Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel zum Europäischen Rat am 24. und 25.10.2013

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

StS Seibert: Meine Damen und Herren, guten Tag! Willkommen zur Abschlusspressekonferenz der Frau Bundeskanzlerin.

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Meine Damen und Herren, wir hatten einen inhaltsreichen Europäischen Rat. Wir haben uns sehr konkret über Themen unterhalten und auch Schlussfolgerungen gezogen, die etwas mit unserer Wettbewerbsfähigkeit zu tun haben. Es ging um die Themen Innovation, digitale Wirtschaft und Dienstleistungen. Es war gut, dass wir dafür Zeit hatten. Denn wir hatten keinen Gipfel, auf dem wir nur über Krisenfragen des Euro zu sprechen hatten, sondern konnten uns vertieft mit der Verbesserung unserer Wettbewerbsfähigkeit befassen. Wir hatten auch die Gelegenheit, einen Austausch über die Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion vorzunehmen. Das war am gestrigen Abend der Fall.

Heute, am zweiten Tag des Europäischen Rates, haben wir uns zunächst mit Dienstleistungen, der Finanzierung der Wirtschaft und der Verringerung der Regierungslast beschäftigt. Ich will ausdrücklich sagen, dass ich die Initiative der Kommission REFIT als ausgesprochen hilfreich empfinde. Hier kann durch Abbau von Bürokratie oder die Streichung von nicht notwendigen Richtlinien eine Situation erzeugt werden, in der Wachstum besser möglich ist. Dazu hat die Kommission einen ganz außerordentlichen Beitrag geleistet.

Außerdem haben wir uns mit der Vorbereitung des Gipfels der östlichen Partnerschaft beschäftigt; er wird Ende November in Wilna stattfinden. Wir haben uns die einzelnen Aspekte darlegen lassen, sowohl von der Präsidentin Grybauskaitė, die im Augenblick die Präsidentschaft inne hat, als auch von Catherine Ashton und der Kommission.

Schließlich hatten wir nach den schrecklichen Ereignissen auf der Insel Lampedusa und im Mittelmeer eine sehr ausführliche und lange Diskussion über die Flüchtlingspolitik. Wir haben alle zum Ausdruck gebracht, dass wir tief über die tragischen Ereignisse bestürzt sind, die wir vor Lampedusa erleben mussten. Der Kommissionspräsident und der italienische Ministerpräsident haben uns von ihrem Besuch auf Lampedusa berichtet. Natürlich müssen die Mitgliedstaaten ihrerseits reagieren. Aber wir haben auf europäischer Ebene auch reagiert. Die Innenminister haben eine gemeinsame Taskforce mit dem Ziel eingerichtet, gerade im Mittelmeerraum zu überlegen, welche kurzfristigen Maßnahmen man durchführen kann. Diese Taskforce hat in dieser Woche zum ersten Mal getagt. Wir werden dann auf dem Dezember-Rat - das werden auch die Justiz- und Innenminister machen - informiert werden, welche kurzfristigen Maßnahmen dort ins Auge gefasst werden.

Es ist ganz wichtig, dass beim Flüchtlingsschutz die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern gestärkt wird. Die Stärkung der Grenzschutzagentur FRONTEX hat eine große Rolle in der Diskussion gespielt und natürlich die Versuche der Bekämpfung der Schleuserkriminalität. Aber wir wissen alle, dass das sehr komplexe Aufgaben sind.

Wir haben auf diesem Rat also ein breit gefächertes Spektrum an Diskussionen geführt. Insofern, glaube ich, war es wichtig, dass wir ein Stück weitergekommen sind, insbesondere was die Wettbewerbsfähigkeit anbelangt.

Der französische Präsident hat noch darüber berichtet, dass am 12. November die Fortsetzung des Gipfels zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stattfindet. Sie erinnern sich: Im Juli hatte Deutschland einen solchen Gipfel veranstaltet. Der Folgegipfel wird am 12. November in Paris stattfinden.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe zwei Fragen, davon eine zur östlichen Partnerschaft: Vielleicht könnten Sie noch einmal sagen, wie sich die Verhandlungen mit der Ukraine aus Ihrer Sicht darstellen. Ist die Ausreise von Frau Timoschenko nach Deutschland zur medizinischen Behandlung ein absolutes Muss, damit man auf dem Gipfel einen Vertrag abschließen kann?

Die andere Frage zur Migration: Sie kennen ja die italienischen Forderungen, dass man zu einem Verteilungsschlüssel von Flüchtlingen in Europa kommt. Vielleicht könnten Sie uns sagen, ob Sie sich dafür, vielleicht mittelfristig, erwärmen könnten.

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Wir haben heute keine qualitativen Änderungen der derzeitigen Flüchtlingsregelungen vorgenommen und haben das auch nicht vertieft diskutiert. Es kommt immer wieder diese Frage nach den Quoten. Ich glaube, dass wir das in Ruhe diskutieren müssen. Ich kann dazu heute keinen positiven Kommentar abgeben. Ich will an der Stelle noch einmal erinnern, dass Deutschland im EU-Vergleich durchaus eine Vielzahl von Asylbewerbern hat. Das heißt, unser Thema ist es nicht, dass wir uns jetzt darum sorgen müssten. Aber wir glauben, dass wir jetzt erst einmal auf der Grundlage des Dublin II-Regimes arbeiten und uns mehr mit den kurzfristigen Maßnahmen beschäftigen sollten, die jetzt vor Lampedusa wirklich hilfreich sein können.

Was die Erwartungen an die Ukraine anbelangt, so sind sie heute noch einmal wiederholt worden. Da geht es nicht nur um Frau Timoschenko, sondern auch um rechtliche Änderungen, die zum Teil - so wurde berichtet - noch im ukrainischen Parlament liegen. Was in der Sache Timoschenko erreicht werden kann, können wir heute noch nicht absehen. Es wurde uns durch die Außenbeauftragte Catherine Ashton, aber auch durch Frau Grybauskaitė deutlich gemacht, dass bestimmte Entscheidungen vielleicht auch sehr kurzfristig vor dem Gipfel fallen können. Auf jeden Fall haben wir unsere Erwartungen klar definiert.

Frage: Nächstes Jahr sind Europawahlen. Die europäischen Parteien sind gerade dabei, ihre Spitzenkandidaten auszusuchen. Sind Sie denn der Meinung, dass der Kandidat der Partei mit den meisten Stimmen nach der Wahl auch Kommissionspräsident werden soll?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Die Vertragslage ist ja hier beschrieben, dass das berücksichtigt werden soll. Ansonsten wird der Kommissionspräsident vom Parlament auf Vorschlag des Rates gewählt. Das heißt, es gibt eine Vielzahl von Erwägungen. Es wird nach der Europawahl auch eine Vielzahl von Diskussionen geben, wie man dann die zu besetzenden Positionen vergibt. Für mich ist da kein Automatismus zwischen Spitzenkandidaturen und der Besetzung von Ämtern sichtbar.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich würde doch gern noch einmal auf die Flüchtlingsfrage zurückkommen. Nun hat ja ausgerechnet heute Morgen der Menschenrechtsbeauftragte Ihrer Regierung, Herr Löning, genau so einen Verteilungsschlüssel gefordert, wie übrigens auch der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Herr Pistorius. Haben Sie nicht den Eindruck, dass die Debatte in diese Richtung läuft und Ihnen das Thema spätestens beim nächsten Gipfel wieder Kopfschmerzen bereiten wird?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Ich glaube, dass die Problematik uns nicht nur beschäftigt, wenn wir hier zum Gipfel kommen, sondern dass die Problematik lang anhaltend ist. Wir haben zum Beispiel darüber gesprochen, dass wir - ich glaube, im nächsten Jahr - einen EU-Afrika-Gipfel haben und auf diesem EU-Afrika-Gipfel sehr umfassend über dieses Thema gesprochen werden muss. Insofern beschäftigen wir uns, würde ich sagen, in unserer Regierungsarbeit alle permanent damit.

Es mag sein, dass es auch in Deutschland solche Beiträge gibt. Ich kann den Entscheidungen jetzt nicht vorgreifen.

Es soll im Juni des nächsten Jahres noch einmal umfassend über die langfristigen Perspektiven der Asylpolitik gesprochen werden. Ich will daran erinnern, dass wir vor nicht allzu langer Zeit einen fünfjährigen Diskussionsprozess beendet haben, der sich mit Flüchtlingsfragen in der Europäischen Union beschäftigt hat. Das heißt, wir müssen angesichts so tragischer Ereignisse, die natürlich schwierigste Situationen hervorrufen - es ist heute auch von vielen Kollegen gesagt worden, welche Auswirkungen natürlich auch der syrische Krieg auf die südosteuropäischen Länder hat -, trotzdem schauen, dass wir nicht jedes Mal all die Arbeit, die wir gerade jahrelang in die ganzen Fragen gesteckt haben, wieder infrage stellen. Aber wir werden auf die Frage, was die kurzfristigen Maßnahmen anbelangt, beim Dezember-Rat zurückkommen, und wir werden im Juni des nächsten Jahres auch noch einmal über langfristige Perspektiven der Asylpolitik sprechen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich will da noch einmal kurz nachhaken. Heute - in etwa, seitdem die Staatschefs in Brüssel sind - sind wieder 800 Menschen vor der Küste Siziliens aus dem Wasser gefischt worden. Alles, was jetzt am Ende herauskommt, ist: Wir bedauern das sehr, und wir werden uns in sechs oder zwölf Monaten wieder mit dem Problem befassen. - Hatte es denn dann überhaupt irgendeinen Sinn, dieses Thema hier auf die Agenda zu setzen und Erwartungen zu schaffen?

Wenn ich das noch nachschieben darf: Haben Italien, Griechenland und Spanien akzeptiert, dass man diese Sache letztlich nur auf die lange Bank schiebt?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Ich glaube, dass wir zwei Dinge unterscheiden müssen: Das eine sind die kurzfristigen Maßnahmen. Hierzu ist von den Justiz- und Innenministern eine Taskforce eingesetzt worden. Über die Arbeit dieser Taskforce haben wir gesprochen. Die hat auch bereits zum ersten Mal getagt. Was die kurzfristigen Maßnahmen und auch die Verbesserung der Arbeit von FRONTEX anbelangt, wenn es um bestimmte Unterstützungsleistungen geht, wird auch im Dezember bei unserem Rat noch einmal darüber gesprochen werden.

Davon zu unterscheiden ist aber eine generelle Debatte über eine völlige Veränderung des Asylsystems in Europa. Da hatte man keinerlei Erwartung, jedenfalls aus meiner Sicht - ich habe keine gehabt -, dass hier eine Veränderung der europäischen Asylpolitik stattfinden wird, sondern das müssen, wenn es überhaupt notwendig ist, die Justiz- und Innenminister umfassend diskutieren. Hier geht es um kurzfristige Reaktionen.

Ich finde: Gerade weil gestern Nacht wieder ein so schreckliches Ereignis passiert ist, ist es ja nicht denkbar, dass wir hier als Staats- und Regierungschefs überhaupt nicht mit dem Thema befasst werden. Es war eine sehr eindringliche und sehr lange Diskussion, in der die Regierungschefs von Malta, Italien und Griechenland sowie andere Regierungschefs eben berichtet haben, welche Auswirkungen sie zu spüren bekommen. Die Dringlichkeit der Arbeit der Taskforce ist hier noch einmal sehr umfassend dargestellt worden.

Frage: Ich habe noch eine Nachfrage zu dem Spitzenkandidaten: Wenn Sie sagen, es gebe keinen Automatismus, welche Überlegungen gehen denn dann im Rat ein, wenn man einen Kandidaten vorschlagen würde?

Die zweite Frage bezieht sich auf gestern Abend: Könnten Sie einmal kurz sagen, was Herr Draghi gesagt hat?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Zu welchem Thema?

Zusatzfrage: Wie viele Themen hat er denn angesprochen?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Zu mir hat er erst einmal „Guten Tag“ gesagt. Ich werde aber gleich noch einmal darauf zurückkommen.

Die Befassung des Rates mit der Frage, wer Kommissionspräsident wird, wird nach der Europawahl am 25. Mai stattfinden. Jetzt sind wir in einer Phase, in der die verschiedenen Parteien darüber sprechen, ob und, wenn ja, welche Spitzenkandidaten sie nominieren werden und wollen. Das sind zwei ganz unterschiedliche Themen. Deshalb ist im Rat nicht hierüber gesprochen worden, weil das jetzt eine Angelegenheit der europäischen Parteienfamilien ist.

Zweitens. Mario Draghi war ja gestern da, weil wir über die Frage der wirtschaftspolitischen Koordinierung gesprochen haben, das heißt, die Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Dazu hat er natürlich auch seine Beiträge vorgetragen. Dann haben wir auch über die Frage der Bankenunion gesprochen. Auch hierbei hat er sich selbstverständlich in die Diskussion eingebracht und vor allen Dingen auch unsere Schlussfolgerungen zur Bankenunion gutgeheißen. Es gibt ja sehr komplizierte Abfolgen. Das hat ja nicht nur mit der Bankenaufsicht und mit den jetzt anstehenden Stresstests zu tun, sondern es geht dann auch um Resolutionsmechanismen und vieles andere mehr.

Frage: Ich habe zwei kurze Fragen, eine auch noch zum Spitzenkandidaten: Wenn es einen Spitzenkandidaten gibt und wenn Sie sagen, es gebe keinen Automatismus, was Ämter betrifft, wofür würde denn dann ein Spitzenkandidat oder eine Spitzenkandidatin der EVP kandidieren?

Die zweite Frage betrifft die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Es heißt in den Schlussfolgerungen sinngemäß: Im Dezember-Rat soll über „contractual arrangements“ und entsprechende Solidaritätsmechanismen entschieden werden. Heißt das, dass das Prinzip, dass es solche Verträge geben wird, bereits von den Kollegen akzeptiert ist?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Ja, das Prinzip ist akzeptiert worden. Dennoch haben wir da gestern noch einmal ein „with the objective“ hinzugefügt, damit wir uns nicht falsche Versprechungen machen. Ich glaube nicht, dass wir uns schon bis zum Dezember ganz fertige „contractual arrangements“, also verpflichtende Vereinbarungen, geschaffen haben werden. Auch die Fragen nach finanzieller Solidarität usw. werden im Dezember noch nicht alle geklärt sein. Aber dass man auf diesem Weg fortschreitet, ist als Prinzip durch die Schlussfolgerungen noch einmal sehr deutlich geworden. Das ist für viele, will ich der Fairness halber sagen, auch in einer Balance mit der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion zu betrachten. Aber es gibt ein klares Bekenntnis dazu - das ist dieses Ergebnis schon -, dass wir in der Eurozone - das ist natürlich freiwillig und offen für alle anderen - über die jetzt bestehenden Prozeduren im Rahmen des Europäischen Semesters hinausgehen wollen. Das kann man sagen, und das wird auch in den Schlussfolgerungen wieder sehr klar dargestellt.

Zur Frage des Spitzenkandidaten: Wir haben auf der einen Seite auch verschiedene Positionen zu vergeben und zu besetzen, die des Präsidenten des Rates, die des Präsidenten der Kommission. Das steht neben der Außenbeauftragten oder dem Außenbeauftragten alles an. Es sind dann also auch wichtige Positionen zu besetzen. Ich glaube, das Ganze ist aber noch einmal davon zu unterscheiden, dass sich Parteien entscheiden, auch für die Europawahl Spitzenkandidaten aufzustellen. Natürlich will man, wenn man stark abschneidet, bestimmte Positionen besetzen. Aber soweit ich informiert bin, werden auch die Liberalen und die Grünen Spitzenkandidaten haben, und man kann nicht erwarten, dass daraus sozusagen automatisch gleich der Posten eines Kommissionspräsidenten entstehen wird. Ich sehe darin also schon noch einmal einen Unterschied. Jetzt kann man sich auch fragen: Was sagt man eigentlich den Bürgerinnen und Bürgern, wenn jemand als Spitzenkandidat einer Partei auftritt? Das hat dazu geführt, dass ich am Anfang etwas zögerlich war, wenn es darum ging, dass man jetzt nichts Falsches versprechen darf. Trotzdem neigen, soweit mir bekannt ist, alle Parteien dazu, einen Spitzenkandidaten aufzustellen. Die EVP wird das dann spätestens auf dem Gipfel in Dublin tun, der im März stattfinden wird, und dann wird man sehen, wie sich das hinterher in den verschiedenen Positionen widerspiegeln wird.

Frage: Bei den Sozialisten zeichnet sich ja ab, dass Herr Schulz eben der Spitzenkandidat werden wird. Die EVP hat Schwierigkeiten - so sieht es aus -, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Wäre aus Ihrer Sicht Jean-Claude Juncker ein guter Kandidat, wenn er in Zukunft vielleicht etwas mehr Zeit haben wird?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Herr van Kampen, ich glaube, dass Sie nicht damit gerechnet haben, dass ich den Kandidaten jetzt ausrufe. Dass ich die Arbeit von Jean-Claude Juncker sehr schätze und dass er ein erfahrener Europäer ist, ist unbestritten. Wir haben in der europäischen Volkspartei also noch keine Entscheidung dazu gefällt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, zwei Fragen zur Wettbewerbsfähigkeit: Sie haben heute Morgen in der Pressekonferenz ja gesagt, dass der Prozess dieser verbindlichen Verträge doch etwas langsamer vorangeht, als Sie ursprünglich gehofft hatten; gleichzeitig wird die Datenschutzrichtlinie wahrscheinlich nicht so schnell verabschiedet werden. Haben Sie das Gefühl, dass mit dieser leichten Entspannung in Europa und der Eurozone auch der Reform- und der Einigungswille langsam geringer werden?

Zweite Frage: Schwebt Ihnen eigentlich vor, dass bei diesem Wettbewerbspakt ähnlich wie beim Fiskalpakt auch der Europäische Gerichtshof eine Rolle spielen soll?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Wenn Sie sagen „langsamer“: Ich glaube, dass sich das Gesamttempo unserer Beschlüsse in den letzten Jahren sowieso beschleunigt hat. Überlegen Sie einmal, was wir im Bereich der Bankenunion jetzt in kurzer Zeit doch vorangebracht haben - da müssen ja komplizierteste Fragestellungen bearbeitet werden. Wenn wir vor drei Jahren einmal darüber gesprochen hätten, dass wir jetzt bald eine Bankenaufsicht haben, dass da hunderte von Menschen eingestellt werden müssen, dass alle europäischen Banken - oder jedenfalls die relevanten - einem Stresstest unterzogen werden, dass man sich mit Restrukturierungsmechanismen befasst, dass man sich dann auch mit der ganzen Abschichtung der Beteiligung der Gläubiger befasst und dafür ja zum Teil auch schon recht gute Lösungen gefunden hat, dann würde ich sagen: Da wird schon erhebliche Arbeit geleistet.

Wir haben dann vor drei, vier Jahren, kurz nachdem der Lissabon-Vertrag in Kraft war, gesagt, dass wir an Vertragsänderungen überhaupt nicht mehr denken wollen. Jetzt sind wir zumindest dabei, die Wirtschafts- und Währungsunion doch fortzuentwickeln. Allein wenn man sieht, was auch im Europäischen Semester schon heute selbstverständlich ist - die ganzen länderspezifischen Empfehlungen und vieles Andere mehr; die makroökonomische Konditionalität, die gerade mit dem Europäischen Parlament verhandelt wird -, würde ich sagen: Wir sind schon sehr intensiv dabei, zu entscheiden.

Natürlich werden - das sage ich dazu -, wenn die Not ganz groß ist, die Entscheidungen noch schneller getroffen. Aber insgesamt geht die Entwicklung doch eindeutig weiter. Wir werden in den nächsten Monaten sicherlich in eine Situation kommen, in der ein paar Monate lang einmal eher weniger entschieden werden kann, weil das Parlament ja neu gewählt wird und sich dann erst einmal wieder konstituieren muss.

Ich will aber einmal sagen: Dass eine Initiative der Kommission wie REFIT kommt, davon hätte man ja vor ein paar Jahren gar nicht zu träumen gewagt. Ich weiß noch, wie ich versucht habe, hier die Arbeit von Edmund Stoiber zu platzieren, und wie schwierig es war, zu erreichen, dass der Bürokratieabbau nicht als Affront verstanden wird. Jetzt gibt es eine wirkliche Beteiligung der Kommission, da sind gute Vorschläge gemacht worden. Insofern empfinde ich das schon als deutliches Zeichen. Auch, dass wir uns als Staats- und Regierungschefs mit dem Thema Energie und mit dem Thema Digitalisierung so umfassend beschäftigen, zeigt, dass die Räte doch sehr viel inhaltsreicher und entschiedener geworden sind.

Frage: (akustisch unverständlich)

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Das haben wir bis jetzt noch nicht ins Auge gefasst, sage ich einmal. Darüber muss man nachdenken. Ich schließe das nicht aus, aber ich habe mir über die Rolle des EuGH bei der Umsetzung der Vertragsvereinbarungen noch keine Gedanken gemacht.

Frage: Noch zwei kurze Fragen zur NSA.

Erste Frage: Was genau wollen Sie erreichen, wenn Sie jetzt zusammen mit dem französischen Präsidenten in die Gespräche mit der amerikanischen Regierung eintreten?

Zweite Frage: Haben Sie auf diese Initiative irgendeine Reaktion von David Cameron bekommen?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Nein, David Cameron war ja gestern dabei, hat das gehört und hat sich nicht dagegen ausgesprochen, was ich als schweigende Zustimmung empfinde. Um das ganz klar zu machen: Wir haben gesagt, dass Deutschland und Frankreich sich nicht als Deutschland plus Frankreich an Amerika wenden, sondern dass sich jedes Land für sich mit den amerikanischen Sicherheitsbehörden in Verbindung setzen wird und einen Rahmen für die zukünftige Kooperation ausarbeiten wird. Natürlich werden wir uns darüber auch austauschen, aber es ist ja nicht so, dass wir zu zweit auf ein Land zugehen, sondern es ist so, dass die jeweiligen Verbindungen genutzt werden.

Frage: Ich hätte auch eine Frage zur NSA, Frau Bundeskanzlerin: Wie sind die Beziehungen zu Ihrem schwedischen Kollegen, Herrn Reinfeldt, nachdem heute herausgekommen ist, dass die schwedische Regierung mit an der Spionage beteiligt war?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Meine Beziehungen zu Fredrik Reinfeldt sind gut, und ansonsten habe ich bestimmte Details noch nicht näher studiert. Ich vertrage mich bestens mit Fredrik Reinfeldt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wenn ich richtig informiert bin, haben Sie sich gestern auch mit dem griechischen Ministerpräsidenten getroffen und hatten die Möglichkeit zu einem Gespräch außerhalb des Gipfels. Gab es da auch die Möglichkeit, mit ihm über Erleichterungen für das griechische Programm zu sprechen, war das ein Thema? Gibt es da Flexibilitäten der deutschen Position?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Nein, ich habe mich zwar fünf Minuten lang mit Antonis Samaras unterhalten, aber nicht über das von Ihnen angesprochene Thema. Insofern gibt es auch keine Veränderungen unserer Position.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, das ist noch einmal eine Frage zur NSA. Sie wissen ja sicherlich, dass die Amerikaner und die Briten eine sehr besondere Beziehung haben, was den Austausch von Nachrichtendiensten angeht. Sie haben ja auch dieses Abkommen, dass sie nicht einander ausspionieren. Möchten Sie eine solche Einigung, ein ähnliches Abkommen zwischen den Deutschen und den Amerikanern, wenn Sie diese Verhandlungen mit den Amerikanern führen?

Bundeskanzlerin Dr. Merkel: Da ich diese Abkommen nicht genau kenne - obwohl ich weiß, dass es diese spezielle Beziehung gibt -, kann ich jetzt auch nicht sagen, dass wir genau das suchen. Wir suchen vielmehr eine Grundlage für die Kooperation unserer Dienste, die wir ja alle brauchen und von der wir auch schon sehr viel Informationen bekommen haben - ich denke da zum Beispiel auch an Informationen der amerikanischen Dienste -, die transparent ist, die klar ist und deren Charakter dem von Bündnispartnern entspricht.