses EU-Indien-Gipfels hat erfreulicherweise dazu geführt, dass wieder Schwung in das Freihandelsabkommen sowie ein separates Investitionsschutzabkommen gekommen ist. Ich denke, die Arbeiten können jetzt mit sehr viel mehr Tempo fortgesetzt werden. 

Wie gesagt: Die bilateralen Gespräche werden wir am 26. Mai im Rahmen der deutsch-indischen Regierungskonsultationen, natürlich auch virtuell, dann weiterführen können.

Heute Vormittag war der Schwerpunkt passend zu dem gestrigen Sozialgipfel mit den Tarifparteien die Diskussion zum sozialen Europa. Ich habe von meiner Seite aus begrüßt, dass die Kommission hier einen Aktionsplan vorgelegt hat, der auf drei Bereiche besonderen Wert legt: auf die Beschäftigung der Menschen unter 64 Jahre   das ist gerade im Blick auf Frauenerwerbstätigkeit ein sehr wichtiger Punkt  , im Blick auf die Armutsbekämpfung und   darüber haben wir heute sehr ausführlich gesprochen   im Blick auf die notwendige Weiterbildung. Lebenslanges Lernen in der Wirtschaft, die sich ja stark transformiert   wenn wir zum Beispiel an die Automobilindustrie denken  , ist ja ein solcher Punkt. Deshalb war die Diskussion dazu heute sehr gut. Ich glaube, die Schlussfolgerungen gehen auch in die richtige Richtung. 

Der Zeitpunkt passt natürlich auch sehr. Denn in allen Mitgliedstaaten sind gerade junge Menschen sehr stark beeinträchtigt. Viele Arbeitsplätze sind in Gefahr, gerade im Dienstleistungssektor. Deshalb ist das Thema soziale Säule der Europäischen Union von ganz besonderer Wichtigkeit.

Gestern Abend hatten wir eine umfassende Diskussion, die sich noch einmal sehr stark mit dem Thema Impfen beschäftigt hat. Ich begrüße sehr, dass die Kommission bereits jetzt einen weiteren großen Vertrag mit BioNTech/Pfizer abgeschlossen hat, der die zusätzlichen und zukünftigen Impfungen in den Blick nimmt, also die Nachimpfungen, die wir ja alle brauchen werden, inklusive der im Vertrag vereinbarten Leistungen der Impfstoffhersteller für die Anpassung der Impfstoffe, wenn es zu Mutationen kommt, also zu Virusvarianten. Wir werden diese mittel- und langfristige Produktion von Impfstoffen und die Unterstützung von Innovation und Wissenschaft natürlich brauchen. 

In diesem Zusammenhang spielt das Thema Patente eine zentrale Rolle. Ich habe hier noch einmal deutlich gemacht, dass ich nicht glaube, dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist, um mehr Menschen Impfstoff zur Verfügung zu stellen, sondern ich glaube, dass wir die Kreativität und die Innovationskraft der Unternehmen brauchen. Dazu gehört für mich der Patentschutz. Es geht um die Frage: Wie kommen wir möglichst schnell an möglichst viel Impfstoff für möglichst viele Menschen auf der ganzen Welt? Dazu müssen natürlich Lizenzen vergeben werden. Ich weiß gerade von deutschen Unternehmen, dass das in einer großen Schnelligkeit/Geschwindigkeit geschieht und es trotzdem ganz wichtig ist, dass die Patentinhaber auch auf die Qualität der Produktion achten. Impfstoffe sind hochsensitive Güter. Wir wissen um die Nebenwirkungen und vieles andere mehr. 

Das heißt also, wir haben keinerlei Anzeichen, dass hier nicht mit Nachdruck daran gearbeitet wird, die Produktionskapazität zu erhöhen, Lizenzen zu vergeben und zu kooperieren. Wenn man sich einmal anschaut, wie sich der Weg von BioNTech als einem Start-up hin zu einem Großproduzenten, siehe Marburger Werk, entwickelt hat, aber auch Produzenten in Kooperation mit anderen Ländern, dann sieht man, in welcher Geschwindigkeit hier wie viel geschafft wurde.

Das heißt also, wir müssen sehen, dass wir sehr schnell für möglichst viele Menschen Impfstoff bekommen. Deutschland beteiligt sich in der COVAX-Initiative. Wir haben hier auch Geld zur Verfügung gestellt. Wir werden alles tun   dazu gibt es ja bei der Europäischen Union und auch bei der Bundesregierung eine Taskforce  , um die Produktion von Impfstoff zu erhöhen und allen Teilen der Welt Zugang zu Werken geben, die diesen Impfstoff herstellen. Aber für mich ist hier sozusagen die Infragestellung des Patentschutzes nicht der Weg, der uns zu mehr und besseren Impfstoff führt.

Das war das, was ich Ihnen gerne mitteilen wollte. Ich stehe jetzt für Ihre Fragen zur Verfügung. 

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, von morgen an gelten Erleichterungen für Geimpfte und Genesene. Rechnen Sie damit, dass in der EU Sommerurlaub möglich sein wird, eventuell auch ohne Impfungen? Haben Sie vielleicht auch darüber auf dem Gipfel gesprochen? 

BK’in Merkel: Wir haben natürlich auch über das sogenannte grüne Zertifikat, also über diese digitale Impfbescheinigung, gesprochen. Die technischen Voraussetzungen für die Kompatibilität sind ja gegeben. Wir haben noch einige inhaltliche Fragen zu klären. Wie ist es zum Beispiel mit Impfstoffen, die nicht in der Europäischen Union zugelassen sind? Werden diese gegenseitig anerkannt oder nicht? 

Aber wenn man sieht, welche niedrigen Inzidenzen einiger unserer europäischen Partnerländer jetzt schon haben   Portugal hatte noch vor wenigen Monaten weltweit die höchsten, und jetzt liegen sie deutlich unter denen von Deutschland  , dann bin ich sehr hoffnungsfroh, dass wir uns insgesamt das leisten können, was auch im vergangenen Sommer möglich war. Von wann an das der Fall ist, kann ich noch nicht sagen und auch nicht den Tag benennen. Wir sehen: In Deutschland scheinen wir auch die dritte Welle gebrochen zu haben. Es wird in Deutschland dort, wo die Inzidenzen fallen, schrittweise jetzt auch mehr möglich sein. Das wird hoffentlich für ganz Europa so sein. 

ZURUF: (akustisch unverständlich) 

BK’in Merkel: Ja, selbstverständlich. Ich habe ja vom vorigen Sommer gesprochen. Da war das Thema Impfen noch ein theoretisches. 

Wenn die Inzidenzen wieder so weit unten sind --- Wir hatten im vorigen Sommer ja weder Zugang zu den Tests in dem Umfang  - es gab zu dem Zeitpunkt keine Schnelltests   noch hatten wir Zugang zu Impfstoff. Wir hatten damals Inzidenzen von zwei, drei und vier und konnten uns damit viel Freiheit erlauben. Deshalb sage ich immer wieder: Runter mit den Inzidenzen. Das bedeutet Freiheit für alle Menschen. Dann kommen noch die zwei Helfer Impfen und Testen hinzu. Damit sollten wir besser dastehen. 

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sich entschieden gegen die Freigabe der Patente ausgesprochen. Die EU-Staaten sind aber in dieser Frage gespalten. Gerät die EU   und vielleicht auch Deutschland   nicht in eine schwierige Lage, wenn selbst der Papst diese Freigabe fordert? Was konkret sollte die EU jetzt tun? Macht es überhaupt Sinn, weiter über diese „Waiver“ zu reden? 

BK’in Merkel: Na ja, über den „Waiver“ zu reden --- Da kann man über vieles reden. Die EU hat zum Beispiel auch eine Richtlinie, in der es um Zwangslizenzen oder Ähnliches geht. Ich finde aber, dass wir die Fragen diskutieren müssen, die dann auch wirklich zum Ziel führen. Das Ziel ist doch, dass möglichst viele Menschen möglichst schnell an Impfstoffe herankommen. Dazu müssen diejenigen, die diese Impfstoffe entwickelt haben, in die Lage versetzt werden   dafür gibt es auch staatliche Unterstützung  , möglichst schnell Lizenzen zu vergeben oder ihre eigene Produktionskapazität zu erhöhen. Beides findet statt. Es findet auch eine Vielzahl von staatlichen Unterstützungen statt, damit die Risiken, die diese Produzenten von Impfstoffen übernehmen, wirklich abgedeckt und abgefedert werden. 

Deshalb ist aus meiner Sicht zurzeit das Problem nicht, dass jemand auf seinem Patent sitzt, mit dem nichts macht und nichts produziert, sondern das Problem ist, dass möglichst schnell möglichst viele Leute in die Lage versetzt werden, mit diesen Patenten sachgerecht Impfstoff herstellen zu können und dass die Innovationskraft derer, die heute Impfstoff herstellen, nicht etwa erlahmt und dann in Bezug auf Virusvarianten, Mutationen keine schnellen Anpassungen mehr stattfinden können. 

Das Dritte ist, dass es gelingt, wirklich auch qualitativ hochwertigen Impfstoff herzustellen. Ich meine, wenn hier eine Patentfreigabe einfach erfolgt, ohne dass sozusagen auch die Qualität jedes Mal gut kontrolliert werden kann, dann sehe ich mehr Risiken als Chancen. Das ist die Betrachtung von mir, die ich ja Bundeskanzlerin eines Landes sein darf, in dem Impfstoffe produziert werden und in dem wir eigentlich auch sehr gut um die Themen wissen – das Thema, dass es heute eine Absicherung in Bezug darauf geben muss, ob Dosen abgenommen werden, selbst wenn sie gar nicht gebraucht werden würden, das Thema, dass man in einer sehr komplizierten Lieferkette an alle Komponenten denkt, bis hin zum Thema der Produktion von Glasfläschchen und Ähnlichem.

All dieses Know-how muss zusammengebracht werden, politisch müssen auch die Risiken abgedeckt werden, COVAX muss unterstützt werden, und wenn das alles passiert, dann ist das aus meiner Sicht der sicherste Weg zum Impfstoff für alle. Das ist das, was, glaube ich, den Papst umtreibt, und das ist das, was andere umtreibt. Ich fand, dass wir gestern eine sehr ausgewogene Diskussion mit vielen Aspekten hatten, die ja jetzt auch in meiner Antwort zutage getreten sind.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, die EU spricht mit Indien über ein Investitions- und Handelsabkommen zu der Zeit, in der das Investitionsabkommen mit China ins Stocken geraten ist. Was für ein Signal ist das an China? Wird Indien China womöglich den Rang ablaufen?

Können Sie vielleicht noch kurz darauf eingehen, wie Sie sich persönlich mit Herrn Modi ausgetauscht haben oder ob Sie vielleicht auch eine persönliche Botschaft an die indische Bevölkerung haben, die ja im Augenblick sehr auf Hilfe von außen hofft?

BK'in Merkel: Ich habe natürlich als deutsche Bundeskanzlerin dem indischen Premierminister meine Solidarität mit dem ganzen indischen Volk deutlich gemacht; denn wir wissen ja von den Bildern, wie schwierig die Situation in Indien jetzt ist.

Mit Indien wird im Übrigen seit vielen Jahren über ein Freihandelsabkommen und ein Investitionsabkommen verhandelt. Die Verhandlungen darüber sind schon mehrfach ins Stocken geraten. Man ist also jetzt von der Situation her weiter, weil man schon über ein Freihandelsabkommen spricht; mit China geht es ja noch um ein Investitionsabkommen. Aber die Verhandlungen sind auch vielfach ins Stocken geraten, und deshalb bin ich so froh, dass sie jetzt wieder aufgegriffen wurden. Ich sehe darin gar keine Parallele zu den chinesischen Verhandlungen. Die haben   sie laufen seit 2013   auch sehr lange gedauert.

Dass die Ratifizierung dann immer noch einmal ein sehr komplizierter Prozess ist, ist nichts Neues. Aber heute freue ich mich einmal darüber, dass das mit Indien auch wieder in Bewegung gekommen ist.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, noch einmal zur Debatte um die Impfstoffpatente: Wie erklären Sie sich eigentlich, wenn aus Ihrer Sicht jetzt so viel gegen diese Freigabe von Patenten spricht, die Position des amerikanischen Präsidenten? Wie nehmen Sie die Tatsache wahr, dass dort der Export bestimmter Stoffe und Impfstoffe bislang im Grunde genommen nicht möglich ist, was ja ein bisschen ein Widerspruch zu dieser Freigabe ist?

Es wurde berichtet, dass Sie kürzlich ein Telefonat mit dem BioNTech-Chef hatten. Waren darin auch Patente ein Thema? Vielleicht können Sie dazu etwas sagen.

BK'in Merkel: Aus den Telefonaten berichte ich ja normalerweise nicht, aber natürlich sind alle aktuellen Fragen immer auch Themen.

Nach der Erklärung für die amerikanische Position müssten Sie Amerika und den amerikanischen Präsidenten fragen. Ich wünsche mir, dass wir jetzt, da ja auch sehr weite Teile der amerikanischen Bevölkerung geimpft sind, zu einem freien Austausch von Komponenten und dann möglichst auch einer Öffnung des Marktes für Impfstoffe kommen. Europa hat einen großen Teil seiner europäischen Produktion immer in die Welt exportiert, und das sollte dann sozusagen auch der Regelfall werden. So viel von meiner Seite.

Herzlichen Dank und Ihnen noch einen schönen Samstag!